BT-Drucksache 17/10800

Energiewende sozial gestalten - Bezahlbare Strompreise gewährleisten

Vom 26. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10800
17. Wahlperiode 26. 09. 2012

Antrag
der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert,
Dorothee Menzner, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Barbara Höll,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen
Bockhahn, Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Katrin Kunert, Sabine Leidig,
Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens
Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Alexander Süßmair,
Dr. Axel Troost, Johanna Voß und der Fraktion DIE LINKE.

Energiewende sozial gestalten – Bezahlbare Strompreise gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit der Liberalisierung des Strommarktes und der 2007 erfolgten Abschaffung
der staatlichen Strompreisaufsicht sind die Strompreise für private Haushalte
dramatisch angestiegen. Während für die Anteilseigner der Konzerne die Ren-
diten weiter sprudeln, steigt die Belastung der durchschnittlichen Einkommens-
bezieher durch Energiekosten – bei sinkenden Realeinkommen. Immer mehr
Privathaushalte mit geringem Einkommen können die steigenden Energiepreise
nicht mehr bezahlen. Die Energiearmut in Deutschland nimmt rasant zu.

Nach Schätzungen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen waren im Jahr
2010 etwa 600 000 Haushalte von Stromsperren betroffen. Nach Angaben des
Paritätischen Gesamtverbandes waren im Jahr 2011 allein 200 000 Hartz-IV-
Empfängerinnen und -Empfänger von der Stromversorgung abgeklemmt. Das
Fehlen einer systematischen bundesweiten Erhebung der Anzahl der Stromsper-
ren ist ein eklatantes Versäumnis der Bundesregierung.

Unstrittig ist, dass der einzig gangbare Weg zu einer sicheren, umweltfreund-
lichen und bezahlbaren Energieversorgung über erneuerbare Energien, Energie-
effizienz und Energieeinsparung führt. Um eine bezahlbare Energieversorgung
für alle zu gewährleisten, muss der Strommarkt sozial gerecht, klimaschutz-
orientiert und verbrauchergerecht reguliert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine bundeseinheitliche, staatliche Strompreisaufsicht einzuführen und so

auszugestalten, dass sie Marktmachtmissbrauch, Manipulationen am Strom-
markt sowie anderweitige, leistungslos erzielte und preistreibende Extrapro-
fite und damit den unbegründeten Anstieg der Strompreise verhindern kann.
Der Preisaufsicht soll ein Verbraucherbeirat mit Vertreterinnen und Vertre-
tern von Verbraucher-, Sozial- und Umweltverbänden zur Seite gestellt wer-
den;

Drucksache 17/10800 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Energieversorger zu verpflichten, ein Sockeltarifmodell einzuführen, das
sozial gerecht ist und ökologische Anreize schafft. Bei diesem progressiven
Modell steht jedem Privathaushalt ein an der Haushaltsgröße orientiertes kos-
tenloses Grundkontingent an Strom zu. Der darüber hinausgehende Ver-
brauch unterliegt steigenden Tarifen, um Energiesparen zu fördern. Die Situ-
ation von Haushalten mit elektrischer Heizung und Warmwasseraufbereitung
soll durch geeignete Regelungen besondere Berücksichtigung finden. Zur
Förderung eines sparsamen Umgangs mit Energie sind kostenfreie Energie-
beratungen anzubieten;

3. die Privilegierung großer Unternehmen bei Strompreisbestandteilen zu Las-
ten der privaten Haushalte, des Handwerks und des Mittelstands abzubauen
und nur wenige notwendige Ausnahmen für besonders energieintensive Be-
triebe zu genehmigen;

4. eine Abwrackprämie für veraltete „Energiefresser“ einzuführen und zusätz-
liche geeignete Instrumente für Haushalte mit geringen Einkommen zu schaf-
fen, damit alte Elektrogeräte mit hohem Energieverbrauch durch energieeffi-
zientere und damit sparsamere ersetzt werden können;

5. Stromsperren aufgrund von Zahlungsunfähigkeit von Verbraucherinnen und
Verbrauchern zu verbieten. Für diese Härtefälle und geschützte Personen sind
geeignete Regelungen zu entwickeln, damit der notwendige Zugang zur
Energie jederzeit gewährleistet bleibt und

6. jene Stromnetze, die in privatem Besitz sind, in öffentliche Hände zu über-
führen und – flankiert von Beiräten aus Verbraucher- und Umweltverbän-
den – demokratisch zu kontrollieren sowie bundeseinheitliche Netzentgelte
für die Stromkundinnen und Stromkunden über einen Ausgleichsmechanis-
mus zwischen allen Netzbetreibern einzuführen.

Berlin, den 26. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Steigende Energiepreise stellen seit Langem für Haushalte mit Durchschnitts-
einkommen eine enorme Belastung dar und führen insbesondere bei Haushalten
mit geringem Einkommen zu finanziellen Problemen. Dabei haben Haushalte
mit geringem Einkommen im Regelfall bereits einen niedrigeren Energiever-
brauch als finanziell besser Gestellte. Nach Angaben des Statistischen Bundes-
amtes stiegen die Kosten der Privathaushalte für Strom gegenüber dem Jahr
2000 um über 70 Prozent. Ein nicht geringer Teil der Preissteigerung geht auf
die Privilegierung der Großindustrie und der Energiekonzerne zu Lasten und auf
Kosten der privaten Stromkunden und kleiner Unternehmen zurück. Als Bei-
spiele für die einseitige Verteilung der Kosten seien hier nur die EEG-Umlage,
die Ökosteuer, die Netzentgelte oder die vorgesehene Übernahme von Haftungs-
risiken für Netzbetreiber durch die Verbraucherinnen und Verbraucher genannt.

Energieversorgung als Grundvoraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaft-
lichen Leben gehört zur Daseinsvorsorge und muss als soziales Recht durch
geeignete Regelungen verankert und jederzeit gewährleistet werden. Daher
muss die Energiewende sozial ausgestaltet werden. Insbesondere einkommens-
schwache Haushalte sind zu schützen. Ein soziales Sockelmodell mit kosten-

freien Basiskontingenten und teurerem Zusatzverbrauch würde dies gewährleis-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10800

ten und gleichzeitig ökologische Anreize zum energiesparenden Verbrauch
setzen. Über die Stromgrundversorgungsverordnung sind Stromsperrungen bei
Zahlungsunfähigkeit zu verbieten. Gleichzeitig ist eine Offensive für Energie-
effizienz und Energieeinsparung zu starten. Energieberatungen zur Reduzierung
des Stromverbrauchs sollen kostenfrei angeboten werden.

Alte, energiefressende Elektrogeräte erhöhen die Stromrechnungen substantiell
und belasten durch ihren überhöhten Verbrauch das Klima zusätzlich. Es ist des-
halb Zeit für eine Abwrackprämie. Dies könnte beispielsweise über Gutscheine
geschehen, die einen Teil der Kosten einer Neuanschaffung abdecken, sofern ein
neues Gerät nachweislich energiesparend ist (mindestens A++-Standard). Zur
Finanzierung dieser Abwrackprämie könnten die Einnahmen durch die Mehr-
wertsteuer herangezogen werden, die rechnerisch auf der EEG-Umlage liegt.

Stromnetze sind natürliche Monopole. Jene, die in privatem Besitz sind, sollten
nicht zuletzt deshalb in die öffentliche Hand überführt werden. Die Übertra-
gungsnetze sollten durch eine öffentliche Netzgesellschaft unmittelbar demokra-
tisch betrieben und kontrolliert werden – flankiert von Beiräten aus Verbraucher-
und Umweltverbänden und weiterhin überwacht durch die Bundesnetzagentur.
Durch eine geeignete Umlage sollten zudem die bundesweit uneinheitlichen
Netzentgelte angeglichen werden, um die bis zu 20 Prozente höhere Belastung
der privaten Haushalte im Norden und Osten aufgrund der um bis zu 50 Prozent
höheren Netzentgelte der dortigen Netzbetreiber auszugleichen.

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