BT-Drucksache 17/7952

Ein starker Haushalt für ein ökologisches und solidarisches Europa - Der Mehrjährige Finanzrahmen 2014-2020

Vom 30. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7952
17. Wahlperiode 30. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Lisa Paus, Viola von Cramon-Taubadel, Krista
Sager, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Ekin Deligöz,
Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Bettina Herlitzius, Priska Hinz (Herborn),
Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs,
Oliver Krischer, Dr. Tobias Lindner, Agnes Malczak, Jerzy Montag, Kerstin Müller
(Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Hans-Christian Ströbele,
Markus Tressel, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ein starker Haushalt für ein ökologisches und solidarisches Europa –
Der Mehrjährige Finanzrahmen 2014–2020

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Haushalt der Europäischen Union (EU) ist ein Fundament gemeinsamer eu-
ropäischer Politik. Mit ihrem Haushalt kann die EU finanzielle Rahmenbedin-
gungen für die Verwirklichung ihrer Ziele schaffen und eigene Akzente setzen.
Sie kann Mehrwerte in den Bereichen schaffen, in denen die EU besser wirken
kann als die Nationalstaaten allein. Zudem leistet der EU-Haushalt durch seine
Transferzahlungen einen wichtigen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhält-
nisse in Europa und stärkt so den europäischen Zusammenhalt. Gerade die der-
zeitige Eurokrise zeigt, dass diese Fähigkeiten der EU auch in Zukunft ge-
braucht werden und die EU zu Fortschritt, Wohlfahrt und Stabilität für ihre Bür-
gerinnen und Bürger beitragen kann.

Der Umfang des aktuellen Finanzrahmens beträgt 1,12 Prozent der Wirtschafts-
leistung der EU (in Verpflichtungsermächtigungen). Der Bundestag hält es für
geboten, an dem derzeitigen Umfang festzuhalten. Eine Erhöhung wäre vor dem
Hintergrund der Schuldenkrise für einige Mitgliedstaaten eine unzumutbare da
zusätzliche Belastung. Doch auch die von der Bundesregierung geforderte Kür-
zung der Mittel ist inhaltlich und politisch nicht gerechtfertigt. Denn in Zeiten
der größten Wirtschafts- und Finanzkrise seit ihrer Gründung braucht die Euro-
päische Union Mittel für ökologische Investitionen und die Förderung von
Kohäsion, Konvergenz und sozialem Zusammenhalt. Der Bundestag ist sich be-
wusst, dass im Zuge der Krise gemeinsame Anstrengungen erforderlich werden

können, um antizyklische Krisenbekämpfung durchzuführen.

Die Eurokrise zeigt: Eine Währungsunion bedarf einer Wirtschafts- und Solidar-
union. Der Abbau der immer gefährlicher anwachsenden wirtschaftlichen Un-
gleichgewichte in der EU bedarf eines nachhaltigen europäischen Wirtschafts-
modells und eines Ausbaus der europäischen Infrastruktur, vor allem in den
Bereichen nachhaltiger Energieversorgung und europäischer Energienetze. Aus

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der Krise wird Europa nur kommen, wenn die EU ihre Prinzipien der Kohäsion
und Konvergenz stärkt. Hierauf müssen die europäischen Mittel konzentriert
werden. Angesichts dieser Herausforderungen verbietet sich die Forderung der
Bundesregierung, den Umfang auf 1 Prozent der Wirtschaftsleistung zu kürzen.
Der Bundestag lehnt dies entschieden ab. Die Aufgaben der EU wachsen stetig.
Wer in dieser Situation den EU-Haushalt schwächen will, schwächt Europa.

Der Bundestag ist davon überzeugt, dass die zusätzlichen Aufgaben auch ohne
eine Erhöhung bewältigt werden können, indem die Gelder effektiver und ziel-
genauer eingesetzt werden. Am 29. Juni 2011 hat die EU-Kommission ihren
Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen 2014–2020 vorgelegt. Damit
haben die Verhandlungen über den zukünftigen Haushalt offiziell begonnen. Die
EU-Kommission will mit ihrem Vorschlag zeigen, dass Solidität, Solidarität und
neue Investitionen wichtig sind. Dieser Ansatz ist richtig.

Die Finanzierung des EU-Haushaltes ist grundsätzlich reformbedürftig. Die
Einnahmeseite muss transparenter und verständlicher werden. Die Einführung
echter EU Steuern, wie z. B. einer europäischen Finanztransaktionssteuer, deren
Erlöse in den Haushalt der EU fließen, kann mehr Transparenz herstellen und
die Beiträge der Mitgliedstaaten, die sich an der Wirtschaftsleistung orientieren,
reduzieren. Es ist begrüßenswert, dass diese Forderung auch Bestandteil des
Vorschlages der EU-Kommission vom 29. Juni 2011 ist. Darüber hinaus soll
geprüft werden, ob Beiträge der Mitgliedstaaten auch durch eine europäische
Mindestenergiesteuer und anteilige Einnahmen aus einer einheitlichen euro-
päischen Mindestkörperschaftsteuer mit Gemeinsamer konsolidierter Körper-
schaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) weiter reduziert und auf ihre
ursprüngliche Rolle zurückgeführt werden können, um einen ausgeglichenen
EU-Haushalt zu garantieren.

Das Rabattsystem innerhalb des EU-Haushaltes ist undurchsichtig. Insbeson-
dere Großbritannien wird mithilfe des sogenannten Britenrabatts ungerechtfer-
tigt entlastet. Auch Deutschland profitiert davon, während wirtschaftlich schwä-
chere Staaten diese Rabatte finanzieren. Diese Umverteilung von schwächeren
zu stärkeren Mitgliedstaaten ist nicht zu rechtfertigen. Die Europäische Union
untergräbt damit ihre eigenen Ziele. Daher lehnt der Deutsche Bundestag dieses
regressive Beitragssystem ab. Das gilt auch für die von der EU-Kommission
vorgeschlagenen pauschalen Ermäßigungen für den Haushalt 2014 bis 2020.

Europa steht in der Welt nicht alleine da. Vor dem Hintergrund der Krise in der
Eurozone darf die EU die drei großen globalen Krisen nicht vergessen: die
Armuts- und Gerechtigkeitskrise, die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die
Klima- und Biodiversitätskrise. Ein Mehr an politischer Kohärenz und der
Green New Deal sind die Antworten auf diese Herausforderungen und können
auch Europa aus der Krise führen. Deswegen muss der Green New Deal im
Zentrum des kommenden Mehrjährigen Finanzrahmens stehen. Die EU muss
die Transformation hin zu einer ökologischen, global gerechten, sozialen und
ressourcensparenden Wirtschaft jetzt vorantreiben. Im europäischen Binnen-
markt kann und muss gerade die EU mit ihren Mitteln den Ausbau der erneuer-
baren Energien, von Speichermöglichkeiten, europäischen intelligenten Netzen
und Energie- und Ressourceneffizienz und für einen stärkeren sozialen Aus-
gleich vorantreiben. Dazu bedarf es auch verstärkter gemeinsamer Forschungs-
anstrengungen. Darüber hinaus müssen ökologische und soziale Investitionspro-
gramme für Bildung, ökologischen Umbau und für mehr soziale Sicherheit im
Sinne eines Green New Deals gefördert werden. Ein Green New Deal verbindet
ökologische Zielstellungen mit einer Politik der Teilhabe und sozialen Sicher-
heit, er allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht und ihnen neue
Chancen der Entfaltung gibt. Mit dieser Verbindung ergeben sich auch neue

wirtschaftliche Chancen. Die EU muss auch im internationalen Rahmen befä-
higt bleiben, ihren Beitrag für eine friedliche, ökologische und an Menschen-

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rechten orientierte internationale Politik zu leisten. Es muss auch zukünftig sicher-
gestellt werden, dass die EU besonders die Interessen der ärmsten Länder durch
die Entwicklungszusammenarbeit fördert.

Die enge Kopplung des Haushaltes 2014 bis 2020 an die Ziele der Europa-2020-
Strategie, die der Vorschlag der Kommission vorsieht, ist ein erster Schritt in die
richtige Richtung. So kann die EU aus der mangelnden Implementierung der
Lissabon-Strategie lernen, auch wenn sich – trotz qualitativer Verbesserungen –
die Europa-2020-Strategie noch zu stark auf traditionelles Wachstum fokussiert
und ökologische und soziale Aspekte hintenanstellt. Jetzt kommt es darauf an,
dass insbesondere die zwei großen Ausgabenblöcke – die Agrarpolitik und die
EU-Strukturfonds – ökologischer, gerechter und nachhaltiger ausgerichtet wer-
den. Insbesondere die soziale und ökologische Dimension der Globalisierung
und Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsstrategien der Entwicklungs- und
Schwellenländer müssen stärker mit einbezogen werden. Ohne entsprechende
Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Kohäsionspolitik ist eine Um-
setzung des Green New Deal nicht möglich. Gleichzeitig werden alle Ausgaben-
blöcke ihren Beitrag zur Stärkung der Bereiche leisten müssen, die künftig ge-
stärkt werden sollen: Dazu zählen Forschung und Entwicklung und die Gemein-
same Außen- und Sicherheitspolitik. Darüber hinaus geht es um die Realisie-
rung des Green New Deal insbesondere durch die Förderung erneuerbarer
Energien, den Ausbau der grenzüberschreitenden Stromnetze mit dem Ziel der
Integration der erneuerbaren Energien sowie durch eine strikte, nachhaltige und
ökologische Ausrichtung aller Ausgaben der EU.

Der Bundestag hält daher die folgende Priorisierung der Ausgaben des EU-
Haushaltes 2014 bis 2010 für notwendig:

1. Die wichtigen Zukunftsaufgaben der EU müssen vorrangig finanziert wer-
den. Dazu zählen Forschung und Entwicklung, Bildung sowie die Realisie-
rung des Green New Deal insbesondere durch erneuerbare Energien, den
Ausbau der Stromnetze sowie durch eine strikte, nachhaltige, ökologische
und soziale Ausrichtung der Ausgaben der EU. Das Bekenntnis, den Wandel
zur wissensbasierten, nachhaltigen und sozialen Gesellschaft zu vollziehen
und den europäischen Forschungsraum zu vollenden, muss im Finanzrahmen
deutlich sichtbar sein. Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen
Klimawandel, Energiefrage, demografischer Wandel und soziale Inklusion
können von keinem Mitgliedstaat alleine bewältigt werden. Deshalb bedarf
es gemeinsamer Forschungsanstrengungen. Die Ausgaben für die EU-For-
schungspolitik müssen deutlich steigen.

2. Die Kohäsions- und Strukturpolitik der EU muss im Sinne des Green New
Deal reformiert werden. Neben der Stärkung des wirtschaftlichen und sozia-
len Zusammenhalts müssen Europas Regionen darin unterstützt werden, ihre
Industrie und Wirtschaft ökologisch zu modernisieren. Dazu gehört auch,
zukünftig mehr als bisher in Köpfe und Know-how zu investieren sowie
bildungs- und sozialpolitische Ziele wie Teilhabe, Beschäftigung, Chancen-
gleichheit und Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt zu stellen. Um-
weltschädliche Subventionen und Programme, die die soziale Spaltung ver-
schärfen, darf es nicht mehr geben. Die von der Kommission vorgeschlage-
nen prozentualen Vorgaben für die Mittel für nachhaltiges Wachstum,
Klimaschutz und das soziale Europa sind grundsätzlich zu begrüßen, wobei
sich die Ausgestaltung z. B. der städtischen Dimension noch stärker an die-
sen Zielen orientieren muss. Die Kohäsionspolitik muss sich weiterhin vor
allem an die schwächsten Regionen in der EU richten. Die neue Kategorie der
„Übergangsregionen“, die die EU-Kommission ab 2014 für Regionen mit
einem Bruttoinlandsprodukt von 75 Prozent bis 90 Prozent des EU-Durch-

schnitts vorschlägt, stellt eine transparente Übergangslösung für die Regio-
nen dar, die aus der Höchstforderung herausfallen. Es muss jedoch klarge-

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stellt werden, dass diese Übergangsregelungen zeitlich befristet angelegt sind
und keine dauerhaften Ansprüche der Regionen begründen. Der Vorschlag
der EU-Kommission, Zahlungen von Strukturhilfen an verschuldete Mit-
gliedsländer zu stoppen oder temporär auszusetzen, ist abzulehnen.

3. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) muss neu ausgerichtet werden und
ihren Beitrag zur Finanzierung der prioritären Zukunftsaufgaben der EU leis-
ten. Die zukünftige GAP muss das Prinzip „Öffentliche Gelder für öffentliche
Güter“ als Voraussetzung für die Agrarzahlungen berücksichtigen. Alle För-
dergelder müssen an die Erbringung gesellschaftlicher Leistungen in den Be-
reichen Klima- und Umweltschutz, Erhalt von biologischer Vielfalt und le-
benswerter ländlicher Regionen, Verbraucherschutz und Tierschutz geknüpft
werden, damit auch die Landwirtschaft ihrer Rolle im Rahmen des Green
New Deal gerecht wird. Greening und Kappung, die in den Legislativvor-
schlägen der Kommission zur GAP als neue Instrumente eingeführt werden,
sind hierfür richtige Ansätze, die aber nicht weit genug gehen. Umwelt-
freundliche Landnutzungssysteme, wie der Ökolandbau, müssen weiterent-
wickelt werden. Die GAP-Reform muss eine Kohärenz im Sinne von globa-
ler Entwicklung herstellen, die das Recht auf Nahrung sichert. Die GAP darf
nicht länger dazu beitragen, dass durch direkte und indirekte Subventionie-
rungen ihrer Agrarexportgüter lokale Agrarmärkte und Landwirtschaftssek-
toren in Entwicklungsländern geschädigt und Lebensgrundlagen von Millio-
nen von Menschen zerstört werden. Damit widerspricht die EU ihrem
eigenen entwicklungspolitischen Ziel, Armut nachhaltig zu beseitigen. Ohne
eine konsequente Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik lässt sich selbst die im
Kommissionsentwurf für den kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen vor-
gesehene finanzielle Ausstattung der GAP, wonach der Anteil der GAP am
EU-Haushalt stetig aber maßvoll von 40,2 Prozent (2014) auf 34 Prozent
(2020) zurückgefahren wird, nicht länger rechtfertigen. Das gilt insbesondere
und vor allem für die Direktzahlungen der ersten Säule.

Das Prinzip der Solidarität zwischen Menschen und Staaten ist das Fundament
der Europäischen Union. Das drückt sich darin aus, dass über die europäischen
Strukturfonds wirtschaftlich stärkere Länder Fördermaßnahmen für wirtschaft-
lich schwächere Länder, strukturschwache Regionen oder benachteiligte Men-
schen auf dem Arbeitsmarkt finanzieren. Werte wie der „soziale Fortschritt“ und
die Ziele eines „hohen Beschäftigungsniveaus“ sowie eines „hohen Maßes an
sozialem Schutz“ sind in den Verträgen der EU verankert. Auch soll die EU bei
all ihren Tätigkeiten „Ungleichheiten beseitigen und die Gleichstellung von
Mann und Frau fördern.“ Die EU ist also auch ein soziales Projekt. Die soziale
Dimension der EU muss in Zukunft gestärkt und sichtbarer werden. Dement-
sprechend sind europäische Mindeststandards, die den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern in der EU gesunde und sichere Arbeitsbedingungen garantieren,
notwendig. Der Gleichbehandlungsgrundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit
am gleichen Ort“ muss in allen Ländern gelten. Die Bekämpfung von Armut und
die Förderung der sozialen Eingliederung sind wesentliche Ziele der EU. Die
Europäische Kommission hat mehrmals an die nationalen Regierungen appel-
liert, den Kampf gegen die Armut und die soziale Ausgrenzung ernster zu neh-
men. Fortschritte bei der Armutsreduzierung in Europa sind allerdings gering
und die Kommission sagt selbst, dass die Armut in Europa ein Ausmaß erreicht
hat, das „weder sozial noch wirtschaftlich hinnehmbar“ ist. In Zukunft müssen
alle wirtschafts- und sozialpolitischen Aktivitäten daraufhin überprüft werden,
welchen Effekt sie auf Armut haben. Der Bundestag setzt sich auch dafür ein,
dass eine soziale Fortschrittsklausel, die eine stärkere Balance gegenüber den
Grundfreiheiten des Marktes herstellt, Teil der angestoßenen begrenzten Ände-
rung der europäischen Verträge ist.
Der EU-Haushalt muss sich stärker an Wirkungen und Ergebnissen der einge-
setzten Mittel orientieren. Zu viele Mittel haben in der Vergangenheit ihr Ziel

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verfehlt oder wurden in nicht nachhaltige oder umweltschädigende Projekte in-
vestiert. Daher müssen die Gelder effektiver, zielorientierter und nachvollzieh-
barer eingesetzt werden. Die Kommission muss kontrollieren, ob die Mittel vor
Ort auch den Kriterien entsprechend verwendet werden. Hierfür müssen ihre
Kompetenzen entsprechend gestärkt werden. Außerdem muss der EU-Haushalt
2014 bis 2020 mehr Flexibilität und eine vereinfachte Mittelumschichtung er-
möglichen, damit die EU besser auf sich verändernde Umstände reagieren kann.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung darüber hinaus auf,

– sich dafür einzusetzen, dass die Höhe des künftigen Mehrjährigen Finanzrah-
mens 1,12 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU entspricht;

– sich für die Einführung von EU-weiten Steuern einzusetzen, deren Erträge
dem Haushalt der EU zugutekommen und die Beiträge der Mitgliedstaaten in
gleicher Höhe senken können. Dazu zählt die Finanztransaktionssteuer. Auch
eine europäische Mindestenergiesteuer und ein Anteil der Einnahmen einer
EU-Mindestunternehmensbesteuerung auf der Grundlage einer Gemeinsamen
konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage sollte geprüft wer-
den; ein Teil der durch die Finanztransaktionssteuereinnahmen frei werden-
den Mittel sollten der Entwicklungs- und Klimafinanzierung dienen;

– sich für die Abschaffung aller Rabatte einzusetzen und auch Alternativen wie
pauschale Ermäßigungen abzulehnen;

– die EU-Kommission in ihrem Vorschlag zu unterstützen, die Zukunftsauf-
gaben wie Forschung und Entwicklung, Bildung und Klimaschutz auch vor-
rangig finanziell auszustatten und darauf zu achten, dass dabei die mögliche
Zusammenlegung von Forschungsausgaben und marktorientierten Innova-
tionsmaßnahmen unter einem gemeinsamen Regelwerk nicht zu einer Kür-
zung des Forschungsbudgets führen darf;

– sich für ein Moratorium zum Kernfusionsprojekt ITER einzusetzen, da es un-
wahrscheinlich ist, dass ITER bis 2050, wenn die EU ihre Schadstoffemmis-
sionen bereits um 80 bis 95 Prozent gesenkt haben muss, Energie erzeugen
wird und zu fordern, die explodierenden Mehrkosten nicht zulasten der ge-
meinsamen Forschungsprogramme oder anderer Budgetlinien innerhalb des
Finanzrahmens zu finanzieren;

– sich für eine Reform der Kohäsionspolitik einzusetzen, die eine Konzentra-
tion auf die Zukunftsaufgaben der EU und die Ziele des Green New Deal u. a.
mit klaren Prozentangaben für soziale und ökologische Ziele schafft und zum
anderen durch einen effektiveren und zielgenaueren Einsatz der Gelder einen
Mehrwert bei gleichbleibenden Mitteln erzeugt und sich für eine Überführung
des EU-Kohäsionsfonds in den Europäischen Fonds für regionale Entwick-
lung (EFRE) einzusetzen;

– sich für einen Haushalt und insbesondere eine Kohäsions- und Strukturpolitik
einzusetzen, mit dem auch auf Krisen innerhalb der Europäischen Union an-
gemessen reagiert werden kann. Dazu gehören flexible Kofinanzierungssätze
für Staaten, die Finanzhilfen erhalten, eine administrative Unterstützung beim
Abrufen von Strukturgeldern sowie die Bereitstellung von Mitteln, mit denen
die EU-Kommission gezielte Stimulationsprogramme in Krisenstaaten an-
schieben und steigender Armut und Erwerbslosigkeit begegnen kann;

– die von der Bevölkerung gewünschte Neuausrichtung der Gemeinsamen
Agrarpolitik nicht länger zu blockieren und nicht länger als Sprachrohr der
Agrarlobby und der Agroindustrie zu fungieren; bei einem „weiter so“ in der
Agrarpolitik gibt es keine gesellschaftliche Zustimmung zu einem EU-Agrar-

budget in der geplanten Höhe;

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– direkte Agrarexportsubventionen und versteckte Subventionen, die zu
Marktschädigungen in den Entwicklungsländern führen, abzuschaffen;

– sich für eine Neuausrichtung der Agrarpolitik einzusetzen, bei der die Direkt-
zahlungen vollständig an die Erfüllung zusätzlicher Umweltmaßnahmen ge-
bunden werden und Gelder aus der zweiten Säule nicht in die erste Säule
übertragen werden dürfen; Kürzungen der nationalen Zahlungen, die sich aus
der Erweiterung der Gemeinsamen Agrarpolitik ergeben, müssen in der ersten
nicht in der zweiten Säule erfolgen; die von der EU-Kommission vorgeschla-
gene Höhe des zukünftigen Agrarbudgets lässt sich ohne diese konsequente
Neuausrichtung der GAP nicht rechtfertigen;

– sich im Rahmen der „Connecting Europe Facility“ für EU-Projektanleihen
einzusetzen, bei denen

1. dem Ausbau der grenzüberschreitenden Stromnetze, der Schienennetze
und der Kommunikationsnetze Priorität eingeräumt wird,

2. das Europäische Parlament ein Einspruchsrecht gegen Investitionspro-
jekte erhält,

3. diese Projekte transparent und bürgernah geplant und umgesetzt werden
und

4. die nicht zu Schattenhaushalten und versteckter Verschuldung auf Ebene
der EU führen;

– diese EU-Kommission in ihrer Absicht zu unterstützen, die Mittel für den Be-
reich „EU als globaler Akteur“ zu steigern, aber gleichzeitig beim Aufbau des
Europäischen Auswärtigen Dienstes darauf zu drängen, dass diese neue eu-
ropäische Struktur auch mit Einsparungen auf nationaler Ebene einhergehen
muss;

– dafür Sorge zu tragen, dass die von der EU-Kommission beabsichtigte Re-
form der Finanzierung der europäischen Innenpolitik ab 2014 dazu genutzt
wird, die Verwendung dieser Mittel künftig prioritär zur Förderung von Inte-
grationsmaßnahmen bzw. zur Betreuung und Eingliederung von Schutzbe-
dürftigen (Flüchtlingen und subsidiär Geschützten) einzusetzen;

– sich dafür einzusetzen, dass erfolgreiche Programme wie JUGEND IN
AKTION, das europäische Bildungsprogramm für lebenslanges Lernen mit
seinen vier Einzelprogrammen COMENIUS, LEONARDO DA VINCI,
GRUNDTVIG und insbesondere ERASMUS ausgebaut und breiteren Bevöl-
kerungsschichten sowie deutlich mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu-
gänglich gemacht werden. Sie sollen als eigenständige Programme bestehen
bleiben, damit interkulturelle Kompetenzen und europäisches Lernen auch
weiterhin zugeschnitten auf die verschiedenen Zielgruppen gefördert werden
können;

– sich außerhalb des Mehrjährigen Finanzrahmens und schnellstmöglich für die
Errichtung eines europäischen Bankenrestrukturierungsfonds einzusetzen,
der mit einer europäischen Bankenabgabe gespeist wird und dem Ziel dient,
ein effektives und glaubwürdiges Insolvenzregime für grenzüberschreitend
tätige Banken der EU zu errichten einschließlich der Übertragung nationaler
Krisenmanagement- und Abwicklungskompetenzen auf eine europäische
Bankenabwicklungsbehörde sowie harmonisierter Abwicklungs-, Aufspal-
tungs- und Insolvenzregeln.

Berlin, den 29. November 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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Begründung

Die Forderung der Bundesregierung und der britischen, niederländischen, finni-
schen und französischen Regierungen, den Umfang des EU-Haushaltes ab 2014
einzufrieren und de facto zu senken steht im Widerspruch zu den auf die Euro-
päische Union und den EU-Haushalt zukommenden Herausforderungen.
Deutschland muss seinen Teil leisten, da es von einer wirtschaftlich, politisch
und sozial erfolgreichen EU stark profitiert. Europa gibt uns die Möglichkeiten,
gegen das eklatante Auseinanderentwickeln von Politik und Wirtschaft in der
EU vorzugehen und eine effektivere Vertretung der europäischen Interessen in
der globalisierten Welt zu organisieren. Wer durch Kürzungen beim kommenden
Mehrjährigen Finanzrahmen fehlende eigene Konsolidierungserfolge im Bun-
deshaushalt ausgleichen will, verspielt diese Chance.

Die Wettbewerbsfähigkeit des rohstoffarmen Kontinents Europa wird künftig
nur erhalten bleiben, wenn der Wandel hin zur wissensbasierten Gesellschaft ge-
lingt. Dafür sind Investitionen in Qualifizierung und Weiterbildung sowie in
Forschung und Entwicklung essentiell. Im Europäischen Forschungsraum kön-
nen durch internationalen Austausch und exzellente Grundlagenforschung, z. B.
unter dem Dach des Europäischen Forschungsrats, Antworten auf die großen ge-
sellschaftlichen Herausforderungen gefunden werden. Deshalb muss die grenz-
überschreitende Verbundforschung erhalten und ausgebaut werden. Die gemein-
same Forschungspolitik muss so gestärkt werden, dass auch nichttechnologische
und Grundlagenforschung sowie sozial- und geisteswissenschaftliche For-
schung und der wissenschaftliche Nachwuchs gefördert werden können. Dabei
muss öffentliche Forschungsfinanzierung stets einen Mehrwert für die gesamte
Gesellschaft und nicht nur für Teilbereiche, wie z. B. die Wirtschaft, zum Ziel
haben.

Es ist klar, dass Deutschland künftig weniger Mittel aus Brüssel empfangen wird:
In der Kohäsionspolitik werden die ostdeutschen Bundesländer auf Grund ihres
gestiegenen Bruttoinlandsprodukts aus der höchsten Förderkategorie heraus-
fallen. Im Gegenzug stehen den EU-Mitgliedstaaten, die 2004 der EU beigetre-
ten sind, inzwischen mehr Gelder zu. Deutschland wird von einem wachsenden
Binnenmarkt und von einer wachsenden Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten,
die 2004 beigetreten sind, in besonderer Weise profitieren. Auch in der Gemein-
samen Agrarpolitik werden mehr Gelder an die mittel- und osteuropäischen
Länder fließen. Diese wurden bisher benachteiligt.

Gerade in der derzeitigen Krise gilt: Gemeinsame Ausgaben auf EU-Ebene sind
dann gerechtfertigt, wenn sie einen Mehrwert gegenüber den nationalen Haus-
halten bieten. Das gebietet das Subsidiaritätsprinzip. Ein Mehrwert ist gegeben,
wenn Aufgaben auf europäischer Ebene sinnvoller, effizienter und effektiver
wahrgenommen werden können als auf nationaler Ebene. Die EU muss Impulse
setzen, Anschubfinanzierungen bei grenzüberschreitenden Projekten leisten und
Synergieeffekte durch eine Bündelung von Aufgaben erzielen. Synergien be-
deuten wiederum Entlastungen für die nationalen Haushalte. Die wirtschaftliche
und soziale Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten muss sich als Quer-
schnittsziel durch den gesamten EU-Haushalt ziehen.

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