BT-Drucksache 17/2482

Daueraufgabe Demokratiestärkung - Die Auseinandersetzung mit rassistischen, antisemitischen und menschenfeindlichen Haltungen gesamtgesellschaftlich angehen und die Förderprogramme des Bundes danach ausrichten

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2482
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Monika Lazar, Sven-Christian Kindler, Tom Koenigs, Volker
Beck (Köln), Stephan Kühn, Marieluise Beck (Bremen), Kai Gehring, Katrin
Göring-Eckardt, Ingrid Hönlinger, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, Ute Koczy, Markus
Kurth, Agnes Krumwiede, Maria Klein-Schmeink, Jerzy Montag, Ingrid Nestle,
Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Elisabeth
Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Hans-Christian Ströbele,
Dr. Harald Terpe, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Daueraufgabe Demokratiestärkung – Die Auseinandersetzung mit rassistischen,
antisemitischen und menschenfeindlichen Haltungen gesamtgesellschaftlich
angehen und die Förderprogramme des Bundes danach ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind
in Deutschland Probleme von großer Brisanz. Rechtsextreme verneinen die uni-
verselle Gültigkeit der Menschenrechte. Menschenwürde, körperliche Unver-
sehrtheit und eine freie Entfaltung der Persönlichkeit gestehen sie nur jenen zu,
die in ihr rassistisches und hasserfülltes Weltbild passen. Seit 1990 töteten Neo-
nazis mindestens 149 Menschen. Übergriffe finden täglich statt. Zeuginnen und
Zeugen bleiben aus Angst häufig untätig und sagen auch im Nachhinein nicht
aus.

Rassistisches Denken, antisemitische Ressentiments und eine abwertende Hal-
tung gegenüber anders Denkenden, Lebenden und Liebenden haben sich in
Deutschland festgesetzt. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit findet sich
nicht nur bei Neonazis, sondern auch in der „Mitte“ der Gesellschaft. Dies
bestätigt auch der UN-Sonderberichterstatter über Rassismus, Rassendiskrimi-
nierung, Fremdenfeindlichkeit und verwandte Formen von Intoleranz, Githu
Muigai, in seinem Bericht über Deutschland, den er am 16. Juni 2010 im Men-
schenrechtsrat vorstellte. Demnach sei das Rassismusverständnis in Deutsch-
land zu eng auf rechtsextremistische Handlungen beschränkt. Daher müssen
Bund, Länder und Kommunen ein erweitertes Verständnis von Rassismus an-
wenden.

Die Sympathien mit rechtsextremen Ideologieelementen werden durch bundes-

weit zu verzeichnende kommunale Wahlerfolge von Neonazis und rechtspopu-
listische Listen wie Pro Köln sichtbar. In Sachsen schaffte die NPD sogar zum
zweiten Mal in Folge den Einzug in den Landtag. Immer wieder verdeutlichen
Umfragen hohe Zustimmungswerte zu rassistischen und antisemitischen Vorur-
teilen. Diese richten sich häufig gegen Menschen mit Migrationshintergrund.

Antisemitismus ist nicht nur ein Problem rechter Ränder. Das Gleiche gilt für
demokratiefeindliche Einstellungen sowie weitere Ausprägungen gruppen-

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bezogener Menschenfeindlichkeit und Gewalt wie z. B. Homophobie oder Is-
lamfeindlichkeit. Jeder Form von Menschenfeindlichkeit und ideologisch moti-
vierter Gewalt muss entschieden entgegengetreten werden, selbstverständlich
auch dann, wenn sie aus dem linken politischen Spektrum kommt oder islamis-
tisch motiviert ist. Die großen Unterschiede in Ausmaß, Bedrohungspotential,
Erscheinungsformen und Anschlussfähigkeit in die Mitte der Gesellschaft ver-
langen aber differenzierte Strategien. Plumpe Gleichsetzungen behindern dage-
gen effektive Maßnahmen zur Demokratiestärkung. Sie verharmlosen überdies
die besonderen Bedrohungen, die von Rechtsextremisten ausgehen – für Leib
und Leben vieler Menschen und in vielen Regionen für die Freiheit, sich im öf-
fentlichen Raum ohne Angst bewegen zu können.

Wer allerdings darauf setzt, nur „extremistische“ Ränder zu bekämpfen, blendet
menschenfeindliche Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft aus. Die diesem
Denkansatz zugrunde liegende „Extremismustheorie“ geht von einem Problem
an den „äußeren Rändern“ der Gesellschaft aus. Als positives Gegenstück wird
eine „gesellschaftliche Mitte“ angenommen, welche vor den „Extremisten“ zu
schützen sei. Es wird unterstellt, dass „Rechtsextremismus“ und „Linksextre-
mismus“ zwei sich grundsätzlich ähnelnde politische Bewegungen seien. Diese
„Extremismustheorie“ ist höchst umstritten. Viele Projekte und Initiativen
gegen Rechtsextremismus werden als angeblich „linksextrem“ diskreditiert.
Menschenfeindlichkeit in der „Mitte“ der Gesellschaft wird mit den undifferen-
zierten Begrifflichkeiten der „Extremismustheorie“ dagegen verharmlost und
verdrängt. Dabei muss diese ebenfalls durch Strategien der Demokratiestärkung
– einschließlich einer finanziell und personell guten Ausstattung von Projekten
und Initiativen – angegangen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezoge-
ner Menschenfeindlichkeit als gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe klar zu
benennen und anzugehen,

2. anzuerkennen, dass der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und grup-
penbezogene Menschenfeindlichkeit einen wesentlichen Beitrag zur Stär-
kung unserer Demokratie leistet, und aktiv dazu beizutragen, ein Klima der
Toleranz, der Anerkennung und Fairness in unserer Gesellschaft zu schaffen,

3. anzuerkennen, dass Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Men-
schenfeindlichkeit weit bis in die „Mitte“ der Gesellschaft verbreitete Phäno-
mene und kein Problem „am rechten Rand“ sind, und die Förderprogramme
entsprechend auszurichten,

4. Maßnahmen für eine Demokratieoffensive, die sich gegen alle Formen von
Demokratiefeindlichkeit und Ideologien der Ungleichwertigkeit richtet, zu
starten und zivilgesellschaftliche Ansätze, die dazu beitragen können, zu
unterstützen,

5. die politische Bildung zur Vermittlung demokratischer Kultur, Zivilcourage
und Partizipation (insbesondere für bildungsferne Schichten und Menschen
mit Migrationshintergrund) auszubauen und präventive Ansätze zu stärken,

6. insbesondere bewährte Projekte gegen Rechtsextremismus durch eine lang-
fristige und verlässliche Bundesförderung zu verstetigen,

7. diese Förderprogramme spezifisch auf den Kampf gegen Rechtsextremismus
auszurichten und keine Verteilung der verfügbaren Mittel auf andere Extre-
mismusformen vorzunehmen,

8. darüber hinaus darauf hinzuwirken, dass sich die Bundesländer stärker an der

Kofinanzierung beteiligen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2482

9. die Förderprogramme „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Tole-
ranz und Demokratie“ und „kompetent. für Demokratie“ in der Umsetzung
praxisorientierter zu gestalten,

a) innerhalb des Programms „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt,
Toleranz und Demokratie“ durch intelligente Mittelumschichtung eine
Reduzierung der hohen Kofinanzierungsforderungen für kleine Träger
zu ermöglichen,

b) ein Konzept zur nachhaltigen Weiterführung von gelungenen Lokalen
Aktionsplänen, die durch das Programm „VIELFALT TUT GUT. Jugend
für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ entstanden, zu entwickeln und
umzusetzen,

10. das Programm „kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen
Rechtsextremismus“ finanziell besser auszustatten, damit ein sukzessiver
Aufbau neuer Strukturen in Westdeutschland nicht zu Lasten der vorhande-
nen Strukturen in Ostdeutschland erfolgt,

11. ein neues, ergänzendes Förderprogramm zur Stärkung der Zivilgesellschaft
gegen Rechtsextremismus aufzulegen, welches lokalen Initiativen ein di-
rektes Antragsrecht beim Bund gewährt und so Projekte auch dort ermög-
licht, wo die Kommunalverwaltungen sich nicht mit Rechtsextremismus
auseinandersetzen oder entsprechendes Engagement sogar aktiv ablehnen,

a) für dieses neue Programm 19 Mio. Euro jährlich zur Verfügung zu stellen,

b) für dieses Programm moderate und flexible Kofinanzierungsforderun-
gen zu erheben, so dass auch kleine, ehrenamtliche und finanzschwache
Initiativen eine Chance auf Förderung haben,

c) mit diesem Programm schwerpunktmäßig Projekte zu fördern, die sich
intensiv mit dem Opferschutz, der Opferperspektive, genderspezifischen
Fragen im Rechtsextremismus, Antisemitismus, Arbeit mit rechtsextrem
gefährdeten Jugendlichen und rassistischen Haltungen und anderen For-
men gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Mehrheitsgesell-
schaft beschäftigen;

12. das Programm „Förderung von Projekten gegen Extremismus in den neuen
Bundesländern“ (im Etat des Bundesministeriums des Innern) ab 2011 auf
die alten Bundesländer auszuweiten und dafür entsprechend mehr Mittel
zur Verfügung zu stellen,

a) dieses Programm, wie ursprünglich im Entwurf zum Bundeshaushalt
2010 geplant, auf die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus (nicht
„Extremismus“) auszurichten,

b) einen Teil dieser Mittel für Austausch, Qualitätstransfer und Vernetzung
zwischen Initiativen in Ost- und Westdeutschland zu verwenden;

13. von einer Regelüberprüfung engagierter Initiativen gegen Rechtsextremis-
mus durch den Verfassungsschutz abzusehen und in einer wertschätzenden
und solidarischen Haltung mit ihnen zusammenzuarbeiten,

14. dafür zu sorgen, dass beim „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ das Per-
sonal zu einem größeren Anteil als bisher aus Fachleuten mit praktischen
Erfahrungen in der zivilgesellschaftlichen Arbeit rekrutiert wird,

15. darüber hinaus sicherzustellen, dass die Verträge dieser externen Fachleute
beim Bündnis nicht wie bisher auf zwei Jahre befristet werden und es so im-
mer wieder zum Verlust gewachsener Sachkompetenz kommt.

Berlin, den 6. Juli 2010
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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Begründung

Nationalistisches, antisemitisches und menschenfeindliches Denken und Han-
deln sind ein gravierendes Problem in Deutschland. Deshalb müssen die Bundes-
programme gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gestärkt und der
Zugang für Initiativen erleichtert werden. Gleichzeitig wäre eine Ausdehnung
der Programmmittel auf den Kampf gegen „Linksextremismus“ und „Islamis-
mus“ inhaltlich falsch und befördert die Gefahr, dass mittelfristig die Mittel für
den Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschen-
feindlichkeit gekürzt werden.

Das Ziel bekennender Rechtsextremer ist ein völkisch-rassistischer Führerstaat.
Es gibt Gebiete, in denen neonazistische Organisationen systematisch versu-
chen, eine ideologisch-kulturelle Vorherrschaft zu erreichen. In einigen Regio-
nen mit hoher politischer Aktivität rechtsextremer Gruppierungen und Parteien
gelingt dies auch. Dort werden Opfer ausgegrenzt, Anti-Nazi-Aktive stigmati-
siert und in die Defensive gedrängt. Auch in den Schulen und im Freizeitbereich
ist auf diesen Gebieten der Einfluss der extrem Rechten so dominant, dass demo-
kratisch gesinnte Jugendliche keinen Raum zur freien Meinungsäußerung oder
für gemeinsame Treffen finden. Nazis feiern solche Regionen als „nationalbe-
freite Zonen“.

Kleinster gemeinsamer Nenner aller Neonaziorganisationen ist der Antisemi-
tismus. Nicht nur national, sondern sogar auf internationaler Ebene finden ge-
meinsame Aktivitäten statt; Holocaustleugnung und Hetze gegen Jüdinnen und
Juden sind an der Tagesordnung. Durch die Dynamik in dem Einwanderungs-
land Deutschland gerät zunehmend auch der Islam in den rechtsextremen Fokus.
Es werden diffuse Ängste in der Bevölkerung geschürt und Bedrohungsszena-
rien entworfen. Eine entsetzliche Folge solchen Hasses war der Mord an der
schwangeren, ägyptischen Muslimin Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Ge-
richtssaal im Jahr 2009.

Rassistische Gewalt beginnt allerdings nicht erst beim Zuschlagen, sondern im
Denken. Auch die unter „bürgerlichem“ Deckmantel operierende NPD trägt mit
ihrem „Kampf um die Köpfe“ dazu bei. Besonders problematisch ist es, wenn
öffentliche Personen aus demokratischen Parteien neurechte Ressentiments
schüren und somit Nazi-Parolen eine scheinbare Normalität verleihen. Die
Grenze zwischen rechtskonservativer und rechtsextremer Ideologie wird da-
durch zunehmend verwischt. Die Diffamierung von Projekten gegen Rassismus,
Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit als „linksextrem“ fördert ein undif-
ferenziertes Denken und Urteilen und leistet der Demokratie letztlich einen
Bärendienst.

Angesichts dieser Probleme – Wahlerfolge, national befreite Zonen, Verwi-
schung der Grenzen zwischen rechtskonservativer und rechtsextremer Ideologie
und der häufig latent vorhandenen rassistischen Haltungen in Deutschland –
brauchen wir eine breite Debatte gegen alle Arten von Menschenrechtsbedro-
hungen. Politik muss jenseits aktueller Vorfälle rassistische, antisemitische, ge-
waltbereite Haltungen ächten. Von ihr sind Strategien gefordert, wenn Neonazis
soziale Probleme, Ängste, fehlende demokratische Angebote und Vertrauens-
verluste in den Staat missbrauchen, um für ihre Ideologie zu werben.

Von großer Bedeutung sind vielfältige zivilgesellschaftliche Initiativen vor Ort.
Sie bilden die Basis einer nachhaltigen lokalen Arbeit gegen Rechtsextremis-
mus, indem sie demokratische Ansätze fördern, bürgerschaftliches Engagement
bündeln, Opfern helfen und Neonazis Paroli bieten. Solche Entwicklungen muss
der Bund vielfältig politisch und finanziell unterstützen. Praxisorientierte Bun-
desprogramme mit einer eindeutigen Ausrichtung gegen Rechtsextremismus
spielen dabei eine wesentliche Rolle. Diese Programme müssen angesichts des

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rassistischen Gefahrenpotentials in Deutschland auch finanziell besser als bisher
ausgestattet werden.

Die Bundesregierung plant jedoch eine Zusammenlegung der bisherigen Pro-
gramme und eine Vermischung mit der Förderung gegen Linksextremismus und
Islamismus in einem Sammelprogramm für 2011. Dies wird dem Problem nicht
gerecht; stattdessen führt die Zusammenlegung auf Basis der Extremismustheo-
rie zu einer Verharmlosung von Rassismus und gruppenbezogener Menschen-
feindlichkeit in der „Mitte“ der Gesellschaft.

Initiativen brauchen eine verlässliche und dauerhafte Finanzierung, die vor will-
kürlichen Kürzungen durch die Politik geschützt ist. Regelmäßige Ein- und Um-
brüche der Förderung aufgrund veränderter politischer Mehrheiten zerstören
Strukturen und gefährden die Arbeit gegen Rechtsextremismus. Daher müssen
die Programme umstrukturiert und erfolgreiche Konzepte in eine Regelför-
derung überführt werden. Die gleichberechtige Zusammenarbeit zwischen staat-
licher Verwaltung und Zivilgesellschaft muss auf allen Ebenen verstärkt werden,
um Qualitätstransfer und Vernetzung zu sichern.

Die Mobilen Beratungsteams und die Opferberatungsstellen gehören zu den
wirksamsten Bausteinen im lokalen Kampf gegen Rechtsextremismus. Sie wer-
den derzeit durch sog. Beratungsnetzwerke über das Bundesprogramm „kompe-
tent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ geför-
dert. In den ostdeutschen Bundesländern und Berlin verläuft die Förderung
degressiv, im Westen hingegen progressiv. Die Degression hat gravierende Fol-
gen für die bestehenden Strukturen in den neuen Bundesländern, welche in man-
chen Regionen besonders stark von Nazigewalt und rechtsextremen Wahlerfol-
gen betroffen sind. Die Länder können meist die Ausfälle nicht vollständig
kompensieren, allenfalls durch Kürzungen in anderen wichtigen Bereichen, wie
z. B. Jugendarbeit oder Kultur. Im Westen gibt es häufig noch gar keine Länder-
mittel zur Kofinanzierung der Beratungsnetzwerke; ihre Existenz ist ohne eine
weitere Bundesförderung ebenfalls völlig ungesichert. Wir wollen die Bera-
tungs- und Unterstützungskompetenz im Osten und im Westen auf einem
Niveau erhalten, das eine dauerhafte und langfristige Arbeit ermöglicht. Dabei
sollen auch die während der Bundesmodellprogramme entwickelten Fachstan-
dards in Ost und West erhalten bzw. ausgebaut werden.

Problematisch ist, dass für eine Förderung von Beratungsnetzwerken eine
„akute Krise“ nachgewiesen werden muss. Was genau darunter zu verstehen ist,
bleibt Auslegungssache. Doch selbst eine klare Definition des Krisenbegriffs
würde das Grundproblem nicht lösen. Dieser Förderansatz bedeutet, auf rechts-
extreme Aktivitäten nur zu reagieren, nicht aber präventiv und kontinuierlich zu
agieren. In manchen Bundesländern werden sog. Mobile Interventionsteams
(MIT) ad hoc zur Krisenbewältigung zusammengestellt, was einer konstruk-
tiven und kontinuierlichen Auseinandersetzung zuwiderläuft. Vertrauensvolle,
auf nachhaltige Wirkungen zielende Beratung erfordert ausgebildete Fachkräfte
und feste Teamstrukturen. Nur so kann Beratungsarbeit mit den Beratungsneh-
menden als Beziehungsarbeit entwickelt werden. Wir fordern eine prozessorien-
tierte Auseinandersetzung statt nicht nachhaltiger „Feuerwehreinsätze“.

Über das Programm „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz und
Demokratie“ werden 90 Lokale Aktionspläne gefördert, davon 60 in Ost- und 30
in Westdeutschland. So konnten Strukturen auf- und ausgebaut und Vernetzun-
gen vorangebracht werden. Es ist nun wichtig, die Weiterführung der begonne-
nen Arbeit zu sichern. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam Ver-
antwortung dafür übernehmen. Zudem gibt es mehr als diese 90 Regionen, in
denen ebenfalls Lokale Aktionspläne nötig wären. Allerdings müssen hier künf-
tig auch die Qualität und eine zielorientierte Mittelverwendung gesichert wer-

den, was bislang nicht überall der Fall ist. Auch kleine Projekte müssen mehr

Drucksache 17/2482 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Chancen zur Mitwirkung erhalten. Dazu ist es erforderlich, die Kofinanzie-
rungsforderungen zu verringern. Gute Ideen dürfen nicht am Geld scheitern.

Ein zentraler Konstruktionsfehler des Bundesprogramms „VIELFALT TUT
GUT“ ist die Beschränkung des Antragsrechts im Wesentlichen auf Kommunen.
Diese reichen es an Projekte vor Ort aus. Die stärkere Einbeziehung der kommu-
nalen Verwaltungen ist prinzipiell positiv zu bewerten. Oft erhalten Träger
jedoch von der Kommune nur dann Geld, wenn sie sich dieser gegenüber
„politisch genehm“ und unkritisch verhalten. Wo Demokratiedefizite herrschen
oder Kommunalverwaltungen nicht an einer aktiven Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus mitwirken wollen, brauchen Initiativen eine andere Chance,
sich erfolgreich um Mittel zu bewerben. Außerdem muss es gerade für kleine
Projekte, die mitunter nur geringe Summen benötigen, einen schnellen, unbüro-
kratischen Förderzugang geben. Dazu fordern wir ein neues, ergänzendes Pro-
gramm mit direktem Antragsrecht für freie Träger. Um modellhaft Konzepte
und Methoden zu erproben, braucht es längere Zeiträume als die bisherige drei-
jährige Laufzeit für Modellprojekte. Zudem sind die Träger allein mit dem An-
spruch überfordert, die Erfahrungen anschließend in eine Regelförderung zu
überführen. Da für die Stärkung demokratischer Handlungskonzepte langfris-
tige Veränderungsprozesse angestoßen werden müssen, benötigt diese Bildungs-
arbeit Rahmenbedingungen, die eine nachhaltige Arbeit ermöglichen. Dazu
gehören langfristige Finanzierungen und Vernetzungsstrukturen auf Bundes-,
Länder- und Kommunalebene. Die Mittel sollen nicht von einer staatlichen
Stelle, sondern einem freien Träger, einer Stiftung oder evtl. einem Gremium aus
mehreren Trägern mit entsprechenden fachlichen Kompetenzen verwaltet wer-
den. Trotz des unabhängigen Förderansatzes sollen sich die finanzierten Pro-
jekte auch eine lokale Anbindung erarbeiten. Die Bundesförderung kann ihnen
helfen, ihre Arbeit zu professionalisieren und vor Ort, z. B. in der kommunalen
Verwaltung, Bevölkerung oder Privatwirtschaft, wachsende Akzeptanz und
Kofinanzierungspartner zu finden.

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