Bundessozialgericht, Beschluss vom 22.12.2021, Az. B 5 R 163/21 B

5. Senat | REWIS RS 2021, 81

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Grundsatzrüge - weiterer Klärungsbedarf - Maßgeblichkeit der Entscheidungsgründe


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. April 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der [X.]läger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens eine höhere Altersrente unter Einbeziehung von [X.]indererziehungs- und Berücksichtigungszeiten. Die entsprechenden Zeiten sind bislang der Beigeladenen (Mutter der [X.]inder und frühere Ehefrau) zugeordnet. Die im Jahr 2002 geschlossene Ehe wurde 2018 geschieden; dabei wurde zugunsten der bisherigen Ehefrau ein Versorgungsausgleich durchgeführt. Der [X.]läger macht geltend, er habe seine drei in den Jahren 1990 und 1995 geborenen [X.]inder seit ihrer Geburt gemeinsam und "gleichberechtigt" mit seiner damaligen Ehefrau erzogen. Wegen der [X.]indererziehung habe er seine Beschäftigung als Angestellter im öffentlichen Dienst zunächst auf die Hälfte und später auf 30 Stunden pro Woche reduziert, während die Mutter freiberuflich tätig gewesen sei.

2

Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte den im Januar 2019 vom [X.]läger gestellten Antrag auf "Nachberechnung" der seit Juli 2017 bezogenen Altersrente unter Zuordnung von [X.]en für die beiden im Jahr 1995 geborenen [X.]inder auf sein Rentenkonto ab (Bescheid vom 25.1.2019, Widerspruchsbescheid vom 25.4.2019). [X.]lage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des [X.] vom 29.3.2020, Urteil des L[X.] vom [X.]). Das L[X.] hat ausgeführt, der [X.]läger könne eine Änderung des Rentenbescheids vom 23.5.2017 nicht beanspruchen, weil bei dessen Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich nachträglich als unrichtig erweise. Maßgeblich sei hier § 56 [X.]B VI in der ab 1.7.2014 geltenden Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes (vom [X.], [X.] 787). Da eine gemeinsame Erklärung der Elternteile über die Zuordnung der Erziehungszeiten nicht existiere, komme eine Zuordnung zum [X.]läger nur in Betracht, wenn festgestellt werden könne, dass er die [X.]inder überwiegend erzogen habe. Das sei schon nach seinem eigenen Vortrag nicht der Fall. Die Zuordnung der Erziehungszeiten in einem solchen Fall zur Mutter verletze kein Verfassungsrecht. Das habe das B[X.] bereits entschieden (Hinweis auf B[X.] Urteil vom 17.4.2008 - [X.] R 131/07 R - [X.] 4-2600 § 56 [X.]). Eine Vorlage an das [X.] nach Art 100 Abs 1 GG komme daher nicht in Betracht.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des L[X.] hat der [X.]läger Beschwerde beim B[X.] eingelegt. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

4

II. 1. Nach Schließung des 13. Senats zum [X.] durch Erlass des [X.] vom [X.] (vgl § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 130 Abs 1 Satz 2 GVG) ist nach dem Geschäftsverteilungsplan nunmehr der 5. Senat des B[X.] für die Entscheidung über die zunächst unter dem Aktenzeichen [X.] R 97/21 B erfasste Beschwerde zuständig.

5

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Eine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ist in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 [X.]G zu verwerfen.

6

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer [X.]lärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine [X.]lärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine [X.]lärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) [X.]lärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) [X.]lärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 [X.]R 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] RdNr 4 mwN; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 RE 6/21 B - juris Rd[X.]).

7

Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des B[X.] bzw des [X.] zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem [X.] noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die aufgeworfene Frage noch nicht beantwortet worden ist (vgl ua B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 RE 6/21 - juris RdNr 7 mwN).

8

Der [X.]läger bezeichnet folgende Rechtsfrage als grundsätzlich bedeutsam:

        

"Ist § 56 Abs. 2 Satz 8 und 9 [X.]B VI mit Verfassungsrecht, insbesondere mit Art. 3 GG und Art. 6 GG vereinbar, soweit die Vorschrift die [X.] im Zweifel der [X.]indsmutter zuordnet?"

9

Er trägt dazu vor, in der Zuordnung der Erziehungszeiten zur Mutter liege ein Eingriff in das Elternrecht. Bei einer vorrangigen Anwendung des § 56 Abs 2 Satz 8 [X.]B VI würden für Eltern "potentiell rentenversicherungsrechtliche Hürden geschaffen", sich für eine [X.]indererziehung durch den Vater zu entscheiden. [X.] Rechtfertigungsgründe seien dafür nicht ersichtlich. Zudem rügt der [X.]läger eine benachteiligende Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts. Dass mit der Zuordnung zur Mutter eine möglichst rechtssichere, rasche und eindeutige Zuordnung der [X.]en in der gesetzlichen Rentenversicherung möglich sei, könne die Regelung nicht rechtfertigen. Insoweit gehe es nicht um einen biologischen Umstand, sondern allein um Zweckmäßigkeitserwägung. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Regelung sei klärungsbedürftig, weil das B[X.] im Urteil vom 17.4.2008 ([X.] R 131/07 R - [X.] 4-2600 § 56 [X.] Rd[X.]7 ff) und zuletzt im Beschluss vom 25.2.2020 ([X.] R 284/18 B - juris RdNr 7) nur zu [X.]indern entschieden habe, die 1983 oder früher geboren seien.

Woraus sich ergibt, dass die zitierten B[X.]-Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit von § 56 Abs 2 Satz 8 und 9 [X.]B VI lediglich für bis zum Jahr 1983 geborene [X.]inder geklärt haben, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Zwar ist dem [X.]läger zuzugestehen, dass der zweite Teil des dem B[X.]-Urteil vom 17.4.2008 beigefügten Leitsatzes ("Eine hälftige Aufteilung sieht das Gesetz nicht vor; sie ist jedenfalls für Geburten der Jahrgänge bis 1983 auch verfassungsrechtlich nicht gefordert") den Eindruck hervorrufen kann, dass hinsichtlich der Geburtsjahrgänge ab 1984 die Regelungen zur Zuordnung der Erziehungszeiten in der Rentenversicherung einer abweichenden Beurteilung unterliegen könnten. Maßgeblich für die Frage, ob weiterer [X.]lärungsbedarf besteht, sind jedoch nicht die zu einer Entscheidung im Rahmen ihrer Veröffentlichung nachträglich gebildeten Leitsätze, sondern nur die jeweiligen Entscheidungsgründe selbst (vgl B[X.] Beschluss vom 17.6.2020 - B 5 R 302/19 B - [X.] 4-1500 § 151 [X.] RdNr 8 mwN; B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 RE 2/20 R - RdNr 22, zur Veröffentlichung in [X.] 4-2600 § 6 [X.] vorgesehen). Mit ihnen befasst sich die Beschwerdebegründung nicht näher.

Auch zeigt der [X.]läger nicht auf, welche für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Zuordnung von [X.]indererziehungs- und Berücksichtigungszeiten maßgeblichen Umstände sich bei den nach 1983 geborenen [X.]indern so wesentlich geändert haben, dass den Aussagen im B[X.]-Urteil vom 17.4.2008 keine ausreichenden Hinweise zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage mehr zu entnehmen sind und deshalb erneuter [X.]lärungsbedarf besteht (zu den insoweit bestehenden Darlegungserfordernissen vgl zB B[X.] Beschluss vom [X.] - B 1 [X.]R 34/18 B - juris RdNr 7; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 10 ÜG 8/20 B - juris Rd[X.]). In der Entscheidung vom 17.4.2008 ([X.] R 131/07 R - [X.] 4-2600 § 56 [X.] Rd[X.]7 ff) ist ausgeführt, die Lösung des Gesetzgebers in ihrer Auslegung durch das B[X.] gebe in weiten Bereichen Raum dafür, die kinderbezogenen Zeiten auch zugunsten des [X.] anzurechnen. Soweit danach die Regelung in § 56 Abs 2 Satz 9 [X.]B VI nur für den Fall des Fehlens einer übereinstimmenden Erklärung der Elternteile und gleichzeitiger Nichtfeststellbarkeit einer überwiegenden Erziehung durch den Vater iS einer "Auffangregelung" zum Tragen komme, unterliege das keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar kann eine ursprünglich unbedenkliche gesetzliche Typisierung aufgrund von zum Zeitpunkt des [X.] noch nicht absehbarer Entwicklungen in Frage gestellt werden. Eine zunächst verfassungskonforme Regelung kann dadurch verfassungswidrig werden, sofern der Gesetzgeber nicht durch Nachbesserung entgegenwirkt (vgl eingehend [X.] Beschluss vom [X.] ua - NJW 2021, 3309 Rd[X.]14 f, 149 ff, 200). Wer sich hierauf beruft, muss aber nachvollziehbar und konkret aufzeigen, welche für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Bedingungen sich so stark verändert haben, dass die ursprünglichen Rechtfertigungsgründe die Typisierung nicht mehr zu tragen vermögen. Der pauschale Hinweis des [X.], dass die ursprünglichen, vom [X.] gebilligten Rechtfertigungsgründe in ihrer [X.] heute nicht mehr zuträfen, genügt insoweit nicht.

Die Beschwerdebegründung setzt sich ebenfalls nicht damit auseinander, dass der Gesetzgeber in Art 1 Nr 2 des [X.] und -Stabilisierungsgesetzes (vom 28.11.2018, [X.] 2016) die hier relevanten Vorschriften mit Wirkung ab 1.1.2019 umgestaltet hat. Nunmehr ermöglicht § 56 Abs 2 Satz 10 [X.]B VI nF unter bestimmten Umständen eine Aufteilung der Erziehungszeiten auf die Elternteile in kalendermonatlichem Wechsel. Hierzu wird vertreten, dass diese Regelung - nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen - auch anzuwenden sei, wenn feststehe, dass die [X.] beider Elternteile gleichwertig seien; für die Zuordnung zur Mutter nach § 56 Abs 2 Satz 9 [X.]B VI nF sei in solchen [X.]onstellationen kein Raum mehr (vgl [X.] in jurisP[X.]-[X.]B VI, 3 Aufl 2021, § 56 RdNr 40, 42; ebenso wohl Fichte in [X.]/ [X.], [X.]B VI, [X.] § 56 RdNr 37 f, Stand Mai 2019). Welche Auswirkungen sich hieraus insbesondere für Versicherte ergeben, die - wie der [X.]läger - bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits Rentenleistungen bezogen haben (vgl § 300 Abs 3, § 306 Abs 1 [X.]B VI), hätte der [X.]läger bei seiner Darlegung der ausschließlich auf einen Verstoß gegen Verfassungsrecht gestützten grundsätzlichen Bedeutung ebenfalls erörtern müssen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

3. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

Meta

B 5 R 163/21 B

22.12.2021

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Kassel, 29. März 2020, Az: S 9 R 162/19, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 22.12.2021, Az. B 5 R 163/21 B (REWIS RS 2021, 81)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 81

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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