BT-Drucksache 17/6428

Handy-Massenüberwachung bei legalen Demonstrationen

Vom 4. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6428
17. Wahlperiode 04. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Karin Binder, Matthias W. Birkwald, Sevim Dag˘delen,
Dr. Dagmar Enkelmann, Nicole Gohlke, Dr. Barbara Höll, Andrej Hunko, Ulla
Jelpke, Katja Kipping, Katrin Kunert, Caren Lay, Ralph Lenkert, Michael Leutert,
Kornelia Möller, Niema Movassat, Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Jens Petermann,
Richard Pitterle, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Dr. Petra Sitte, Sabine Stüber,
Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler,
Sahra Wagenknecht, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Katrin Werner,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Handy-Massenüberwachung bei legalen Demonstrationen

Durch zahlreiche Medienveröffentlichungen wurde bekannt, dass die Polizei in
Dresden vor und am 19. Februar 2011 sogenannte Funkzellenabfragen und -aus-
wertungen durchgeführt hat. Die Funkzellenabfrage (FZA) ist eine heimliche
Ermittlungsmaßnahme zum Zweck der Strafverfolgung und seit Anfang 2008 in
§ 100g Absatz 2 Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO) gesetzlich geregelt. Bei
der Funkzellenabfrage werden Telekommunikationsverbindungsdaten abge-
fragt, die in einer bestimmten, räumlich bezeichneten Funkzelle in einem be-
stimmten Zeitraum angefallen sind.

Die FZA ist eine polizeiliche Maßnahme, die regelmäßig die Rechte einer grö-
ßeren Anzahl Unbeteiligter beeinträchtigt, weshalb sie auch eine besonders
sorgfältige Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert. Diese Anforderungen sind
im konkreten Fall zusätzlich dadurch erhöht, dass die Maßnahme im Umfeld
einer legalen Versammlung in einem dicht besiedelten Wohngebiet erfolgte.
Nach Aussage des Polizeidirektors Dr. Axel Henrichs und des Kriminaloberrats
Jörg Wilhelm, sei das Ziel einer polizeilichen Funkzellenauswertung „die Ana-
lyse der telekommunikativen Visitenkarte“ (Kriminalpolizei, März 2010).

Der § 100i StPO bildet darüber hinaus die Rechtsgrundlage für den Einsatz eines
IMSI-Catchers (IMSI = International Mobile Subscriber Identity) durch Strafver-
folgungsbehörden. IMSI-Catcher simulieren Mobilfunknetzwerke und ermög-
lichen die Bestimmung des Standortes und das Erstellen eines Bewegungsprofils
von Personen benutzt, sie erlauben aber auch das direkte Mithören von Handy-
telefonaten.

Ans Licht der Öffentlichkeit geriet die Dresdner Erfassungsaktion zufällig als
ein Betroffener, Mitarbeiter einer Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE., in

seinen Ermittlungsakten nachlesen konnte, mit wem – und das mit Namen der
Gesprächspartnerinnen und -partner – er wann und wo telefoniert habe (vgl.
Neues Deutschland, 22. Juni 2011). Die ganze Dimension der Affäre wird aber
nur äußerst zögerlich ans Licht der Öffentlichkeit befördert.

Nachdem am 19. Juni 2011 die „taz“ erstmals berichtete, dass die Dresdner
Polizei bei den Antinaziprotesten im Februar dieses Jahres die Handyverbindun-
gen von tausenden Demonstranten, Anwohnern, Journalisten, Anwälten und

Drucksache 17/6428 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Politikern ausgespäht habe und dies auch durch die Staatsanwaltschaft Dresden
gegenüber der „taz“ bestätigt wurde, war das tatsächliche Ausmaß der Über-
wachungsmaßnahme noch weitgehend unklar. Zunächst hieß es, 138 000 Daten-
sätze seien aus sogenannten Funkzellenabfragen (FZA) durch die Polizei am
19. Februar 2011 von Beteiligten und Unbeteiligten an den Anti-Nazi-Protesten
erfasst und bis heute gespeichert worden. Diesen Datensätzen lägen 65 645 Ruf-
nummern zugrunde, aus denen 460 gefiltert wurden, deren Anschlussinhaber
identifiziert wurden. Nach Abzug von Institutionen ergaben sich daraus – so die
offizielle Darstellung – 397 Einzelpersonen (Gemeinsamer Bericht des Säch-
sischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa und des Sächsischen
Staatsministeriums des Innern vom 24. Juni 2011).

Inzwischen wurde bekannt, dass weitere fast 900 000 Verkehrsdatensätze erfasst
und der Zeitraum nicht auf den 19. Februar, den Tag der Demonstration selbst
beschränkt ist, sondern diese zweite, umfassendere Erfassung schon für den
18. Februar begonnen wurde (Gemeinsamer Bericht …).

Anlass für die Erfassung dieser Daten war die Anwesenheit mindestens eines
Kommunikationsteilnehmers in der entsprechenden Funkzelle (ebenda), das
heißt, dass zwangsläufig auch vollkommen Unbeteiligte, Anwohner, Angehö-
rige und andere miterfasst worden sind.

Unter den Demonstrantinnen und Demonstranten selbst befanden sich bekann-
termaßen eine große Zahl von Landtagsabgeordneten aus verschiedenen Bun-
desländern und Bundestagsabgeordneten vor allem der Parteien DIE LINKE.,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD, die wie ebenfalls zahlreich anwesenden
Rechtsanwälte und Journalistinnen und Journalisten oder Ärzte eigentlich be-
sonderen Schutz vor derartigen Überwachungsmaßnahmen genießen.

Möglicherweise hat die Affäre aber noch eine bisher überhaupt nicht erhellte
Dimension, denn am 27. Juni 2011 meldete der MDR: „Grünen-Politiker Lichdi
erklärte im Anschluss nur, dass weder Innenminister Ulbig noch Landespolizei-
präsident Bernd Merbitz ausschließen wollten, dass es bei dem Polizeieinsatz
am 19. Februar zu einer Echtzeitüberwachung der Telefonverbindungen gekom-
men war.“

Auf eine Information aller Betroffenen haben Polizei und Justiz bis heute ge-
nauso verzichtet wie auf Angaben zur Dauer der Maßnahme.

Begründet wurden die Massenabfragen der Telefonnummern ein- und ausgehen-
der Nachrichten und Gespräche, das heißt der Standort- und Verbindungsdaten,
Beginn und Ende der Verbindungen sowie auch der Namen von Anschlussinha-
berinnen und -inhabern, mit der Absicht der Polizei, Angreifer auf einen Polizis-
ten feststellen zu können. So lautet jedenfalls eine Begründung des Dresdner
Oberstaatsanwalts (taz, 20. Juni 2011).

Die Polizei, wird er zitiert, „wollte herausfinden, ob bestimmte Personen, von
denen Handynummern bekannt sind, sich am fraglichen Ort aufgehalten haben“
(ebenda).

Eine andere Begründung, die inzwischen auch im schon genannten „Gemeinsa-
men Bericht …“ dargestellt wird, lautet, dass es um die Ermittlungen von 14 ver-
schiedenen „Tatorten“ in Dresden ginge, an denen „überwiegend“ schwerer
Landfriedensbruch begangen worden sein soll (taz, 22. Juni 2011); es gehe also
um die Aufklärung der „Angriffe von Personen auf Einsatzkräfte, polizeiliche
Einrichtungen aber auch Auseinandersetzungen zwischen politisch entgegen-
gesetzten Gruppierungen“.

Zusätzlich zu der nach heutigem Sachstand erst drei Tage nach der Demonstra-
tion zu Strafverfolgungszwecken durchgeführten Funkzellenabfrage wurden die

Demonstrantinnen und Demonstranten von Dokumentationstrupps der Poli-
zeien wie üblich gefilmt, belauscht und beobachtet.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6428

Drei Tage nach der bundesweiten Demonstration soll die zuerst bekannt gewor-
dene Abfrage der 138 000 Datensätze beantragt und von einem Amtsrichter in
Dresden genehmigt worden sein.

Ein solcher richterlich genehmigter massenhafter Eingriff in Grundrechte wie
das Fernmeldegeheimnis und die Demonstrationsfreiheit erfordert – unabhängig
der jetzt schon erfolgten Klagen von Journalisten, Abgeordneten und anderen –
umfassende Aufklärung auf Länder- und Bundesebene.

Dies umso dringender als die fortschreitende Vernetzung polizeilicher und nach-
richtendienstlicher Datenbanken, die gerade zu analytischen Zwecken vorange-
trieben wird, Ländergrenzen, Grenzen zwischen Bund und Ländern und zwi-
schen den jeweiligen Sicherheitsbehörden inzwischen auch auf europäischer
Ebene immer leichter durchbricht.

Meldungen, wonach Busunternehmen nach Routen, Kunden, ja sogar nach den
Gesprächen auf der Fahrt zur Demo in Dresden gefragt wurden (Neues Deutsch-
land, 22. Juni 2011) gehören noch in den traditionell bestückten Instrumenten-
koffer. Der Abgleich von über 160 000 Kassenbelegen von OBI mit Handydaten
aus der Dresdner Neustadt, angeblich zur Aufklärung eines Brandanschlags auf
Militärfahrzeuge, nutzt dagegen die fast grenzenlosen Verarbeitungskapazitäten
der neuesten Technik.

Die grundrechtlich problematische verdachtslose und massenhafte Datenerfas-
sung wird so noch problematischer durch kaum kontrollierbare Datenübermitt-
lungen und Zweckänderungen.

Die Bundespolizei war am 19. Februar 2011 mit über 3 000 Beamten vor Ort,
der Einsatz dieser Kräfte soll Mehrkosten für den Bund von fast einer halben
Mio. Euro verursacht haben und auch in der die Ermittlungen führenden Son-
der(ermittlungs)kommission 19/2 ist sie noch mit zwei Beamten vertreten (Bun-
destagsdrucksachen 17/5270 und 17/5737, sowie „Gemeinsamer Bericht …“).
Der Einsatz der Bundespolizei wurde zum einen von zwei Verbindungsbeamten
bei der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) der Polizeidirektion Dresden,
zum anderen durch einen eigens dafür eingerichteten Führungsstab bei der
„einsatzführenden“ Bundespolizeidirektion Pirna geführt (Bundestagsdrucksache
17/5270).

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Handy-Massenüberwachung bei legalen Demonstrationen insbesondere am
19. Februar 2011 in Dresden

1. Wann wurde die Bundesregierung über die Handy-Massenüberwachung am
19. Februar 2011 in Dresden informiert, von wem geschah dies, und worüber
wurde sie genau unterrichtet?

2. Wie viele Datensätze sind aus wie vielen Funkzellenabfragen (FZA) durch
die Polizei im Umfeld der Anti-Nazi-Proteste in Dresden vor und während
der Demonstration am 19. Februar 2011 insgesamt erfasst, gespeichert und
ausgewertet worden?

3. Weiß die Bundesregierung, welche sonstigen heimlichen Überwachungs-
maßnahmen vor und während der Demonstration durchgeführt wurden (wei-
tere Funkzellenabfragen zu repressiven oder präventiven Zwecken, Telekom-
munikationsüberwachung, IMSI-Catcher etc.), und wenn ja, welche waren
dies (bitte ausführen)?

4. Haben auch Bundesbehörden heimliche Überwachungsmaßnahmen der De-
monstranten durchgeführt, und wenn ja, welche waren dies, und auf welcher

Rechtsgrundlage geschah dies (bitte ausführen)?

Drucksache 17/6428 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Hält die Bundesregierung die Funkzellenüberwachung von Demonstra-
tionsteilnehmern für eine verhältnismäßige Maßnahme?

Wenn ja, warum?

6. Wie ist bei Bundesbehörden ein Berichtswesen zu Maßnahmen nach § 100g
und § 100i StPO geregelt, die dort in Absatz 4 als erforderlich beschrieben
werden?

7. Wie vereinbart die Bundesregierung die geforderte Berichtspflicht mit ihrer
Antwort auf Bundestagsdrucksache 17/5876, dass „eine Statistik speziell zu
Funkzellenabfragen oder zu der Erhebung von Standortdaten […] weder
beim Generalbundesanwalt (GBA) noch beim Bundeskriminalamt (BKA)
geführt [wird]“?

8. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die im Jahr 2008 13 426 Mal an-
geordnete FZA, von der allein die GBA hiervon 424 mal Gebrauch machte
(Bundesamt für Justiz, 24. August 2009, B7 178/2009) noch gewährleistet,
dass sie nur „im Einzelfall auf der Grundlage der gesetzlichen Vorgaben und
unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ (Bundestags-
drucksache 17/5876) angewandt wird?

Wenn ja, warum?

9. Durch wen und wann wurde die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben kon-
trolliert, und in welchen Datenschutzberichten des Bundes und der Länder
ist eine unabhängige Kontrolle der FZA dokumentiert?

10. Welche Sicherheitsbehörden des Bundes waren in welchem Umfang und
mit welchen technischen Ressourcen an den heimlichen Überwachungs-
oder Ermittlungsmaßnahmen vor, am und unmittelbar nach dem 19. Februar
2011 in Dresden beteiligt (bitte aufschlüsseln)?

11. Auf welche Weise, und durch wen war die Bundespolizei in das Lage-
zentrum bzw. die BAO und die operativen Maßnahmen vor Ort eingebun-
den?

12. Wie ist zu verstehen, dass das Einsatzkonzept der einsatzführenden Polizei-
direktion Pirna unter anderem als Aufgabe der Bundespolizei die „Auf-
klärung … gegen gewaltbereite Personen“ vorsah, und welches Verhältnis
ergibt sich daraus zu der die Ermittlungen führenden SOKO 19/2?

13. Wie viele Kameras waren nach Kenntnis der Bundesregierung von Seiten
der Sicherheitskräfte am 19. Februar 2011 zur Dokumentation des Gesche-
hens eingesetzt, und wie viele davon von Beamten der Bundespolizei?

14. Welche, und wie viele stationären (Video-)Kameras wurden bzw. werden
von der Polizei zur Auswertung des Geschehens in Dresden herangezogen,
und wie viele davon sind in Privatbesitz?

15. Wie viele Polizeihubschrauber wurden zur Überwachung am 19. Februar
2011 eingesetzt?

16. Wurden auch Hubschrauber der Bundeswehr oder anderer Eigentümer zur
Überwachung verwendet?

Falls ja, auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgte der Einsatz, und wer
genehmigte und beantragte diesen Einsatz?

17. Wie viele Ermittlungsverfahren werden derzeit (Juni 2011) von wem gegen
Demonstrantinnen und Demonstranten gegen den Naziaufmarsch in Dres-
den am 19. Februar 2011 wegen welcher Delikte geführt?

18. Wie viele der damaligen Einsatzkräfte der Bundespolizei sind derzeit (Juni

2011) in welcher Rolle in Ermittlungsverfahren wegen welcher Delikte
gegen Demonstranten involviert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6428

19. Wie viele Ermittlungsverfahren werden derzeit gegen damals eingesetzte
Beamte der Bundespolizei geführt?

20. Wer genau hat mit welcher konkreten Begründung für welche Straftaten
(bitte konkret aufführen) die Entscheidungen des Amtsgerichts Dresden er-
wirkt, mit der die Funkzellenabfragen angeordnet wurde?

21. Wie viele der 138 000 Datensätze wurden aus welchen Gründen an welche
Datenbanken welcher Behörde des Bundes übermittelt?

22. Welche Dateien des Bundes, einschließlich der Verbunddateien wurden he-
rangezogen, um in verschiedenen Schritten zunächst 460 Rufnummern,
dann 406 Personen und Institutionen und dann 379 Einzelpersonen aus den
138 000 Datensätzen der Funkzellenabfrage herauszufiltern?

23. Gelten alle 379 Einzelpersonen aufgrund der Anwesenheit ihres Mobil-
telefons zur Tatzeit im Bereich von einer der 14 abgefragten Funkzellen als
Verdächtige im Sinne der Ermittlungsverfahren?

24. Der Vorwurf welcher Straftaten an welchen Tatorten am 13., 18. oder
19. Februar 2011 führte mit welcher konkreten Begründung zur Abfrage
von 896 072 Datensätzen?

25. Wie viele Datensätze der laut Bericht der Landesregierung für den 18. und
19. Februar 2011 erfassten 896 072 Datensätze wurden aus welchen Grün-
den an welche Datenbanken welcher Behörden des Bundes übermittelt?

26. Wie viele Rufnummern, Anschlussinhaber und Einzelpersonen wurden aus
diesen Datensätzen zu Ermittlungszwecken herausgefiltert?

27. Wann waren unter welcher Aufgaben- und Fragestellung Ergebnisse der
Datenerfassung und der Ermittlungen zu den Ereignissen in Dresden Ge-
genstand des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ)?

28. Welche Landesämter für Verfassungsschutz haben an den entsprechenden
Sitzungen im GTAZ teilgenommen?

29. Welche europäischen Institutionen haben auf welcher Rechtsgrundlage di-
rekten oder indirekten Zugriff auf die in Dresden angefallenen Daten aus der
Funkzellenabfrage?

30. Welche Maßnahmen zur Überwachung der Kommunikation der bundesweit
anreisenden Demonstrantinnen und Demonstranten wurden während der
Anreise und im Verlauf der Demonstration von wem, und wann beantragt,
angeordnet und durchgeführt?

31. In wie vielen und wegen welcher Straftaten derzeit eingeleiteten Ermitt-
lungsverfahren waren Verbindungsdaten und Anschlüsse von Landtags-
und Bundestagsabgeordneten erfasst?

32. Welche Besprechungen haben in welcher Zusammensetzung und mit der
Beteiligung welcher Bundesbehörde – polizeilich, nachrichtendienstlich,
politisch – mit welchen Ergebnissen im Zeitraum von der Beendigung der
Anti-Nazi-Aktionen bis zur Antragstellung beim Amtsgericht Dresden statt-
gefunden?

33. Werden Ermittlungen gegen Rechtsextremisten mit Ergebnissen der Funk-
zellenabfrage geführt?

Wenn ja, wie viele, und mit welcher Zielsetzung?

34. Bei welchen überregionalen Großereignissen – Nato-Gipfel, Castortrans-
porte u. a. – seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 wurden solche
Funkzellenmassenabfragen durchgeführt, und in welchen auf Bundesebene

geführten Dateien – BKA, BfV, BND und BPol – sind Daten aus diesen Ab-

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fragen auf welcher Rechtsgrundlage (bitte jeweils konkret angeben) gespei-
chert?

35. Wie bewertet die Bundesregierung das Ergebnis der von ihr in Auftrag ge-
gebenen Studie „Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über Telekom-
munikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h“, wonach sich durch die
zusätzlichen Datenbestände neue Missbrauchsgefahren etwa durch unbe-
rechtigte Zugriffe von innen oder außen eröffnen sowie das Potenzial „für
die strategische Überwachung“ größerer Gruppen steigt?

36. Wie bewertet die Bundesregierung angesichts tausendfacher Zugriffe mit-
tels FZA die Äußerungen ihrer Bundesanwaltschaft, wonach das Ausschal-
ten oder zu Hause lassen von Mobiltelefonen „den typischen Gepflogenhei-
ten der linksextremen Szene zum Zweck der Konspiration“ entspricht
(Süddeutsche Zeitung, 22. August 2007) und folglich sowohl das Mitführen
als auch das Nichtmitführen von Mobiltelefonen das Misstrauen von Verfol-
gungsbehörden erregen kann?

II. Ermittlungen bzw. Strafverfolgung zum Anschlag auf Kriegsgerät einer
Gruppe „Blaues Wunder“ in der Dresdner Albertstadtkaserne von 2009

37. Welche Bundesbehörden sind auf welche Weise an den Ermittlungen bzw.
der Strafverfolgung zum Anschlag auf Kriegsgerät einer Gruppe „Blaues
Wunder“ in der Albertstadtkaserne von 2009 beteiligt?

38. Welche Bundesbehörden hatten bzw. haben welchen Zugang zu Daten aus
der dort vorgenommenen FZA, und wie sind ihre Zugriffs- und Nutzungs-
rechte geregelt?

a) Wie wird der Zugriff nach dem Grundsatz der Zweckbindung geregelt
und kontrolliert?

b) Wie ist angesichts der FZA vorher festgestellt worden, dass die Maß-
nahme nur zulässig ist, weil eine Mobilfunkendeinrichtung bei Tataus-
führung benutzt worden ist, wie es in § 100a Absatz 1 Seite 2 verlangt
ist?

c) Wo und wie sind die erlangten Rohdaten gespeichert?

d) Wo und wie sind die aufbereiteten und bereinigten Daten gespeichert?

e) Welche tatrelevanten Funkzellen sind überwacht worden?

f) Hat hierzu vorher eine Vermessung stattgefunden, um nicht nur adressen-
basierte, sondern technikbasierte Beschlüsse zur Funkzellenabfrage zu
erwirken und damit die Präzision der Auswertung zu erhöhen?

g) Welche Verfahren (etwa mittels mobilem Funkzellen-Messkoffer) wur-
den für eine Vermessung der Funkzellen angewandt?

39. In wie vielen Fällen wurden im Rahmen der Ermittlungen zum Anschlag in
der Albertstadtkaserne Bestandsdaten zu den festgestellten Endgeräten an-
gefordert, wofür nach dem TKG weder eine staatsanwaltschaftliche Ver-
fügung noch ein richterlicher Beschluss erforderlich ist?

a) Wie viele Anschlussinhaber wurden ermittelt, deren Telefone sich nicht
im Umfeld der überwachten Funkzellen befanden, sondern lediglich aus
diesen Funkzellen heraus kontaktiert wurden?

b) Wie werden anlässlich der Speicherung der Verkehrs- und Bestandsdaten
Verdächtiger und ihrer Kontaktpersonen die Vorgaben des Bundesver-
fassungsgericht in seinem Urteil vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08,
1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08) hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit, des

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Umfanges, der enthaltenen Informationen und der Art und Weise ihrer
Erhebung umgesetzt?

c) Wie wurde eine dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Daten-
sicherheit umgesetzt?

40. Für wie viele der von den 162 000 festgestellten Einkäufe bei Dresdner
OBI-Baumärkten hat die Polizei Verkehrs- bzw. Bestandsdaten von ermit-
telten Kundinnen und Kunden bei Telekommunikationsprovidern einge-
holt?

a) Wurden auch Positionsdaten von Mobiltelefonen übermittelt?

b) Wurden anhand der erhobenen Positionsdaten Bewegungsprofile zu ein-
zelnen Telefonnummern, bzw. Anschlussinhabern ermittelt?

c) Wenn ja, in wie vielen Fällen wurde eine solche Maßnahme vorgenom-
men, und welchem Zweck diente die Erstellung der Bewegungsprofile?

d) Wie viele betroffene Personen, gegen die nicht weiter ermittelt wird,
wurden über die Auswertung ihrer Daten informiert, und in wie vielen
Fällen ist eine solche Benachrichtigung warum unterblieben?

e) Welche Vorbeugung wurde getroffen, um einen besonderen Schutz der
Daten von Berufsgeheimnisträgern zu gewährleisten?

41. Wie wurden die von den Providern Telekom, Vodafone, E-Plus und O2 ge-
lieferten Daten bereinigt und ausgewertet?

a) Welche Verbund- und Zentraldateien bzw. Datensätze welcher Bundes-
behörden wurden im Rahmen der Ermittlungen gegen die Gruppe
„Blaues Wunder“ mit den FZA-Daten abgeglichen?

b) Welche weiteren Daten privatrechtlicher Einrichtungen, darunter auch zu
Finanz-, Reise- oder Telekommunikationsgebaren, wurden hierfür einge-
holt?

42. Mit welchen weiteren digital bevorrateten Daten wurden die Bewegungs-
profile darüber hinaus angereichert und verknüpft?

a) Welche computergestützten „Datenabgleichsysteme“ wurden für die
Analyse der Vorratsdaten aus der FZA eingesetzt?

b) Welche Bundesbehörden nutzen das „Datenabgleichsystem“ EFAS (bzw.
ähnliche Systeme), und auf welchem Verfahren basiert es?

c) Wurden Analysen vorgenommen, um Beziehungen zwischen verschie-
denen Telefonnummern und Anschlussinhabern herzustellen?

d) Wenn ja, in welcher Form erfolgte die Analyse, auf welchen Annahmen
basierte diese, und welche technischen Verfahren wurden hierzu ange-
wandt?

e) Welche „Auswerteprogramme“ wurden hierfür genutzt, um eine Analyse
von Zusammenhängen zwischen Telefondaten und anderen kriminalpo-
lizeilichen Ermittlungsergebnissen zu bewerkstelligen?

f) Welche Software wird von Bundesbehörden eingesetzt, um Zusammen-
hänge zwischen Einzelpersonen, Tatserien oder Verbindungsdaten her-
zustellen?

g) Welche Bundesbehörden nutzen hierfür Produkte der Firma rola Security
Solutions?

Drucksache 17/6428 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
III. Technische Fragen zur FZA

43. Wie groß ist die räumliche Auflösung von Standortdaten nach §100g und
§100i (bitte getrennt spezifizieren)

a) in Ballungsräumen wie in Dresden;

b) in ländlichen Situationen wie etwa im Wendland?

c) Wurden mit diesen Verfahren Standorte etwa auf Größe einer Blockseite
ermittelt?

d) Verfügen Bundesbehörden im Ermittlungsfalle über Zugang in Echtzeit
(§100i) oder retrospektiv (§100g) zum Timing Advance, womit eine
Schätzung des Abstands von Antenne und Endgerät vorgenommen wer-
den könnte?

e) Wird bei UMTS-Endgeräten eine Triangulation vorgenommen, wenn ein
Gerät Verbindungen zu mehr als einer Base Transceiver Station (BTS)
hält?

f) Wie werden nach Kenntnis der Bundesregierung während mehrerer akti-
ven Verbindungen bei UMTS die Positionsdaten der Endgeräte triangu-
liert?

g) Werden von Bundesbehörden von den Firmen Apple und Google auf
Vorrat gespeicherte Positionsdaten von Smartphones bzw. lokal auf den
Smartphones festgehaltene Positionsdaten zur Strafverfolgung genutzt
(THE WALL STREET JOURNAL, 22. April 2011)?

Berlin, den 4. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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