Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 18.09.2013, Az. V ZB 163/12

5. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2681

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Gegenstand

Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof: Zur Frage der Aussetzungspflicht des später angerufenen nach der EuGVVO ausschließlich zuständigen Gerichts bis zur abschließenden Klärung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen nicht ausschließlich zuständigen Gerichts


Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen (ABl. EG 2000 Nr. L 12/1) dahin auszulegen, dass das später angerufene Gericht, das nach Art. 22 EuGVVO ausschließlich zuständig ist, gleichwohl das Verfahren aussetzen muss, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts, zu dessen Gunsten keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 EuGVVO besteht, abschließend geklärt ist?

Tenor

Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des [X.] - 13. Zivilsenat - vom 8. August 2012 wird ausgesetzt.

Dem [X.] wird nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 27 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. [X.] 2000 Nr. L 12/1) dahin auszulegen, dass das später angerufene Gericht, das nach Art. 22 [X.] ausschließlich zuständig ist, gleichwohl das Verfahren aussetzen muss, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts, zu dessen Gunsten keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 [X.] besteht, abschließend geklärt ist?

Gründe

I.

1

Die Beklagte ist Eigentümerin eines in [X.] ([X.]) belegenen Grundstücks, das mit einer Grundschuld belastet ist, aus der die Klägerin vollstrecken möchte. Mit ihrer seit dem 4. Mai 2011 bei dem Landgericht [X.] rechtshängigen Klage möchte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten erreichen, die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung über 155.000 € nebst Zinsen zu dulden.

2

Bereits am 2. Dezember 2010 hatte die Beklagte bei dem [X.] ([X.]) eine Klage sowohl gegen die Klägerin als auch gegen die in [X.] ansässige [X.] (im Folgenden: [X.]) erhoben mit dem Ziel festzustellen, dass die Grundschuld nicht wirksam an die Klägerin abgetreten worden, die zwischen den [X.]en geschlossene Sicherungszweckerklärung unwirksam und die Beklagte daher nicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet sei. Mit Blick auf die mitverklagte [X.] macht sie geltend, sie wolle sich an diesem Unternehmen beteiligen und die Investition mithilfe [X.] Banken finanzieren; die dafür erforderlichen Sicherheiten könne sie nicht aufbringen, wenn die Stellung der Sicherheit zu Gunsten der Klägerin wirksam sei. Mit Urteil vom 8. Mai 2012 verneinte das [X.] die Zuständigkeit der [X.] Gerichte. Die gegen die [X.] erhobene Klage diene offensichtlich nur dazu, in missbräuchlicher Weise die [X.] Gerichtsbarkeit zu beanspruchen. Eine Entscheidung über die gegen das Urteil eingelegte Berufung steht noch aus.

3

In dem vorliegenden Rechtstreit möchte die Beklagte zunächst eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 27 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([X.]. [X.] 2000 Nr. L 12/1; im Folgenden: [X.]) wegen anderweitiger Rechtshängigkeit erreichen. Ihr dahingehender Antrag ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte den Aussetzungsantrag weiter.

II.

4

Das Beschwerdegericht verneint die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits mit der Begründung, der Beklagten gehe es mit der in [X.] erhobenen Klage ausschließlich darum, rechtsmissbräuchlich einen Gerichtsstand zu erschleichen, um auf diese Weise die Aussetzung des in [X.] geführten Rechtsstreits nach Art. 27 [X.] zu erreichen. Vor diesem Hintergrund sei bei wertender Betrachtung davon auszugehen, dass sich der vorliegende Rechtstreit weder auf denselben Anspruch noch auf dieselben [X.]en wie das in [X.] angestrengte Verfahren beziehe. Es stünde im klaren und offenkundigen Widerspruch zum Zweck der [X.], wenn eine [X.] die Aussetzung durch Erhebung einer willkürlich konstruierten Klage erreichen könnte, die keinerlei materiellen internationalen Bezug aufweise. Derartige Feststellungen zu treffen, seien die [X.] Gerichte nicht gehindert. Entschieden werde nicht über die Zulässigkeit der in [X.] anhängigen Klage - wofür keine Prüfungskompetenz bestehe -, sondern allein über das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 27 [X.].

III.

5

Die Begründetheit der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaften und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde hängt in entscheidungserheblicher Weise von der Beantwortung der im Tenor formulierten Vorlagefrage durch den [X.] (im Folgenden: Gerichtshof) ab.

6

1. Der Anwendungsbereich der [X.] ist eröffnet. Das ergibt sich bereits aus der - sei es auch rechtsmissbräuchlichen - Klageerhebung in zwei Mitgliedstaaten (vgl. [X.], [X.]/02 - [X.], [X.], [X.] Rn. 41; [X.], [X.]. [X.] 1979 Nr. [X.], [X.]; [X.], ZPO, 22. Aufl., Art. 27 [X.] Rn. 11).

7

2. Die vorliegende Klage und das in [X.] geführte Verfahren betreffen denselben Anspruch [X.]. Art. 27 Abs. 1 [X.]. Der Begriff „desselben Anspruchs“ ist im Rahmen der [X.] autonom und weit auszulegen, um einander widersprechende Urteile [X.]. Art. 34 Nr. 3 [X.] zu vermeiden. Maßgeblich ist, ob der Kernpunkt beider Streitigkeiten derselbe ist. Das ist etwa im Verhältnis zwischen negativer [X.] und entsprechender Leistungsklage der Fall

([X.], 144/86 - Gubisch, Slg 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Rn. 11, 16, 18 f.; [X.]/92 - [X.], Slg 1994, [X.] = [X.] 1995, 943 Rn. 45, 48; [X.], Urteil vom 8. Februar 1995 - [X.], NJW 1995, 1758 f.; Urteil vom 11. Dezember 1996 - [X.], [X.]Z 134, 201, 210, jeweils zu Art. 21 [X.]; kritisch [X.], ZPO, 22. Aufl., Art. 27 [X.] Rn. 45).

8

So liegt es auch hier. Die Klage in [X.] richtet sich unter anderem auf die Feststellung, dass keine Verpflichtung zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld bestehe. Mit der vorliegenden Klage soll eben diese Duldung erreicht werden. Dass es im [X.] Verfahren noch um weitere Feststellungen geht, ist für die Identität des Streitgegenstands unerheblich. Kernpunkt ist jeweils die Frage, ob die Klägerin aus der Grundschuld vorgehen darf; jedenfalls ist der Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits vollständig vom [X.] Verfahren abgedeckt. Im Übrigen beschränkt sich der Gegenstand der Klage in [X.] nicht auf die Einbeziehung der [X.].

9

3. Beide Verfahren sind zwischen identischen [X.]en anhängig. Dabei ist die Identität unabhängig von der jeweiligen [X.]stellung. Auch ist unschädlich, wenn in einem Verfahren zusätzlich Dritte beteiligt sind. Das hat lediglich zur Folge, dass sich die Rechtsfolgen des Art. 27 [X.] auf diejenigen [X.]en beschränken, zwischen denen mehrere Verfahren anhängig sind (vgl. [X.], [X.]/92 - [X.], Slg 1994, [X.] = [X.] 1995, 943 Rn. 31, 33).

4. Entgegen der Auffassung des [X.] kann von einer Aussetzung nach Art. 27 Abs. 1 [X.] zumindest grundsätzlich nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs abgesehen werden. Dies ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits hinreichend geklärt.

In der Rechtssache [X.] ([X.]/02, [X.], [X.]) hat der Gerichtshof festgestellt, dass von der Aussetzungspflicht auch dann nicht abgewichen werden darf, wenn die Verfahrensdauer in dem Mitgliedstaat des Erstgerichts allgemein unvertretbar lang ist. Der Anregung in dem dortigen Verfahren, eine Ausnahme für den Fall zuzulassen, dass eine Klage bösgläubig und mit Blockadeabsicht vor einem unzuständigen Gericht erhoben wird, ist der Gerichtshof nicht gefolgt (aaO, Rn. 63; vgl. auch [X.], Vorlagebeschluss vom 1. Februar 2011 - [X.], [X.] 2011, 975 Rn. 20). In [X.] ([X.]/02, [X.], [X.] = [X.] 2004, 334) hat der Gerichtshof entschieden, einer [X.] könne die Betreibung eines Gerichtsverfahrens in einem anderen Vertragsstaat nicht mit der Begründung untersagt werden, mit der Klage werde wider [X.] und Glauben der Zweck verfolgt, das Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern. Die Beurteilung der Angemessenheit der Klageerhebung sei den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats grundsätzlich entzogen.

5. Durch den Gerichtshof klärungsbedürftig ist jedoch, ob die formale Betrachtungsweise auch dann anzustellen ist, wenn nur das später angerufene Gericht nach Art. 22 [X.] ausschließlich zuständig ist.

a) Vorliegend besteht zugunsten der [X.] Gerichte der ausschließliche Gerichtsstand der belegenen Sache nach Art. 22 Nr. 1 [X.]; für eine ebenfalls bestehende ausschließliche Zuständigkeit (dazu Art. 29 [X.]) auch der [X.] Gerichte ist nichts ersichtlich.

aa) Unter die - autonom und eng auszulegende - Vorschrift des Art. 22 Nr. 1 [X.] fallen u.a. Klagen, die darauf abzielen, Umfang oder Bestand eines dinglichen Rechts an einer unbeweglichen Sache zu bestimmen und den Inhabern dieser Rechte den Schutz der mit ihrer Rechtsstellung verbundenen Vorrechte zu sichern

(vgl. Senat, Urteil vom 18. Juli 2008 - [X.], [X.], 3502 Rn. 8 ff.; [X.], [X.]/88 - [X.], Slg 1990, [X.], Rn. 11; [X.]/04 - [X.], [X.], [X.] = [X.] 2006, 383 Rn. 30).

bb) Diese Voraussetzungen sind bei einer Klage, die auf die Verurteilung zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus einer Grundschuld gerichtet ist, nach allgemeiner Meinung erfüllt

([X.]/Schütze, [X.], 3. Aufl., Art. 22 [X.] Rn. 90; [X.]/von [X.], [X.], 9. Aufl., Art. 22 [X.] Rn. 15; Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, S. 114; [X.]/[X.], [X.] 2007, 190, 194; vgl. auch [X.]/[X.] in [X.]/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, Stand: Oktober 2011, Art. 22 [X.] Rn. 17; [X.]/[X.], [X.]/[X.] (2011), Art. 22 [X.] I-VO Rn. 7; [X.], ZPO, 22. Aufl., Art. 22 [X.] Rn. 14 f.; Borrás/[X.], [X.] [X.] I-VO, Art. 22 Rn. 11. - Zur [X.] nach § 466 des [X.] [X.] ebenso: [X.], Beschluss vom 23. November 1999 - 7 Ob 286/99f, [X.]. unter [X.], [X.] u., und ZfRV 2008, 77 m. zust. [X.] [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 2. Aufl., Art. 22 [X.] Rn. 14; [X.], [X.], Rn. II/129; [X.] in [X.]/Konecny, [X.], 2. Aufl., Art. 22 Rn. 32, 37, auch für die umgekehrte Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Grundpfandrechts).

Bei der Grundschuld handelt es sich um ein Grundpfandrecht, also ein beschränktes dingliches Recht an einem Grundstück, aufgrund dessen an denjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, eine Geldsumme zu zahlen ist (§ 1191 BGB). Die Grundschuld berechtigt den Gläubiger, sich im Wege der Zwangsvollstreckung aus dem Grundstück zu befriedigen (§ 1192 Abs. 1, § 1147 BGB). Dieser Duldungsanspruch gegen den Grundstückseigentümer stützt sich allein auf das dingliche Recht, nicht hingegen auf eine persönliche Forderung. Mit der [X.] will sich die Klägerin den Schutz der Vorrechte sichern, die mit der Rechtsstellung als Inhaberin der Grundschuld verbunden sind.

b) Damit kommt es auf die Frage an, ob die Aussetzungspflicht nach Art. 27 Abs. 1 [X.] auch dann gilt, wenn (nur) zugunsten des Zweitgerichts eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 [X.] besteht. Ist die Frage zu bejahen, so ist die Rechtsbeschwerde begründet und das Verfahren in der Hauptsache auszusetzen; ist sie zu verneinen, so ist die Rechtsbeschwerde unbegründet und das Verfahren in der Hauptsache fortzuführen.

aa) Die Frage der Aussetzungspflicht bei Bestehen einer ausschließlichen Zuständigkeit nur des Zweitgerichts ist in Rechtsprechung und Literatur ernsthaft umstritten

(die Frage verneinend [X.] Instancia Madrid, [X.]; [X.]] England and Wales, [X.]; [X.] [[X.]], [X.]; [X.], [X.]/02 - [X.], [X.], [X.], Rn. 51 ff. [ebenso die Auffassung der [X.], wiedergegeben in [X.], aaO Rn. 36, 40]; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., [X.]. 27-30 Rn. 57; [X.], [X.] [X.] I-VO, Art. 27 Rn. 9 f.; [X.] in [X.]/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, Stand: Oktober 2011, Art. 27 [X.] Rn. 33; [X.] in [X.]/[X.]/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 2. Aufl., Art. 27 [X.] Rn. 14; [X.], [X.], [X.] ff., 174; [X.], [X.] des jugements en Europe, 4. Aufl., Rn. 338-1; [X.], [X.] 1994, 133, 140; [X.]/[X.], [X.] 1993, 21, 24; zu Art. 21 Abs. 1 [X.] in der Fassung des Übereinkommens vom 27. September 1968 [[X.]. [X.] 1972 Nr. L 299/32, [X.]6], nach dem sich das Zweitgericht grundsätzlich für unzuständig erklären musste, auch: [X.], NJW 1991, 1427, 1428 [obiter dictum]; [X.], Civil Jurisdiction and Enforcement of Foreign Judgments, [X.] f., 1232; [X.]/[X.], [X.], Rn. 23.08; eingeschränkt [X.], [X.] des [X.] 1968, Rn. 115; eine Aussetzungspflicht bejahend [X.], Beschluss vom 16. Februar 2012 - 21 W 1098/11, juris Rn. 18 (14); [X.]/Schütze, [X.], 3. Aufl., Art. 27 [X.] Rn. 18; [X.]/von [X.], [X.], 9. Aufl., Art. 27 Rn. 19; [X.]/Leible, [X.]/[X.] (2011), Art. 27 [X.] I-VO Rn. 16b; Musielak/[X.], ZPO, 9. Aufl., Art. 27 [X.] Rn. 7; [X.] in [X.]/Konecny, [X.], 2. Aufl., Art. 27 [X.] Rn. 24 a.E.; [X.] in [X.]/Schlosser, [X.] ([X.]) No 44/2001 ([X.] Report), Rn. 356, 403; [X.], [X.], [X.] ff.; [X.], [X.], [X.] ff.; [X.], Parallelverfahren, [X.]85 ff.; zum [X.] bzw. [X.] vgl. auch [X.]/[X.], La Convention de [X.] 1968, Rn. 219 ff.; [X.], Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit nach dem [X.], [X.]7, 89; BaslerKommentar-[X.]/[X.], Art. 27 Rn. 52, 54; Dasser/[X.] - Dasser, [X.], Art. 21 Rn. 35).

bb) Der Gerichtshof hat ausdrücklich offen gelassen, ob auch in solchen Fällen nach Art. 16 [X.] (jetzt Art. 22 [X.]) der formalen Betrachtungsweise der Vorzug zu geben ist

([X.]/02 - [X.], [X.], [X.] Rn. 44 f., 52; [X.]/89 - [X.], Slg 1991, [X.] = NJW 1992, 3221 Rn. 20 f.; ebenso [X.], Urteil vom 8. Februar 1995 - [X.], NJW 1995, 1758, 1759).

cc) Davon abgesehen lassen sich für beide Auffassungen gute Argumente ins Feld führen.

(1) In Übereinstimmung mit dem Wortlaut von Art. 27 [X.], der auch bei Bestehen einer ausschließlichen Zuständigkeit keinen Anhaltspunkt für eine einschränkende Auslegung bietet, neigt der Senat zur Bejahung einer Aussetzungspflicht auch in Konstellationen der vorliegenden Art. Hinzu kommt, dass den Prozessparteien durch eine Aussetzung des [X.] in aller Regel kein unzumutbarer Nachteil entsteht. Durch die Klärung der [X.] wird die Erlangung effektiven Rechtsschutzes in der Regel allenfalls verzögert, nicht aber endgültig verhindert (vgl. auch [X.], [X.]/95 - von Horn, Slg 1997, [X.] = [X.] 1999, 100 Rn. 22 zu [X.]). Bei paralleler Prozessführung besteht demgegenüber die Gefahr eines positiven Kompetenzkonflikts und damit auch die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Dies gilt umso mehr, als die Prüfung, ob eine ausschließliche Zuständigkeit vorliegt, ihrerseits nicht stets eindeutig zu beantworten ist, und damit auch mit guten Gründen über die Frage gestritten werden kann, ob ein Rechtsmissbrauch gegeben ist, wenn eine Klage in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen erhoben wird, für den eine ausschließliche Zuständigkeit in Betracht kommt.

(2) Allerdings spricht für die Gegenauffassung, dass die Aussetzungspflicht nach Art. 27 [X.] nach ihrem Sinn und Zweck zwar vermeiden soll, dass Gerichtsentscheidungen nach Art. 34 Nr. 3 bzw. 4 [X.] wegen widersprechender Entscheidungen zur selben Sache nicht anerkannt werden können (vgl. insoweit [X.], 144/86 - Gubisch, Slg 1987, 4861 = NJW 1989, 665 Rn. 8; [X.]/02 - [X.], [X.], [X.] Rn. 41), dieser Zweck aber im Fall einer ausschließlichen Zuständigkeit des Zweitgerichts nach Art. 22 [X.] nicht einschlägig ist. Denn eine unter Verkennung dieser ausschließlichen Zuständigkeit ergehende Sachentscheidung des Erstgerichts wäre nach Art. 35 Abs. 1 [X.] ohnehin nicht anerkennungsfähig; anders verhält es sich nur bei einer Sachentscheidung unter Verkennung einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 [X.]. Zudem muss sich das Erstgericht nach Art. 25 [X.] von Amts wegen für unzuständig erklären, wenn eine ausschließliche Zuständigkeit des Zweitgerichts nach Art. 22 [X.] besteht. Davon kann weder aufgrund Gerichtsstandsvereinbarung noch aufgrund rügeloser Einlassung des Beklagten abgewichen werden (Art. 23 Abs. 5, Art. 24 Satz 2 [X.]; vgl. insoweit auch [X.], [X.]/10 - [X.], [X.] 2012, 347 Rn. 44; [X.]/03 - [X.], [X.], [X.] = [X.] 2006, 382, Rn. 24). Zwar ist die [X.] von dem Anliegen getragen, grundsätzlich eine wechselseitige Überprüfung der Zuständigkeit zwischen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten zu vermeiden (vgl. dazu [X.], [X.]/89 - [X.], Slg 1991, [X.] = NJW 1992, 3221 Rn. 24). [X.] setzt die Anwendung der Regelung des Art. 29 [X.], nach der sich das Zweitgericht bei doppelter ausschließlicher Zuständigkeit für unzuständig erklären muss, eine solche Prüfung durch das Zweitgericht ohnehin voraus. Dasselbe gilt im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung (Art. 35 Abs. 1, Art. 45 Abs. 1 [X.]).

6. Auch wenn die Vorlagefrage bereits Teil eines beim Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsersuchens ist ([X.]38/12; vgl. [X.], Beschluss vom 16. Februar 2012 - 21 W 1098/11, juris), erscheint eine erneute Vorlage sachdienlich. Zwar kommt in solchen Fällen eine Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit entsprechend § 148 ZPO in Betracht

(vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juli 2012 - [X.], juris Rn. 11 f.; Beschluss vom 30. März 2005 - [X.], [X.]Z 162, 373, 378; [X.], NJW 1993, 1661; für eine uneingeschränkte Vorlagepflicht dagegen: [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., § 148 Rn. 3b).

Dagegen spricht hier aber, dass sich die maßgebliche Rechtsfrage in dem beim Gerichtshof bereits anhängigen Verfahren nur unter Bedingungen stellt. Dort ist nämlich zunächst zu klären, ob überhaupt ein Fall doppelter Rechtshängigkeit [X.]. Art. 27 [X.] vorliegt und ob eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 [X.] besteht. Sollte der Gerichtshof auch nur eine dieser Vorfragen verneinen, käme es auf die hier maßgebende Frage nicht mehr an. Bei einer Aussetzung entsprechend § 148 ZPO müsste das vorliegende Verfahren erst wieder aufgenommen und sodann zur Vorlage gebracht werden, was die Beantwortung der Frage nur verzögerte.

[X.]                     Schmidt-Räntsch

                     Roth                    [X.]

Meta

V ZB 163/12

18.09.2013

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZB

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 8. August 2012, Az: 13 W 33/12, Beschluss

Art 22 Nr 1 EGV 44/2001, Art 27 Abs 1 EGV 44/2001, Art 267 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 18.09.2013, Az. V ZB 163/12 (REWIS RS 2013, 2681)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2681

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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