BT-Drucksache 16/11773

Zehn Jahre anerkannte Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland Schutz - Förderung - Perspektiven

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11773
16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Maria Michalk, Dr. Hans-Peter
Uhl, Ralf Göbel, Günter Baumann, Clemens Binninger, Wolfgang Bosbach, Helmut
Brandt, Reinhard Grindel, Hans-Werner Kammer, Alois Karl, Kristina Köhler
(Wiesbaden), Hartmut Koschyk, Stephan Mayer (Altötting), Beatrix Philipp,
Klaus Riegert, Dr. Norbert Röttgen, Ingo Wellenreuther, Volker Kauder, Dr. Peter
Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Rainer Arnold, Klaus Uwe Benneter, Clemens Bollen,
Dr. Michael Bürsch, Garrelt Duin, Sebastian Edathy, Siegmund Ehrmann, Karin
Evers-Meyer, Gabriele Fograscher, Rainer Fornahl, Angelika Graf (Rosenheim),
Gabriele Groneberg, Wolfgang Gunkel, Hans-Joachim Hacker, Bettina Hagedorn,
Michael Hartmann (Wackernheim), Iris Hoffmann (Wismar), Frank Hofmann
(Volkach), Ernst Kranz, Volker Kröning, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Ute Kumpf,
Lothar Mark, Thomas Oppermann, Maik Reichel, Gerold Reichenbach, Christel
Riemann-Hanewinckel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Michael Roth (Heringen),
Axel Schäfer (Bochum), Swen Schulz (Spandau), Rüdiger Veit, Dr. Margrit Wetzel,
Dr. Dieter Wiefelspütz, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dr. Peter Struck und der
Fraktion der SPD

Zehn Jahre anerkannte Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland
Schutz – Förderung – Perspektiven

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minder-
heitensprachen hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die tradi-
tionell auf ihrem Gebiet gesprochenen Sprachen als bedrohten Aspekt des euro-
päischen Kulturerbes zu schützen und zu fördern. Nach dem Gesetz vom 9. Juli
1998, verabschiedet vom Deutschen Bundestag mit Zustimmung des Bundes-
rates, ist die Charta am 1. Januar 1999 in Deutschland in Kraft getreten und gilt
als Bundesgesetz.

Mit der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ist ein
Meilenstein für Sprachtoleranz und Sprachförderung in Europa gesetzt worden.

Ausgangspunkt der Charta ist das unveräußerliche Recht der Menschen, sich im
privaten und öffentlichen Leben ihrer eigenen Regional- oder Minderheitenspra-
che zu bedienen. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Erstunterzeich-
nerstaaten dieser „Magna Charta“ für Regional- und Minderheitensprachen. Ein
umsichtiger, aktiver und auf Langfristigkeit angelegter Sprachenschutz sowie
die Sprachenförderung im eigenen Land dienen auch deutschen Sprachminder-
heiten in anderen Ländern.

Drucksache 16/11773 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Mit der Charta sollen traditionell in einem Vertragsstaat gesprochene Sprachen
als bedrohter Aspekt des europäischen Kulturerbes geschützt werden. Regional-
sprache im Sinne der Charta ist in Deutschland das Niederdeutsche. Als Minder-
heitensprachen werden die Sprachen der nationalen Minderheiten der Dänen,
Sorben (Nieder- und Obersorbisch), Friesen (Nord- und Saterfriesisch) und der
deutschen Sinti und Roma geschützt. Für diese Gruppen ist die Benutzung ihrer
Sprachen identitätsstiftend.

Um Kultur, Tradition und Identität auch in Zukunft zu bewahren, kommt der
jeweiligen Muttersprache besondere Bedeutung zu. Auch für die Mehrheitsbe-
völkerung wäre der Verlust von Regional- und Minderheitensprachen der Ver-
lust eines wichtigen traditionellen Kulturelements unserer Gesellschaft. Deshalb
ist es wichtig, eine gezielte und pointierte Minderheitenpolitik zu verfolgen. In
Europa und der ganzen Welt haben wir es mit Krisen und Problemen zu tun,
deren Ursprung in ungelösten Minderheitenkonflikten zu finden ist. Der Weg zu
friedlichen Lösungen kann hier wie dort nur über einen gleichwertigen interkul-
turellen Dialog gefunden werden. Diese Zielsetzung verfolgt auch die Europäi-
sche Sprachencharta. Jedoch vermerken die drei Kontrollberichte dieser zehn
Jahre, dass von den Ländern noch nicht alle geforderten Standards eingehalten
werden und ein verstärktes Sprachenengagement notwendig ist.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beschreibt in ihrer Mit-
teilung vom 10. Mai 2007 über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der
Globalisierung die Bedeutung der Förderung des Zugangs zur Kultur, insbeson-
dere durch die Verbreitung des kulturellen Erbes und die Förderung der Vielspra-
chigkeit. Die Bundesregierung sollte daher gemeinsam mit den Ländern weiter-
hin dafür Sorge tragen, dass die europäische Dimension der Sprachenförderung
forciert wird. Dazu gehört auch, dass neben den Vertragsparteien der Europä-
ischen Sprachencharta (Armenien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Kroatien,
Liechtenstein, Luxemburg, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich,
Rumänien, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tsche-
chische Republik, Ukraine, Ungarn, Vereintes Königreich, Zypern) auch alle
weiteren EU-Staaten zur Ratifizierung des Vertrages aufgefordert werden sollten.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:

1. Minderheitenpolitik mit den alteingesessenen Volksgruppen findet in der
Bundesrepublik Deutschland auf Augenhöhe statt. Sie sind in der Gesell-
schaft anerkannt, geachtet und verankert – so auch ihre öffentlich geäußerte
Selbsteinschätzung.

2. Minderheiten und Sprachgruppen stehen im Rahmen der europäischen Spra-
chencharta politisch gewollte Sonderrechte zu, damit sie ihre Identität be-
wahren können.

3. Minderheiten sind – bedingt durch das föderale Prinzip – durch Landesver-
fassungen geschützt. Diese gesetzliche Garantie gilt auch ganz besonders der
Sprache. Auch auf europäischer Ebene gelten entsprechende Schutzklauseln,
die einen Verfassungsrang haben.

4. Minderheiten haben durch die Schaffung des deutsch-dänischen europäisch
ausgerichteten Minderheitenzentrums (ECMI) in Flensburg, das zu 50 Pro-
zent vom Königreich Dänemark und zur weiteren Hälfte von der Bundes-
republik Deutschland und dem Land Schleswig-Holstein getragen wird, eine
wissenschaftliche Begleitung erfahren.

5. Mit der Gründung eines Bundesrates für Niederdeutsch ist für diese Regio-
nalsprache, die – vorwiegend im Norden der Bundesrepublik Deutschland –
von ca. 2,5 Millionen Menschen gesprochen und von ca. 9 Millionen Men-

schen verstanden wird, eine Stabilisierung – auch mit Hilfe von Bundesför-
derung – erreicht worden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11773

6. Der Bundesrat für Niederdeutsch arbeitet ebenso engagiert und konstruktiv
im „Beratenden Ausschuss für Fragen der Niederdeutschen Sprachgruppe“
beim Bundesministerium des Innern mit wie es auch die vier autochthonen
Minderheiten der Dänen, Friesen, Sinti und Roma und Sorben über das vom
Bundesministerium des Innern geförderte Minderheitensekretariat prakti-
zieren. Die Koordinierung der Angelegenheiten erfolgte 2002 durch die
Ernennung eines „Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen
und nationale Minderheiten“. Seit dem 1. Februar 2006 übt Parlamentari-
scher Staatssekretär Dr. Christoph Bergner diese Funktion aus.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung und die Länder
– jeweils im Rahmen ihrer grundgesetzlichen Zuständigkeiten – auf,

1. im Rahmen der eingegangenen Verpflichtungen aus der Europäischen
Sprachencharta dafür Sorge zu tragen, dass mehr als bisher im Bereich von
Bildungseinrichtungen, Schulen, Hochschulen, Verwaltung und Medien die
Regional- und Minderheitensprachen zur Geltung kommen;

2. für eine breite Veröffentlichung der in den drei mit Sachkenntnis erstellten
Staatenberichten zur Europäischen Charta für Regional- oder Minderhei-
tensprachen dargestellten Ergebnisse zu sorgen und ihren Beitrag zur Auf-
arbeitung und Behebung von Defiziten zu leisten;

3. die im Minderheitensprachenbericht genannten Empfehlungen aufzugrei-
fen und umzusetzen;

4. für eine zeitgemäße Angleichung der Fördermechanismen zu sorgen;

5. sich dafür einzusetzen – entsprechend der Anregung des 3. Kontrollbe-
richts –, dass die Ausführungsbestimmungen zum Erlernen von Minder-
heitensprachen in der Bundesrepublik Deutschland mittelfristig Vereinheit-
lichung erfahren;

6. in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat für Niederdeutsch ein Konzept für
die Sicherung dieser anerkannten Regionalsprache zu entwickeln;

7. in Abstimmung mit dem Königreich Dänemark und dem ECMI Projekte zur
Sicherstellung und Zukunft von Regional- und Minderheitensprachen zu
entwickeln;

8. mit den Gremien der EU und des Europarates Fördermaßnahmen für
Spracheninitiativen von Minderheiten zu schaffen;

9. den Dialog mit den Minderheiten- und Sprachengruppen auf allen gesell-
schaftlichen Ebenen weiter zu intensivieren;

10. das Jahr 2009 – zehn Jahre nach dem Inkrafttreten der Charta in Deutsch-
land – für einen Sprachenkongress zur Bedeutung der Regional- und
Minderheitensprachen und der Bedeutung der Mehrsprachigkeit in Europa
zu nutzen.

Berlin, den 28. Januar 2009

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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