BT-Drucksache 17/783

Für eine Verstetigung der Kommunalfinanzen - Die Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln

Vom 23. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/783
17. Wahlperiode 23. 02. 2010

Antrag
der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Eva Bulling-Schröter, Herbert Behrens, Karin Binder,
Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Harald
Koch, Caren Lay, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Ulla Lötzer,
Thomas Lutze, Dorothee Menzner, Kornelia Möller, Richard Pitterle, Ingrid
Remmers, Michael Schlecht, Dr. Herbert Schui, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

Für eine Verstetigung der Kommunalfinanzen – Die Gewerbesteuer
zur Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Artikel 28
Absatz 2 des Grundgesetzes wird durch die schleichende Aushöhlung der kom-
munalen Finanzhoheit in Frage gestellt. Die Verschlechterung der finanz-
politischen Lage vieler Kommunen ist zum überwiegenden Teil nicht selbst
verschuldet, sondern die Konsequenz des Vollzugs von Bundes- und Landesge-
setzen sowie zunehmend auch von Entscheidungen der Europäischen Union.
Außerdem erfährt die kommunale Finanzkraft durch konjunkturelle und demo-
grafische Entwicklungen starke Veränderungen.

Städte, Gemeinden und Landkreise befinden sich in einer dramatischen Haus-
haltsentwicklung, die ihren Höhepunkt erst in den Jahren 2011 und 2012 errei-
chen wird. Die Ursachen hierfür liegen in erster Linie in bundespolitischen Ent-
scheidungen. Allein im Zeitraum von November 2008 bis Sommer 2009
wurden zehn Gesetzesvorhaben zur Steuerentlastung verabschiedet, die bis
2013 zu einer Mehrbelastung der Kommunen im Umfang von 19 Mrd. Euro
führen. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz drohen weitere Ausfälle
von rd. 8,7 Mrd. Euro in den Jahren 2009 bis 2014. Nach Schätzungen von
Bund, Ländern und Gemeinden werden die Kommunen bis 2013 Defizite von
deutlich über 40 Mrd. Euro verzeichnen. Um die laufenden Aufgaben zu reali-
sieren, droht nach Aussagen der kommunalen Spitzenverbände der Kassen-
kreditbestand von derzeit 32,6 Mrd. Euro (1. Halbjahr 2009) auf 80 Mrd. Euro
im Jahr 2013 anzuwachsen.
Hinzu kommen als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise dramatische Gewer-
besteuereinbrüche von bis zu 7 Mrd. Euro allein für das Jahr 2009 und ein enor-
mer Anstieg der Sozialausgaben. Letztere werden in diesem Jahr nach Schät-
zung der kommunalen Spitzenverbände erstmals die Marke von 40 Mrd. Euro
überspringen.

Drucksache 17/783 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Finanzlage der Kommunen zeigt nicht nur die Dramatik der Situation auf.
Sie verdeutlicht zugleich, dass die Kommunen die Wirtschafts- und Finanzkrise
nicht aus eigener Kraft werden bewältigen können. Insbesondere Städte, Ge-
meinden und Landkreise mit hoher Verschuldung und hoher Arbeitslosigkeit
drohen handlungsunfähig zu werden.

Neben Soforthilfen brauchen Kommunen dauerhafte, verlässliche und deutlich
höhere Einnahmen. Die Gewerbesteuer als wichtigste Einnahmequelle der
Städte und Gemeinden muss verstetigt und ausgebaut werden.

Die Einbeziehung aller unternehmerisch Tätigen in die Steuerpflicht würde
dazu führen, die Last der bisherigen Gewerbesteuer auf mehr „Schultern“ zu
verteilen. Auch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die auch vom
Präsidium des Deutschen Städtetages in seinem Beschluss vom 30. September
2009 gefordert wird, würde dazu beitragen, die derzeitige Einnahmesituation
der Gemeinden zu verstetigen. Das nützt der örtlichen Wirtschaft, dem Arbeits-
markt, den Bürgerinnen und Bürgern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Ersetzung der Gewerbesteuer durch eine Gemeinde-
wirtschaftsteuer vorzulegen. Zweck soll sein, dass – bei Berücksichtigung so-
zialer Belange kleiner Unternehmen und Existenzgründer – durch die Verbreite-
rung der Bemessungsgrundlagen der bisherigen Gewerbesteuer die Einnahmen
der Gemeinden auf dem relativ hohen Niveau der Jahre 2006 und 2007 verstetigt
werden.

In dem Gesetz soll insbesondere Folgendes geregelt werden:

1. Künftig wird jede selbstständige nachhaltige Betätigung, die im Sinne des
Einkommensteuergesetzes mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternom-
men wird und sich als Betätigung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr
darstellt, mit Ausnahme der Land- und Forstwirtschaft, in die Gemeindewirt-
schaftsteuer einbezogen.

2. Der Bemessungsgrundlage sind alle Schuldzinsen hinzuzurechnen. Des Wei-
teren sind die Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten, Leasingraten und
die Lizenzgebühren in voller Höhe bei der Ermittlung der Steuerbasis zu be-
rücksichtigen. Gewinne und Verluste sind in der Entstehungsperiode steuer-
lich geltend zu machen.

3. Angemessene Freibeträge für kleine Unternehmen und Existenzgründer. Der
Gewerbeertrag ist bei natürlichen Personen sowie bei Personengesellschaften
um einen Freibetrag in Höhe von 30 000 Euro, bei juristischen Personen des
öffentlichen Rechts um einen Freibetrag in Höhe von 5 000 Euro zu kürzen.

4. Die Gewerbesteuerumlage von den Gemeinden an den Bund wird sofort ab-
geschafft. Die Gewerbesteuerumlage von den Gemeinden an die Länder wird,
beginnend im Jahr 2011, abgesenkt und fällt schrittweise bis zum Endes des
Jahres 2015 weg.

Berlin, den 23. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/783

Begründung

Zu Recht wurde die Gewerbesteuer von Anbeginn an als ein äquivalenter Bei-
trag der wirtschaftlichen Unternehmen zu der Infrastruktur angesehen, die
ihnen von ihrer Kommune bereitgestellt wird. Deshalb sollten sich auch alle
Unternehmen an deren Finanzierung beteiligen müssen. Bislang unterliegt aber
die Ausübung freier Berufe nicht der Gewerbesteuer, obwohl auch sie auf die
Bereitstellung öffentlicher Leistungen im Interesse eines reibungslosen und
prosperierenden Geschäftsbetriebes angewiesen sind.

Nach Artikel 28 Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes steht den Kommunen eine
wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle zu. Aus diesem Grund und um mani-
pulierte Gewinn- und Steuerverlagerungen – etwa in Form von Kreditfinanzie-
rungen – zu vermeiden, müssen alle Entgelte für Verbindlichkeiten (Zinsen und
sonstige Finanzierungskosten) in voller Höhe als Ertragsteile dem nach Ein-
kommen- bzw. Körperschaftsteuerrecht ermittelten Gewinn hinzugerechnet
werden. Zwar wurde im Rahmen der Unternehmensteuerreform die Bemes-
sungsgrundlage der Gewerbesteuer um einige Bestandteile wie Mieten, Pachten
und Leasingraten erweitert, jedoch finden diese nur mit einem Bruchteil Ein-
gang in die Steuerbasis. Mit der zeitnahen Geltendmachung von Gewinnen und
Verlusten in der Entstehungsperiode kann ein mögliches „Steuerschlupfloch“
geschlossen werden, weil eine „Kleinrechnung“ von Gewinnen deutlich er-
schwert wird.

Eine Erhöhung des Freibetrags von derzeit 24 500 Euro auf 30 000 Euro für
einkommensteuerpflichtige Freiberufler, Einzelgewerbetreibende sowie Per-
sonengesellschaften, z. B. offene Handelsgesellschaften (OHG) oder Komman-
ditgesellschaften (KG), würde die belastende Wirkung der Steuer für kleine
Unternehmen und Existenzgründer deutlich mildern. Die Erhöhung des Frei-
betrags von derzeit 3 900 Euro auf 5 000 Euro für bestimmte juristische Per-
sonen würde beispielsweise rechtsfähigen Vereinen nutzen.

Mit dem Wegfall der Gewerbesteuerumlage erlangt die Gemeindewirtschaft-
steuer vollständig den Charakter einer originären Kommunalsteuer. Sie entsprä-
che damit der Maßgabe des Grundgesetzes, dass eine den Gemeinden mit
Hebesatz zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle zu den Grundlagen
der finanziellen Eigenverantwortung der kommunalen Selbstverwaltung ge-
hört. Der sofortige Wegfall der Gewerbesteuerumlage an den Bund entspricht
einer Entlastung für die Kommunen von rund 1 Mrd. Euro im laufenden Jahr.

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