BT-Drucksache 16/9758

Vorschlag Ecuadors für den globalen Klima- und Biodiversitätsschutz prüfen und weiterentwickeln - Schutz des Yasuní-Nationalparks durch Kompensationszahlungen für entgangene Einnahmen erreichen

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9758
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Anette Hübinger, Dr. Wolf Bauer,
Hartwig Fischer (Göttingen), Norbert Geis, Manfred Grund, Jürgen Klimke,
Hartmut Koschyk, Sibylle Pfeiffer, Dr. Norbert Röttgen, Volker Kauder,
Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU
und der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gregor Amann, Elvira Drobinski-Weiß,
Detlef Dzembritzki, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, Iris Hoffmann
(Wismar), Dr. Bärbel Kofler, Walter Kolbow, Ute Kumpf, Lothar Mark, Thomas
Oppermann, Christel Riemann-Hanewinckel, Walter Riester, Heinz Schmitt
(Landau), Frank Schwabe, Dr. Ditmar Staffelt, Hedi Wegener, Dr. Wolfgang
Wodarg, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Undine Kurth (Quedlinburg), Thilo Hoppe,
Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Renate Künast, Fritz Kuhn, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter Hettlich,
Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Markus Kurth, Anna
Lührmann, Nicole Maisch, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Krista Sager, Manuel
Sarrazin, Dr. Gerhard Schick, Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn,
Hans-Christian Ströbele, Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vorschlag Ecuadors für den globalen Klima- und Biodiversitätsschutz prüfen
und weiterentwickeln – Schutz des Yasuní-Nationalparks
durch Kompensationszahlungen für entgangene Einnahmen erreichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Vorschlag Ecuadors vom 5. Juni 2007, das Gebiet Ishpingo-Tambococha-
Tiputini (ITT) im Nationalpark Yasuní vor Beeinträchtigungen durch die Förde-
rung von Erdöl zu schützen, ist ausdrücklich zu begrüßen. Er ist von besonderer
Bedeutung für den Erhalt eines weltweit einmaligen Biosphärenreservates und

für den Schutz der dort lebenden indigenen Völker. Darüber hinaus ist er eine
Bereicherung für die notwendige Diskussion über den Beitrag der Entwick-
lungsländer zum globalen Klimaschutz und den Wert der biologischen Vielfalt.
Im Gegenzug für den Schutz des ITT-Gebietes und den Verzicht auf die Ölför-
derung, was durch international bindende Verträge dauerhaft gesichert werden
soll, fordert Ecuador, dass sich die internationale Gemeinschaft auf Kompensa-
tionszahlungen an Ecuador verständigt. Dabei steht der Schutz der Biodiversität

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im Vordergrund und nicht der Verzicht auf die Nutzung von Erdölvorkommen.
Es soll kein Präzedenzfall geschaffen werden, der die internationalen Klima-
schutzverhandlungen durch unerfüllbare Finanzforderungen erdölfördernder
Länder gefährdet.

Ecuador erwartet, dass verschiedene Geber die Hälfte der erwarteten Einnah-
meausfälle als Beitrag zur Erhaltung des Funktions- und Existenzwertes des
weltweit einmaligen Ökosystems Yasuni finanzieren. Dies wären nach aktuellen
Berechnungen 350 Mio. US-Dollar pro Jahr über einen Zeitraum von dreizehn
Jahren. Die ecuadorianische Regierung selbst will die andere Hälfte tragen, was
für das Land ein enormer Kraftakt wäre, aber gleichzeitig auch ein Signal für die
Ernsthaftigkeit ihres Vorschlags. Präsident Rafael Correa hat eine Frist von ei-
nem Jahr gesetzt, innerhalb derer verbindliche Finanzzusagen für einen Kom-
pensationsfonds abgegeben werden können. Ist die Finanzierung nach Ablauf
der Frist im Juni/Juli 2008 nicht gesichert, so ist davon auszugehen, dass der
Schutzstatus aufgehoben und das Ölfeld im ITT-Gebiet zur Förderung freigege-
ben wird. Die Folgen im Falle der Ölförderung wären für den Yasuní-National-
park unumkehrbar. Die Schäden durch die infrastrukturelle Erschließung sind
immens. Mit dem Verlegen der Pipelines und dem damit verbundenen Straßen-
bau ziehen Menschen in den Urwald nach, roden den wertvollen Baumbestand
und lassen sich dort nieder. Die lokale indigene Bevölkerung wird zwangsläufig
aus ihrem ursprünglichen Lebensraum verdrängt werden. Der Zustand schon
erschlossener Gebiete im Amazonas ist katastrophal, da mangelndes Bewusst-
sein, Unzuverlässigkeiten und Leckagen zu einer schleichenden Vergiftung des
Amazonas beitragen.

Im Januar dieses Jahres hat die Regierung Ecuadors ihren Willen bekräftigt,
ihren Vorschlag umzusetzen. Sie hat ein ITT-Sekretariat eingerichtet und einen
ITT-Sonderbeauftragten eingesetzt, um die Realisierung des Vorschlags voran-
zutreiben. Der ITT-Sonderbeauftragte Francisco Carrión Mena hat seitdem in
zahlreichen Staaten – so auch im März in der Bundesrepublik Deutschland – den
ITT-Vorschlag im Gespräch mit Parlamentariern und Regierung vorgestellt. Zur
Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten für noch offene Fragen hat das Bundes-
ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) be-
reits Hilfe und Mittel für den Einsatz von Kurzzeit-Experten bereitgestellt.

Das Gebiet Ishpingo-Tambococha-Tiputini (ITT) ist ein Teil des Nationalparks
Yasuní. Yasuní liegt in der nordwestlichen Amazonas-Region und gilt aufgrund
seiner einzigartigen Artenvielfalt als Weltnaturschutzerbe. 1989 wurde er von
der UNESCO ins Biosphärenschutzprogramm aufgenommen. Auf einem Hektar
finden sich im Yasuní-Nationalpark fast genauso viele Baumarten, wie in ganz
Nordamerika zusammen, auf einem Baum finden sich mehr Käferarten als in
ganz Europa und von den 1 300 Vogelarten des gesamten Amazonasbeckens be-
heimatet der Yasuní 567. Auf dem Gebiet des Nationalparks leben indigene Völ-
ker, deren Kultur und Lebensweise eng mit dieser Naturvielfalt und dem Wald
verbunden sind. Unter ihnen sind die Tagaeri und Taromenane, die bis heute
ohne Kontakt zur Zivilisation leben und die auch das ITT-Gebiet bewohnen.

Trotz des Schutzanspruches des Yasuní als Nationalpark gibt es im Amazonas-
raum Ecuadors bereits seit geraumer Zeit Ölfördergebiete, so genannte Blocks,
die zum Teil auch auf das Gebiet des Yasuní reichen. Der ITT-Block liegt fast
zur Gänze auf dem Gebiet des Nationalparks und beherbergt nachweislich
mindestens 412 Mio. Barrel Öl. Schätzungen gehen jedoch insgesamt von etwa
920 Mio. Barrel aus. Die Förderung des Öls in dieser Gegend wäre mit hohen
ökologischen Schäden verbunden und würde den Lebensraum ursprünglicher
autochthoner Kulturen vernichten. Denn die bisherigen Erfahrungen mit Stan-
dards und Sicherung der 40-jährigen Ölförderung in Ecuador sind katastrophal

und sie trägt heute noch zur großflächigen Verseuchung des Lebensraums bei.
Darüber hinaus forciert sowohl die Ölförderung durch Vernichtung von Wald-

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flächen als auch die spätere Nutzung des Öls den Klimawandel, da fossile Ener-
gieträger ebenso wie die Entwaldung zu den Hauptverursachern des Klima-
wandels gehören. Allein die Rodung der Urwälder trägt mit etwa 20 Prozent zur
jährlichen weltweiten CO2-Emission bei. Freigesetzt wird hierbei nicht nur der
Kohlenstoff, der in der Vegetation gespeichert ist, sondern auch der aus dem
Boden.

Auf Initiative des ehemaligen Energieministers Alberto Acosta übernahm die
ecuadorianische Regierung unter Präsident Rafael Correa am 5. Juni 2007 offi-
ziell den Vorschlag, zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und des Lebensrau-
mes indigener Völker das Öl aus dem ITT-Gebiet nicht zu fördern und damit auf
geschätzte jährliche Einnahmen von etwa 700 Mio. US-Dollar zu verzichten.
Ecuador geht davon aus, dass sich in den ersten 13 Jahren der Ölförderung im
ITT-Gebiet diese Summe erwirtschaften lässt, danach sinken Produktivität und
Einnahmen kontinuierlich. Voraussetzung für die Umsetzung des Vorschlags ist,
dass die internationale Gemeinschaft 13 Jahre lang die Hälfte der prognostizier-
ten Einnahmen, also 350 Mio. US-Dollar jährlich, in einen Fonds einzahlt. Für
die andere Hälfte will Ecuador selbst aufkommen. Im Gespräch ist auch die
Kapitalisierung eines Fonds, der – mit einem Kapital von 4 Mrd. US-Dollar
ausgestattet – eine fortlaufende Rendite in Höhe des von Ecuador geforderten
jährlichen Beitrags erwirtschaften könnte. Aus dem Fonds will Ecuador in So-
zialprojekte, den Aufbau alternativer Energiequellen, Natur- und Umwelt-
schutzprojekte und Ökotourismus investieren. Im Gegenzug will sich Ecuador
über international bindende Verträge verpflichten, das ITT-Gebiet dauerhaft un-
ter Schutz zu stellen und von Beeinträchtigungen für die biologische Vielfalt und
den Lebensraum indigener Völker durch die Ölförderung abzusehen. Denkbar
wäre auch die Ausstellung von Schuldscheinen, die die Geber entsprechend
ihres eingezahlten Betrags erhalten. Sollte Ecuador die Vereinbarung brechen
und das Öl zur Förderung freigeben, müsste es die Beträge an die einzelnen
Geber zurückzahlen.

Die ecuadorianische Regierung hat verschiedene Möglichkeiten vorgeschlagen,
wie sich die Kompensationszahlungen zusammensetzen könnten:

● Schuldenerlasse (bilaterale Schulden, Schulden beim Pariser Club, Schulden
bei multilateralen Organisationen),

● Beiträge von Staaten,

● Beiträge von Nicht-Regierungsorganisationen und anderen zivilgesellschaft-
lichen Gruppen,

● Beiträge von Einzelpersonen.

Im Juni/Juli 2008 läuft die von Präsident Correa zunächst gesetzte Frist von
einem Jahr aus. Danach soll durch verbindliche Finanzzusagen bzw. Finanzie-
rungsvorschläge die Umsetzung des ITT-Vorschlags gesichert sein. Ansonsten
wird Ecuador mit der Ausbeutung der Ölvorkommen im ITT-Block beginnen.
Allerdings hat Präsident Correa den Vorschlag erst im September 2007 vor der
UN-Vollversammlung vorgestellt. Ein technisches Sekretariat und einen Son-
derbeauftragten der Regierung zur Unterstützung des Vorschlags gibt es seit
Januar dieses Jahres, in dem die vielfältigen, jetzt anstehenden Fragen geklärt
werden sollen. So ist unter anderem zu klären, wer den einzurichtenden Fonds
verwaltet und wie eine verbindliche Regelung zum Schutz des ITT-Gebietes
ausgestaltet werden soll. Zudem gilt es verlässliche Berechungen über die
Ölvorkommen im ITT-Block vorzunehmen und sich auf einen Berechnungs-
modus für die möglichen Einnahmen durch Ölförderung zu verständigen. Eine
Verlängerung der Frist bis zum Ende des Jahres 2008 ist deshalb unbedingt
notwendig, um strittige Fragen zu klären und Vorschläge zur Umsetzung zu

erarbeiten, um so das Vertrauen potentieller Geber – Staaten wie Organisationen

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wie Zivilpersonen – zu gewinnen und diesen zukunftsweisenden Vorschlag
erfolgreich umzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich bei der Regierung Ecuadors für eine Verlängerung der Frist bis zum Ende
des Jahres 2008 einzusetzen, um eine genauere Prüfung der Vorschläge zu
ermöglichen und eine solide, wissenschaftlich abgedeckte Entscheidungs-
grundlage für eine Annahme des Vorschlages zu schaffen;

2. neben ihrer allgemeinen Unterstützung des ITT-Vorschlags, grundsätzlich
ihre Bereitschaft zu erklären, sich nach Findung eines soliden, gerechten und
möglichst haushaltsschonenden Finanzierungsmechanismus gemeinsam mit
anderen Gebern im Rahmen der geltenden Haushaltsplanung des Bundes
finanziell zu beteiligen;

3. die Regierung Ecuadors bei der Erarbeitung konkreter Vorschläge zur Ein-
richtung eines Kompensationsfonds und bei der Einbindung anderer bi- und
multilateraler Geber zu unterstützen;

4. dazu die Erstellung einer Studie zu initiieren, die die kritischen Fragen (zum
Beispiel Unsicherheiten hinsichtlich des tatsächlichen Ölförderpotenzials
und damit der Inwertsetzung des ITT) und technischen Probleme bei der Ver-
wirklichung des ITT-Vorschlags (einschließlich Schutzgebietsmonitoring)
aufgreift, Lösungsansätze aufzeigt und Finanzierungsoptionen zur Kompen-
sation benennt. Anknüpfungspunkt für die Leistung von Kompensationszah-
lungen bildet dabei die Erhaltung der biologischen Vielfalt in dem Gebiet;

5. dabei sicherzustellen, dass ein etwaiger Kompensationsmodus nachhaltig,
transparent, effizient und im Sinne der lokalen Bevölkerung gerecht gestaltet
wird und von etwaigen politischen Veränderungen vor Ort unangetastet
bleibt;

6. einen Schuldenerlass für Ecuador als Beitrag zu den Kompensationszahlun-
gen nochmals zu prüfen und bei den Partnern innerhalb der Europäischen
Union bzw. des Pariser Clubs für ein debt-for-nature-swap zu werben;

7. innerhalb der EU und der OECD diese Initiative zu befördern und möglichst
viele Partnerregierungen für ein finanzielles und politisches Engagement zu
gewinnen;

8. in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuwirken, dass der Schutz des Ya-
suní-Nationalparks insgesamt politisch gestärkt und Ecuador technisch dabei
unterstützt wird, dieses Gebiet wirkungsvoll zu schützen bzw. nachhaltig zu
nutzen, um alternative Einnahmequellen für die örtliche Bevölkerung zu er-
schließen;

9. darüber hinaus zu prüfen, inwieweit der ITT-Vorschlag bzw. der gefundene
Finanzierungs- und Verteilungsmechanismus grundsätzlich Erfahrungswerte
für den Schutz vergleichbarer sensibler Ökosysteme in Entwicklungsländern
liefern kann und inwieweit dieser Mechanismus dann in ein künftiges inter-
nationales Finanzierungsregime überführt werden könnte, um singuläre
Fonds-Lösungen zu überwinden.

Berlin, den 25. Juni 2008

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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