Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 15.09.2016, Az. 1 BvQ 38/16

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2016, 5452

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

KANZLEIEN IN DER REGION MITTE KANZLEIEN IN FRANKFURT A.M. BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) VERFASSUNGSBESCHWERDE DOPING PARALYMPICS

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer eA: keine einstweilige Aussetzung der Nichtzulassung von fünf wegen des Vorwurf des staatlich organisierten Dopings von der Teilnahme an den Paralympischen Sommerspielen 2016 suspendierten russischen Sportlern - Folgenabwägung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

1. Die Antragstellerinnen und der Antragsteller sind vier [X.] Sportlerinnen und ein [X.]r Sportler, die im Wege einer einstweiligen Anordnung durch das [X.] nachträglich zu den [X.] zugelassen werden wollen, die derzeit in [X.] in [X.] stattfinden. Nachdem die meisten Wettkämpfe mittlerweile beendet sind, wollen die Antragstellerinnen und der Antragsteller zumindest noch an der Abschlusszeremonie am 18. September 2016 teilnehmen. Die Antragstellerin zu 5) begehrt zudem noch die Verpflichtung des [X.] (im Folgenden: [X.]), sie zu einem am 16. September 2016 angesetzten Schwimmwettbewerb zuzulassen.

2

Aufgrund des Ausschlusses des [X.] (im Folgenden: [X.]) durch den [X.] konnten die Antragstellerinnen und der Antragsteller bislang nicht an den [X.] teilnehmen. Anlass war ein von der Weltantidopingagentur ([X.]) in Auftrag gegebener Bericht des Sachverständigen [X.] über Unregelmäßigkeiten bei Dopingkontrollen [X.]r Spitzensportler anlässlich der [X.] in [X.] im Februar 2014. Auch Anträge der Antragstellerinnen und des Antragstellers auf ihre individuelle Zulassung nach dem Statut des [X.], wonach sich der Weltverband das Recht vorbehält, Athleten, deren nationale paralympische Verbände nicht befugt sind, Athleten zur Teilnahme an den [X.] zu nominieren, von Teilnahmevoraussetzungen zu befreien und sie zur Teilnahme an den Spielen zu nominieren, hatten keinen Erfolg. Dagegen ersuchten die Antragstellerinnen und der Antragsteller um [X.] vor den [X.] Zivilgerichten, in deren Bezirk der [X.] seinen Sitz hat. Die Anträge wurden vom [X.] zurückgewiesen; die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte vor dem [X.] keinen Erfolg. Zwischen ihnen und dem [X.] bestehe kein vorvertragliches oder vertragliches Schuldverhältnis, das geeignet sei, den Antragstellerinnen und dem Antragsteller einen individuellen Zulassungsanspruch zu vermitteln. Zu dessen Begründung könnten sich die Antragstellerinnen und der Antragsteller auch nicht auf das Statut des [X.] berufen, weil damit nur ein Recht des [X.] geregelt werde, nicht aber ein einklagbarer Anspruch einzelner Athleten. Die Zurückweisung der einzelnen Zulassungsanträge stelle auch keine unbillige Behinderung im Sinne des [X.] Kartellrechts dar, weil die nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 des [X.] ([X.]) gebotene Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerinnen und des Antragstellers ausfalle.

3

2. Mit ihrem am 13. September 2016 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der nicht mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde verbunden ist, [X.] die Antragstellerinnen und der Antragsteller die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, ihres Rechts auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG und ihres Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

II.

4

Der Antrag hat keinen Erfolg.

5

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

6

Zwar ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits ein Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache anhängig ist; ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann - wie hier - auch isoliert gestellt werden (vgl. [X.] 105, 235 <238>; 113, 113 <119 f.>; stRspr). Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist allerdings wegen der weittragenden Folgen einer verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>). Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben; es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 121, 1 <15>; 122, 342 <355>; 131, 47 <55>; stRspr). Im Regelfall hat das [X.] daher allein die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 122, 342 <361>; 131, 47 <55>; stRspr).

7

2. Demnach ist über den vorliegenden Antrag nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden, weil die in der Hauptsache zu erhebende Verfassungsbeschwerde weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet erscheint. Eine weitergehende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der mittelbar mit dem Antrag auf Zulassung angegriffenen Entscheidungen ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht möglich. Sie verlangt die Berücksichtigung zahlreicher Einzelumstände und schwieriger Rechtsfragen, insbesondere was das Verhältnis einzelner Sportlerinnen und Sportler zum Weltverband [X.] und einen möglichen Einfluss des nationalen Kartellrechts auf dessen Entscheidungen betrifft, über die nur in einem Hauptsacheverfahren entschieden werden könnte.

8

3. Die Folgenabwägung fällt zu Ungunsten der Antragstellerinnen und des Antragstellers aus (vgl. [X.] 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr).

9

a) Würde die beantragte einstweilige Anordnung ergehen, die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde aber später erfolglos bleiben, hätte dies erhebliche Auswirkungen für die noch ausstehenden Wettkämpfe und die Durchführung der Abschlussfeier der [X.] am 18. September 2016 in [X.] und eine Signalwirkung nicht nur für paralympischen Sport, sondern für den Sport insgesamt. Selbst wenn zugunsten der Antragstellerinnen und des Antragstellers davon ausgegangen wird, dass sie selbst nicht in das vom [X.] beschriebene staatliche Dopingsystem eingebunden waren, ist im Rahmen der Folgenabwägung die Entscheidung des [X.] und des [X.] als Verbandsschiedsgericht zu respektieren, die gesamte [X.] Mannschaft von den [X.] in [X.] auszuschließen. Eine Zulassung einzelner Athletinnen und Athleten durch die staatlichen Gerichte griffe erheblich in die Verbandsautonomie des [X.] und der internationalen Sportgerichtsbarkeit ein. Die mit dem Ausschluss des [X.] von den [X.] beabsichtigte Signalwirkung, die insbesondere nationale Sportverbände von der Duldung, Unterstützung oder Organisation systematischen Dopings abschrecken soll, würde erheblich beeinträchtigt.

b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, so wiegen im Vergleich hierzu die Nachteile für die Antragstellerinnen und den Antragsteller selbst dann weniger schwer, wenn eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde später Erfolg haben sollte. Zwar erscheint das Interesse der Antragstellerinnen und des Antragstellers auch dann durchaus gewichtig, wenn ihnen nur die Teilnahme an der Abschlusszeremonie am 18. September 2016 möglich sein sollte. Im Vergleich zu dem Interesse des [X.], den Einsatz von Dopingmitteln im Sport nachhaltig und effektiv zu bekämpfen, hat dies jedoch deutlich weniger Gewicht.

Zudem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass - abgesehen allenfalls von der Antragstellerin zu 5) - die übrigen Antragstellerinnen und der Antragsteller wegen des inzwischen weitgehend durchgeführten Gesamtprogramms der aktuellen [X.] nicht mehr an den sportlichen Wettkämpfen teilnehmen können und ihnen damit insoweit nur noch ein bloßer Zuschauerstatus zukommen könnte, den sie auch ohne Erlass der einstweiligen Anordnung wahrnehmen können. Allein für die Antragstellerin zu 5) bestünde noch die theoretische Möglichkeit, an den sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen. Allerdings sind schon Zweifel angebracht, ob sie aus tatsächlichen Gründen überhaupt noch in der Lage wäre, diese zu realisieren. Aus der Begründung ihres erst am Abend des 13. September 2016 beim [X.] eingegangenen Antrags ergibt sich jedenfalls nicht, wo sie sich derzeit aufhält und wie sie innerhalb weniger Stunden nach Bekanntgabe einer stattgebenden Entscheidung nach [X.] anreisen, sich unter Berücksichtigung der erforderlichen Zeitumstellung in ausreichender Weise auf die Wettkämpfe vorbereiten und bei etwaigen Vorkämpfen für das Finale am 16. September 2016 qualifizieren will.

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 32 Abs. 3 Satz 2 [X.]).

Meta

1 BvQ 38/16

15.09.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend LG Bonn, kein Datum verfügbar, Az: 20 O 325/16

Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 19 Abs 1 GWB, § 19 Abs 2 Nr 1 GWB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 15.09.2016, Az. 1 BvQ 38/16 (REWIS RS 2016, 5452)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5452

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