Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.06.2010, Az. 5 B 49/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 5407

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Gegenstand

Verfahrensmangel; Klärung der Echtheit eines Schriftstücks; ausländische öffentliche Urkunde; Bekenntnis zum deutschen Volkstum


Leitsatz

1. Hat das Tatsachengericht anderweitig nicht behobene Zweifel an der (entscheidungserheblichen) Echtheit einer ausländischen öffentlichen Urkunde (hier: der mit einem amtlichen Stempel versehenen Fotokopie eines sowjetischen Passantrags - sog. Forma Nr. 1), muss sich ihm eine weitere Aufklärung - etwa durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes - regelmäßig aufdrängen.

2. Eine Beweisregel, dass eine zuvor eingeholte amtliche Auskunft in ihrem Beweiswert durch die Vorlage einer beglaubigten Ablichtung einer ausländischen öffentlichen Urkunde nicht erschüttert werden kann, gibt es nicht.

Gründe

1

Die [X.]eschwerde hat mit der Verfahrensrüge (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Deshalb verweist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das [X.]erufungsgericht zurück.

2

1. Dem angefochtenen Urteil haftet ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO an. Das [X.]erufungsgericht hat gegen seine richterliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Die [X.]eschwerde rügt insoweit zu Recht, dass das [X.]erufungsgericht es unterlassen hat, von Amts wegen die Echtheit eines von der [X.]eklagten vorgelegten Schriftstücks - nämlich der mit einem amtlichen Stempel versehenen Kopie des Antrags (sog. [X.]) der Klägerin auf Ausstellung eines [X.]es aus dem [X.] - etwa durch die Einholung einer amtlichen Auskunft des [X.] zu klären.

3

Das [X.]erufungsgericht hat die Frage der Echtheit des vorgelegten Schriftstücks, aus dessen Inhalt sich ergibt, dass die Klägerin in dem [X.] von 1990 die [X.] Nationalität angegeben hat, auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zu der als entscheidungstragend herangezogenen Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] als für die Klärung des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung eines Aufnahmebescheids erheblich angesehen ([X.] f., 11 f.). Dem liegt ersichtlich die zutreffende rechtliche Annahme des [X.]erufungsgerichts zugrunde, dass nur derjenige [X.] Volkszugehöriger im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] sein kann, der sich im [X.] von seiner - hier bei der Klägerin im [X.] vorliegenden - [X.]ekenntnisfähigkeit an ausschließlich und durchgängig zum [X.] Volkstum bekennt (vgl. etwa Urteile vom 3. Mai 2007 - [X.]VerwG 5 C 6.06 - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 107 und vom 13. September 2007 - [X.]VerwG 5 C 25.06 - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 110 m.w.N.). Das [X.]erufungsgericht hat deshalb geprüft und Feststellungen dazu getroffen, ob "die Klägerin nicht nur in ihrem [X.] aus dem [X.], sondern auch in ihren früheren Pässen mit [X.] Nationalität eingetragen gewesen ist" und ob "diese Eintragung nach einer entsprechenden Erklärung zur [X.] Nationalität bei der [X.]eantragung des ersten [X.]es erfolgt ist" ([X.] f.). Darauf bezog sich auch der [X.]eweisbeschluss des [X.]erufungsgerichts vom 29. Januar 2008. Es ist mithin davon ausgegangen, dass sich die Klägerin nicht - wie nach § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] erforderlich - ausschließlich und durchweg zum [X.] Volkstum bekannt hätte, wenn sie anlässlich der [X.]eantragung ihres ersten [X.]es im Jahre 1990 in der [X.] ihre Nationalität mit russisch angegeben hätte (vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.[X.]). Dann hätte sich dem [X.]erufungsgericht aber die Klärung, ob die von der [X.]eklagten vorgelegte Kopie der [X.] aus dem Jahre 1990 echt ist, d.h. die [X.]eglaubigung echt ist und die Kopie eine echte Urkunde abbildet, - etwa durch die Einholung einer entsprechenden Auskunft des [X.] - aufdrängen müssen. Die Ausführungen des [X.]erufungsgerichts dazu, warum es von der Klärung der Echtheit des vorgelegten Schriftstücks abgesehen hat, tragen nicht.

4

1.1 Das gilt zunächst, soweit das [X.]erufungsgericht darauf verweist, das [X.] habe "keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, die die Echtheit der vorgelegten Urkunden belegen könnten" ([X.] f.) bzw. es habe nicht vorgetragen und es sei auch nicht ersichtlich, "dass diese Urkunden die an eine ausländische Urkunde zu stellenden besonderen Anforderungen eines [X.] erfüllen" ([X.]). Diese [X.]egründung geht - auch vor dem Hintergrund, dass das [X.]erufungsgericht dies in die Prüfung einbettet, ob die inhaltliche Richtigkeit der von ihm im Wege eines förmlichen [X.]eweisverfahrens eingeholten amtlichen Auskunft in Frage gestellt ist - fehl. Damit bürdet das [X.]erufungsgericht - unter Ausklammerung seiner Pflicht zur Amtsaufklärung - der Sache nach der [X.]eklagten die Darlegungs- und [X.]eweisführungslast für den [X.] auf, ohne dass dies im materiellen oder im Verfahrensrecht eine Rechtfertigung findet. Vielmehr hat das [X.] gemäß §§ 173, 98 VwGO in Verbindung mit § 438 Abs. 1 ZPO nach den Umständen des Falles selbst zu ermessen, ob eine Urkunde, die als von einer ausländischen [X.]ehörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person des [X.] errichtet sich darstellt, (auch) ohne näheren Nachweis als echt anzusehen ist. Zwar genügt zum [X.]eweis der Echtheit einer solchen Urkunde die Legalisation durch einen Konsul oder Gesandten des [X.] (§ 438 Abs. 2 ZPO) oder, soweit - was hier nach den Feststellungen des [X.]erufungsgerichts in [X.]ezug auf [X.] nicht der Fall ist - in [X.] eine Legalisation für entbehrlich erklärt wird, die sog. Apostille (vgl. dazu etwa [X.]eschluss vom 15. Mai 2008 - [X.]VerwG 8 [X.] 17.08 - [X.] 2008, 172). Sind - wie das [X.]erufungsgericht hier weiter festgestellt hat - die Anforderungen an solche [X.]eglaubigungs- und Legalisationsformen für ausländische Urkunden (noch) nicht erfüllt, ist damit aber noch nicht von der Unechtheit der Urkunden auszugehen. Vielmehr hat das Gericht dann im Wege freier [X.]eweiswürdigung darüber zu entscheiden, ob die vorgelegte Urkunde echt ist ([X.]eschluss vom 15. Mai 2008 a.a.[X.]). Dabei darf es auch berücksichtigen, ob derjenige, von dem die in der Urkunde verkörperte Gedankenerklärung ursprünglich herrühren soll - wie hier die Klägerin - deren Echtheit überhaupt in Abrede stellt bzw. (substantiiert) bestreitet, die in der Urkunde verkörperte Gedankenerklärung (hier die Angabe der [X.]n Nationalität in der [X.] von 1990) abgegeben zu haben. Hat das Gericht - wie hier offenbar das [X.]erufungsgericht - Zweifel an der Echtheit, so muss es sich durch weitere Ermittlungen, wie etwa durch Einschaltung der zuständigen [X.] [X.]vertretung, die erforderliche Überzeugungsgewissheit in dem einen oder anderen Sinne verschaffen (vgl. Urteil vom 15. Juli 1986 - [X.]VerwG 9 C 8.86 - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 45). Soweit das [X.]erufungsgericht darauf abstellt, ob "die von der Rechtsanwältin aufgrund ihrer Tätigkeit beschafften Urkunden hinsichtlich der Frage ihrer Echtheit denselben Stellenwert besitzen wie eine amtliche Auskunft", vermischt dies Fragen der inhaltlichen Richtigkeit der Auskunft des [X.] und der ihr zugrunde liegenden Auskünfte der kirgisischen Stellen mit der Frage der Echtheit der Urkunden.

5

1.2 Die unterlassene Aufklärung wird auch nicht durch die Ausführungen des [X.]erufungsgerichts gerechtfertigt, aus der Ablichtung der [X.] aus dem Jahre 1990 ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die zuvor vom Gericht auf der Grundlage seines [X.] vom 29. Januar 2008 eingeholte Auskunft des [X.] "unter Verstoß gegen die einschlägigen internationalen konsularischen Regeln und Gepflogenheiten erteilt worden" bzw. dass diese Auskunft "inhaltlich unzutreffend oder unvollständig" sei ([X.] f.). Die Erwägungen des [X.]erufungsgerichts zum abgestuften [X.]eweiswert der eingeholten [X.]eweise bzw. vorgelegten Urkunden unterstreichen, dass - bei unterstellter Echtheit - die von der [X.]eklagten vorgelegten Dokumente geeignet gewesen wären, Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der vom [X.] erteilten Auskunft darzutun. Jedenfalls dann, wenn sich nach weiterer Aufklärung zur Überzeugung des [X.]erufungsgerichts ergeben sollte, dass die von der [X.]eklagten vorgelegten ausländischen Urkunden (insbesondere die [X.] aus dem Jahre 1990) echt sind, hat es auf dieser Tatsachengrundlage auch den [X.]eweiswert der von ihm bisher eingeholten amtlichen Auskunft neu zu bewerten. Amtliche Auskünfte sind zulässige und selbständige [X.]eweismittel, die ohne förmliches [X.]eweisverfahren im Wege des [X.] verwertet werden können (§ 99 Abs. 1 Satz 1, § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und die das Gericht frei zu würdigen hat (stRspr, vgl. [X.]eschluss vom 8. Dezember 1986 - [X.]VerwG 9 [X.] - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 48 m.w.N.). Eine [X.]eweisregel, dass eine zuvor eingeholte amtliche Auskunft nicht durch die Vorlage einer (beglaubigten) Ablichtung einer ausländischen öffentlichen Urkunde (hier der genannten Forma von 1990) in ihrem [X.]eweiswert erschüttert werden kann, gibt es nicht. Das gilt erst recht, wenn sich - wie hier - die bisherige amtliche Auskunft nicht (unmittelbar) zum Inhalt der genannten Urkunde verhält. Ausländischen öffentlichen Urkunden kommt im Falle ihrer Echtheit dieselbe [X.]eweiskraft (vgl. §§ 415, 418 ZPO) wie [X.] öffentlichen Urkunden zu ([X.]eschluss vom 15. Juli 1986 a.a.[X.]; Urteil vom 20. April 1994 - [X.]VerwG 11 C 60.92 - [X.] 442.16 § 15 [X.] Nr. 4).

6

2. Da die [X.]eschwerde schon wegen des Verstoßes gegen § 86 Abs. 1 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache führt, bedarf es keiner Entscheidung über die weiteren von der [X.]eklagten geltend gemachten Revisionszulassungsgründe. Insoweit wird von einer weiteren [X.]egründung abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

7

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Die von der Klägerin begehrte Erteilung eines Aufnahmebescheids wird mit 5 000 € in Ansatz gebracht (vgl. bereits Urteil vom 13. September 2007 a.a.[X.]; [X.]eschlüsse vom 7. Februar 2007 - [X.]VerwG 5 [X.] 178.06 - [X.] 360 § 52 GKG Nr. 4 und vom 28. April 2008 - [X.]VerwG 5 [X.] 31.08 - juris Rn. 3 m.w.N.).

Meta

5 B 49/09

28.06.2010

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 19. Mai 2009, Az: 2 A 3946/06, Urteil

§ 6 Abs 2 S 1 BVFG, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 98 VwGO, § 99 Abs 1 S 1 VwGO, § 87 Abs 1 S 2 Nr 3 VwGO, § 273 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 438 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.06.2010, Az. 5 B 49/09 (REWIS RS 2010, 5407)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5407

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W 7 K 18.258

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