Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.10.2010, Az. B 13 R 63/10 B

13. Senat | REWIS RS 2010, 2181

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - Erforderlichkeit einer erneuten Anhörungsmitteilung - entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation - Änderung der vom LSG geäußerten Rechtsauffassung - zur Behandlung einer auch auf Amtshaftung gestützten Klage - Rechtsweg - Trennung - Verweisung - Zivilgericht - Bindungswirkung - Rechtsmittel


Leitsatz

1. Vor einer beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ist eine erneute Anhörung erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert.

2. Die Prozesssituation ändert sich auch dann entscheidungserheblich, wenn das LSG nach vorausgegangener Anhörungsmitteilung seine gegenüber den Beteiligten in einem entscheidungserheblichen Punkt geäußerte Rechtsauffassung ändert.

3. Zur Behandlung einer auch auf Amtshaftung gestützten Klage vor den Sozialgerichten.

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 21. Januar 2010 in Gestalt des Urteils vom 27. April 2010 - L 2 R 238/10 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger, dem die Beklagte aufgrund eines Herstellungsanspruchs freiwillige Beiträge erstattet hat, begehrt auch die Zahlung von Zinsen.

2

Dem Antrag des [X.] auf Erstattung freiwillig entrichteter Beiträge von Januar 1992 bis Dezember 2004 entsprach die Beklagte in voller Höhe "im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aufgrund eines Beratungsmangels" (Bescheid vom 25.1.2005). Der Widerspruch mit dem Begehren, den Erstattungsbetrag ([X.]) zu verzinsen (4479,14 Euro bis zum [X.]), blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.5.2005).

3

Das [X.] hat die Klage auf Verurteilung zur Zahlung der Zinsen sowie die hilfsweise erhobene Klage auf Feststellung eines Anspruchs auf die gesetzlichen Verzugszinsen abgewiesen (Urteil vom [X.]). Ein Amtshaftungsanspruch sei mit der Klage nicht zweifelsfrei geltend gemacht worden. Daher sei es nicht erforderlich gewesen, diesen Teil des Rechtsstreits abzutrennen und an das Zivilgericht zu verweisen.

4

Im Berufungsverfahren hat der Senatsvorsitzende dem Kläger mit Schreiben vom [X.] mitgeteilt, dass für in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fallende Ansprüche beabsichtigt sei, durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 [X.]G zu entscheiden. Soweit der Kläger Amtshaftungsansprüche verfolge, sei beabsichtigt, den Rechtsstreit abzutrennen und an das [X.] ([X.]) Erfurt zu verweisen. Mit weiterem Schreiben vom [X.] hat der Senatsvorsitzende auf den Schriftsatz des [X.] vom [X.] mitgeteilt, für die ausdrücklich erst im Berufungsverfahren geltend gemachten Amtshaftungsansprüche werde an der Absicht der Trennung und Verweisung des Rechtsstreits an das [X.] festgehalten.

5

Mit Beschluss vom [X.] hat das [X.] die Berufung des [X.] unter Auferlegung einer Missbrauchsgebühr von 600 Euro zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen noch auf die hilfsweise begehrte Feststellung eines solchen Anspruchs. Der Kläger könne einen Zinsanspruch nicht aus einer direkten bzw analogen Anwendung von § 44 Abs 1 [X.]B I bzw von § 27 Abs 1 [X.]B IV oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen herleiten, weil die freiwilligen Beiträge zu Recht entrichtet worden seien. Da das [X.] die behaupteten Anspruchsgrundlagen als öffentlich-rechtlich qualifiziert habe, sei das L[X.] an die vom [X.] angenommene Zulässigkeit des Rechtswegs zur Sozialgerichtsbarkeit gebunden. Eine Verweisung des Rechtsstreits wegen des (auch) geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs dürfe nicht erfolgen. Über solche Ansprüche dürfe ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit nicht entscheiden, denn nach § 17 Abs 2 Satz 2 [X.] bleibe Art 34 Satz 3 GG unberührt. Rechtfertigten die übrigen Anspruchsgrundlagen kein stattgebendes Urteil, so sei die Klage als unbegründet abzuweisen; eine Verweisung sei nicht zulässig (Hinweis ua auf [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 51 Rd[X.] 41).

6

Der Antrag des [X.] auf Ergänzung des Beschlusses vom [X.] um die Verweisung des Rechtsstreits wegen des Schadensersatzanspruchs nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften an das L[X.] blieb erfolglos ([X.], Urteil vom [X.] - L 2 R 238/10). Zur Begründung heißt es, der angefochtene Beschluss habe keinen vom Kläger erhobenen Anspruch iS von § 140 Abs 1 [X.]G übergangen, sondern "ausgeführt, dass die auch auf Amtshaftung gestützte Klage als unbegründet abgewiesen wird, wenn die sonstigen Anspruchsgrundlagen kein stattgebendes Urteil rechtfertigen und … darauf hingewiesen, dass eine Verweisung an das [X.] nicht zulässig ist."

7

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz. Er beantragt die Aufhebung der ihm auferlegten Verschuldenskosten und trägt vor:

8

Das L[X.] habe den Rechtsstreit hinsichtlich des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs an das [X.] verweisen oder den Rechtsstreit gemäß § 159 Abs 1 [X.]G an das [X.] zurückverweisen müssen. Durch die unterbliebene Verweisung seien § 17 Abs 2 Satz 2 [X.] iVm Art 34 Satz 3 GG und das Grundrecht des [X.] auf [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG, § 16 [X.], Art 87 Abs 3 der [X.]) verletzt worden. Das L[X.] habe zudem den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 GG) missachtet, weil es nicht ohne erneute Anhörung des [X.] gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G über die Berufung insgesamt hätte entscheiden dürfen. Im Fall einer erneuten Anhörung wäre nicht auszuschließen gewesen, dass die Entscheidung anders ausgefallen wäre. Durch die vom L[X.] gewählte Verfahrensweise liege eine zur Rechtsprechung des B[X.] vom 16.3.2006 ([X.] RA 24/05 B) divergierende Entscheidung vor, die die Zulassung der Revision rechtfertige. Der Kläger hält ferner vier Fragen für grundsätzlich bedeutsam.

9

II. Auf die Beschwerde des [X.] war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückzuverweisen.

1. Der Kläger hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) und auch im Ergebnis zutreffend die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 128 Abs 2, § 62 [X.]G) in Ausprägung der Regelung des § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G gerügt (§ 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G).

Er beanstandet mit Recht, dass das L[X.] über seine Berufung entschieden hat, ohne ihn erneut gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G vor der Beschlussfassung gemäß Satz 1 dieser Vorschrift angehört zu haben.

a) Gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G kann das L[X.] die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach Satz 2 der Vorschrift sind die Beteiligten vorher zu hören. Die [X.] nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG), das bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im [X.] nicht verkürzt werden darf (vgl Senatsbeschluss vom 29.8.2006 - [X.]-1500 § 153 [X.] 5 Rd[X.] 5; B[X.] [X.] 3-1500 § 153 [X.] 4 S 11 f mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des B[X.] ist eine erneute Anhörung gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die [X.] entscheidungserheblich ändert (vgl zB Senatsbeschluss vom [X.] RS 46/09 B - Juris Rd[X.] 9; Senatsurteil vom [X.] RJ 69/99 R - Juris Rd[X.] 16 mwN; B[X.] [X.] 3-1500 § 153 [X.] 4 S 12; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 153 Rd[X.] 20). Insoweit gilt Entsprechendes wie für den sog Verbrauch einer Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 [X.]G (B[X.] [X.] 3-1500 § 124 [X.] 4 S 8).

Die [X.] ändert sich auch dann entscheidungserheblich, wenn das L[X.] seine gegenüber den Beteiligten in einem entscheidungserheblichen Punkt geäußerte Rechtsauffassung ändert (vgl für das Verfahren nach § 124 Abs 2 [X.]G bereits B[X.] [X.]-1500 § 124 [X.] 1 Rd[X.] 8). Die Beteiligten müssen dann vor der Beschlussfassung gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G erneut Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

b) Indem das L[X.] entgegen der mit [X.] vom 13.1. und [X.] gegenüber den Beteiligten angekündigten Verfahrensweise - den Amtshaftungsanspruch abzutrennen und an das Zivilgericht zu verweisen - die Berufung durch Beschluss gleichwohl insgesamt zurückgewiesen hat, ohne den Kläger über die geänderte Rechtsauffassung vor der Beschlussfassung zu informieren und ihn erneut anzuhören, hat es gegen § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G verstoßen. Dies war [X.], ungeachtet der Frage, ob die vom L[X.] angekündigte Verfahrensweise rechtens gewesen wäre.

Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des L[X.] war für den Kläger nicht vorhersehbar, dass das L[X.] entgegen eigener Ankündigung über die Berufung ohne teilweise Verweisung des Rechtsstreits an das Zivilgericht entscheiden werde. Mit einem solchen Prozessverlauf musste der Kläger nicht rechnen. Durch den zweimaligen, eine Verweisung ankündigenden Hinweis des Senatsvorsitzenden hatte sich dieser (vorläufig) rechtlich festgelegt. Diese verlautbarte Rechtsauffassung entsprach der des [X.], so dass dieser insoweit auf einen Verfahrensausgang in seinem Sinne vertrauen durfte. Genau das Gegenteil hat das L[X.] entschieden.

c) Bei einer Verletzung des § 153 Abs 4 [X.]G sind keine näheren Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers erforderlich. Wenn das L[X.] nur nach einer - unterbliebenen - erneuten Anhörungsmitteilung im gewählten vereinfachten Beschlussverfahren hätte entscheiden dürfen, bedarf es keiner Prüfung, was der Kläger auf den gebotenen schriftlichen Hinweis zur geänderten Rechtsmeinung oder in einer mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte. Es handelt sich um einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 202 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO, denn die Verletzung des § 153 Abs 4 [X.]G führt zur nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des L[X.] ohne [X.] (vgl Senatsbeschluss vom 29.8.2006 - [X.]-1500 § 153 [X.] 5 Rd[X.] 10; B[X.] [X.] 3-1500 § 153 [X.] 13 S 40; B[X.] vom 8.11.2001 - B 11 [X.] 37/01 R - Juris Rd[X.] 15; vgl auch B[X.] [X.]-1500 § 158 [X.] 2 Rd[X.] 10).

d) Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen hebt der Senat gemäß § 160a Abs 5 [X.]G den angefochtenen Beschluss auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurück.

2. Der Senat kann daher offen lassen, ob weitere der gerügten Verfahrensmängel vorliegen; darauf kommt es hier nicht mehr entscheidend an. Gleichwohl weist er, ohne damit abschließend alle denkbaren Alternativen aufzeigen zu wollen, auf Folgendes hin:

a) Das [X.] hat im Urteil vom [X.] nicht über einen Anspruch nach § 839 BGB iVm Art 34 GG entschieden, weil es den Antrag des [X.] so ausgelegt hat, dass sich daraus "noch kein Anspruch (gemeint: keine Geltendmachung eines Anspruchs) aus Amtspflichtverletzung" ergab. Damit hat das [X.] die geltend gemachten Ansprüche aber nicht vollends erfasst.

Denn zum einen hat sich der Kläger in der Klageschrift vom [X.] (erstinstanzlich hat er sich nicht weiter geäußert) durchaus auch auf einen "Schadensersatzanspruch nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen (§§ 812, 823 BGB)" bezogen und lediglich um Hinweis des Gerichts gebeten, falls nach dessen Ansicht "nicht die Beklagte, sondern die [X.] nach den Grundsätzen der Amtshaftung (§ 839 BGB) zuständig sein" sollte.

Zum anderen hätte das [X.] selbst dann prüfen müssen, ob es über einen Amtshaftungsanspruch zu entscheiden hatte, wenn der Kläger diesen nicht ausdrücklich benannt hätte. Denn zwar oblag es nach der auch im sozialgerichtlichen Verfahren maßgebenden Dispositionsmaxime (s [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, Vor § 60 Rd[X.] 3) diesem, welche "Ansprüche" er nach § 123 [X.]G "erheben" wollte. Damit war jedoch nicht in sein Belieben gestellt, auf welche materiell-rechtlichen Vorschriften er sein Begehren stützen wollte, vielmehr ist hiermit nur gesagt, dass er den Streitgegenstand bestimmt, also den Lebenssachverhalt und dasjenige, was er auf dessen Grundlage als gerichtliche Entscheidung anstrebt ("prozessualer Anspruch"; vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 95 Rd[X.] 5): Der Kläger hat die Fakten zu liefern, die rechtliche Subsumtion ist Sache des Gerichts ("da mihi factum, dabo tibi ius"; "[X.]"; vgl insoweit auch zB B[X.] vom [X.], B[X.]E 86, 78, 79 f = [X.] 3-1300 § 111 [X.] 8 S 27).

Das L[X.] ist (unter Berufung auf [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 51 Rd[X.] 41; dieser wiederum unter Hinweis auf [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 65. Aufl 2007, § 17 [X.] Rd[X.] 7 ) davon ausgegangen, ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit habe eine sowohl auf Amtshaftung wie auf sozialrechtliche Ansprüche gestützte Klage nicht - auch nicht teilweise - an das zuständige [X.] zu verweisen, sondern lediglich über die Anspruchsgrundlagen außerhalb der Amtshaftung zu entscheiden. Diese Verfahrensweise entspricht einer verbreiteten Rechtsansicht, die zur Begründung anführt, dass einerseits das [X.] keine Teilverweisung kenne und andererseits einer Verweisung des gesamten Rechtsstreits (Streitgegenstands) der Grundsatz entgegenstehe, dass eine solche nicht erfolgen dürfe, wenn das angerufene Gericht zumindest für einen Teil der einschlägigen materiellen Ansprüche zuständig sei (s insgesamt zB [X.] vom 15.12.1992 - 5 [X.]/91, NVwZ 1993, 358 mwN sowie vom 19.11.1997 - 2 [X.]/96; vgl auch B[X.] vom [X.], B[X.]E 86, 78, 79 f = [X.] 3-1300 § 111 [X.] 8 S 26 f; [X.] in [X.]/[X.], VwGO, 3. Aufl 2010, § 17 [X.] - kommentiert bei § 41 VwGO - Rd[X.] 54; [X.] in Eyermann/ Fröhler, VwGO, 13. Aufl 2010, § 41/§§ 17-17b [X.] Rd[X.] 20; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], VwGO, Stand 2010, § 41/§ 17 [X.] Rd[X.] 39).

Die geschilderte Ansicht wäre mit der Regelung des § 17b Abs 1 Satz 2 [X.] vereinbar. Dieser ist zu entnehmen, dass auch eine Klageerhebung beim unzuständigen Gericht die Rechtshängigkeit mit den dazugehörigen Wirkungen (zB Hemmung der Verjährung: § 204 Abs 1 [X.] 1 BGB) eintreten lässt. Dies gilt jedoch auch für eine vor dem [X.] erhobene Amtshaftungsklage und ebenso dann, wenn die Klage daneben auf weitere materielle Ansprüche gestützt wird (§ 213 BGB). So dürfte zwar im Fall des [X.] an sich bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des L[X.] die dreijährige Verjährungsfrist für den Amtshaftungsanspruch (§ 195 iVm § 199 Abs 1 BGB) abgelaufen gewesen sein; diese war jedoch durch die Erhebung der Klage vor dem [X.] gehemmt. Würde das sozialgerichtliche Verfahren rechtskräftig beendet, hätte der Kläger danach sechs Monate Zeit, um Amtshaftungsklage vor dem [X.] zu erheben, ohne dass die Hemmung der Verjährung enden würde (§ 204 Abs 2 Satz 1 BGB). Die Rechtskraft der klageabweisenden Entscheidung im sozialgerichtlichen Verfahren stände einer derartigen Klage nicht entgegen ([X.] in Eyermann/Fröhler, VwGO, 13. Aufl 2010, § 41/§§ 17-17b [X.] Rd[X.] 20). Unentschieden kann hier bleiben, ob es dem Kläger auf der Grundlage der geschilderten Rechtsansicht freistünde, bereits während des sozialgerichtlichen Verfahrens vor dem [X.] zu klagen (so [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 51 Rd[X.] 41; [X.] in [X.] zur ZPO, 3. Aufl 2008, § 17 [X.] Rd[X.] 11), oder er daran durch die anderweitige Rechtshängigkeit der Sache (§ 17 Abs 1 Satz 2 [X.]) gehindert wäre.

Würde man diese Rechtsansicht zugrunde legen, hätte das L[X.], wenn auch [X.], im Ergebnis richtig entschieden.

b) [X.]) aufgezeigte Lösungsmöglichkeit kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn das L[X.] nicht schon kraft eigener Kompetenz verpflichtet wäre, über den Amtshaftungsanspruch des [X.] materiell zu entscheiden. Gemäß § 202 [X.]G iVm § 17a Abs 5 [X.] hat das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Griffe diese Bindungswirkung hier ein, so würde diese auch dann gelten, wenn das Klagebegehren auf Amtshaftung gerichtet ist. Unter diesen Umständen hätte das L[X.] über den Amtshaftungsanspruch ausnahmsweise im sozialgerichtlichen Verfahren zu entscheiden (vgl B[X.] [X.]-1720 § 17a [X.] 1 Rd[X.] 6; dieser Rechtsprechung folgend: Schleswig-Holsteinisches L[X.] vom 7.1.2005 - L 3 [X.] 72/04 - Juris Rd[X.] 19; L[X.] Nordrhein-Westfalen vom [X.] - L 7 AS 75/08 - Juris Rd[X.] 24; B[X.] [X.]-2500 § 132a [X.] 2 Rd[X.] 35). Für die Bindungswirkung nach § 17a Abs 5 [X.] wäre allerdings von vornherein kein Raum, wenn das [X.] unter Missachtung von § 17a Abs 3 Satz 2 [X.] trotz einer Rüge des fehlerhaften Rechtswegs zur Sache entschieden hätte (vgl dazu [X.] vom 18.9.2008 - V Z[X.]0/08 - NJW 2008, 3572, 3573; [X.] vom [X.] - 7 B 198/93 - DVBl 1994, 762 f mwN), wovon wohl hier nicht auszugehen sein dürfte.

Vorliegend ist problematisch, ob die Berufung des [X.], über die das L[X.] zu befinden hat, sich in Bezug auf den auch mit der Klage geltend gemachten Amtshaftungsanspruch "gegen eine Entscheidung in der Hauptsache" richtet oder ob diese nur die sozialrechtlichen Anspruchsgrundlagen des Klagebegehrens erfasst. Denn das [X.] ist - wie bereits unter a) dargelegt - fehlerhaft davon ausgegangen, dass kein Amtshaftungsanspruch geltend gemacht worden sei, und hat die Klage daher allein nach Prüfung sozialrechtlicher Anspruchsgrundlagen abgewiesen.

In der Rechtsprechung des B[X.] ist eine "Entscheidung in der Hauptsache" iS von § 17a Abs 5 [X.] selbst dann angenommen worden, wenn das [X.] die auf Amtshaftung gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen hat, mithin nicht in der Hauptsache über den Amtshaftungsanspruch entschieden hat, weil es die Klage aus einem anderen Grund als dem des Rechtswegs (mangels Vorverfahrens) für unzulässig gehalten hat. Danach trifft die Vorinstanz nur dann keine Entscheidung in der Hauptsache iS von § 17a Abs 5 [X.], wenn sie die Unzulässigkeit der Klage mit der fehlenden Rechtswegzuständigkeit begründet (vgl B[X.] [X.]-1720 § 17a [X.] 1 Rd[X.] 5; ferner B[X.] [X.]-2500 § 132a [X.] 2 Rd[X.] 35).

Im Übrigen ist eine "Entscheidung in der Hauptsache" angenommen worden, wenn das erstinstanzliche Gericht den Rechtsweg ausdrücklich oder auch nur stillschweigend - durch Sachentscheidung - bejaht hat (stRspr, [X.]Z 127, 297, 300; [X.] vom 18.9.2008 - V Z[X.]0/08 - NJW 2008, 3572, 3573 mwN; [X.], 1, 3; [X.] vom 22.11.1997 - 2 [X.]/97 - BayVBl 1998, 603 mwN; zustimmend [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl 2010, § 17 Rd[X.] 47). Das Verbot der Prüfung des Rechtswegs durch das Rechtsmittelgericht soll selbst dann gelten, wenn sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch die Beteiligten die sich aus dem Sachverhalt im Hinblick auf die Zulässigkeit des Rechtswegs ergebenden Rechtsfragen übersehen bzw diese rechtsfehlerhaft beantwortet haben ([X.] vom 18.9.2008 - V Z[X.]0/08 - NJW 2008, 3572, 3573; zustimmend [X.] in [X.], ZPO, 28. Aufl 2010, § 17a [X.] Rd[X.] 18; [X.] in [X.], ZPO, 31. Aufl 2010, § 17a [X.] Rd[X.] 24; kritisch dazu [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 69. Aufl 2011, § 17a [X.] Rd[X.] 20; vgl auch [X.] in [X.]/[X.], VwGO, 3. Aufl 2010 § 17a [X.] - kommentiert bei § 41 VwGO - Rd[X.] 44).

Das L[X.] wird daher zu prüfen haben, ob das [X.] im vorliegenden Fall eine "Entscheidung in der Hauptsache" iS von § 17a Abs 5 [X.] getroffen hat. Sollte das L[X.] zu dieser Auffassung gelangen, hätte es kraft eigener Kompetenz über den Amtshaftungsanspruch zu entscheiden.

Eine Verletzung von § 17 Abs 2 Satz 2 [X.], wonach Art 34 Satz 3 GG unberührt bleibt, läge dann nicht vor. Letztere Vorschrift verbietet lediglich, den ordentlichen Rechtsweg von vornherein auszuschließen; das Verbot einer durch allgemeine Verfahrensvorschriften ausnahmsweise begründeten Zuständigkeit ist darin nicht enthalten (B[X.] [X.]-1720 § 17a [X.] 1 Rd[X.] 8; [X.] vom [X.] - 5 AS 8/98 - AP [X.] 38 zu § 17a [X.] - Juris Rd[X.] 18). Auch das Recht des [X.] auf [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) wäre dann nicht verletzt.

3. Da die Beschwerde bereits aus den unter 1. dargelegten Gründen erfolgreich ist, kann dahinstehen, ob - wie der Kläger zusätzlich geltend macht - die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder eine Divergenz vorliegt.

4. Das L[X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 13 R 63/10 B

20.10.2010

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Gotha, 22. Januar 2007, Az: S 6 R 1587/05, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 128 Abs 2 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 202 SGG, § 17 Abs 2 S 1 GVG, § 17 Abs 2 S 2 GVG, § 17a Abs 3 S 2 GVG, § 17a Abs 5 GVG, § 17b Abs 1 S 2 GVG, § 839 BGB, Art 34 S 3 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.10.2010, Az. B 13 R 63/10 B (REWIS RS 2010, 2181)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2181

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