Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 29.04.2023, Az. 2 BvQ 51/23

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2023, 2249

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erfolgloser isolierter Eilantrag eines Untersuchungshäftlings gegen zwangsweise Ernährung - Folgenabwägung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

1. Der in Untersuchungshaft befindliche Antragsteller beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, die Vollstreckung aus dem - die zwangsweise Ernährung des Antragstellers anordnenden - Beschluss des [X.] vom 27. April 2023 auszusetzen.

2

2. Dieser Antrag bleibt ohne Erfolg.

3

a) Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die - gegebenenfalls noch zu erhebende - Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 7, 367 <371>; 103, 41 <42>; 121, 1 <15>; 134, 138 <140 Rn. 6>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens hat das [X.] im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 143, 65 <87 Rn. 35>; 157, 332 <377 Rn. 73>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] ein strenger Maßstab (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 104, 23 <27>; 158, 210 <230 Rn. 50>).

4

b) Gemessen hieran kommt der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.

5

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre. Die danach vorzunehmende Folgenabwägung geht jedoch zulasten des Antragstellers aus.

6

[X.] die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, müsste der Antragsteller zunächst eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung hinnehmen. Denn er müsste - jedenfalls bis zum Vorliegen einer belastbaren psychiatrischen Einschätzung der Ernsthaftigkeit seines Sterbewunsches - die von ihm abgelehnte zwangsweise Ernährung dulden. [X.] demgegenüber die einstweilige Anordnung, bliebe die Verfassungsbeschwerde später aber ohne Erfolg, so wären irreversible Folgen - das Ableben des Antragstellers - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Diese wiegen schwerer als die dem Antragsteller drohenden Grundrechtsbeeinträchtigungen, zumal es zweifelhaft ist, ob sein Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, von freier Selbstbestimmung und Eigenverantwortung getragen ist (vgl. [X.] 153, 182 <270 f. Rn. 232>). Dieser Sterbewunsch wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt ärztlicherseits offenbar unterschiedlich beurteilt, ohne dass schon eine fundierte psychiatrische Begutachtung vorliegt, die alle auf der Hand liegenden Besonderheiten des vorliegenden Falles erfasst und nachvollziehbar bewertet. Dies ist bei der fachpsychiatrischen gutachterlichen Stellungnahme vom 27. April 2023 nicht der Fall.

7

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvQ 51/23

29.04.2023

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend BGH, 27. April 2023, Az: 1 BGs 707/23, Beschluss

§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 119 StPO, § 101 Abs 1 S 1 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 29.04.2023, Az. 2 BvQ 51/23 (REWIS RS 2023, 2249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2249

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