BT-Drucksache 17/11838

EU - Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation

Vom 12. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11838
17. Wahlperiode 12. 12. 2012

Antrag
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Ingrid Hönlinger,
Ute Koczy, Uwe Kekeritz, Dr. Hermann E. Ott, Harald Ebner, Dr. Gerhard Schick,
Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Undine Kurth (Quedlinburg), Dorothea Steiner,
Marieluise Beck (Bremen), Cornelia Behm, Agnes Brugger, Viola von
Cramon-Taubadel, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Katja Keul, Memet Kilic,
Sven-Christian Kindler, Markus Kurth, Kerstin Müller (Köln), Dr. Konstantin
von Notz, Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Harald Terpe, Daniela Wagner, Beate Walter-Rosenheimer
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU – Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 26. und 27. Januar 2013 findet in Santiago de Chile das siebte Gipfeltreffen
zwischen der Europäischen Union (EU) und den Staaten Lateinamerikas und der
Karibik (LAK) statt, das zugleich das erste Gipfeltreffen zwischen der EU und
der im Dezember 2011 gegründeten Gemeinschaft der Lateinamerikanischen
und Karibischen Staaten CELAC (Comunidad de Estados Latinoamericanos y
Caribeños) ist. Die CELAC umfasst alle Staaten Amerikas mit Ausnahme von
Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika und hat mit seinen rund
560 Millionen durchschnittlich sehr jungen Menschen, einer starken und gut
organisierten Zivilgesellschaft, positiven wirtschaftlichen Kennzahlen und
einem enormen Reichtum an natürlichen Ressourcen großes Potenzial. Der
Staatenverband kann ein wichtiger Bündnispartner für Europa auf der Suche
nach Lösungen für globale Herausforderungen wie die Finanz-, Wirtschafts-,
Klima- und Ernährungskrisen sein.

Die Bundesregierung muss den anstehenden Gipfel zum Anlass nehmen, sich
auf EU-Ebene für eine grundsätzliche Veränderung der derzeitig durch wirt-
schaftliche Interessen dominierten Beziehung mit Lateinamerika und der Kari-
bik stark zu machen und Impulse zu setzen, die eine sozial-ökologische Trans-
formation hin zu einer strategischen Partnerschaft für eine menschenrechts-
basierte nachhaltige Entwicklung auf beiden Kontinenten einleiten.

Derzeit werden die globalen Krisen durch die Handelsstrategie der EU und der

LAK-Staaten noch verschärft. Intransparenz und geringe politische Partizipa-
tion führen dazu, dass unter Umgehung von Parlamenten und Ausschluss der
Zivilgesellschaft Abkommen und Verträge abgeschlossen werden, die zu ökolo-
gischen und sozialen Verwerfungen führen und Partikularinteressen den Vorrang
vor dem Gemeinwohl geben. Dabei finden Menschenrechte, wie beispielsweise
das Recht auf Nahrung, und der Schutz natürlicher Ressourcen nicht genug Be-

Drucksache 17/11838 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

achtung. Hoher Fleischkonsum und Massentierhaltung in Europa sind mitver-
antwortlich für den ressourcenintensiven Anbau von genmanipulierter Soja in
Argentinien, Paraguay und Brasilien, der zu einer massiven Belastung von
Mensch und Umwelt durch Pestizide, zur Vertreibung von Kleinbäuerinnen und
Kleinbauern und Indigenen sowie zum Verlust wertvoller Tropenwälder und
Savannengebiete führt. Europas Suche nach alternativen Energiequellen verur-
sacht die Expansion des Anbaus von Pflanzen für die Agrotreibstoffproduktion,
die sich aufgrund fehlender Rahmenbedingungen oft negativ auf die Umwelt
und eine gerechte Landverteilung auswirkt. Der ungebremste Rohstoffhunger
der EU treibt den extensiven Bergbau und die Gewinnung seltener Erden in den
LAK-Staaten voran. Dadurch wird vor Ort u. a. der Energie- und Wasserver-
brauch und der Druck auf Waldbestand und fruchtbaren Boden gesteigert. Die
Konzentration von fruchtbarem Land in den Händen Weniger nimmt erneut zu.
Landgrabbing stellt heute auch in Lateinamerika ein gravierendes Problem dar.
Lateinamerikas „grüne Lunge“, die Wälder des Amazonas, die große Bedeutung
für das Weltklima und die Erhaltung der Artenvielfalt haben, sind gefährdet –
trotz der Fortschritte in vielen Ländern beim Aufbau von Governance-Struktu-
ren zum Waldschutz.

Diese Beispiele illustrieren das Phänomen des Neo-Extraktivismus, bei dem die
massive Ausbeutung von Rohstoffen für den Export im Zentrum der wirtschaft-
lichen Strategien steht und menschenrechtliche und ökologische Aspekte ver-
nachlässigt werden. Einige LAK-Regierungen finanzieren mithilfe der daraus
generierten Einnahmen zwar kurzfristig wirkungsvolle Sozialprogramme und
formulieren Visionen für andere Wirtschaftsmodelle, de facto werden die struk-
turellen Ursachen sozialer Ungerechtigkeit und der Zerstörung von Natur und
Lebensräumen jedoch kaum adressiert. So kommt es im Zusammenhang mit
Großprojekten im Bergbau, der exportorientierten Landwirtschaft oder der Ener-
giegewinnung zunehmend zu sozialen Protesten.

Ziel des Gipfeltreffens muss deshalb die Erarbeitung von Konzepten für eine
diversifizierte und nachhaltige Wirtschafts- und Handelsstrategie und der Be-
ginn einer intensiven Diskussion mit den lateinamerikanischen Parlamenten und
der Zivilgesellschaft sein. Dabei müssen die Beschwerden der Zivilgesellschaft
über die negativen Folgen der bereits in Kraft getretenen und zukünftigen Han-
delsabkommen Gehör finden und daraus Konsequenzen gezogen werden.

Es wird erwartet, dass sowohl ein Assoziierungsabkommen mit den Ländern
Zentralamerikas als auch ein Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien
zeitnah zum Gipfel vom Europaparlament verabschiedet werden. Es ist zu be-
fürchten, dass ihre Umsetzung zu schwerwiegenden sozialen und ökologischen
Verwerfungen führen werden. Zum Beispiel würde der zollfreie Zugang für
große Mengen europäischer Milchprodukte die kleinbäuerlichen Milchbetriebe
der zentralamerikanischen Länder extrem unter Druck setzen und vor allem
Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in die Armut treiben.

Obwohl es sich die EU zum Ziel gesetzt hat, über die Abkommen die Menschen-
rechte zu stärken und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, spielten diese
Aspekte in den bisherigen Verhandlungen nur eine untergeordnete Rolle. Dabei
wäre ein verstärkter Einsatz beider Regionen für den Schutz der Menschen-
rechte von größter Wichtigkeit. Einige der LAK-Staaten weisen derzeit alarmie-
rende Anzeichen fragiler Staatlichkeit auf. Insbesondere in Mexiko und Zen-
tralamerika hat der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Drogen-
kartelle, der geprägt ist von einem sicherheitspolitischen und repressiven Para-
digma, zu hohen Opferzahlen geführt. Allein in Mexiko sind dem Krieg gegen
die Drogenkartelle seit 2006 über 60 000 Menschen zum Opfer gefallen.

Die Verhandlungen konzentrieren sich vor allem auf Handelsfragen und ver-

nachlässigen die anderen Dimensionen der Partnerschaft: den politischen Dialog
und die Zusammenarbeit in Bereichen wie der Armutsreduzierung, den Men-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11838

schenrechten, der Stärkung des Rechtsstaates, dem Klima- und Umweltschutz
und dem Schutz des Lebensraums indigener Völker, der Energiewende, sozialer
Kohäsion und Geschlechtergerechtigkeit, Bildung und Beschäftigung, Innova-
tion und Technologie, der Ökologisierung der Landwirtschaft und der Vereinba-
rung von Nachhaltigkeits-, Transparenz- und Menschenrechtskriterien im Agrar-
und Bergbausektor. All dies sind Themen, die die „strategische Partnerschaft“
der EU und der LAK-Staaten mit konkreten Inhalten füllen können. Die aktuel-
len multilateralen Prozesse zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele
(MDG) und ihre Fortführung und Erweiterung zu Nachhaltigkeitszielen (SDG)
sollten dafür als Rahmen dienen.

Seit Beginn der strategischen Partnerschaft im Jahr 1999 ist die heutige CELAC-
Region selbstbewusster geworden. Dies zeigt sich auch auf der internationalen
Bühne, z. B. in der Präsenz von Mexiko, Brasilien und Argentinien in der G20,
in der zunehmenden Selbstständigkeit regionaler Institutionen, wie z. B. der
Bank des Südens (Banco del Sur), und der Unabhängigkeit von klassischen
Finanzorganisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der
Weltbank. Erfolgreiche multilaterale Initiativen der Vereinten Nationen wie die
SDG gehen auf lateinamerikanischen Anstoß, in diesem Fall Kolumbiens und
Guatemalas, zurück. Die CELAC-Staaten haben ihre Abhängigkeit von den
USA deutlich verringert und sind auch weniger auf Europa angewiesen. Sollten
es die europäischen Regierungen erneut verpassen, die LAK-Staaten als strate-
gische Partner im Kampf gegen Armut und Klimawandel ernst zu nehmen und
einzubinden, so könnten diese die wirtschaftlichen Beziehungen zu Regionen
vorziehen und die zu Europa in Zukunft vernachlässigen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich dafür einzusetzen, dass auf dem CELAC-EU-Gipfel gemeinsame Ziele
für eine nachhaltige Entwicklung und die Stärkung der Menschenrechte ver-
einbart werden, die der weltweiten Finanz-, der Klima- und der Hungerkrise
und gravierenden Menschenrechtsverletzungen entgegenwirken;

2. sich dafür einzusetzen, dass auf dem CELAC-EU-Gipfel gemeinsame Initia-
tiven zur Stärkung des Multilateralismus, für die Umsetzung der Millenniums-
entwicklungsziele (MDGs) und zur Steuerung des anstehenden Prozesses der
Erarbeitung universeller nachhaltiger Entwicklungsziele (SDGs) vereinbart
werden;

Wirtschafts-, Handels- und Rohstoffpolitik

3. dafür einzutreten, dass Handels- und Assoziierungsabkommen mit LAK-
Staaten einen klaren Fokus auf Menschenrechte, Ökologie und nachhaltige
Entwicklung legen, indem die zweite und dritte Säule der Abkommen (poli-
tischer Dialog und Entwicklungszusammenarbeit) deutlich gegenüber der
ersten Säule (Handelsliberalisierung) gestärkt werden;

4. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Standardformulie-
rung der Menschenrechtsklausel in EU-Abkommen nicht nur die Respektie-
rung von Menschenrechten, sondern explizit deren Schutz und Förderung
enthält;

5. sich dafür einzusetzen, dass die Menschenrechtsklauseln der Handels- und
Assoziierungsabkommen um einen Beschwerdemechanismus für betroffene,
nichtstaatliche Akteure und einen Sanktions- und Monitoringmechanismus
ergänzt werden, ein intergouvernamentaler und parlamentarischer Menschen-
rechtsausschuss geschaffen wird, und dass vor Abschluss der Abkommen
und in regelmäßigen Abständen menschenrechtliche und ökologische Folge-

abschätzungen durchgeführt werden;

Drucksache 17/11838 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

6. das Assoziierungsabkommens mit Zentralamerika und das Handelsabkom-
mens mit Peru und Kolumbien nicht zu unterzeichnen und sich mit Nach-
druck dafür einzusetzen, dass beide Abkommen nicht von den anderen euro-
päischen Mitgliedsländern unterzeichnet werden, da die Forderungen 4 und 5
im Falle beider Abkommen bislang nicht umgesetzt wurden;

7. sich dafür einzusetzen, dass das Europäische Parlament und im Falle ge-
mischter Abkommen der Deutsche Bundestag von Beginn an über den
Stand laufender Verhandlungen von Abkommen unterrichtet werden und
anschließend die Möglichkeit haben, Änderungsvorschläge abzugeben;

8. sich für einen verbesserten Marktzugang für die LAK-Staaten zur EU ein-
zusetzen und europäische Angebote von Agrarprodukten zu Dumping-Prei-
sen zu beenden;

9. sich für eine Agrarwende in der EU und den LAK-Staaten einzusetzen, die
den Fokus auf eine ökologische und sozial nachhaltige Landwirtschaft legt
und die sich von dem bisherigen gentechnik-fokussierten und industriellen
Landwirtschaftsmodell abkehrt;

10. mehr Mittel für eine Agrarforschung bereitzustellen, die auf agrarökologi-
sche und standortangepasste Methoden abzielt (z. B. auf die Optimierung
des Anbaus von gentechnikfreier Soja, für die Ausweitung des Ökolandbaus
oder für Agroforst- und Mischkultursysteme) und dabei eng mit LAK-Staa-
ten kooperiert;

11. sich dafür einzusetzen, dass die Einfuhr von Biomasse aus der Region in die
Europäische Union begrenzt und an die strikte Einhaltung von Nachhaltig-
keits- und Menschenrechtskriterien gebunden wird. Dafür sind die derzeiti-
gen Nachhaltigkeitskriterien der EU für die Einfuhr von Biomasse massiv
zu verschärfen. Es muss zukünftig sichergestellt werden, dass Futtermittel
und Energiepflanzen, die für den Export bestimmt sind, boden- und wasser-
schonend angebaut werden und weder zur Vertreibung von Kleinbäuerinnen
und Kleinbauern und Indigenen, noch zur Verschärfung des Hungerpro-
blems oder zum Verlust wertvoller Urwälder führen. Hierbei sind auch indi-
rekte Wirkungen der Entwaldung zu berücksichtigen;

12. sich dafür einzusetzen, dass die Aspekte Chemiekaliensicherheit und Schutz
von Wasserressourcen bei der Definition von Umweltstandards und Nach-
haltigkeitskriterien, die Grundvoraussetzung für den weiteren Import von
Produkten in die Europäische Union sind, deutlich stärker als bisher berück-
sichtigt werden, damit beispielsweise Schnittblumen nicht weiter in großem
Umfang mit extrem gefährlichen Pestiziden behandelt werden;

13. sich dafür einzusetzen, dass die EU bei Verhandlungen von bi- und pluri-
lateralen Handelsabkommen ihre Verhandlungspartner nicht zu festen Libe-
ralisierungsquoten drängt, sondern den Schutz sensibler Wirtschaftssekto-
ren (zum Beispiel der Landwirtschaft) zulässt;

14. sich dafür einzusetzen, dass bi- und plurilaterale Handelsabkommen keine
Passagen enthalten, die den Partnerstaaten eine effektive Finanzmarktauf-
sicht und Kapitalverkehrskontrolle erschweren;

15. sich auf EU-Ebene im Interesse des universellen Zugangs zu essentiellen
Medikamenten sowie dem freien Austausch von traditionellem Saatgut da-
für einzusetzen, dass bi- und plurilateralen Handelsabkommen keine Ver-
pflichtungen im Bereich des geistigen Eigentums enthalten, die über die
Vereinbarungen des TRIPS-Abkommens (TRIPS = Trade-Related Aspects
of Intellectual Property Rights) hinausgehen, insbesondere keine Bestim-
mungen zu Patentverlängerungen und zur Exklusivität von Forschungs-

daten;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11838

16. auf Transparenz und umfassende Einbeziehung der Zivilgesellschaft bei der
weiteren Gestaltung der inhaltlichen Ausrichtung neuer Initiativen, wie der
EU-LAC-Stiftung und der Investitionsfazilität LAIF (Latin America Invest-
ment Facility) zu drängen;

17. sich dafür einzusetzen, dass Investitionsschutzabkommen mit den LAK-
Staaten die Investoren zur Beachtung und Einhaltung von Menschenrechts-
und Nachhaltigkeitskriterien und Sozial- und Umweltstandards verpflich-
ten. Der politische Spielraum zur Umsetzung einer sozial-ökologischen
Transformation darf nicht durch die Androhung von Schadensersatzklagen
vor privaten Schiedsgerichten eingeengt werden;

18. die europäische und deutsche Rohstoffpolitik, die bislang einseitig vom Ziel
der Rohstoffbeschaffung dominiert ist, neu auszurichten, ökologische, so-
ziale und menschenrechtliche Auswirkungen in den Partnerländern stärker
in den Fokus zu rücken und entsprechende Standards zu verankern und auf
dieser Grundlage die Entwicklungsinteressen der rohstoffreichen Länder
stärker in den Mittelpunkt zu rücken;

19. durch Wissens- und Technologietransfer das Recycling vor Ort aktiv zu
stärken und den Aufbau von Recyclingpartnerschaften mit lateinamerikani-
schen Staaten zu prüfen;

20. lateinamerikanische Staaten durch Wissens- und Technologietransfer darin
zu unterstützen, beim Abbau von Bodenschätzen ökologische Schäden und
soziale Verwerfungen zu vermeiden und Wertschöpfungsketten vor Ort auf-
zubauen;

21. bei Investitionen im Rohstoffsektor die Einhaltung der Menschenrechte,
klare Transparenzvorschriften auf Projektebene, Sozial- und Umweltver-
träglichkeitsprüfungen, Beteiligung der betroffenen Bevölkerung (umfas-
sende Information und Konsultation, Verankerung des Free, prior and in-
formed consent) sowie Prüfungen zur gesamtwirtschaftlichen Sinnhaftig-
keit der Investitionen zu garantieren;

22. sich für umfassende Informations- und Transparenzinitiativen sowie eine
Offenlegungspflicht der Verträge und Lieferketten im Rohstoffbereich ein-
zusetzen;

Demokratie und Menschenrechte

23. sich auf europäischer Ebene für eine kohärente Menschenrechtspolitik der
EU gegenüber den Ländern Lateinamerikas und der Karibik einzusetzen;

24. sich für die Einhaltung von Beteiligungsrechten einzusetzen und wirksame
Möglichkeiten für Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen zu schaffen,
ihr Recht auf Information und Konsultation einzuklagen und durchzusetzen,
beispielsweise indem Vorhaben der deutschen und europäischen Entwick-
lungszusammenarbeit unter strengen Transparenz- und Beteiligungskrite-
rien durchgeführt werden;

25. sich zusammen mit anderen europäischen Mitgliedsländern für eine Stär-
kung des Rechtsstaates und eine Reform der Justiz einzusetzen, die die weit
verbreitete Straflosigkeit für Gewaltverbrechen in Lateinamerika und der
Karibik eindämmt und das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen in das
Rechtssystem erneuert;

26. zwischenstaatliche Abkommen im Bereich Sicherheitszusammenarbeit nur
dann abzuschließen, wenn garantiert werden kann, dass von den jeweiligen
Sicherheitskräften grundlegende Menschenrechts- und Transparenzstan-
dards eingehalten werden; gleiches gilt für die Gewährung von Ausbil-

dungs- und Ausstattungshilfe für Polizei und Militär sowie jegliche sonstige
Unterstützungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte;

Drucksache 17/11838 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

27. sich für entsprechende Evaluierungs- und Monitoringinstrumente für den
Bereich Sicherheitszusammenarbeit einzusetzen, unter anderem in Form
eines regelmäßigen Tätigkeits- und Erfahrungsberichts, der umfasst, welche
Ausbildungs-, Ausstattungs- und Beratungshilfen für Staaten geleistet wur-
den, die hinsichtlich der Menschenrechtslage als fragil eingestuft sind und
der dabei insbesondere auch auf Ergebnisse der Zusammenarbeit eingeht;

28. sich gegen die Verfolgung und Diskriminierung von Menschenrechtsvertei-
digerinnen bzw. Menschenrechtsverteidigern einzusetzen und die „EU-Leit-
linien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern“ konsequent umzuset-
zen indem beispielsweise

a) ein spezieller Verbindungsbeamter für die Pflege von Kontakten mit
Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern an den
deutschen Botschaften eingesetzt wird;

b) über das deutsche Botschaftspersonal Menschenrechtsverteidigerinnen
und Menschenrechtsverteidiger in Polizeigewahrsam oder unter Haus-
arrest besucht werden und an Verfahren gegen sie als Beobachter teilge-
nommen wird;

c) Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger regel-
mäßig in die EU-Delegationen eingeladen werden;

29. sich gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen auf internatio-
naler Ebene für eine Strafverfolgung von Feminiziden einzusetzen und in
der deutschen und europäischen Zusammenarbeit Maßnahmen mit dem Ziel
der Geschlechtergerechtigkeit auszubauen;

30. sich in der Drogenpolitik an den Empfehlungen der Global Commission on
Drug Policy zu orientieren und sich in diesem Sinne für eine Neuausrich-
tung in der Drogenpolitik einzusetzen, die stärker an nachhaltiger Ent-
wicklung, Menschenrechten und Gesundheitsaspekten orientiert ist, die
Entkriminalisierung von Drogenbauern, -konsumenten und kleineren Dro-
genkurieren (mulas) fördert und staatliche Regulierungsmodelle als Alter-
native zum prohibitiven Ansatz in der Drogenpolitik unterstützt;

31. sich für eine menschenrechtsbasierte Politik im Bereich der Bekämpfung
des organisierten Verbrechens einzusetzen, die mit präventiven Sozial- und
Beschäftigungsprogrammen an den sozialen und wirtschaftlichen Ursachen
der Gewalt ansetzt und die Militarisierung im Innern beendet;

32. sich insbesondere im Rahmen der „Financial Action Task Force on Money
Laundering“ (FATF) für eine verstärkte Verfolgung der Geldwäscheaktivi-
täten von organisierten kriminellen Netzwerken einzusetzen, dabei ein be-
sonderes Augenmerk auf die Bekämpfung von Finanzparadiesen zu legen
und die Empfehlungen der FATF endlich auch in Deutschland gesetzgebe-
risch komplett umzusetzen; mehr Mittel für die Verfolgung von Geld-
wäscheaktivitäten in Deutschland und Europa bereitzustellen und im Dialog
mit lateinamerikanischen Regierungen verstärkte Anstrengungen zur Kon-
fiszierung von Besitztümern und Geldern der organisierten kriminellen
Netzwerke einzufordern;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11838

Klima- und Umweltschutz

33. sich dafür einzusetzen, dass sich die EU an einer verlässlichen, zusätzlichen
und angemessenen Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel und
der Anpassung an seine Folgen in LAK-Ländern unabhängig von den eige-
nen Reduktionszielen beteiligt, indem sie eine angemessene Anschubfinan-
zierung des Green Climate Fund über 1 Mrd. Euro garantiert;

34. sich in der EU nachdrücklich für eine Anhebung des europäischen Klima-
schutzziels von derzeit 20 auf 30 Prozent Emissionsminderung bis zum Jahr
2020 einzusetzen, um gegenüber Lateinamerika als glaubwürdiger Partner
auftreten zu können;

35. ihre klimapolitischen Ziele und Dialogformate mit ihren Zielen in anderen
Politikfeldern, wie beispielsweise der Wirtschafts- und Handelspolitik, enger
abzustimmen und den Klimaschutz konsequent auch in den Handelsbezie-
hungen mit den LAK-Staaten zu thematisieren;

36. einen Vorschlag vorzulegen, mit welchen Initiativen die Kooperation in einer
klimapolitisch progressiven Allianz zwischen den lateinamerikanischen
Staaten und Deutschland bzw. der EU ausgebaut werden sollen, um den Kli-
maschutz und insbesondere den Ausbau von erneuerbaren Energien für eine
Energiewende voranzubringen und so eine Klimapolitik der unterschied-
lichen Geschwindigkeiten (KluG) voranzutreiben;

37. den Dialog zwischen der europäischen und der lateinamerikanischen Zivil-
gesellschaft im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes sowie den Ausbau
von kommunalen Klimapartnerschaften zu intensivieren und mit notwendi-
gen Finanzmitteln auszustatten;

38. bilateral und innerhalb der EU die energiepolitische Kooperation mit den
LAK-Staaten durch gezielte Förderung von erneuerbaren Energien und
Energieeffizienz auszubauen und durch Technologie- und Wissenstransfer
im großen Stil zu unterlegen und die Atomverträge mit Brasilien und Argen-
tinien durch eine Kooperation über erneuerbare Energien und Energieeffi-
zienz zu ersetzen;

39. die Hermesbürgschaft für die Beteiligung am Bau des Atomreaktors Angra 3
nicht zu gewähren und die entsprechende Grundsatzzusage zurückzuziehen;

40. zur Klimagerechtigkeit beizutragen, indem alternative Wege und kreative
Lösungen beim Umwelt-, Biodiversitäts- und Klimaschutz gefördert wer-
den, und so z. B. die wegweisende ITT-Yasuní-Initiative im Yasuní-Natio-
nalpark in Ecuador zu unterstützen;

41. die von den Folgen des Klimawandels besonders betroffenen Länder, wie
insbesondere die verletzlichsten zentralamerikanischen, dabei zu unterstüt-
zen, nationale Anpassungsstrategien zu erarbeiten und umzusetzen und
Ökosysteme vor Auswirkungen des Klimawandels zu schützen;

42. sich im Rahmen der europäisch-lateinamerikanischen Zusammenarbeit ins-
besondere für die Umsetzung des strategischen Plans der 11. Vertragsstaaten-
konferenz über die biologische Vielfalt (CBD) einzusetzen und dabei beson-
ders die Synergien zwischen Entwicklungszusammenarbeit, Klima- und
Biodiversitätsschutz zu nutzen sowie sich innerhalb der EU für eine rasche
Mobilisierung der im Rahmen der CBD zugesagten zusätzlichen
Finanzmittel einzusetzen;

43. sich innerhalb der EU für eine rasche, sanktionsbewehrte und rechtsver-
bindliche Umsetzung des Nagoya-Protokolls über den Zugang und gerech-
ten Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen einzusetzen

und die Staaten Lateinamerikas und der Karibik bei der Umsetzung des Pro-
tokolls zu unterstützen;

Drucksache 17/11838 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

44. sich gemeinsam mit der EU und insbesondere den Tropenwaldländern Latein-
amerikas und der Karibik für den Schutz der Rechte der im und vom Wald
lebenden Menschen und den Schutz natürlicher Wälder einzusetzen und
darauf hinzuwirken, dass insbesondere indigene Gruppen in Klimaverhand-
lungen und bei der Gestaltung von Waldschutzprogrammen informiert und
frühzeitig in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden;

45. sich gemeinsam mit der EU und den Tropenwaldländern Lateinamerikas
und der Karibik für eine transparente, zuverlässige und öffentliche Finanzie-
rung des Schutzes der Tropenwälder und der Kompensation vermiedener
Entwaldung einzusetzen;

46. bilateral und auf der Ebene der EU die Debatte über die schwerwiegenden
Umweltschäden durch den Ausbau von Großwasserkraft, wie dem Stau-
damm Belo Monte in Brasilien, intensiver zu führen und für eine umwelt-
verträgliche Nutzung von Wasserkraft zu werben;

47. die bilaterale Zusammenarbeit und den Wissens- und Know-how-Transfer
im Bereich des technischen Umweltschutzes zu stärken, um auf der einen
Seite die Umsetzung der bestehenden Umweltgesetzgebung sicherzustellen
und auf der anderen Seite dringend notwendige Weiterentwicklungen bei
den Umweltstandards in den Bereichen Abfall-, Wasser- und Abwasserwirt-
schaft sowie der Chemiekaliensicherheit anzuregen;

Sozialer Zusammenhalt und Armutsbekämpfung

48. sich in Lateinamerika und der Karibik dafür einzusetzen, dass die struktu-
rellen Ursachen der extremen Ungleichheit und der Armut überwunden
werden, indem Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und der Umsetzung der
Landreformen mit den lateinamerikanischen Regierungen in den Verhand-
lungen um Assoziierungsabkommen und bilaterale Zusammenarbeit stärker
thematisiert werden;

49. sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union an ihren Zusagen in der
Entwicklungsfinanzierung festhält, mehr ODA-Mittel (ODA = Official Deve-
lopment Assistance) bereitstellt und in Lateinamerika und der Karibik vor
allem die ärmsten Länder in den Fokus nimmt;

50. über den politischen Dialog und die Entwicklungszusammenarbeit Land-
reformen durch Programme zur Raumordnung, des Aufbaus von Kataster-
ämtern und zur Klärung von Eigentumsfragen voranzutreiben;

51. gemeinsam mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik die Spekulation
mit Land einzudämmen, um eine weitere Konzentration des Landbesitzes
bei wenigen internationalen Investoren zu verhindern;

52. gemeinsam mit den LAK-Staaten aktiv gegen Steuerflucht und Steuerver-
meidung vorzugehen, damit auch transnationale Unternehmen und Wohlha-
bende ihren Beitrag zu einer gerechten Verteilung und zur Finanzierung von
sozialem Ausgleich leisten;

53. ein System des „Country-by-Country-Reporting“ bzw. „Projekt-by-Projekt-
Reporting“ zu etablieren, um zu garantieren, dass Steuern dort gezahlt
werden, wo Gewinne erzielt werden, Abkommen über den automatischen
Austausch von Steuerinformationen voranzutreiben, letztlich auf die Schlie-
ßung von Steueroasen weltweit hinzuwirken und innerhalb Lateinamerikas
und der Karibik einen Dialog zu unterstützen, um einen Steuerwettbewerb
nach unten zu vermeiden;

54. dem Thema Sozialpolitik in den Verhandlungen mehr Aufmerksamkeit zu

schenken und dabei eine rechtegeleitete und ökologische Sozialpolitik zu
befördern, die die Forderungen der Zivilgesellschaft mit einbezieht;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/11838

55. nach dem EU-Entwicklungsbericht 2010, der Möglichkeiten zur Stärkung
sozialer Sicherung in Afrika ausführlich diskutiert, einen analogen Bericht
auf EU-Ebene zu Lateinamerika zu initiieren;

56. dem Deutschen Bundestag die ILO-Konvention 169 (ILO = International
Labour Organization) zur Stärkung der Rechte indigener und in Stämmen
lebender Völker umgehend zur Ratifizierung vorzulegen und sich für eine
Verbesserung der Lebensverhältnisse und der Partizipationsmöglichkeiten
indigener Gruppen einzusetzen;

57. eine inklusive Wirtschaftsentwicklung zu befördern, indem soziale Bewe-
gungen vor Ort in ihrem Kampf für gute Arbeit und gute Löhne unterstützt
werden und indem europäische Unternehmen gesetzlich zur Offenlegung
von Informationen zu sozialen Aspekten ihrer Geschäftstätigkeit verpflich-
ten werden. Dabei muss geprüft werden, inwieweit Arbeitnehmerinnen- bzw.
Arbeitnehmerrechte, der Zugang der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitneh-
mer zu Gewerkschaften, faktische Arbeitszeiten und Löhne einbezogen
werden können;

Vielfalt anerkennen und fördern

58. die in einigen lateinamerikanischen Staaten diskutierten Alternativen zum
überkommenen Wachstums- und Entwicklungsmodell (etwa Buen Vivir in
Ecuador und Vivir Bien in Bolivien) anzuerkennen und gemeinsam mit den
lateinamerikanischen Partnerinnen und Partnern nach Alternativen zu
suchen, welche die für die EU wie für Lateinamerika relevante Fragen nach
einem würdigen und guten Leben für alle in den Fokus rücken;

59. lateinamerikanische Konzepte, welche die Natur als Rechtssubjekt definie-
ren (z. B. die in der ecuadorianischen und bolivianischen Verfassung veran-
kerten Rechte der Natur), ernst zu nehmen und falls von den lateinamerika-
nischen Partnerstaaten gewünscht, zu prüfen, in welcher Form dies in
Assoziierungsabkommen verankert werden kann;

60. das deutsche Auslandsschulwesen und die Stipendienvergabe des Deut-
schen Akademischen Austauschdienstes e. V. derart zu gestalten, dass sozial
benachteiligte und insbesondere indigene Bevölkerungsgruppen von deut-
schen Bildungsangeboten stärker profitieren als bisher;

61. sich bilateral und auf europäischer Ebene für eine Stärkung der Kooperation
im Bereich der Wissenschaft, der Förderung von Innovationspotentialen
und des Wissenstransfers einzusetzen.

Berlin, den 12. Dezember 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.