Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.08.2013, Az. 4 StR 277/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3160

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Fahrten ohne Fahrerlaubnis ohne Bezug zur Betäubungsmittelabhängigkeit


Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] ([X.]) vom 7. Februar 2013 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr für das Rechtsmittelverfahren um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse hat die Hälfte der insoweit entstandenen Auslagen sowie der notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Berufungsurteil des [X.]s [X.]nthal ([X.]) vom 27. März 2012 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen. Weiterhin hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält einer rechtlichen Prüfung schon deshalb nicht stand, weil ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und den [X.] nicht belegt ist.

3

a) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt gemäß § 64 Satz 1 StGB - neben dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen - voraus, dass die [X.] im Rausch begangen wurde oder - zumindest mitursächlich - auf den Hang zurückgeht, wobei die erste dieser Alternativen ein Unterfall der zweiten Alternative ist ([X.], Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 [X.], [X.], 130 mwN). Die konkrete Tat muss in dem Hang ihre Wurzel finden, also Symptomwert für den Hang des [X.] zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln haben ([X.], Urteil vom 11. September 1990 - 1 StR 293/90, NStZ 1991, 128).

4

Eine Tatbegehung "im Rausch" hat das [X.] nicht festgestellt, sondern lediglich, dass der Angeklagte im Jahr 2011, in dem die verfahrensgegenständlichen Taten begangen wurden, generell Amphetamin und gelegentlich Marihuana konsumierte ([X.], 16).

5

Anhaltspunkte dafür, dass die Taten, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf einen Hang zum Alkohol- oder Drogenmissbrauch zurückgingen, bestehen nicht. Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen ([X.], Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 [X.] aaO). Derartige Delikte liegen hier nicht vor. Andere Delikte kommen als Hangtaten nur dann in Betracht, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie gerade in dem Hang ihre Wurzeln finden, sich darin die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des [X.] zeigt ([X.], Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 [X.] aaO). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich. Der Angeklagte hat die Fahrten ohne Fahrerlaubnis jeweils aus Anlass seiner Beziehung zu einer Frau unternommen, ohne dass seine Betäubungsmittelabhängigkeit eine erkennbare Rolle gespielt hätte.

6

Soweit das [X.] in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen angenommen hat, die Taten seien auf den Hang zurückzuführen, weil "bei dem Angeklagten durch den jahrelangen übermäßigen Betäubungsmittelkonsum bereits eine deutliche und dauernde Verantwortungslosigkeit unter Missachtung [X.] Normen, Regeln und Verpflichtungen eingetreten" ([X.]) sei, kann dem nicht gefolgt werden. Auch damit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Taten und dem Hang nicht dargetan (vgl. zur "Enthemmung" [X.], Urteil vom 20. September 2011 - 1 [X.], [X.], 72, 74 f.). Die Urteilsfeststellungen enthalten keinen Beleg dafür, dass der Angeklagte die ausgeurteilten Taten wegen einer aufgrund jahrelangen Betäubungsmittelkonsums herabgesetzten Hemmschwelle begangen hat. Dagegen spricht, dass er bereits seit 2004 mit Straftaten in Erscheinung getreten ist, seine Straffälligkeit also zu einer Zeit einsetzte, als er mit dem [X.] von Betäubungsmitteln gerade begonnen hatte.

7

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem rechtskräftigen Berufungsurteil des [X.]s [X.]nthal vom 27. März 2012, das vier der Beschaffungskriminalität zuzuordnende Taten des (in einem Fall versuchten) Diebstahls zum Gegenstand hatte. Im Rahmen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB kann das Gericht zwar erstmals auf eine Maßregel erkennen, wenn sich entweder aufgrund der neu abzuurteilenden Tat allein oder in Verbindung mit der schon abgeurteilten Tat die Erforderlichkeit der Maßregel ergibt (vgl. [X.], Urteil vom 16. Dezember 1954 - 3 StR 189/54, [X.]St 7, 180, 182; [X.] in [X.], 12. Aufl., § 55 Rn. 53; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., § 55 Rn. 55; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rn. 305). Die erstmalige Verhängung der Maßregel kann aber nicht allein mit dem [X.] der bereits rechtskräftig abgeurteilten Taten begründet werden. Diese bilden deshalb im vorliegenden Verfahren keine Grundlage für die Anordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB.

8

2. Der Senat kann sicher ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen würden. Daher ist in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] auf den Wegfall der Maßregel zu erkennen (vgl. [X.], [X.], 56. Aufl., § 354 Rn. 26f).

9

3. [X.] beruht auf § 473 Abs. 4 Satz 1 [X.]. Im vorliegenden Fall ist durch den Wegfall der Anordnung gemäß § 64 StGB das Gewicht des Rechtsfolgenausspruchs so gemindert, dass es unbillig wäre, dem Angeklagten die gesamten [X.] aufzubürden. Angemessen ist es vielmehr, die Hälfte der [X.] der Staatskasse aufzuerlegen und die Revisionsgebühr um die Hälfte zu ermäßigen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 473 Abs. 4 Quotelung 1; vom 11. Februar 1983 - 3 StR 484/82 (S)).

Sost-Scheible                              Roggenbuck                          [X.]

                          Mutzbauer                                 [X.]

Meta

4 StR 277/13

28.08.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankenthal, 7. Februar 2013, Az: 5221 Js 21300/11 - 2 KLs

§ 64 StGB, § 21 StVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.08.2013, Az. 4 StR 277/13 (REWIS RS 2013, 3160)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3160

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