ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) GERICHTE JUSTIZ STRAFVERFAHREN VERFAHRENSGRUNDSÄTZE Hinzufügen
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Absoluter Revisionsgrund in Strafsachen: Besetzungsfehler der Strafkammer bei Mitwirkung eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Schöffen
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das [X.] hat die Angeklagten [X.] und [X.] wegen besonders schweren Raubs jeweils zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, den Angeklagten A. wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO Erfolg, da die [X.] nicht vorschriftsmäßig besetzt war.
1. Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Vor Beginn der Hauptverhandlung teilte die [X.] dem [X.] mit, sie wolle von ihrem Schöffenamt zurücktreten, da sie „sehr schlecht deutsch“ könne. Am 8. Oktober 2009 führt die Vorsitzende der [X.] ein Telefonat mit der Schöffin. Sie vermerkt, diese habe sehr gebrochen deutsch gesprochen und das Telefon wegen Verständigungsschwierigkeiten an eine Kollegin weitergereicht. Den Antrag der Schöffin, sie von der Schöffenliste zu streichen, wies das [X.] durch [X.]uss vom 9. Oktober 2009 zurück, da ein gesetzlicher Grund nicht gegeben sei. In der Hauptverhandlung war die Kammer mit S. als nach der Schöffenliste zuständigen Schöffin besetzt. An sämtlichen Hauptverhandlungstagen nahm eine Dolmetscherin für die [X.], die für die Schöffin herangezogen worden war, an der Sitzung teil. Sie war auch bei allen Beratungen der Kammer einschließlich der Urteilsberatung anwesend.
Vor Vernehmung der Angeklagten zur Sache erhoben deren Verteidiger jeweils einen [X.], mit dem sie beanstandeten, die mangelnden Deutschkenntnisse der [X.] begründeten deren Unfähigkeit zum Führen des Schöffenamts. Durch [X.]uss vom 28. Oktober 2009 hat die Kammer den Einwand zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Fall eines der [X.] nicht hinreichend mächtigen Richters sei gesetzlich nicht geregelt. Es sei daher davon auszugehen, dass [X.] an der Ausübung des Amts nicht gehindert sei; die Hinzuziehung eines Dolmetschers sei deshalb zulässig und geboten.
2. Die Rüge hat Erfolg weil die Schöffin aufgrund ihrer unzureichenden Deutschkenntnisse an der Verhandlung nicht teilnehmen durfte, so dass die Kammer nicht vorschriftsmäßig besetzt war, § 338 Nr. 1 StPO.
a) Es ist anerkannt, das Mängel in der Person eines Richters oder Schöffen, die seine Unfähigkeit zur Teilnahme an Verhandlungen begründen, zu einer vorschriftswidrigen Gerichtsbesetzung [X.]. § 338 Nr. 1 StPO führen ([X.] 53. Aufl. § 338 Rn. 10; [X.]/[X.] Strafverfahrensrecht 26. Aufl. § 46 Rn. 36). So ist, obwohl dies gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist, [X.] regelmäßig nicht fähig, an Verhandlungen teilzunehmen. Dies folgt aus dem die Hauptverhandlung beherrschenden Grundsatz der Mündlichkeit, der die Fähigkeit voraussetzt, Gesprochenes akustisch wahrzunehmen und sich in dem durch Rede und Gegenrede gekennzeichneten Gang der Hauptverhandlung mündlich zu äußern (vgl. BGHSt 4, 191, 193; [X.] in [X.] Kommentar 6. Aufl. § 338 Rn. 50; [X.] StPO 5. Aufl. § 338 Rn. 10).
Nach ständiger Rechtssprechung kann [X.] nicht an einer tatrichterlichen Hauptverhandlung in Strafsachen mitwirken, da dies gegen den [X.] verstößt (BGHSt 4, 191, 193 f.; 34, 236, 238; 35, 164, 166). Das [X.] hat die Streichung eines blinden Schöffen von der Schöffenliste unter Hinweis auf den strafprozessualen [X.] als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden angesehen (vgl. [X.]. v. 7. November 1989 – 2 BvR 467/89; [X.] NJW 2004, 2150).
b) Entsprechendes gilt für einen Schöffen, der der [X.] nicht hinreichend mächtig ist.
aa) Bis zum 29. Juli 2010 war die Frage der Notwendigkeit einer Sprachkompetenz von Schöffen gesetzlich nicht geregelt, so dass insoweit eine Gesetzeslücke bestand. § 31 Satz 2 [X.] regelt ausdrücklich nur, dass das Schöffenamt „nur von [X.]“ versehen werden kann. Die [X.] Staatsangehörigkeit setzt aber nicht notwendig die Beherrschung der [X.] voraus. [X.] war die Frage, ob ein sprachunkundiger Schöffe gehindert ist, an Verhandlungen teilzunehmen, nicht entschieden; in der Literatur wurde sie kontrovers diskutiert. Von der Instanzrechtsprechung und Teilen der Literatur wurde vertreten, dass fehlende Sprachkenntnisse die Unfähigkeit eines Schöffen zum Führen dieses Amts begründeten (so [X.], 3227; [X.], [X.]. v. 2. November 2005, [X.]. 501 Schöff 271/04; [X.] [X.]. v. 16. März 2006, [X.]. 3221b [X.]; [X.] 53. Aufl. § 31 Rn. 3; [X.] Lehrkommentar zur StPO und zum [X.] § 31 Rn. 4; [X.] in [X.] § 31 [X.] Rn. 5). Die [X.] ([X.] Strafgerichtsverfassungsrecht 3. Aufl. § 31 [X.] Rn. 3; [X.]/[X.] [X.] 6. Aufl. § 31 [X.] Rn. 11 sowie § 193 Rn. 20; [X.] StPO 4. Aufl. § 31 [X.] Rn. 3; zweifelnd [X.] in [X.] 25. Aufl. § 193 [X.] Rn. 29; in diese Richtung auch [X.] in [X.] Kommentar 6. Aufl. § 31 [X.] Rn. 2) berief sich auf eine Entscheidung des [X.] ([X.], 399, 400) aus dem [X.], die sich auf Geschworene im Sinne der damaligen Gerichtsverfassung bezog und annahm, das Gesetz lasse eine Anfechtung des Spruchs der Geschworenen nicht deshalb zu, weil einer der Geschworenen wegen Mängel der erforderlichen geistigen Fähigkeiten, Unaufmerksamkeit oder mangelhafter Kenntnis der [X.] zur pflichtgemäßen Abgabe des Spruchs nicht imstande gewesen sei.
bb) Der Gesetzgeber hat das Bedürfnis gesehen, diese Rechtsfrage einer Klärung zuzuführen; er hat durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 24. Juli 2010 ([X.]) erstmals eine Regelung zur notwendigen Sprachkompetenz von Schöffen geschaffen. § 33 Nr. 5 [X.] in der ab 30. Juli 2010 geltenden Fassung sieht vor, dass „Personen, die mangels ausreichender Beherrschung der [X.] für das Amt nicht geeignet sind“, zum Schöffenamt nicht berufen werden sollen (vgl. schon Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 15/5950). Wird gegen die Soll-Vorschrift des § 33 [X.] verstoßen, ist der Schöffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.] von der Schöffenliste zu streichen. Zwar handelt es sich bei § 33 [X.] um eine bloße Ordnungsvorschrift; aus einem Verstoß hiergegen ergibt sich nicht schon ohne Weiteres eine gesetzwidrige Besetzung (BGHSt 30, 255, 257; 33, 261, 269). Der [X.] greift vielmehr nur durch, wenn der der Ungeeignetheit [X.]. § 33 [X.] zugrunde liegende Umstand die Unfähigkeit des Schöffen begründet, der Verhandlung zu folgen. Die Neuregelung in § 33 Nr. 5 [X.] und die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 17/2350) lassen aber den eindeutigen Willen des Gesetzgebers erkennen, dass nicht hinreichend sprachkundige Schöffen dieses Amt nicht ausüben sollen. Der Umstand, das der Gesetzgeber auf die Anordnung einer rückwirkenden Anwendung von § 33 Nr. 5 [X.] auf am 30. Juli 2010 bereits anhängige Verfahren verzichtet hat, beruht auf der Zielsetzung, diese Prozesse nach alter Rechtslage abschließen zu können. Sie bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber für die [X.] vor Inkrafttreten des § 33 Nr. 5 [X.] die Erforderlichkeit der Sprachkompetenz von Schöffen abweichend hätte beurteilen wollen.
cc) Der Senat bejaht die Erforderlichkeit einer hinreichenden Sprachkompetenz bei Schöffen auch für die Rechtslage vor der Neuregelung in § 33 Nr. 5 [X.]. Der in der Strafprozessordnung verankerte Verfahrensgrundsatz der Unmittelbarkeit (§§ 261, 264 StPO) verlangt, dass das Urteil auf einer umfassenden Würdigung der unmittelbar vor dem erkennenden Gericht erhobenen Beweise beruht. Hierzu ist erforderlich, dass der erkennende Tatrichter Prozessabläufe akustisch und optisch wahrnehmen und verstehen und sich unmittelbar - ohne Zuhilfenahme von Sprachmittlern - mit den übrigen Verfahrensbeteiligten in der [X.] - diese ist gemäß § 184 Satz 1 [X.] deutsch - verständigen kann. Hieraus folgt, dass [X.] der [X.] mächtig sein müssen. § 186 [X.] regelt folgerichtig die Verständigung des Gerichts mit hör- und sprachbehinderten Personen, nicht aber umgekehrt die Verständigung bei Vorliegen einer entsprechenden Behinderung auf Seiten eines Richters. Soweit § 185 [X.] die Hinzuziehung eines Dolmetschers für den Fall bestimmt, dass „unter Beteiligung“ von Personen verhandelt wird, die der [X.] nicht mächtig sind, ergibt die systematische Stellung der Vorschrift, dass diese nicht den Fall eines sprachunkundigen Richters regelt.
Für das aus dem [X.] abzuleitende Erfordernis einer Kommunikation der [X.] untereinander in der [X.] sprechen auch Sinn und Zweck des § 193 [X.]. Dieser benennt in Abs. 1 und 2 die Personen, die an einer Beratung und Abstimmung teilnehmen dürfen, abschließend. Wie das [X.] ausgeführt hat, enthält § 193 [X.] ein gesetzgeberisches Leitbild, wonach die richterliche Meinungsbildung in Gremien nur den zugehörigen [X.] zur Kenntnis zu gelangen habe; hiervon ist die Öffentlichkeit grundsätzlich ausgeschlossen. Dies erst erlaubt eine unbeeinflusste, sich in freier Rede und Gegenrede entwickelnde Meinungsbildung ([X.], [X.]. v. 28. November 2007 - 2 BvR 1431/07 Rn. 15). § 193 [X.] dient dem Schutz des [X.] gemäß §§ 43, 45 Abs. 1 Satz 2 DRiG und damit nach ständiger Rechtsprechung auch der Unabhängigkeit der Gerichte (vgl. BGHSt 41, 119, 121). Die Vorschrift hat daher eine hohe Bedeutung für die Umsetzung des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und den Schutz der Strafrechtspflege; sie ist eng auszulegen.
Sprachunkundigkeit eines erkennenden Richters ist daher im Ergebnis dem Fall der Unfähigkeit zum Sprechen oder Sehen gleichzusetzen. Zwar kann ein sprachunkundiger Schöffe Prozessvorgänge grundsätzlich akustisch wahrnehmen und mit Hilfe eines Dolmetschers auch mit den Prozessbeteiligten kommunizieren. Es ist ihm allerdings nicht möglich, sich mit den übrigen Richtern unmittelbar zu verständigen. Er kann daher an einer Hauptverhandlung in Strafsachen nicht als Laienrichter teilnehmen. Dies hat der Gesetzgeber des [X.] zum [X.] klargestellt.
Da die Rüge des Verstoßes gegen § 338 Nr. 1 StPO durchgreift, kommt es auf die gesondert erhobene Rüge eines Verstoßes gegen § 193 [X.] nicht mehr an.
Frau Vors. [X.] Prof. Dr. [X.] ist wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschriftsleistung gehindert. |
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Fischer | Fischer | Appl | ||
Herr RiBGH Dr. [X.] ist wegen Erkrankung an der Unterschriftsleistung gehindert. |
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Krehl |
Fischer |
Meta
26.01.2011
Bundesgerichtshof 2. Strafsenat
Urteil
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Köln, 4. November 2009, Az: 113 KLs 1/09, Urteil
§ 31 Abs 2 GVG, § 33 Nr 5 GVG vom 24.07.2010, § 53 Abs 1 Nr 2 GVG, § 184 GVG, § 186 GVG, § 261 StPO, § 264 StPO, § 338 Nr 1 StPO
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.01.2011, Az. 2 StR 338/10 (REWIS RS 2011, 10094)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 10094
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
2 StR 338/10 (Bundesgerichtshof)
5 StR 519/20 (Bundesgerichtshof)
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