Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.03.2018, Az. IX ZR 179/17

9. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 13036

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ZEUGENBEWEIS KURZER PROZESS DOLMETSCHER

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Gegenstand

Gang der mündlichen Verhandlung: Pflicht zur Beiziehung eines Dolmetschers bei beabsichtigter persönlicher Äußerung einer der deutschen Sprache nicht mächtigen Partei


Leitsatz

Beabsichtigt eine nicht der deutschen Sprache mächtige Partei, in der mündlichen Verhandlung von dem Recht zur persönlichen Anhörung Gebrauch zu machen, hat das Gericht von Amts wegen einen Dolmetscher beizuziehen.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 15. Juni 2017 wird zugelassen.

Auf die Revision der Klägerin wird das vorgenannte Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens vor dem [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 367.122,08 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihrer Mutter C.     (nachfolgend: [X.]) Zahlungsforderungen gegen die Beklagten, ihre Schwester und deren Ehemann, geltend.

2

Nach Darstellung der Klägerin überließ die [X.] den Beklagten im Jahre 2002 eine Geldsumme über 90.000 € und im Jahre 2005 eine solche über 80.000 € zum Zwecke der Verwahrung. Die [X.] veräußerte im Jahre 2011 in ihrem Miteigentum stehenden Grundbesitz, der in [X.] gelegen war. Aus dem Erlös überwies sie am 16. November 2011 einen Betrag von 68.525 € und am 11. April 2012 einen weiteren Betrag von 130.802 € auf ein Konto der Beklagten. Bei diesen Zahlungen soll es sich nach dem Vorbringen der Klägerin um Darlehen gehandelt haben.

3

Die - nach Abzug von Tilgungsleistungen in Höhe von 2.214,92 € - auf Zahlung von 367.112,08 € gerichtete Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat nicht als erwiesen erachtet, dass die [X.] den Beklagten 170.000 € in Verwahrung gegeben habe. Hinsichtlich der Forderung von 197.112,08 € hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin die Darlegung der Beklagten, es handele sich insoweit um eine Schenkung, nicht widerlegt habe.

II.

4

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das angefochtene Urteil ist daher gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

5

1. Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerde zu Recht beanstandet, den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil es den von der Klägerin zum Nachweis beider Klageforderungen benannten Zeugen [X.] nicht vernommen hat.

6

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet ([X.], Beschluss vom 12. Mai 2009 - [X.], [X.], 2604 Rn. 2; vom 16. September 2014 - [X.], [X.], 338 Rn. 4).

7

b) In dieser Weise verhält es sich im Streitfall, soweit das Berufungsgericht von der Vernehmung des Zeugen [X.]abgesehen hat.

8

aa) Die Klägerin hat sich zum Beweis dafür, dass die [X.] den Beklagten insgesamt 170.000 € in Verwahrung gegeben habe, auf das Zeugnis von [X.]berufen. Außerdem wurde der Zeuge von der Klägerin zum Nachweis benannt, dass die [X.] den Beklagten durch die Überweisungen von 68.525 € und 130.802 € Darlehen gewährt habe. Die Beweisanträge haben insbesondere den Inhalt eines zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 geführten Telefongesprächs zum Gegenstand, in dem die Beklagte zu 1 unter Beteiligung des Zeugen die Forderungen der [X.] bestätigt haben soll. Ferner wurde der Zeuge zum Beweis dafür benannt, dass die Beklagte zu 1 ihm gegenüber durch E-Mail-Nachrichten die Begründetheit der Ansprüche der [X.] eingeräumt habe. Die Beweisanträge hat die Klägerin nochmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wiederholt.

9

bb) Das Berufungsgericht hat von der beantragten Beweisaufnahme hinsichtlich der Gewährung von Darlehen über 68.525 € und 130.802 € mit der Begründung abgesehen, dass der Zeuge bei den zwischen der [X.] und der Beklagten geführten Absprachen nicht zugegen gewesen sei und daher nur über Äußerungen berichten könne, die ihm gegenüber gemacht worden seien. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil der Zeuge an einem zwischen der Klägerin und der Beklagten geführten Telefonat unmittelbar mitgewirkt haben soll.

cc) Davon abgesehen ist das Beweismittel entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts nicht deshalb ungeeignet, weil es sich nur um einen Zeugen vom [X.] handelt. Auch der Zeuge vom [X.] ist Zeuge, weil er seine eigene konkrete Wahrnehmung bekunden soll. Zwar haftet dieser Art des Beweises eine besondere Unsicherheit an, die über die allgemeine Unzuverlässigkeit des Zeugenbeweises hinausgeht, so dass an die Beweiswürdigung hohe Anforderungen zu stellen sind. Dies kann es aber nicht rechtfertigen, ein solches Beweismittel als unzulässig anzusehen ([X.], Urteil vom 3. Mai 2006 - [X.], [X.]Z 168, 79 Rn. 21 mwN). Mit der Vernehmung eines Zeugen vom [X.] wird nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, weil die Vernehmung eines Zeugen, der aus eigener Kenntnis nur Bekundungen Dritter über entscheidungserhebliche Tatsachen wiedergeben kann, grundsätzlich zulässig ist ([X.], Urteil vom 10. Mai 1984 - [X.], NJW 1984, 2039, 2040; vom 2. Mai 1990 - [X.], NJW-RR 1990, 1276). Die Aussage eines Zeugen vom [X.] ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) zu berücksichtigen ([X.], Urteil vom 4. Juli 2002 - [X.], [X.], 89, 90).

dd) Nach diesen Maßstäben war das [X.] gehalten, den von der Klägerin benannten Zeugen zu vernehmen. Soweit der Zeuge nach Darstellung der Klägerin an einem zwischen ihr und der Beklagten zu 1 geführten Ferngespräch teilgenommen hat, ist, weil es sich um eine aktive Mitwirkung und nicht um ein heimliches Mithören gehandelt haben soll, bisher nicht ersichtlich, dass die Erkenntnisse des Zeugen unverwertbar wären (vgl. [X.], [X.], 1350, 1352 ff).

ee) Die vorstehenden Ausführungen gelten ebenfalls für die Klageforderung über 170.000 €. Insoweit hat das Berufungsgericht den erheblichen Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen schlicht übergangen.

2. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 [X.] von Amts wegen einen Dolmetscher hinzuzuziehen haben wird, sofern die der [X.] nicht mächtige Klägerin sich selbst zu den der Klageforderung zugrunde liegenden tatsächlichen Vorgängen zu erklären beabsichtigt (§ 137 Abs. 4 ZPO).

a) Vom Schutzbereich des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wird die Frage nicht umgriffen, ob und in welchem Umfang ein der [X.] nicht oder nicht hinreichend mächtiger Verfahrensbeteiligter einen Anspruch darauf hat, dass das Gericht ihm über einen Dolmetscher oder Übersetzer zur Überbrückung von Verständigungsschwierigkeiten verhilft ([X.] 64, 135, 144 f).

Den aus solchen Verständigungsproblemen erwachsenden Gefährdungen begegnet das Grundgesetz durch die Gewährung eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens, auf das der Verfahrensbeteiligte nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG einen grundrechtlich gesicherten Anspruch hat (vgl. [X.], aaO [X.]). In Einklang mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 [X.] ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der [X.] nicht mächtig sind. Die Bestimmung dient als Ausprägung des Grundsatzes des fairen Verfahrens der Wahrheitsfindung ([X.], ZPO, 22. Aufl., § 185 [X.] Rn. 1; [X.]/Schütze/Schreiber, ZPO, 4. Aufl., § 185 Rn. 1). Es kann nicht hingenommen werden, einen der [X.] nicht oder nicht hinreichend mächtigen Verfahrensbeteiligten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen. Darum ist bei der Auslegung des § 185 [X.] zu berücksichtigen, dass ein Verfahrensbeteiligter in die Lage versetzt werden muss, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können (vgl. [X.], aaO).

b) Vor diesem Hintergrund wird die Hinzuziehung eines Dolmetschers allgemein in allen Fällen als geboten erachtet, in denen eine der [X.] nicht mächtige [X.] in einer mündlichen Verhandlung anwesend ist ([X.], aaO Rn. 5; [X.]/Schütze/Schreiber, aaO Rn. 2; [X.]/[X.], ZPO, 76. Aufl., § 185 [X.] Rn. 3). Es kann dahin stehen, ob dieser naheliegenden Auffassung uneingeschränkt beizutreten und ein Dolmetscher auch hinzuzuziehen ist, wenn die der [X.] nicht hinreichend mächtige, durch einen Verfahrensbevollmächtigten ordnungsgemäß vertretene [X.] ohne zwingende prozessuale Notwendigkeit aus eigenem Entschluss an einer mündlichen Verhandlung teilnimmt (insoweit ablehnend [X.]/Lückemann, ZPO, 32. Aufl., § 185 [X.] Rn. 1a). Jedenfalls hat das Gericht für die Hinzuziehung eines Dolmetschers Sorge zu tragen, wenn es das persönliche Erscheinen einer der [X.] nicht mächtigen [X.] anordnet ([X.]/Lückemann, aaO). Gleiches gilt, wenn zwar nicht das persönliche Erscheinen der [X.] angeordnet wird, diese sich aber - wie im Streitfall - auf der Grundlage des § 137 Abs. 4 ZPO in der mündlichen Verhandlung persönlich zu äußern beabsichtigt (vgl. [X.]/Lückemann, aaO). In beiden Gestaltungen kann, weil das prozessuale Äußerungsrecht der [X.] auch nicht infolge von Sprachbarrieren Einschnitte erleiden darf, nur die Beiziehung eines gerichtlichen Dolmetschers die gebotene einwandfreie Übersetzung ihrer Erklärungen sicherstellen.

c) Etwaige Angaben der Klägerin zu dem hier maßgeblichen Sachverhalt sind im Rahmen der abschließenden umfassenden Beweiswürdigung zu beachten.

Kayser     

      

[X.]     

      

Pape   

      

Grupp     

      

Möhring     

      

Meta

IX ZR 179/17

01.03.2018

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 15. Juni 2017, Az: 5 U 9/17

§ 185 Abs 1 S 1 GVG, § 137 Abs 4 ZPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.03.2018, Az. IX ZR 179/17 (REWIS RS 2018, 13036)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 779-780 WM2018,2000 REWIS RS 2018, 13036


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX ZR 179/17

Bundesgerichtshof, IX ZR 179/17, 01.03.2018.


Az. 5 U 9/17

Oberlandesgericht Köln, 5 U 9/17, 26.07.2017.


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