BT-Drucksache 17/1011

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurf der Bundesregierung -17/200, 17/201, 17/611, 17/623 17/624, 17/625- Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) hier: Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Vom 15. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1011
17. Wahlperiode 15. 03. 2010

Änderungsantrag
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Martina
Bunge, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald,
Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus,
Diana Golze, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael
Leutert, Thomas Lutze, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Ingrid Remmers, Dr. Ilja
Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander
Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/200, 17/201, 17/611, 17/623, 17/624, 17/625 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010
(Haushaltsgesetz 2010)

hier: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 16 Mrd.
Euro erhöht, um folgende Änderungen zu finanzieren:

a) die Anhebung des Regelsatzes in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf 500 Euro;

b) die analoge Anhebung der Regelsätze für die Sozialhilfe sowie die
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im SGB XII sowie

c) die Integration von Asylsuchenden, geduldeten und Bürgerkriegsflücht-
lingen in die Sicherungssysteme nach dem SGB II und SGB XII.

2. Die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 5 Mrd.
Euro erhöht, um die Beiträge an die Krankenkassen für Leistungsbeziehende
im SGB II auf ein angemessenes Niveau anzuheben.

Berlin, den 15. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/1011 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

1. Das soziokulturelle Existenzminimum wird durch die Grundsicherungsleis-
tungen nach dem SGB II und dem SGB XII nicht gewährleistet. Die von der
Bundesregierung ermittelten Werte decken selbst nach der Logik des Statistik-
modells, also nach der Logik des geltenden Rechts, das soziokulturelle Exis-
tenzminimum nicht ausreichend ab. Die Armutsgefährdungsgrenze lag in
Deutschland nach der Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebens-
bedingungen (EU-SILC) (veröffentlicht als „LEBEN IN EUROPA 2008: Er-
gebnisse für Hauptindikatoren“) für eine/einen Alleinstehende/Alleinstehenden
bei 913 Euro. Der Hartz-IV-Regelsatz liegt, wenn man von durchschnittlichen
Kosten der Unterkunft ausgeht, bei rund 650 Euro. Hartz IV ist damit Armut
per Gesetz. Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung,
IAB, bestätigt, dass in sämtlichen Haushaltskonstellationen die Nettoeinkom-
men der Grundsicherungsbeziehenden unterhalb der Armutsschwelle von
60 Prozent des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens liegen, sofern sie
keine sonstigen Einkommen haben (IAB-Discussion Paper 34/2008, S. 16).
Daten aus umfassenden Haushaltsbefragungen des IAB zeigen die prekären
Verhältnisse auf, in denen Grundsicherungsbeziehende leben müssen: „Jeweils
6-8 % der ALG-II-Bezieher berichten, dass sie sich keine warme Mahlzeit am
Tag leisten können, dass die Wände ihrer Wohnung feucht sind, dass sie
Probleme mit der pünktlichen Bezahlung der Nebenkosten haben oder dass sie
rezeptfreie Medikamente nicht bezahlen können“ (Informationsdienst Soziale
Indikatoren ISI 40 – Juli 2008, S. 7 bis 10). Damit ist klar: Ein menschenwür-
diges Leben als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft ist mit den Regel-
sätzen der Grundsicherungssysteme nicht möglich. Dies zu garantieren ist aber
ein Verfassungsauftrag für die Politik, der sich aus den grundlegenden Prinzi-
pien der Menschenwürde (Artikel 1 des Grundgesetzes – GG) und des Sozial-
staatsgebots (Artikel 20 GG) zwingend ergibt. Diesen Auftrag hat das Bundes-
verfassungsgericht mit seinem Urteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen vom 9. Feb-
ruar 2010 (BvL 1/09, 3/09, 4/09) eindrucksvoll bestätigt und als dringenden
Handlungsauftrag an die Bundesregierung formuliert.

Nach den Expertisen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und von Erwerbs-
loseninitiativen wurden die Regelsätze durch willkürliche und nicht nachvoll-
ziehbare Abschläge zu niedrig angesetzt. Berücksichtigt man darüber hinaus
die notwendige Anpassung an die Inflation, so wäre eine Anhebung auf mittler-
weile etwa 440 Euro geboten. Der sachlich gebotene Regelsatz erhöht sich auf
500 Euro, wenn folgende zwei Gesichtspunkte zusätzlich berücksichtigt wer-
den:

● unzulässige Zirkelschlüsse müssen vermieden werden durch die Heraus-
rechnung von „verdeckt Armen“ – also Hilfeberechtigten, die ihre Leis-
tungsansprüche aber nicht realisieren –, und

● um Unter- und Fehlernährung bei den Hilfeberechtigten zu verhindern, ist
zumindest für die Existenzsicherung durch Ernährung von den tatsäch-
lichen, konkret zu bestimmenden Bedarfen statt von Verbrauchen einer
ebenfalls armen und mit zu geringen Mitteln ausgestatteten Referenzgruppe
auszugehen.

Die Anhebung der Regelsätze muss zeitgleich für die Sozialhilfe und die
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im SGB XII erfolgen. Zu-
dem ist die Ausgliederung von Asylsuchenden, geduldeten und Bürgerkriegs-
flüchtlingen in eigene, residuale Leistungssysteme mit repressiven Bedingun-
gen und schlechterem Leistungsniveau abzuschaffen. Asylsuchende müssen in
die regulären Grundsicherungssysteme integriert werden.

Die Kosten für eine Anhebung des Eckregelsatzes auf 500 Euro sind nicht
exakt zu bestimmen. Unter Berücksichtigung der Modellrechnungen des IAB

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1011

(Kurzbericht 11/2008) kann etwa von 16 Mrd. Euro an zusätzlichen Kosten
ausgegangen werden. Mit diesen veranschlagten Mitteln sind sowohl die Anhe-
bung des Eckregelsatzes, ausreichende und bedarfsdeckende Regelleistungen
für Kinder und Jugendlichen und zusätzliche Ausgaben für die Kosten der Un-
terkunft zu finanzieren.

Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe von 10 Euro kann
diese Kosten erheblich begrenzen. Bereits die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns in Höhe von 7,50 Euro führt nach Angaben des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales zu Einsparungen von 1 bis 1,5 Mrd. Euro. Eine
weitere Entlastung des Titels Arbeitslosengeld II im Einzelplan 11 findet durch
die Verbesserung und Ausweitung der sog. vorgelagerten Leistungen wie Ver-
längerung des Arbeitslosengeldanspruchs, Verbesserung von Wohngeld und
Kinderzuschlag statt.

Die zitierte Analyse des IAB (Kurzbericht 11/2008) zu den Effekten einer Er-
höhung des Regelsatzes zeigt, dass die Maßnahme in der gewünschten Weise
wirkt. Die Einkommen der unteren Einkommensgruppen profitieren bereits bei
einer Erhöhung der Regelleistungen auf 420 Euro in einer spürbaren, aber noch
deutlich unzureichenden Größenordnung. Eine gesellschaftliche Umverteilung
von Reich zu Arm wird eingeleitet. Allein durch diese isolierte Maßnahme wird
die Armuts-(risiko-)quote um 2 Prozentpunkte gesenkt. In besonderer Weise
profitieren die Alleinerziehenden: deren Armutsrisiko sinkt von 22,5 Prozent
auf 15 Prozent. Mit einer Anhebung der Regelleistung auf 500 Euro werden die
politischen Ziele der gesellschaftlichen Umverteilung und der Armutsbekämp-
fung sehr viel nachhaltiger erreicht.

2. Der Pauschalbeitrag für ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher liegt mit der-
zeit etwa 126 Euro im Monat gerade bei der Hälfte der durchschnittlichen Ein-
nahmen für gesetzlich Krankenversicherte. Diese vom Gesetzgeber festge-
legten Beiträge für Arbeitslose sind bei Weitem nicht angemessen. Als
Orientierungswert für einen angemessenen Krankenversicherungsbeitrag kön-
nen die pro Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch-
schnittlich entrichteten Beiträge dienen. Sowohl die Angaben des GKV-Spit-
zenverbandes als auch eigene Berechnungen auf Grundlage der Zahlen der
Bundesregierung (Stand: September 2009) kommen zu dem gleichen Ergebnis:
Die Erhöhung des Beitrages für ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher auf ca.
260 Euro pro Monat und Mitglied würde den Bund rund 5 Mrd. Euro kosten.
Die Krankenkassen würden Mehreinnahmen in derselben Höhe erzielen, wo-
durch der Kostendruck im Gesundheitswesen ein Stück weit gemindert würde.

Zusatzbeiträge, die allein die Versicherten tragen müssen, wären damit 2010
nicht erforderlich.

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