BT-Drucksache 17/8584

Keine Patente auf Leben

Vom 7. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8584
17. Wahlperiode 07. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Eva Bulling-Schröter,
Dr. Martina Bunge, Roland Claus, Dr. Barbara Höll, Katrin Kunert, Caren Lay,
Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin
Senger-Schäfer, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander
Süßmair, Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Patente auf Leben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Patente auf Leben sind weder ethisch noch ökologisch verantwortbar. Sie ge-
fährden das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität, die biologische
Vielfalt, die Agrarwirtschaft und die Forschungsfreiheit. Sie können Biopirate-
rie befördern. Die Macht der einzelnen Patentinhaberinnen und Patentinhaber
kann sich durch Biopatente entlang der kompletten Wertschöpfungskette – vom
Acker bis zum Teller – entfalten. Sie können die Nutzung von patentierten
Pflanzen, Tieren und Verfahren sowie ihren Nachkommen bzw. Produkten ver-
weigern, beschränken oder sich teuer bezahlen lassen. Dies wirkt sich schon
heute auf Anbau von Nutzpflanzen, Verarbeitung von Ernteprodukten, Nah-
rungsmittelproduktion sowie Forschung und Züchtung von Nutztieren und Nutz-
pflanzen aus. Im Bereich der Agrogentechnik ist das Patentrecht eine Bedrohung
für die genetische Vielfalt. Die marktbeherrschenden Agrarkonzerne konzentrie-
ren sich auf wenige Rassen oder Sorten, die den größten Gewinn versprechen.
Dadurch wird genetische Vielfalt verdrängt und geht verloren. Die Abhängigkeit
der Landwirtinnen und Landwirte von den großen Saatgutkonzernen steigt.

Der Zugang zu genetischen Ressourcen darf gerade im Bereich der Ernäh-
rungs- und Energieversorgungssicherung nicht durch private Nutzungsinteres-
sen behindert werden, da hier das gesellschaftliche Interesse an Teilhabe Vor-
rang haben muss. „Leben“ im weitesten Sinne darf daher nicht patentierbar
sein. Dazu gehören Menschen, Pflanzen, Tiere und andere Lebewesen sowie
ihre Organe, Gene und Gensequenzen und ihre Produkte. Auch traditionelle
Züchtungsverfahren müssen von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden.
Dies gilt auch, wenn sie geringfügig durch einen technischen Verfahrensschritt

verändert wurden.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Rechte der Allgemeinheit durch
die bestehende nationale und internationale Biopatentgesetzgebung nicht aus-
reichend vor den Interessen Privater geschützt sind. Die Natur kann nicht erfun-
den werden. Gene können entdeckt, beschrieben und genutzt, dürfen aber nicht
in Privatbesitz genommen werden. Deshalb sind Patente auf Leben weltweit zu
verbieten.

Drucksache 17/8584 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für ein weltweites Verbot der Patentierung von Menschen, Pflanzen,
Tieren und anderen Lebewesen sowie deren Nachkommen, Produkte,
Organe, Gene, Gensequenzen einzusetzen. Dies gilt auch für Zuchtverfah-
ren, unabhängig davon, ob es sich um klassische Züchtungen oder gentech-
nische Verfahren handelt;

2. sich für entsprechende Änderungen internationaler Abkommen, zum Bei-
spiel des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des
geistigen Eigentums (TRIPS) und der EU-Patentgesetzgebung, einzusetzen
und diese Änderungen ebenfalls im deutschen Patentgesetz vorzunehmen;

3. sich für eine unabhängige Finanzierung des Europäischen Patentamts (EPA)
einzusetzen;

4. sich für Prozesskostenhilfe einzusetzen, die sichert, dass Betroffene unab-
hängig von ihrer eigenen finanziellen Situation Patentzulassungen rechtlich
überprüfen lassen können.

Berlin, den 7. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Regelmäßig werden Patente auf Tiere, Pflanzen und Züchtungsverfahren bean-
tragt und genehmigt. War dies vor einigen Jahren vor allem bei gentechnisch
veränderten Produkten der Fall, werden nun auch zunehmend konventionell ge-
züchtete Tiere und Pflanzen patentiert. Die Entwicklung der Patentierung
könnte auch vor dem Menschen nicht haltmachen, daher muss der Mensch in
alle internationalen Patentverbote aufgenommen werden.

Das EPA hat beispielsweise Patente für Sojabohnen, Weizen, Sonnenblumen,
Kühe oder Schweine erteilt. Die patentierten Eigenschaften wurden entweder
durch konventionelle Zucht oder durch gentechnische Verfahren erreicht. Das
Streben nach und die Zulassung von Biopatenten wird durch die unklaren For-
mulierungen der EU-Biopatentrichtlinie befördert. Das in der Richtlinie veran-
kerte Verbot der Patentierung von „im Wesentlichen biologischen Verfahren zur
Züchtung von Pflanzen oder Tieren“ wird vom EPA so weit ausgelegt, dass zwar
die Verfahren zur konventionellen Züchtung nicht patentierbar sind, jedoch die
Produkte (z. B. Pflanzen, Tiere, Saatgut etc.). Somit werden das bestehende Ver-
bot ausgehebelt und die freie Verfügbarkeit des Genpools eingeschränkt. Gleich-
zeitig wird damit der Ausbau der Monopolstellung einiger weniger großer
Agrarkonzerne befördert. Diese Entwicklung wird in der Gesellschaft sowie von
vielen Vereinen und Verbänden kritisch gesehen.

Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des EPA zum „Brokkoli-
patent“ (EP 1069819) vom 10. Dezember 2010 wurde von einer breiten Öffent-
lichkeit begrüßt. Die Kammer stellte klar, dass herkömmliche Züchtungsverfah-
ren, die Elemente der Kreuzung und Selektion enthalten, nicht patentierbar sind.
Allerdings ist auch weiterhin zu befürchten, dass rechtliche Spielräume genutzt
werden, um weitreichende Patenterteilungen zu erwirken. Ein weiteres Beispiel
ist die Erteilung eines Sonnenblumenpatents (EP 1185161), gegen welches
Greenpeace e. V. Einspruch erhoben hatte. Das EPA widerrief zwar die Patentie-

rung des Züchtungsverfahrens, doch weitergehende Patentansprüche ließ es
unangetastet. Beispielsweise auf Sonnenblumenkerne oder -öle. Auch beim

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8584

Brokkolipatent sind zwar die Patentansprüche auf das Züchtungsverfahren wider-
rufen, aber es ist noch ungewiss, ob die Pflanzen, das Saatgut und die essbaren
Teile des Brokkolis patentiert bleiben. Die für Oktober 2011 geplante Anhörung
wurde kurzfristig vom EPA abgesagt.

Im Deutschen Bundestag wurde von Sommer 2010 bis Dezember 2011 an einem
interfraktionellen Biopatenteantrag aller fünf Fraktionen gearbeitet. Dieser
Antrag wurde im Januar 2012 ohne Begründung unter Ausschluss der Fraktion
DIE LINKE. eingereicht (Bundestagsdrucksache 17/8344). Die Forderungen
der Fraktion DIE LINKE. werden daher mit diesem Antrag dem Bundestag zur
Diskussion und Entscheidung vorgelegt.

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