Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2022, Az. XI ZB 21/20

11. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8745

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Gegenstand

Fehlendes Sachentscheidungsinteresse im Kapitalanleger-Musterverfahren wegen Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen wird der Musterentscheid des [X.] vom 27. August 2020 (18 [X.]) aufgehoben, soweit das [X.] die mit den [X.] 1d, 2d [X.], [X.], 2e [X.], [X.] und 3 geltend gemachten Prospektfehler festgestellt hat.

Die [X.] des [X.] vom 29. März 2017 (3 [X.]/16, 3 O 321/16 und 3 [X.]) sind hinsichtlich der [X.] 1d, 2d [X.], [X.], 2e [X.], [X.] und 3 gegenstandslos.

Im Übrigen werden die Rechtsbeschwerden zurückgewiesen.

Der [X.] trägt die Kosten des [X.].

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 4.802.209,46 €.

Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten des [X.] wird für die Prozessbevollmächtigten der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen auf 4.771.209,46 € sowie für die Prozessbevollmächtigten des [X.]s auf 105.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem [X.] ([X.]) darüber, ob der bei der Emission des Fonds "[X.]" (im Folgenden: Fonds) am 21. Februar 2006 aufgestellte Prospekt (im Folgenden: Prospekt) fehlerhaft ist. Das Fondskonzept sah die mittelbare Beteiligung von Anlegern als Treugeber über die [X.] zu 2 oder - auf ausdrücklichen Wunsch - die unmittelbare Beteiligung von Anlegern an der [X.] (im Folgenden: [X.]) vor. Die [X.] hatte den Erwerb und den Betrieb eines Vollcontainerschiffs der [X.] zum Gegenstand, das für die Dauer von fünf Jahren fest verchartert war.

2

Die Beteiligung der Anleger erfolgte dabei entweder in Form des [X.], das ein sukzessives Ansteigen der prognostizierten Auszahlungen vorsah, oder in Form des [X.], bei dem gleichbleibende, aber gegenüber dem [X.] vorrangig zu bedienende Auszahlungen erfolgen sollten.

3

Die [X.] zu 1 ist Initiatorin und Anbieterin des [X.]. Sie ist [X.] sowie Gründungskommanditistin der [X.] mit einer Pflichteinlage von 20.000 € und hat eine Platzierungsgarantie übernommen. Die [X.]n zu 2 und 3 waren schon vor der Prospektaufstellung Kommanditistinnen der [X.] mit Einlagen von 1.000 € bzw. 20.000 €. Außerdem waren sie jeweils einhundertprozentige Tochtergesellschaften der am 13. Dezember 2005 aus der [X.] ausgeschiedenen Gründungsgesellschafterin    P.    GmbH & Co. KG, die fortan als Geschäftsbesorgerin fungierte. Die [X.] zu 2 war ferner Treuhänderin und die [X.] zu 3 Vertragsreederin.

4

Das [X.] hat mit drei inhaltsgleichen Beschlüssen vom 29. März 2017 dem [X.] zum Zwecke der Herbeiführung eines [X.] vorgelegt, mit denen verschiedene [X.] geltend gemacht werden. Diese beziehen sich - soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - auf die [X.] im Prospekt und die dabei für das Dynamik- und das [X.] zugrunde gelegten Zahlen. Das [X.] hat nach Verbindung der drei Musterverfahren mit Musterentscheid vom 27. August 2020 die mit den [X.] 1d, 2d [X.], 2d bb, 2e [X.], [X.] und 3 geltend gemachten [X.] festgestellt und den weitergehenden Antrag des Musterklägers zurückgewiesen.

5

Gegen den Musterentscheid haben die [X.]n Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der sie eine Zurückweisung sämtlicher [X.] anstreben.

6

Mit Senatsbeschluss vom 24. Februar 2021 ist die [X.] zu 1 zur Musterrechtsbeschwerdeführerin bestimmt worden.

II.

7

Die zulässigen Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführerinnen führen zur Aufhebung des [X.] hinsichtlich der vom [X.] festgestellten [X.] und zur Gegenstandslosigkeit der [X.] in Bezug auf die [X.] 1d, 2d [X.], 2d bb, 2e [X.], [X.] und 3. Im Übrigen sind die Rechtsbeschwerden zurückzuweisen.

8

1. Die Rechtsbeschwerden sind zulässig. Sie sind rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 20 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerden formulieren auch einen ordnungsgemäßen [X.] (§ 20 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

9

2. Die Rechtsbeschwerden haben insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der vom [X.] festgestellten [X.] und zu dem Ausspruch führen, dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich dieser [X.] gegenstandslos ist.

a) Das [X.] hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - die [X.] 1d, 2d [X.], 2d bb, 2e [X.], [X.] und 3 als begründet angesehen.

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob das [X.] zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Prospekt fehlerhaft ist. Denn die Rechtsbeschwerden haben bereits aus einem anderen Grund Erfolg. Die mit den [X.] behaupteten [X.] sind ausschließlich als anspruchsbegründende Tatsachen eines Anspruchs wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung geltend gemacht worden. Wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung fehlt es für die Frage, ob [X.] vorliegen, jedoch am [X.], so dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich der mit den Rechtsbeschwerden weiterverfolgten [X.] gegenstandslos ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Februar 2022 - [X.], [X.], 47 Rn. 13 ff.).

In den [X.]n ist ausgeführt, dass die Kläger Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß den § 311 Abs. 2 und Abs. 3, § 241 Abs. 2 BGB im Zusammenhang mit der Zeichnung ihrer Beteiligung geltend machten und dass der Prospekt die Entscheidungsgrundlage für den Beitritt dargestellt habe.

c) Eine Haftung der [X.]n als Gründungsgesellschafterinnen bzw. Gesellschafterinnen der [X.] zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB kann nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird - was der Senat in gefestigter Rechtsprechung entscheidet (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - [X.], [X.], 237 Rn. 22 ff., vom 14. Juni 2022 - [X.], [X.], 1679 Rn. 7 f. [X.] in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, [X.], 1908 und vom 26. Juli 2022 - [X.], [X.], 2137 Rn. 50 ff. [X.]) - vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.

Auf den am 21. Februar 2006 aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g [X.] in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich des § 13 [X.] in der vom 1. November 2005 bis zum 30. Dezember 2006 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) und der §§ 44 ff. [X.] in der vom 1. Juli 2002 bis zum 31. Oktober 2007 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.

Die [X.] zu 1 ist [X.] im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] aF, weil sie die Verantwortung für den Prospekt ausdrücklich übernommen hat (Seite 3 des Prospekts). Sie ist zudem als Gründungskommanditistin [X.] im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] aF (vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 12. Oktober 2021 - [X.], [X.], 2386 Rn. 24, vom 26. April 2022 - [X.], [X.], 1277 Rn. 39 und vom 14. Juni 2022 - [X.], [X.], 1679 Rn. 12 in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, [X.], 1908).

Die [X.]n zu 2 und 3 sind zwar keine Gründungsgesellschafterinnen der [X.], haben aber eine vergleichbare Stellung, so dass auch sie als Personen anzusehen sind, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Januar 2022 - [X.], [X.], 395 Rn. 22 f. und vom 15. März 2022 - [X.], [X.], 921 Rn. 22 f.). Sie waren bereits vor der Aufstellung des Prospekts Kommanditistinnen der [X.]. Die [X.] war am 28. Februar 2005 als Vorratsgesellschaft gegründet worden und war erst seit dem 13. Dezember 2005 unter ihrer Firma im Handelsregister eingetragen. Zu diesem Zeitpunkt traten zwei Gründungsgesellschafterinnen aus und nachfolgend beteiligten sich die [X.]n zu 2 und 3, welche zusammen mit der [X.]n zu 1 auch den im Prospekt abgedruckten Gesellschaftsvertrag vom 20. Februar 2006 unterzeichneten.

Die [X.]n hafteten mithin für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 [X.], §§ 44 ff. [X.] aF. Neben dieser ist eine Haftung der [X.]n unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen.

d) Durch den Beschluss des [X.] vom 25. Oktober 2022 ([X.]) ist der erkennende Senat nicht an einer Entscheidung gehindert. Bei der vom II. Zivilsenat geäußerten (abweichenden) Rechtsauffassung handelt es sich lediglich um ein obiter dictum, das für dessen Entscheidung nicht tragend ist.

e) Somit ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der [X.] 1d, 2d [X.], 2d bb, 2e [X.], [X.] und 3 gegenstandslos (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Februar 2022 - [X.], [X.], 47 Rn. 20).

III.

Die Entscheidung über die Kosten des [X.] folgt aus § 26 Abs. 3 [X.] i.V.m. §§ 97, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entsprechend (vgl. [X.] in [X.], [X.], 2. Aufl., § 26 Rn. 1). Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtskosten folgt aus § 51a Abs. 2 GKG. Der Gesamtwert der in sämtlichen ausgesetzten Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche beträgt vorliegend 4.802.209,46 €. Die Festsetzung des [X.] für die außergerichtlichen Kosten richtet sich nach § 23b [X.]. Danach ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Prozessbevollmächtigten der [X.]n auf 4.771.209,46 € und für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten der Prozessbevollmächtigten des Musterklägers auf 105.000 € festzusetzen.

Ellenberger     

  

Grüneberg     

  

[X.]

  

Derstadt     

  

Ettl     

  

Meta

XI ZB 21/20

13.12.2022

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BGH, 24. Februar 2021, Az: XI ZB 21/20, Beschluss

§ 8g VerkProspGebV vom 28.10.2004, § 13 VerkProspGebV vom 28.10.2004, § 44 Abs 1 S 1 Nr 1 BörsG vom 21.06.2002, § 241 Abs 2 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 311 Abs 2 BGB, § 311 Abs 3 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2022, Az. XI ZB 21/20 (REWIS RS 2022, 8745)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8745

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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