Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.11.2016, Az. B 6 KA 18/16 B

6. Senat | REWIS RS 2016, 1597

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Berufungsgericht - Anberaumung einer mündlichen Verhandlung - abgelehnter Richter - rechtsmissbräuchliches Gesuch


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 19. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt Auskunft darüber, ob er im Quartal I/2001 vertragszahnärztliche Behandlungen durchgeführt hat, und [X.] die Vorlage der entsprechenden Behandlungsdaten. Dem seit 1983 im Bezirk der beklagten [X.] an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Kläger wurde 1996 die Zulassung entzogen; die von ihm hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben ebenso erfolglos wie ein 2006 gestellter Antrag auf Wiederzulassung. Sein zunächst im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgtes Auskunftsbegehren blieb erfolglos (Beschluss des [X.] vom 10.2.2011, Beschluss des L[X.] vom 2.5.2011). Im nachfolgenden Klageverfahren hat der Kläger den [X.]n in der Sitzung vom 16.4.2012 wegen Befangenheit abgelehnt und nach Ablehnung dieses Gesuchs durch den Vorsitzenden der [X.] (Beschluss vom [X.] SF 47/12 AB) erfolglos gegen jenen ein Ablehnungsgesuch erhoben. Nach (erneuter) Terminsladung vom 19.2.2013 auf den 15.4.2013 (dem Bevollmächtigten des [X.] im Wege der Niederlegung zugestellt am 21.2.2013) hat der Kläger mit [X.] vom 11.4.2013 Beschwerde gegen den Beschluss des [X.] vom [X.] eingelegt.

2

Das [X.] hat die Klage mit Urteil vom 15.4.2013 abgewiesen. Die Klage sei wegen Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Beklagte habe mit der Erteilung der jeweiligen Vierteljahresabrechnungen die gegenüber dem Kläger bestehenden Verpflichtungen erfüllt. Behandlungsunterlagen der Patienten müssten dem Kläger als behandelndem Zahnarzt vorliegen. Das L[X.] hat mit Beschluss vom 19.2.2016 die Berufung des [X.] zurückgewiesen und zur Begründung auf die Ausführungen des [X.] Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass nach Erlass des Urteils der Ablehnungsgrund als Verfahrensfehler in der Berufung zu prüfen sei. Es habe jedoch kein Ablehnungsgrund vorgelegen; ein Verstoß gegen die "[X.]" führe nicht zu einem Verfahrensfehler.

3

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss macht der Kläger Verfahrensmängel ([X.] gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G) geltend.

4

II. Die Beschwerde des [X.] hat keinen Erfolg. Wer die Zulassung der Revision wegen eines [X.] begehrt, muss gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau bezeichnen. Zudem müssen die tatsächlichen Umstände, welche den Verstoß begründen sollen, substantiiert dargestellt und es muss - sofern nicht ein absoluter Revisionsgrund iS von § 547 ZPO geltend gemacht wird - darüber hinaus dargelegt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl B[X.] SozR 4-1500 § 160a [X.] RdNr 4 mwN). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde des [X.] in vollem Umfang diesen Darlegungsanforderungen genügt, denn jedenfalls ist sie unbegründet.

5

1. Soweit der Kläger einen Verfahrensmangel in Form eines Verstoßes gegen den Grundsatz der mündlichen Verhandlung (§ 124 Abs 1 [X.]G) rügt, liegt ein solcher Verstoß entgegen dem Vorbringen des [X.] nicht darin, dass das Berufungsgericht zunächst einen Verhandlungstermin anberaumt hat und erst dann, als dieser Verhandlungstermin wegen nicht ordnungsgemäßer Ladung nicht durchgeführt werden konnte, angekündigt hat, es werde die Berufung durch Beschluss zurückweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet halte (§ 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G).

6

Nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G kann das L[X.] die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält; die Beteiligten sind vorher anzuhören (Satz 2 aaO). Die Entscheidung, die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch - das heißt sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung - überprüft werden (stRspr des B[X.], vgl B[X.] SozR 3-1500 § 153 [X.]; B[X.] SozR 4-1500 § 153 [X.] RdNr 27; B[X.] Beschluss vom 17.2.2016 - [X.] [X.] 44/15 B - Juris RdNr 11; ebenso des [X.], vgl Beschluss vom [X.] - 4 B 4/99 - Juris RdNr 6 f mwN = NVwZ 1999, 1109).

7

Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, ungeachtet der zunächst beabsichtigten Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte für einen Ermessensfehler bestehen nicht schon dann, wenn das Berufungsgericht zunächst eine mündliche Verhandlung anberaumt und, nachdem ein [X.] des Prozessbevollmächtigten der [X.]eite eingeht, von der erneuten Anordnung einer mündlichen Verhandlung absieht und das Verfahren nach § 153 Abs 4 [X.]G wählt ([X.] Beschluss vom [X.] - 4 B 4/99 - Juris Rd[X.] = NVwZ 1999, 1109). Denn es gibt keinen Grundsatz des Inhalts, dass ein Gericht an eine einmal getroffene Entscheidung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebunden ist (siehe - zum umgekehrten Fall einer Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung nach Ankündigung einer Beschlussentscheidung - B[X.] Beschluss vom 17.2.2016 - [X.] [X.] 44/15 B - Juris RdNr 11 ff). Zwar kommt eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.]G nur dann in Betracht, wenn das L[X.] eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Umgekehrt bedeutet die Ladung zu einer mündlichen Verhandlung jedoch nicht, dass das Gericht diese auch für erforderlich und damit zugleich eine Entscheidung durch Beschluss für ausgeschlossen hält.

8

2. Soweit der Kläger rügt, dass das L[X.] "in Kenntnis der am 11.4.2013 vorgelegten Beschwerde über die Ablehnung des [X.] gegen den erstinstanzlichen [X.]n eine Hauptsacheentscheidung des abgelehnten Richters am 15.4.2013 zugelassen" habe, ist diese Rüge jedenfalls unbegründet.

9

Grundsätzlich gilt, dass Verfahrensmangel im Sinne des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G nur ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug ist (stRspr, vgl B[X.] Beschluss vom 22.10.2012 - [X.] [X.] 59/12 B - Juris RdNr 5; B[X.] Beschluss vom 13.4.2015 - B 12 KR 109/13 B - Juris RdNr 9; siehe auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 16a mwN). Im [X.] rügt der Kläger, dass das [X.] die [X.] nach § 47 Abs 1 ZPO missachtet habe, indem der [X.] ungeachtet der gegen die Zurückweisung des [X.] erhobenen Beschwerde terminiert und entschieden hat, und damit einen (vermeintlichen) Verfahrensfehler des [X.]. Gegen welche Verfahrensvorschrift das L[X.] verstoßen haben soll, indem es in Kenntnis der Beschwerde "die Hauptsacheentscheidung … zugelassen" habe, macht der Kläger nicht deutlich.

Selbst wenn man unterstellte, dass im Handeln des Berufungsgerichts ein eigener Verfahrensfehler liegen könnte, führte dies vorliegend nicht zum Erfolg der Beschwerde, weil ein derartiger (fortwirkender) Fehler voraussetzte, dass das [X.] verfahrensfehlerhaft gehandelt hat. Daran fehlt es jedoch. Die Vorgabe, dass [X.] vom Eingang des Gesuches an nicht mehr tätig werden darf, gilt dann nicht, wenn das Gesuch offenbar rechtsmissbräuchlich ist (B[X.] Beschluss vom 31.8.2015 - B 9 V 26/15 B - Juris RdNr 14; [X.] Beschluss vom 1[X.] - [X.]/12 Juris Rd[X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 60 RdNr 13b; vgl auch B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] [X.] 5/02 S - Juris Rd[X.]); für die gegen die Zurückweisung eines entsprechenden Gesuchs erhobene Beschwerde gilt nichts Anderes.

Die vom Kläger gegen den Beschluss des [X.] vom [X.] erhobene Beschwerde ist rechtsmissbräuchlich: Zum einen wurde sie, obwohl die Ladung zum Termin dem Bevollmächtigten des [X.] bereits (nahezu) zwei Monate zuvor zugestellt worden war, erst vier Tage vor der mündlichen Verhandlung des [X.] erhoben, sodass mit einer Entscheidung über die Beschwerde durch das L[X.] vor dem Termin nicht mehr gerechnet werden konnte.

Zum anderen ergibt sich die Rechtsmissbräuchlichkeit daraus, dass sich die mit [X.] vom 11.4.2013 erhobene Beschwerde gegen einen Beschluss richtet, der nahezu ein Jahr zuvor - am [X.] - ergangen war. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Beschwerde ohnehin nur dann als fristgerecht anzusehen ist, wenn man unter Zugrundelegung der damaligen Rechtsprechung des L[X.] Nordrhein-Westfalen zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen über die Befangenheit von [X.] (vgl zB Beschluss vom [X.]) von einer falschen Rechtsmittelbelehrung ausgeht und somit die Beschwerdeeinlegung binnen Jahresfrist erfolgen konnte (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 174 RdNr 5a). Die Auffassung des L[X.], dass § 46 Abs 2 Halbsatz 2 ZPO durch § 60 Abs 1 [X.]G (aF) in Bezug genommen werde, war jedoch ganz überwiegend auf Ablehnung gestoßen (vgl Thüringer L[X.] Beschluss vom 21.8.2013 - L 6 SF 1156/13 B - Juris RdNr 2; L[X.] Berlin-Brandenburg Beschluss vom [X.] SF 246/12 [X.] -; Bayerisches L[X.] Beschluss vom [X.] - L 9 SF 262/12 [X.] - L[X.] Baden-Württemberg Beschluss vom 20.3.2012 - L 7 SF 1176/12 AB) und hat den Gesetzgeber zu einer - dieser Rechtsauffassung den Boden entziehenden - Klarstellung veranlasst (siehe Art 7 Nr 6 des [X.] vom 19.10.2013, [X.] 3836). Im Übrigen verdeutlicht der Umstand, dass der Kläger die - auf ein Jahr verlängerte - Beschwerdefrist nahezu ausgeschöpft hat, unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles, dass die Beschwerdeeinlegung allein zu dem Zweck erfolgte, um eine bereits terminierte mündliche Verhandlung zu verhindern oder das Verfahren sonst zu verschleppen.

3. Soweit der Kläger schließlich die fehlerhafte Besetzung des L[X.] rügt, weil an dem - ursprünglich für den [X.] vorgesehenen - Verhandlungstermin als [X.] S. habe teilnehmen sollen, dieser jedoch nicht an dem Verfahren habe mitwirken dürfen, fehlt es jedenfalls an einem Verfahrensmangel. Es bedarf keiner Ausführungen dazu, ob [X.] an einer Entscheidung hätte mitwirken dürfen, weil er jedenfalls nicht an einer solchen mitgewirkt hat. Es liegt auf der Hand, dass sich die Rüge einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts nur auf die Besetzung des Gerichts beziehen kann, in der dieses seine Entscheidung getroffen hat. Die gerichtliche Entscheidung erfolgte - nach Absetzung des ursprünglich anberaumten Verhandlungstermins - auf der Grundlage des § 153 Abs 4 [X.]G durch Beschluss der Berufsrichter. Eine Mitwirkung [X.] - namentlich eine solche des [X.] hat daher weder stattgefunden noch war diese geboten (vgl § 12 Abs 1 Satz 2 [X.]G; siehe auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 22).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger auch die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts entspricht den Festsetzungen der Vorinstanz vom 24.2.2016, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).

Meta

B 6 KA 18/16 B

30.11.2016

Bundessozialgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KA

vorgehend SG Münster, 15. April 2013, Az: S 2 KA 22/11

§ 47 Abs 1 ZPO, § 153 Abs 4 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.11.2016, Az. B 6 KA 18/16 B (REWIS RS 2016, 1597)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1597

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 10 ÜG 8/14 B (Bundessozialgericht)

Überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungsklage - sozialgerichtliches Verfahren - Erforderlichkeit der Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses - keine …


B 13 R 233/18 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs …


B 2 U 4/15 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - zulässige Klageänderung vor dem LSG - Unzulässigkeit der geänderten Klage: Nichtwahrung der …


B 13 R 63/10 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Zurückweisung der Berufung …


B 13 R 152/17 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Anordnung des persönlichen Erscheinens - Richterablehnung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.