Bundessozialgericht, Urteil vom 19.06.2018, Az. B 2 U 9/17 R

2. Senat | REWIS RS 2018, 7622

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Gesetzliche Unfallversicherung - Versicherungspflicht gem § 2 Abs 1 Nr 9 SGB 7 - selbstständige Geistheilerin - Unternehmerin im Gesundheitswesen - Praxis für energetische Körperarbeit - - Verfassungsmäßigkeit - Gleichheitssatz - sozialgerichtliches Verfahren - Feststellung genereller Tatsachen in der Revisionsinstanz - sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erforderlichkeit einer Ermessensentscheidung bei Anhörungsverzicht)


Leitsatz

Eine selbstständige Geistheilerin, die eine Praxis für energetische Körperarbeit betreibt, ist als Unternehmerin des Gesundheitswesens versicherungspflichtig.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 30. November 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Unfallversicherung ([X.]) als selbstständige geistige Heilerin sowie die Festsetzung von Beiträgen.

2

Die 1942 geborene Klägerin bezieht seit Juli 2002 eine Altersrente und betreibt seitdem selbstständig eine Praxis für "energetische Körperarbeit". Schwerpunkte der Praxis sind die "[X.]" nach [X.], die "[X.] Heilweisen" nach [X.] und [X.], das "[X.]" nach [X.], "[X.]" sowie die "Fernsitzung bzw Geistheilung".

3

Durch insgesamt elf Bescheide vom 14.2.2013 stellte die Beklagte ihre Zuständigkeit für das Unternehmen der Klägerin fest, veranlagte dieses für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.12.2012 sowie für den Zeitraum ab 1.1.2013 bis 31.12.2018 zum Gefahrtarif und stellte fest, dass für die Klägerin eine Unternehmerpflichtversicherung bestehe. Weiterhin bestätigte die Beklagte die Zugehörigkeit der Klägerin als Unternehmerin zur Beklagten und stellte die Versicherungssummen für die einzelnen Beitragsjahre fest. Schließlich veranlagte sie die Klägerin "zur Unternehmerversicherung" vom 1.1.2007 bis 31.12.2012 und "für ihre persönliche Versicherung" ab 1.1.2013 bis 31.12.2018 zu Gefahrklassen und erhob Beiträge für die Jahre 2008 bis 2011. Nach Einlegung eines Widerspruchs erläuterte die Beklagte der Klägerin schriftlich die Gründe für die Veranlagung und die Beitragshöhe (Schreiben vom [X.]). Sodann erließ die Beklagte einen weiteren Beitragsbescheid vom [X.] für das [X.], gegen den die Klägerin ebenfalls Widerspruch einlegte. Die Beklagte erläuterte daraufhin erneut schriftlich die Gründe für die Pflichtversicherung sowie die Höhe der Beitragsforderung (Schreiben vom [X.]). Nachdem die Klägerin Gewinn- und Verlustberechnungen eingereicht hatte, legte die Beklagte durch weiteres Schreiben erneut die Beitragsberechnung dar. Durch Widerspruchsbescheid vom [X.] wies die Beklagte die Widersprüche gegen die "Bescheide vom 14.02.2013 über die Feststellung der Unternehmerversicherung und die Beiträge für die [X.]" sowie gegen den Beitragsbescheid zur Unternehmerversicherung vom [X.] für das [X.] zurück.

4

Die Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des [X.]). Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 30.11.2016) und zur Begründung ausgeführt, [X.] seien im Gesundheitswesen tätig iS des § 2 Abs 1 [X.]. Die Praxis der Klägerin für energetische Körperarbeit sei dem Gesundheitswesen zuzuordnen. Denn dieses Unternehmen diene nach seiner Zwecksetzung der Heilbehandlung der Patienten, indem durch Übungen, Methoden und Ratschläge die Selbstheilungskräfte der Patienten aktiviert werden sollten. Dies ergebe sich auch aus dem Internetauftritt der Klägerin. Hierfür sei nicht maßgebend, dass die Behandlungen [X.] nicht anerkannt seien.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 2 Abs 1 [X.]. Die Tätigkeit eines [X.]s sei nicht darauf ausgerichtet, die physische oder psychische Gesundheit des Einzelnen zu wahren. Zwar solle durch die Förderung der spirituellen Entwicklung mittelbar auf die Gesundheit der Menschen eingewirkt werden. Dies sei allerdings nicht der Hauptzweck der Tätigkeit eines [X.]s. Andere medizinische Hilfsberufe wie Bademeister, Hebammen oder Diätassistenten seien nicht mit [X.]n vergleichbar, weil die Angehörigen dieser Berufe eine staatlich anerkannte Ausbildung durchlaufen müssten und der ärztlichen Aufsicht unterstünden. Das [X.] habe entschieden, dass [X.] keiner Zulassung als Heilpraktiker bedürften, weshalb auch eine Zwangsversicherung in der [X.] ausscheide.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 30.11.2016 und des [X.] vom 13.12.2013 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14.2.2013 über die Feststellung ihrer Pflichtversicherung als Unternehmerin und die Festsetzung der Beiträge zur Unternehmerpflichtversicherung für die Umlagejahre 2008 bis 2011 sowie den Bescheid vom [X.] über die Festsetzung des Beitrags zur Unternehmerpflichtversicherung für das Umlagejahr 2012 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der [X.]lägerin ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die [X.] über die Pflichtversicherung der [X.]lägerin als selbstständige Geistheilerin (Unternehmerin) sowie die zu zahlenden Beiträge rechtmäßig waren.

9

Gegenstand des [X.]lageverfahrens sind ausschließlich die [X.] der [X.] vom 14.2.2013 über die Feststellung ihrer Pflichtversicherung als Unternehmerin und die Festsetzung der Beiträge zur Unternehmerpflichtversicherung für die Umlagejahre 2008 bis 2011 sowie der Bescheid vom [X.] über die Festsetzung des Beitrags zur Unternehmerpflichtversicherung für das Umlagejahr 2012. Nur über diese wurde im Widerspruchsbescheid vom [X.] entschieden. [X.] kann, ob hinsichtlich der übrigen die Zuständigkeit der [X.] sowie die Veranlagung des Unternehmens betreffenden Regelungen das Widerspruchsverfahren abgeschlossen worden ist.

Die angefochtenen [X.] erweisen sich formell (dazu unter A.) und materiell (dazu unter B.) als rechtmäßig.

A. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte hier ein Anhörungsverfahren gemäß § 24 [X.] hätte durchführen müssen Denn die Anhörung wurde jedenfalls vor Erlass des Widerspruchsbescheids vom [X.] und damit innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 41 Abs 1 [X.], Abs 2 [X.] wirksam nachgeholt. Der [X.] weist lediglich beiläufig erneut darauf hin, dass die Beklagte mit den durch Verwaltungsakt (§ 31 [X.]) festgestellten Beitragsforderungen zumindest in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) eingreift, sodass ein anhörungspflichtiger "Eingriff" iS des § 24 Abs 1 [X.] vorliegt ([X.] vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen; vgl [X.] vom 25.1.1979 - 3 R[X.] 35/77 - [X.] 1200 § 34 [X.]; [X.] in [X.] [X.]omm, [X.], § 24 Rd[X.]; [X.] in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 24 Rd[X.] 8). [X.] kann, ob bei Beitragsbescheiden auf eine Anhörung nach § 24 Abs 1 [X.] verzichtet werden kann, weil es sich um Massenverwaltungsakte iS des § 24 Abs 2 [X.] 4 [X.] handelt oder weil sie im allgemeinen auf Entgeltangaben des Unternehmers beruhen, ohne hiervon zu seinen Ungunsten abzuweichen (§ 24 Abs 2 [X.] [X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 168 Rd[X.]). Auch dies erfordert allerdings nach § 24 Abs 2 [X.] eine - hier offensichtlich nicht getroffene - Ermessensentscheidung der [X.] (vgl [X.] vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen; Spellbrink in [X.] [X.]omm, Stand September 2017, § 168 [X.] Rd[X.]).

Jedenfalls wurde die Anhörung vor Erlass des Widerspruchsbescheids und damit innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 41 Abs 1 [X.], Abs 2 [X.] wirksam nachgeholt. Die Beklagte hat mit den Schreiben vom [X.], [X.] und [X.] der [X.]lägerin alle Haupttatsachen mitgeteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen wollte, und ihr eine angemessene Frist zur Äußerung gesetzt (vgl die Entscheidung des erkennenden [X.]s vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen; sowie vom [X.] - B 2 U 15/11 R - [X.] 4-5671 § 3 [X.]; [X.] vom 17.8.1982 - 1 C 22.81 - [X.]E 66, 111). Ferner hat sie das Vorbringen der [X.]lägerin zur [X.]enntnis genommen und abschließend zu erkennen gegeben, dass sie nach erneuter Prüfung an dem bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält ([X.] vom [X.] - B 7a [X.] 64/05 R - [X.]; [X.] vom [X.] - B 4 [X.]/09 R - [X.] 4-1300 § 41 [X.] Rd[X.] 15 und vom 7.7.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.], 289 = [X.] 4-4200 § 38 [X.], Rd[X.]6; [X.] vom [X.] 210.67 - [X.]E 37, 307).

B. Die angefochtenen [X.] sind auch materiell rechtmäßig und verletzen die [X.]lägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte war gemäß § 3 Abs 1 ihrer Satzung vom 1.1.2011 für Unternehmen des Gesundheitswesens sachlich zuständig. Die Beklagte war auch befugt, das Versicherungsverhältnis zwischen ihr und der [X.]lägerin auf Grundlage des § 136 Abs 1 S 1 [X.] durch Verwaltungsakt festzustellen (vgl zur freiwilligen Versicherung [X.] vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - [X.], 194 = [X.] 4-2700 § 6 [X.], Rd[X.]1).

Die [X.]lägerin betreibt mit ihrer Praxis für energetische [X.]örperarbeit ein Unternehmen des Gesundheitswesens nach § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] und ist deshalb Mitglied der [X.] sowie als selbstständige Unternehmerin iS des § 150 Abs 1 S 1 [X.] verpflichtet, Beiträge zur [X.] zu entrichten. Gemäß § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] sind kraft Gesetzes versichert Personen, die selbstständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der [X.] tätig sind. Die [X.]lägerin ist selbstständig tätig (dazu unter 1.). Sie ist auch im Gesundheitswesen tätig (dazu unter 2.). Die Veranlagung zur Pflichtversicherung der [X.]lägerin verletzt sie nicht in ihren Grundrechten (dazu unter 3.). Sie verstößt auch nicht gegen Europarecht (dazu unter 4.). Auch hinsichtlich der festgesetzten Beitragshöhe sind die Beitragsbescheide nicht zu beanstanden (dazu unter 5.).

1. Die [X.]lägerin ist selbstständig tätig. Selbstständig iS des § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] ist derjenige, dem das Ergebnis seines Unternehmens unmittelbar zum Vor- und Nachteil gereicht (zur selbstständigen Tätigkeit einer Tagesmutter vgl [X.] vom [X.] - [X.] 4-2700 § 2 [X.] 18; vgl zum Begriff der Selbstständigkeit auch [X.] vom [X.] - B 2 U 13/16 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies ist bei der [X.]lägerin nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) der Fall.

2. Die [X.]lägerin ist auch im Gesundheitswesen tätig. Nach der Rechtsprechung des erkennenden [X.]s, die insoweit an die Spruchpraxis des [X.] anknüpft (vgl [X.], [X.], 437; [X.], [X.] 1930, Heft [X.] 12, [X.] [X.]916; [X.], [X.] 1930, Heft [X.] 1, [X.] [X.]598; [X.], [X.], 484), fallen unter den Begriff Gesundheitswesen iS der [X.] Einrichtungen und Tätigkeiten, welche die Beseitigung oder Besserung eines krankhaften Zustandes oder die Pflege eines pflegebedürftigen Menschen bezwecken, ferner diejenigen, die eigens den Zweck haben, die Gesundheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit vor unmittelbar drohenden Gefahren zu schützen, dh einer unmittelbar drohenden oder nach Lage des Falles in absehbarer Zeit zu erwartenden Schädigung der Gesundheit vorzubeugen. Dabei muss es sich aber um Einrichtungen und Tätigkeiten handeln, bei denen die Wahrung der Gesundheit den Hauptzweck bildet; es genügt nicht, dass ein gesundheitsfördernder bzw krankheitsverhütender Erfolg lediglich als eine zwar praktisch bedeutsame, aber doch nur nebenher erzielte Begleiterscheinung bewirkt wird ([X.] vom 27.10.1961 - 2 [X.] - [X.], 190 = [X.] [X.] zu 5. B[X.]VO Anl [X.]9, [X.] Rd[X.] 15; [X.], [X.], 437; [X.] vom [X.] 106/59 - [X.], 41, 44 = [X.] [X.] 5 zu 5. B[X.]VO Anl [X.]9, [X.] [X.] 15 zu § 106 SGG). Diese Rechtsprechung ist zwar zu § 537 [X.] RVO als Vorgängernorm des § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] ergangen, jedoch gelten trotz des leicht abweichenden Wortlautes (Gesundheitswesen statt Gesundheitsdienst) auch für § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] die bisherigen Grundsätze fort (vgl Amtliche Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch BT-Drucks 13/2204 [X.] zu § 2 Abs 1; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 2 Rd[X.] 119; [X.], UV-[X.], § 2 Rd[X.]31; [X.] in [X.]ater/[X.], [X.], § 2 Rd[X.]30; [X.]ruschinsky in [X.]rasney/[X.]/[X.]/[X.]ruschinsky/Heinz/[X.], [X.], § 2 Rd[X.] 532).

Die seitens der [X.]lägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit angebotenen Behandlungsmethoden erfolgen primär zur Heilung oder Verhütung von [X.]rankheiten (dazu unter a). Unerheblich ist, ob diese Methoden nach dem insbesondere im [X.] normierten Recht der gesetzlichen [X.]rankenversicherung (G[X.]V) abrechnungsfähig sind (dazu unter b). Unerheblich ist für den Schutzbereich der [X.] schließlich auch, ob die [X.]lägerin für ihre Tätigkeiten einer Zulassung nach dem Heilpraktikergesetz bedarf (dazu unter c).

a) Die von der [X.]lägerin angebotenen Leistungen dienen der Heilung bzw Verhütung von [X.]rankheiten. Nach der subjektiven Vorstellung der [X.]lägerin sollen sämtliche Methoden - wie das [X.] bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) - Selbstheilungskräfte des [X.]örpers stimulieren, Traumata auflösen bzw die geistige und körperliche Gesundheit unterstützen. Damit entspricht es dem erklärten Willen der [X.]lägerin, die Gesundheit ihrer [X.]unden zu schützen bzw wiederherzustellen. Die Handlungstendenz der [X.]lägerin ist nach den Feststellungen des [X.] auf die Erreichung eines [X.] ausgerichtet, weshalb sie in einem gegen die Veranlagung und Erhebung von Beiträgen gerichteten Rechtsstreit nicht einwenden kann, sie handele ohne Heilungsabsichten.

Der [X.] hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die von der [X.]lägerin angebotenen Behandlungsmethoden nicht auch objektiv einen Heilungszweck verfolgen, ohne dass für die Frage der Beitragspflicht in der [X.] hierbei eine Bewertung der Qualität und Erfolgsaussichten dieser Methoden vorgenommen werden muss. Zur Verhütung einer [X.]rankheit dienen alle Behandlungen, die der Vermeidung eines regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden [X.]örper- oder Geisteszustands dienen, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht ([X.], 36, 38 = [X.] 3-2500 § 27 [X.] 11 S 38; [X.], 96, 98 = [X.] 3-2200 § 182 [X.] 14 S 64 jeweils mwN). Dass die im Angebot der [X.]lägerin enthaltenen Behandlungsmethoden objektiv dem Ziel dienen, Selbstheilungskräfte des [X.]örpers zu mobilisieren, lässt sich den einschlägigen Informationsquellen wie insbesondere den Internetauftritten ihrer Entwickler entnehmen. Bei diesen Inhalten öffentlich angebotener Behandlungsmethoden handelt es sich, soweit sie sich unter eine begriffliche Definition fassen lassen, um generelle Tatsachen, über die sich jedermann aus allgemein zugänglichen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann ([X.] vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 21 [X.] 10 Rd[X.]4 mwN = [X.] 2012, 285). Bei fehlenden Feststellungen der Tatsacheninstanz zu diesen allgemeinen Tatsachen ist da[X.] auch als Revisionsinstanz befugt, diese selbst zu ermitteln und festzustellen ([X.] vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - [X.], 267 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.]108 [X.] 8, Rd[X.]3; [X.] vom 13.12.2005 - [X.] [X.]R 21/04 R - [X.] 4-2500 § 18 [X.] 5 Rd[X.] 18 = [X.] 2006, 689).

Bei der "[X.]" nach [X.] geht es nach dem Internetauftritt ihres Entwicklers ([X.]) um die Erzielung von [X.]. Auch die "[X.] Heilweisen" von [X.] und [X.] dienen nach dem Internetauftritt des "[X.]" in erster Linie [X.] ([X.]). Das "[X.]" nach [X.] dient nach den allgemein zugänglichen Angaben der Erfinderin ebenfalls der Förderung von Selbstheilungskräften (http://www.bianca-telle.de/therapien/therapien/therapie_ttp.html) und "[X.]" bezweckt laut der "[X.] auf [X.] (https://www.qigong-gesellschaft.de/qigong/wirkung-qigong). Der [X.] verwendet diese Angaben der Entwickler bzw Vertreter dieser Methoden, um den Subsumtionsschluss zu rechtfertigen, dass die [X.]lägerin im Gesundheitswesen iS des § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] tätig und damit in der [X.] beitragspflichtige selbstständige Unternehmerin ist. Der [X.] trifft damit keine Aussage über die Wirkungsweise oder die objektive Eignung dieser Methoden zur Gesunderhaltung bzw Heilung. Im Recht der [X.] wird wesentlich auf die Handlungstendenz des Versicherten abgestellt, die hier bei der [X.]lägerin unzweifelhaft auf "Heilung" im weiteren Sinne gerichtet ist. An diese Handlungstendenz knüpft das System des [X.] den Versicherungsschutz und ggf auch die Beitragspflicht. Dabei geht der Versicherungsschutz der [X.] soweit, dass sogar [X.] Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt (vgl § 7 Abs 2 [X.]).

b) Folglich kommt es für die Frage, ob ein Unternehmen dem Gesundheitswesen iS des § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] zuzurechnen ist, nicht darauf an, ob dieses ärztliche Behandlungen anbietet, die nach den Regeln der ärztlichen [X.]unst zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von [X.]rankheiten ausreichend und zweckmäßig bzw ob diese als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen in dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen nach § 87 [X.] enthalten sind (vgl dazu [X.] vom [X.] [X.]R 28/03 R - [X.]). Die Beschränkung auf die ärztliche [X.]unst sieht § 28 [X.] für den Bereich der G[X.]V vor und ist letztlich Ausfluss des in § 12 Abs 1 S 1 [X.] verankerten [X.], das im Sinne eines Übermaßverbots die Grenzen des Behandlungsanspruchs regelt. Diese Beschränkungen des Leistungsrechts im Recht der G[X.]V (s nur [X.] vom 1.7.2014 - [X.] [X.]R 62/12 R - [X.], 138 = [X.] 4-2500 § 12 [X.] 4, Rd[X.] 18; [X.] vom 1.7.2014 - [X.] [X.]R 15/13 R - [X.], 153 = [X.] 4-2500 § 137 [X.] 4, Rd[X.] 11; [X.] vom 14.10.2014 - [X.] [X.]R 27/13 R - [X.], 82 = [X.] 4-2500 § 109 [X.] 40, Rd[X.]3; [X.] vom [X.] - [X.] [X.]R 53/12 R - [X.] Rd[X.] 19; [X.] vom 3.7.2012 - [X.] [X.]R 6/11 R - [X.], 137 = [X.] 4-2500 § 13 [X.]5, Rd[X.] 16; [X.] vom [X.] - [X.] [X.]R 1/10 R - [X.], 214 = [X.] 4-2500 § 275 [X.]; [X.] vom 20.11.2008 - [X.] [X.]N 4/[X.] 4-2500 § 275 [X.]; [X.] vom 13.11.2012 - [X.] [X.]R 10/12 R - [X.] 4-2500 § 275 [X.]; [X.] vom 21.3.2013 - [X.] [X.]R 2/12 R - [X.], 167, 173 = [X.] 4-2500 § 137c [X.] S 23, 29; [X.] vom 13.11.2012 - [X.] [X.]R 24/11 R - [X.], 141, 150 = [X.] 4-2500 § 275 [X.] 8 S 29, 39; [X.] vom 7.11.2006 - [X.] [X.]R 24/06 R - [X.], 190 = [X.] 4-2500 § 27 [X.] 12, Rd[X.] 12; zur Bedeutung des [X.] im Vertragsarztrecht [X.] vom 19.6.1996 - 6 R[X.]a 40/95 - [X.]E 78, 278, 283 = [X.] 3-2500 § 106 [X.]5 S 193, 198; [X.] vom [X.] [X.]A 24/03 R - [X.] 2004, 577; vgl auch [X.] vom 15.12.1987 - 6 R[X.]a 19/87 - [X.]E 63, 6, 8 = [X.] 2200 § 368n [X.] 52 S 178, 179 f) sind nicht übertragbar auf die [X.]. Hier beurteilt sich - wie ausgeführt - der Versicherungsschutz für Anbieter von Gesundheitsleistungen nach der Handlungstendenz bei der Vornahme vom Gesetzgeber für schutzbedürftig erachteter Verrichtungen - hierzu auch unter 3. -, ohne dass es auf eine sonstige, etwa krankenversicherungsrechtliche Zulassung ankommt.

c) Auch das Fehlen der Heilpraktikererlaubnis nach § 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz - [X.]) und/oder einer ärztlichen [X.] führt nicht dazu, dass geistiges Heilen nicht unter den Begriff des Gesundheitswesens iS des § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] zu subsumieren ist. Im Rahmen des § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] kommt es nicht darauf an, ob die Tätigkeit einer beruflichen Zulassung bedarf oder ob der Selbstständige qualitativ in der Lage ist, die Behandlungsmethoden anzuwenden. Die seitens der Revision angeführte Entscheidung des [X.] vom [X.] - (NJW-RR 2004, 705) bezieht sich allein auf den Umfang der Erlaubnispflicht nach dem [X.] in einem Fall des sog geistigen Heilens. Nach § 1 Abs 1 [X.] vom 17.2.1939, zuletzt geändert durch [X.] ([X.]), bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde ohne Bestallung als Arzt ausüben will, wobei die [X.]enntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers darauf überprüft werden, ob die Ausübung der Heilkunde eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeutet. Bei der Erlaubnispflicht nach dem [X.] handelt es sich mithin um eine Norm, die den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bezweckt und damit vorrangig der Gefahrenabwehr dient. Bei der Frage der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] geht es hingegen (auch) um die Privilegierung einer Bevölkerungsgruppe, die - wie oben ausgeführt - im Interesse der Allgemeinbevölkerung Leistungen zum Schutz der Gesundheit erbringt. Die eher ordnungsrechtliche Zielrichtung des [X.] ist damit nicht auf die [X.] übertragbar. Das Fehlen der Heilpraktikererlaubnis und der ärztlichen [X.] bei ritueller Heilung kann nicht dazu führen, dass deshalb geistiges Heilen nicht unter den Begriff des Gesundheitswesens iS des § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] zu subsumieren ist.

3. Grundrechte der [X.]lägerin werden durch die Versicherungs- und Beitragspflicht nicht verletzt. Hinsichtlich der Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 GG) ist keine erdrosselnde oder konfiskatorische Wirkung eines Beitrags iHv ca 137 Euro pro Jahr erkennbar (vgl [X.] vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - [X.]E 94, 38 = [X.] 4-2700 § 182 [X.] 1, Rd[X.]5; [X.] vom [X.] - 2 BvR 909/82 ua - [X.]E 75, 108 = [X.] Rd[X.] 116). Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) ist jedenfalls nicht unverhältnismäßig (hierzu [X.] vom 23.1.2018 - B 2 U 10/16 R). Sinn und Zweck dieses [X.] war im Übrigen der Schutz solcher Personen, die sich im Besonderen um die Allgemeinheit verdient machen und gerade deshalb besonderen Risiken wie [X.] ausgesetzt sind (vgl Begründung zum Entwurf eines [X.] über Änderungen in der Unfallversicherung vom [X.] zu § 537 [X.] 4b S 12 zur Einführung des Versicherungsschutzes für [X.]rankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten, Entbindungsheimen und sonstigen Anstalten, die Personen zur [X.]ur oder Pflege aufnehmen, der durch das [X.] vom [X.] und den dadurch vollzogenen Übergang von der Betriebs- auf die Personenversicherung in § 537 [X.] RVO aufging, vgl Begründung zum 6. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom [X.], [X.]).

Auch wird der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) im Hinblick auf die Freistellung ua von selbstständigen Ärzten und Heilpraktikern von der Versicherung nach § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] durch § 4 Abs 3 [X.] nicht verletzt. Der allgemeine Gleichheitssatz iS des Art 3 Abs 1 GG gebietet zwar, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten ([X.] vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - [X.]E 117, 272 = [X.] 4-2600 § 58 [X.]; stRspr). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und [X.] unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können ([X.] vom [X.] ua - [X.]E 88, 87; [X.] vom 8.4.1997 - 1 BvR 48/94 - [X.]E 95, 267; [X.] vom [X.] - 1 BvL 9/06 ua - [X.]E 126, 233 = [X.] 4-8570 § 6 [X.] 5; [X.] vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - [X.]E 130, 240 = [X.] 4-7835 Art 1 [X.] 1). Vorliegend hat eine über das bloße Willkürverbot hinausgehende, an den Grundsätzen der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung orientierte Prüfung zu erfolgen. Gemessen am anzuwendenden Maßstab verhältnismäßiger Gleichbehandlung bestehen aber Gründe von solcher Art und solchem Gewicht, die die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen. Bei den von der Versicherungspflicht befreiten Berufsgruppen kann typisierend unterstellt werden, dass sie aus ihrem Einkommen eigenständig eine Versicherung finanzieren können (vgl bereit[X.] vom [X.] 35/60 - [X.]E 18, 231 = [X.] [X.] zu § 541 RVO, [X.] [X.] 17 zu § 96 SGG, [X.] Rd[X.]1, sowie Begründung zum 6. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom [X.], [X.]), was bei der Gruppe der [X.]lägerin typisierend betrachtet gerade nicht der Fall ist.

4. Auch ein Verstoß gegen die europarechtlich garantierte Wettbewerbsfreiheit (Art 106, 101 AEUV ff) bzw Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) ist in der Zwangsversicherung der [X.]lägerin als selbstständiger Anbieterin von Behandlungsmethoden der Geistheilung nicht zu sehen, was der [X.] bereits mehrfach klargestellt hat (vgl [X.] vom 11.11.2003 - B 2 U 16/03 R - [X.]E 91, 263 = [X.] 4-2700 § 150 [X.] 1; [X.] vom 5.3.2009 - [X.]/07 - [X.]; s auch [X.], jurisPR-[X.] 14/2009 [X.] 1; zuletzt [X.] vom [X.] [X.]; zusammenfassend Spellbrink, [X.], 17, 34 ff).

5. Hinsichtlich der Beitragshöhe sind die [X.], soweit sie Gegenstand des [X.]lageverfahrens geworden sind, ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Festsetzung des Mindestbeitrags erfolgt gemäß § 44 der Satzung unter Festsetzung der Mindestversicherungssumme auf [X.] der Bezugsgröße gemäß § 18 Abs 1 SGB IV, aufgerundet auf volle 1000 Euro (vgl zur Unzulässigkeit der Festsetzung durch den Vorstand [X.] vom 4.12.2014 - B 2 U 11/13 R - [X.], 9 = [X.] 4-2700 § 161 [X.] 1).

Die [X.]ostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Die [X.]lägerin, die sich im vorliegenden Verfahren allein gegen die Feststellung ihrer Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs 1 [X.] 9 [X.] und die daraus resultierende Festsetzung der Beiträge zur Unternehmerpflichtversicherung für bestimmte Umlagejahre wehrt, klagt damit zumindest auch "in ihrer Eigenschaft als Versicherte" und gehört deshalb zu den in § 183 SGG genannten kostenprivilegierten Personen.

Meta

B 2 U 9/17 R

19.06.2018

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Augsburg, 13. Dezember 2013, Az: S 5 U 280/13, Urteil

§ 2 Abs 1 Nr 9 SGB 7, § 4 Abs 3 SGB 7, § 136 Abs 1 S 1 SGB 7, § 150 Abs 1 S 1 SGB 7, § 24 Abs 1 SGB 10, § 24 Abs 2 Nr 3 SGB 10, § 24 Abs 2 Nr 4 SGB 10, § 41 Abs 1 Nr 3 SGB 10, § 41 Abs 2 SGB 10, § 163 SGG, § 1 Abs 1 HeilprG, Art 101 AEUV, Art 106 AEUV, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.06.2018, Az. B 2 U 9/17 R (REWIS RS 2018, 7622)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7622

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1 BvR 48/94

1 BvL 10/00

1 BvL 14/07

2 U 13/16

2 U 20/14

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