Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.12.2010, Az. 5 B 22/10

5. Senat | REWIS RS 2010, 23

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Gegenstand

Bekenntnis zum deutschen Volkstum; gelegentliche freiwillige Nutzung eines Passes mit nichtdeutscher Nationalitätseintragung


Gründe

1

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO) liegen nicht vor.

2

1. Das Verfahren hat keine grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es ist nicht - wie der Kläger meint - grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob auch dann von einer Zuwendung 'auch zur [X.] Nationalität' ausgegangen werden kann, wenn jemand während eines behördlichen Verfahrens den [X.] (mit [X.] Nationalitätseintrag) gelegentlich freiwillig benutzt hat, ohne sich darum zu bemühen, einen Pass mit [X.] Nationalitätseintrag zu bekommen".

3

Soweit diese Rechtsfrage überhaupt einen verallgemeinerungsfähigen Inhalt hat, ist sie bereits geklärt. Das [X.] hat im Urteil vom 13. September 2007 - [X.]VerwG 5 C 25.06 - ([X.] 412.3 § 6 [X.]VFG Nr. 110 Rn. 10) dazu ausgeführt:

"Ist einer Person die Entgegennahme, das Führen, die Nutzung eines Passes mit eingetragener nicht[X.] Nationalität zurechenbar, dann wendet sie sich damit nach außen einem anderen Volkstum zu. Das ist der Fall, wenn die Entgegennahme und Führung eines Passes mit nicht[X.] Nationalität vom Willen des Passinhabers getragen ist oder wenn dieser eine Möglichkeit, sich der Entgegennahme und Führung eines Passes mit nicht[X.] Nationalität zu widersetzen und stattdessen einen Pass mit [X.] Nationalität zu erhalten, nicht nutzt. Dann lässt er ihn für sich wirken (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 2005 a.a.[X.]). Ist dagegen die Entgegennahme und Führung eine Passes mit eingetragener nicht[X.] Nationalität nicht vom Willen des Passinhabers getragen und kann er sich der Entgegennahme und Führung dieses Passes auch nicht erfolgversprechend widersetzen, muss er ihn also gegen seinen Willen entgegennehmen und benutzen, dann kann weder in der Entgegennahme noch in der Nutzung des Passes eine dem Passinhaber zurechenbare Hinwendung (auch) zu einem nicht[X.] Volkstum gesehen werden."

4

Einen weitergehenden oder erneuten Klärungsbedarf hierzu zeigt die [X.]eschwerde nicht auf.

5

2. Entgegen der Ansicht der [X.]eschwerde weicht das angegriffene Urteil des [X.] auch weder im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem zitierten Urteil des [X.]s vom 13. September 2007 noch von dem Urteil vom 13. November 2003 - [X.]VerwG 5 C 41.03 - ([X.] 412.3 § 6 [X.]VFG Nr. 104) ab.

6

Das [X.]erufungsgericht ist dem Urteil vom 13. September 2007 nicht entgegengetreten, sondern hat die oben angeführten abstrakten Rechtssätze wörtlich in sein [X.]erufungsurteil übernommen ([X.] 10 Absätze 2 und 3). Im Einklang damit hat es das Oberverwaltungsgericht als zeitweise Hinwendung (auch) zu einem anderen Volkstum gewertet, dass der Kläger in den Jahren 1992 bis 1994 den Pass mit eingetragener [X.] Nationalität weiter benutzte, obwohl die Möglichkeit einer Korrektur der Nationalitätseintragung bestand. Das Oberverwaltungsgericht konnte auch schon die gelegentliche Nutzung des [X.]es in diesen beiden Jahren als ausreichend ansehen. Denn nach den zitierten Grundsätzen kommt es auf die Häufigkeit der Verwendung eines Passes, mit dem der Inhaber sich als Angehöriger einer fremden Volksgruppe ausweist, nicht an.

7

Die [X.] lässt sich auch nicht darauf stützen, dem Kläger könne die [X.] seines [X.]es während eines laufenden [X.] nicht entgegengehalten werden. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Kläger die Nutzung seines [X.]es während des behördlichen und gerichtlichen [X.] [X.] nicht zum Vorwurf gemacht. Es ist lediglich davon ausgegangen, dass in den Jahren 1992 bis 1994 weder das Änderungsverfahren von 1977 fortwirkte noch neue Änderungsverfahren anhängig gemacht wurden, obwohl eine Änderungsmöglichkeit bestand. Soweit der Kläger diesen einzelfallbezogenen Feststellungen und Erwägungen entgegentritt, lässt sich damit eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründen.

8

Die Auffassung des [X.], dass das fortdauernde [X.]ekenntnis nur zum [X.] Volkstum durch die [X.]enutzung des Passes in den Jahren 1992 bis 1994 nicht mehr vorlag, widerspricht auch nicht der vom Kläger zitierten Entscheidung des Senats vom 13. November 2003 (a.a.[X.]), die für das Fortwirken eines einmal abgegebenen [X.]ekenntnisses zum [X.] Volkstum den Fall eines Gegenbekenntnisses annimmt. Das [X.]erufungsgericht durfte insoweit auf der Grundlage der zuvor zitierten Entscheidung des [X.]s vom 13. September 2007 (a.a.[X.]) in der [X.] eine Abwendung "nur" vom [X.] Volkstum und ein "Gegenbekenntnis" sehen.

9

3. Schließlich greifen auch die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht durch.

a) Von einer den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in Art. 103 Abs. 1 GG verletzenden Überraschungsentscheidung (vgl. dazu [X.], Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 [X.]vR 1640/97 - [X.]E 98, 218 <263>; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 12. Dezember 2007 - [X.]VerwG 8 [X.] 57.07 - juris Rn. 2) kann schon deswegen nicht gesprochen werden, weil der [X.]eklagte in der [X.]erufungserwiderung vom 1. Juli 2009 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sich der Kläger der Führung des 1977 ausgestellten [X.]es mit eingetragener [X.] Nationalität schon vor 1995, als er die Änderung angesichts seines Aufnahmeverfahrens gerichtlich durchgesetzt habe, erfolgreich hätte widersetzen können ([X.]l. 188 der Gerichtsakte). Ferner wurde dem Kläger zu [X.]eginn der mündlichen Verhandlung eine Auskunft des [X.] übergeben, in der auf die seit November 1992 bestehende Möglichkeit der Änderung der Nationalitätseintragung im [X.]ereich der ehemaligen [X.] hingewiesen wird (vgl. Protokoll [X.]l. 233, Urteil [X.]l. 241 der Gerichtsakte). Daher hätte ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter an Stelle des [X.] durchaus mit einer auf dieses Argument gestützten [X.]erufungszurückweisung rechnen und seine Rechtsverteidigung darauf einrichten können. Es konnte in diesem Zusammenhang auch nicht überraschen, dass das Oberverwaltungsgericht aus den Akten das genaue Datum des Antrags auf Korrektur des Passes entnommen hat, so dass eine sorgfältige Prozesspartei auch ohne gerichtlichen Hinweis versucht hätte, die vergleichsweise späte Antrags- und Klageerhebung [X.] zu erläutern.

b) Die Ablehnung der beiden Hilfsbeweisanträge des [X.] verletzt gleichfalls nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Oberverwaltungsgericht konnte die Vernehmung der angebotenen Zeugin zum familiären Spracherwerb des [X.] und zu den Umständen der fehlerhaften Passeintragung im Jahr 1977 aus seiner insoweit allein maßgeblichen rechtlichen Sicht in prozessrechtlich zulässiger Weise mangels Entscheidungserheblichkeit ablehnen. Denn es hat seine Entscheidung selbstständig tragend darauf gestützt, dass der Kläger in den Jahren 1992 bis 1994 die ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit der Passkorrektur nicht genutzt und sich durch die Weiterverwendung des Passes mit [X.] Nationalitätseintragung nicht ausschließlich zum [X.] Volkstum bekannt hat. [X.]ei einer mehrfachen, die Entscheidung jeweils selbstständig tragenden [X.]egründung bedarf es zur Zulässigkeit der [X.]eschwerde in [X.]ezug auf jede dieser [X.]egründungen eines geltend gemachten und vorliegenden Zulassungsgrundes (stRspr, vgl. [X.]eschlüsse vom 19. Oktober 2010 - [X.]VerwG 9 [X.] 20.10 - juris Rn. 3 und vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 S. 15).

Ohne Verstoß gegen [X.]undesrecht ist das Oberverwaltungsgericht auch dem [X.], die Zeugin zu den Passänderungsbemühungen des [X.], und zu seinen sonstigen gegenüber [X.]ehörden abgegebenen Zugehörigkeitserklärungen zur [X.] Volkszugehörigkeit zu vernehmen, als zu unsubstantiiert nicht nachgegangen. Um die Erheblichkeit eines [X.]eweisantrags beurteilen zu können, ist es unerlässlich, dass er konkrete [X.]eweisbehauptungen enthält und zudem dargelegt wird, weshalb das benannte [X.]eweismittel hierüber Erkenntnisse zu vermitteln vermag ([X.]eschluss vom 4. Dezember 1998 - [X.]VerwG 8 [X.] 187.98 - [X.] 310 § 6 VwGO Nr. 1; vgl. auch [X.]GH, [X.]eschluss vom 23. Februar 2010 - 5 StR 548/09 - juris Rn. 9). Diesen Erfordernissen genügt der genannte [X.] nicht. Es wird nicht konkret aufgezeigt, zu welchen Passänderungsbemühungen in welchen Jahren und zu welchen konkreten Erklärungen gegenüber welchen [X.]ehörden zu welchen Zeitpunkten die Zeugin vernommen werden sollte. Es wird auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen sie über Kenntnisse hierzu verfügen kann. Daher ist das [X.] auch nicht in die Lage versetzt worden, auf Grund seiner Rechtsauffassung die Entscheidungserheblichkeit der Zeugenvernehmung zu einer konkreten Tatsachenbehauptung zu überprüfen. Auf der Grundlage der nach dem Vorbringen des [X.] im Klage- und [X.]erufungs([X.])verfahren naheliegenden [X.]ewertung, es sei erst im Jahre 1995 erneut die Änderung des Nationalitäteneintrags beantragt worden, war dies ohnehin nicht erheblich. Soweit erstmals im [X.]eschwerdeverfahren vorgetragen wird, die Zeugin hätte auch den [X.]eweis für Passänderungsanträge in den Jahren 1992 bis 1994 erbringen können, ist dieser neue Tatsachenvortrag im Verfahren der Nicht[X.]beschwerde unbeachtlich (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) und überdies nicht geeignet, den Mangel einer hinreichend konkreten [X.]ezeichnung des [X.]eweisthemas im [X.] vom 2. Februar 2010 zu heilen.

c) Entgegen der Ansicht des [X.] war das Oberverwaltungsgericht auch nicht auf Grund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet, die Zeugin zu vernehmen. Da der Kläger bei seiner Anhörung im Generalkonsulat in [X.] zur Niederschrift erklärt hatte, nur 1977 und 1995 eine Änderung seines [X.]es beantragt zu haben, und da der Kläger im [X.]erufungsverfahren nicht konkret behauptet hatte, bereits in den Jahren 1992 bis 1994 eine Passänderung beantragt zu haben, musste sich der Vorinstanz die Vernehmung einer Zeugin zu den Änderungsbemühungen des [X.] nicht aufdrängen (vgl. zu diesem Maßstab: [X.]eschluss vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 15). Im Übrigen stellt die Aufklärungsrüge kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (vgl. [X.]eschluss vom 6. März 1995 - [X.]VerwG 6 [X.] 81.94 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).

4. Von einer weiteren [X.]egründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Meta

5 B 22/10

28.12.2010

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 2. Februar 2010, Az: 12 A 616/06, Urteil

§ 6 Abs 2 BVFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.12.2010, Az. 5 B 22/10 (REWIS RS 2010, 23)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 23

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1 BvR 1640/97

5 StR 548/09

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