Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.04.2023, Az. 1 BvR 601/23

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2023, 2246

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mangels Rechtswegerschöpfung unzulässige Verfassungsbeschwerde bzgl der Heranziehung zu Rundfunkbeiträgen - zur Frage der Möglichkeit einer Geltendmachung etwaiger Mängel hinsichtlich Ausgewogenheit und Vielfalt des Programmangebots des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor den Fachgerichten


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Entscheidungsgründe

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Heranziehung zu Rundfunkbeiträgen. Er hat die Zahlung zunächst teilweise und dann vollständig eingestellt.

2

Vor dem Verwaltungsgericht hatte der Beschwerdeführer ausweislich des Tatbestands des angegriffenen Urteils gegen die Beitragsfestsetzung im Wesentlichen geltend gemacht: Er stelle nicht in Abrede, dass der für das Funktionieren der Demokratie bedeutsame Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ein ausgewogenes und der Meinungsvielfalt verpflichtetes Programm anzubieten, die Heranziehung zu einem Beitrag rechtfertige. Das gelte unabhängig von der Qualität einzelner Sendungen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten seien dann jedoch auch verpflichtet, umfassend über alle gesellschaftlichen Strömungen in der [X.] und neutral im Sinne von nicht diffamierend und einseitig zu berichten. Insoweit müssten sie eine Modifikation ihrer journalistischen Freiheit in Kauf nehmen. Dem werde systematisch und bezogen auf die Gesamtstruktur des [X.] nicht nachgekommen. Er habe sich bei den Kontrollorganen der Rundfunkanstalten vergeblich um Abhilfe bemüht.

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Beschwerdeführer könne nicht unter Bezugnahme auf seine im behördlichen und gerichtlichen Verfahren übersandten Nachweise und Berichte geltend machen, der Beitragsbescheid sei rechtswidrig, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk gegen seine Pflicht verstoße, umfassend und ausgewogen über alle gesellschaftlichen Strömungen zu berichten. Die nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Anstalten schließe eine Überprüfung dieser auf die Programminhalte gerichteten [X.] aus. Vielmehr werde die Verwendung der Rundfunkbeiträge durch hierfür bestimmte plural besetzte Aufsichtsgremien der Anstalten überprüft wie insbesondere die Programmkommission und die Rundfunkräte. Sollten diese Gremien ihren Kontrollpflichten nicht oder nur ungenügend nachkommen, stehe der Weg zu den Verfassungsgerichten offen. Eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle sei auch dann nicht eröffnet, wenn Eingaben zur Sicherung eines auf Vielfalt ausgerichteten Programms ohne Erfolg geblieben seien.

4

Einen Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Beschwerdeführer nicht gestellt.

5

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG. Er bestreite weder seine Beitragspflicht noch die Programmhoheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Auftrags, ein insgesamt ausgewogenes und vielfältiges Programm anzubieten. Ihm gehe es auch nicht um die Inhalte einzelner Sendungen. Der [X.] sei jedoch dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn - wie hier im Ausgangsverfahren belegt - das Programmangebot in seiner Gesamtstruktur und systematisch den Anforderungen der Ausgewogenheit und Vielfalt nicht mehr genüge.

6

[X.] ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig ist.

7

1. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg nicht erschöpft, da er den statthaften Antrag auf Zulassung der Berufung nicht gestellt hat (§ 90 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

8

2. Eine Vorabentscheidung (§ 90 Abs. 2 Satz 2 [X.]) käme hier allenfalls in Betracht, wenn ein Antrag auf Zulassung der Berufung angesichts bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung offensichtlich aussichtslos und damit eine Verweisung auf den Rechtsweg unzumutbar wäre (vgl. [X.] 78, 58 <67>).

9

Es ist jedoch weder dargelegt noch ersichtlich, dass bereits hinreichend geklärt ist, ob und gegebenenfalls nach welchen Maßstäben unter Berücksichtigung der Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der der Vielfaltsicherung dienenden Selbstkontrolle durch plural besetzte [X.] Aufsichtsgremien (vgl. [X.] 136, 9 <30 ff. Rn. 33 ff.>) vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden kann, es fehle an einem die Beitragszahlung rechtfertigenden individuellen Vorteil (vgl. [X.] 149, 222 <262 Rn. 80 f.>), weil das Programmangebot nach seiner Gesamtstruktur nicht auf Ausgewogenheit und Vielfalt ausgerichtet sei und daher kein Gegengewicht zu den privaten [X.] bilde. Zwar haben einzelne Oberverwaltungsgerichte diese Frage bereits dahin entschieden, dass die Rundfunkfreiheit jede gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des [X.] durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten ausschließe (vgl. [X.], Beschluss vom 30. März 2017 - 7 ZB 17.60 -, Rn. 9; [X.], Urteil vom 12. März 2015 - 2 A 2423/14 -, Rn. 71 und Beschluss vom 7. Februar 2022 - 2 A 2949/21 -, Rn. 6 f.; [X.], Beschluss vom 16. November 2015 - 7 A 10455/15 -, Rn. 21; [X.], Beschluss vom 15. Februar 2021 - [X.] 95.19 -, Rn. 12). Das gilt jedoch, soweit ersichtlich, nicht für das vorliegend zur Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Berufung zuständige Oberverwaltungsgericht. Auch eine abschließende Klärung durch das [X.] ist nicht dargelegt oder erkennbar. In dem - vor dem Urteil des [X.] zur Verfassungsmäßigkeit des [X.]s ([X.] 149, 222) ergangenen - Nichtzulassungsbeschluss des [X.]s vom 4. Dezember 2017 (- 6 [X.] -, Rn. 7 und 10) wird lediglich ausgeführt, die [X.] dürfe nicht zu Zwecken der Programmlenkung eingesetzt werden. Damit ist jedoch die vom Beschwerdeführer aufgeworfene und mit Blick auf die aus Art. 19 Abs. 4 GG erwachsende Verpflichtung zur Gewährung eines effektiven individuellen Rechtsschutzes naheliegende Frage nicht beantwortet, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen vor Gericht gegen die Beitragserhebung geltend gemacht werden kann, der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ein der Vielfaltsicherung dienendes Programm anzubieten, werde strukturell verfehlt, so dass es an einem individuellen Vorteil fehle.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 601/23

24.04.2023

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend VG Oldenburg (Oldenburg), 2. März 2023, Az: 15 A 2896/20, Urteil

Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.04.2023, Az. 1 BvR 601/23 (REWIS RS 2023, 2246)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2246

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvF 1/11, 1 BvF 4/11 (Bundesverfassungsgericht)

Ausgestaltung der ZDF-Aufsichtsgremien (Fernsehrat, § 21 ZDF-StV; Verwaltungsrat, § 24 ZDF-StV) mit Vorgaben der Rundfunkfreiheit …


6 L 867/21 (Verwaltungsgericht Köln)


1 BvR 2756/20, 1 BvR 2775/20, 1 BvR 2777/20 (Bundesverfassungsgericht)

Staatliche Finanzgewährleistungspflicht bzgl der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Art 5 Abs 1 S 2 GG obliegt …


6 C 25/19 (Bundesverwaltungsgericht)


6 C 6/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Unzulässige Klage einer Landesmedienanstalt gegen die Erteilung der Zulassung für ein bundesweites Fernsehprogramm durch eine …


Referenzen
Wird zitiert von

10 A 2/23

M 26a K 22.6088

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.