Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.11.2022, Az. 6 B 22/22

6. Senat | REWIS RS 2022, 8538

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Gegenstand

Sachurteil als Verfahrensfehler; fehlendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse


Leitsatz

Wird das Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu Unrecht bejaht und ergeht ein Sachurteil an Stelle eines Prozessurteils, liegt hierin ein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Angesichts der den Sachausspruch erfassenden Rechtskraftwirkung wird ein Beigeladener dadurch grundsätzlich auch in seinen subjektiven Verfahrensrechten verletzt.

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] für das [X.] vom 7. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger nimmt als [X.]etreiber einer [X.] für Kinder bundesweit an Volksfesten und regelmäßig auch an der [X.] in [X.] teil. [X.]ereits im [X.] fanden dort vor seinem [X.]etrieb von der [X.]eigeladenen angemeldete Versammlungen statt, die sich gegen die nicht artgerechte Haltung von Ponys und die Ausbeutung von Tieren zu Unterhaltungszwecken wandten.

2

Für die [X.] 2017 meldete die [X.]eigeladene unter dem Motto "Nutzung von Tieren zur Unterhaltung (Ponykarussell)" Versammlungen von jeweils 30 bis 40 Teilnehmern an vier Nachmittagen an. Nach ihren Angaben sollten zehn Personen vor dem Reitbetrieb des [X.] stehen, die übrigen Teilnehmer diesem gegenüber. Es sei beabsichtigt, Flyer zu verteilen, Texte zu verlesen, zu skandieren und mit interessierten [X.]esuchern ins Gespräch zu kommen. Mit [X.] vom 18. April 2017 untersagte die zuständige Polizeibehörde des beklagten [X.] u. a. die Verwendung von technischen [X.]n auf dem Kirmesgelände. Der gegen die Untersagung des Megafoneinsatzes gerichtete Eilantrag der [X.]eigeladenen hatte teilweise Erfolg.

3

Der Kläger beantragte bei der Versammlungsbehörde, zum Schutz seines Gewerbebetriebs weitergehende Auflagen zu erlassen, insbesondere die Versammlung auf einen außerhalb des [X.] gelegenen Ort zu verlagern oder hilfsweise die Anzahl der Versammlungen zu beschränken und einen Mindestabstand von 15 Metern zu seinem [X.]etrieb vorzuschreiben. Weder dieser Antrag noch ein entsprechender Eilantrag des [X.] zum [X.] hatten Erfolg.

4

Auch seine zunächst auf Ergänzung des [X.]s vom 18. April 2017 gerichtete und nach Abschluss der [X.] 2017 auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Unterlassens weiterer Auflagen umgestellte Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht gab der [X.]erufung des [X.] mit [X.]eschluss vom 2. Juli 2020 teilweise statt und stellte fest, dass der [X.] rechtswidrig gewesen sei, weil er keine ausreichenden Auflagen zum Schutz der vom Kläger betriebenen [X.] enthalten habe. Dem Kläger hätten angesichts der von den [X.] beabsichtigten optischen [X.]arriere vor der [X.] an besonders besucherstarken Tagen erhebliche wirtschaftliche Einbußen gedroht, die über das im Lichte der Versammlungsfreiheit Zumutbare hinausgingen. Daher habe zur Herstellung der praktischen Konkordanz ein behördlicher Regelungs- und Konfliktbewältigungsbedarf bestanden, den die Polizeibehörde nur unzureichend berücksichtigt habe. Ihr Entschließungsermessen sei dahingehend auf Null reduziert gewesen, dass weitergehende Auflagen hätten erlassen werden müssen. Dem Kläger habe ein Anspruch auf Neubescheidung über die Ergänzung des [X.]s, nicht aber auf Erlass der von ihm konkret beantragten Auflagen (Verlagerung der Versammlung vor das Kirmesgelände, Reduzierung der Anzahl der Versammlungen und Einhaltung eines Mindestabstands) zugestanden.

5

Auf die [X.]eschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision hat der beschließende Senat mit [X.]eschluss vom 8. Januar 2021 - 6 [X.] - (NWV[X.]l. 2021, 239) die [X.]erufungsentscheidung wegen eines Aufklärungsmangels aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen.

6

Mit Urteil vom 7. Juni 2022 hat das Oberverwaltungsgericht erneut entschieden, dass der [X.] vom 18. April 2017 rechtswidrig gewesen sei, weil er keine ausreichenden Auflagen zum Schutz der vom Kläger betriebenen [X.] enthalten habe; im Übrigen hat es die [X.]erufung des [X.] zurückgewiesen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig, da der Kläger unter dem Aspekt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der Feststellung besitze, ob und ggf. inwieweit der [X.] den erledigten [X.] vom 18. April 2017 in der begehrten Weise hätte ergänzen müssen. Denn der Kläger wolle auch in den kommenden Jahren mit seiner [X.] an der [X.] teilnehmen. Die [X.]eigeladene habe ihre Absicht bekundet, auch in Zukunft Versammlungen vor der [X.] durchzuführen. Schließlich werde der [X.] künftige versammlungsrechtliche [X.]escheide u. a. von dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens abhängig machen. Die Klage sei aber nur teilweise begründet, da der Kläger keinen Anspruch gegen den [X.]n auf Erlass der in den [X.] genannten Auflagen gehabt habe. Allerdings habe er beanspruchen können, dass der [X.] den [X.] mit weiteren, in seinem Auswahlermessen stehenden Auflagen versehe, um die tatsächlichen [X.]eeinträchtigungen des [X.]s durch die Versammlungen der [X.]eigeladenen auf ein zumutbares Maß zu reduzieren.

7

Das [X.]erufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die [X.]eigeladene mit der [X.]eschwerde, die von dem [X.]n unterstützt wird.

II

8

Die zulässige [X.]eschwerde der [X.]eigeladenen hat in der Sache keinen Erfolg.

9

1. Die [X.]eschwerde ist zulässig, da die [X.]eigeladene durch die Sachentscheidung des [X.]erufungsgerichts beschwert ist. Die [X.]eschwerdeberechtigung eines [X.]eigeladenen erfordert eine materielle [X.]eschwer ([X.]VerwG, Urteile vom 31. Januar 1969 - 4 [X.] 83.66 - [X.]VerwGE 31, 233 <235> und vom 19. Mai 2005 - 6 [X.] 14.04 - [X.]VerwGE 123, 362 <364>; [X.]eschluss vom 6. März 2019 - 6 [X.] 135.18 - NVwZ-RR 2019, 610 Rn. 17). Diese liegt vor, wenn die mit seiner Stellung als [X.]eteiligter einhergehende [X.]indung an ein rechtskräftiges Urteil gemäß § 121 Nr. 1 i. V. m. § 63 Nr. 3 VwGO für ihn von sachlicher [X.]edeutung ist, der [X.]eigeladene somit geltend machen kann, aufgrund der [X.]indungswirkung des angefochtenen Urteils möglicherweise präjudiziell und unmittelbar in eigenen Rechten bzw. rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt zu werden ([X.]VerwG, Urteile vom 16. September 1981 - 8 [X.] 1.81 - [X.]VerwGE 64, 67 <69> und vom 14. März 2018 - 10 [X.] 3.17 - LKV 2018, 315 Rn. 12). Das ist hier der Fall.

2. Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte [X.]eschwerde der [X.]eigeladenen ist unbegründet, denn das [X.]erufungsgericht hat weder § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (a)) noch § 88 VwGO (b)) oder den in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltenen Überzeugungsgrundsatz (c)) verletzt.

a) Die [X.]eigeladene rügt, das [X.]erufungsgericht habe das [X.] in verfahrensfehlerhafter Weise bejaht. Zum einen sei § 15 Abs. 1 [X.] als bundesrechtliche Grundlage des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Einschreiten der Versammlungsbehörde in [X.] mit Inkrafttreten des [X.] Versammlungsgesetzes im Januar 2022 außer [X.] getreten. Auflagen für Versammlungen unter freiem Himmel könnten in Zukunft nur noch aufgrund der landesrechtlichen Vorschrift des § 13 [X.] [X.] getroffen werden. Zu Unrecht habe das Oberverwaltungsgericht auch die tatsächlichen Voraussetzungen der Wiederholungsgefahr bejaht. Es sei nicht zu erwarten, dass sich das Geschehen genauso wiederhole, denn seit dem [X.] werde auf der der [X.] gegenüberliegenden Seite des Geländes eine Lücke für die Versammlungen der [X.]eigeladenen freigehalten. Damit stehe für Demonstrationen weit mehr Raum zur Verfügung. Zudem habe die [X.]eigeladene zuletzt nur die Hälfte der Front der [X.] für ihre Versammlungen beansprucht, wodurch sich die [X.]eeinträchtigung um ein Vielfaches reduziert habe. Dieses Vorbringen ist zwar im Rahmen einer Verfahrensrüge statthaft, belegt aber keine Verletzung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des [X.], dass ein Gericht, das eine Fortsetzungsfeststellungsklage mangels berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts durch Prozessurteil abweist, verfahrensfehlerhaft [X.] § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO handelt, wenn in der Sache hätte entschieden werden müssen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 16. Oktober 1989 - 7 [X.] 108.89 - [X.]uchholz 310 § 113 VwGO Nr. 211 S. 41; vom 4. Oktober 2006 - 6 [X.] 64.06 - [X.]uchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 36 Rn. 9 und vom 14. Dezember 2018 - 6 [X.] 133.18 - NVwZ 2019, 649 Rn. 9). Auch in der umgekehrten Fallkonstellation, in der die Vorinstanz das [X.] zu Unrecht bejaht, liegt ein Verfahrensmangel [X.] § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor. Denn dann wäre dem Gericht eine Entscheidung durch [X.] nicht eröffnet gewesen, sondern es hätte ein Prozessurteil fällen müssen. Angesichts der den gerichtlichen Sachausspruch erfassenden Rechtskraftwirkung wird ein [X.]eigeladener durch das verfahrensfehlerhaft ergangene [X.] grundsätzlich auch in seinen subjektiven Verfahrensrechten verletzt.

Im vorliegenden Fall hat das [X.]erufungsgericht jedoch das [X.] zutreffend mit [X.]lick auf die Fallgruppe einer Wiederholungsgefahr bejaht. Ein mit der drohenden Wiederholung eines erledigten Verwaltungsakts begründetes berechtigtes Interesse an der Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit setzt die konkrete oder hinreichend bestimmte ([X.]VerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 [X.] 14.12 - [X.]VerwGE 146, 303 Rn. 21; [X.]eschluss vom 17. Dezember 2019 - 9 [X.] 52.18 - NVwZ-RR 2020, 331 Rn. 9) Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird ([X.]VerwG, Urteile vom 25. November 1986 - 1 [X.] 10.86 - [X.]uchholz 310 § 113 VwGO Nr. 162 und vom 3. Juni 1988 - 8 [X.] 18.87 - [X.]uchholz 310 § 113 VwGO Nr. 181; [X.]eschlüsse vom 16. Oktober 1989 - 7 [X.] 108.89 - [X.]uchholz 310 § 113 VwGO Nr. 211 und vom 26. April 1993 - 4 [X.] 31.93 - [X.]uchholz 310 § 113 VwGO Nr. 255). Das Gleiche gilt für das einem [X.]etroffenen drohende Nichteinschreiten einer [X.]ehörde u. a. in einer sich wiederholt abzeichnenden Gefahrensituation. Auch dann müssen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für den angegriffenen Verwaltungsakt - bzw. seinen Nichterlass - maßgebend waren, im Zeitpunkt der künftig zu erwartenden behördlichen Entscheidung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen unverändert geblieben sein (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 24. August 1979 - 1 [X.] 76.76 - [X.]uchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 16 und vom 16. Mai 2013 - 8 [X.] 14.12 - [X.]VerwGE 146, 303 Rn. 21; [X.]eschluss vom 26. April 1993 - 4 [X.] 31.93 - [X.]uchholz 310 § 113 VwGO Nr. 255). Dem zukünftigen behördlichen Vorgehen müssen allerdings nicht in allen Einzelheiten die gleichen Umstände zugrunde liegen. Für das Feststellungsinteresse ist entscheidend, ob die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen künftigen Verwaltungshandelns unter Anwendung der dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften geklärt werden können ([X.]VerwG, Urteil vom 18. Dezember 2007 - 6 [X.] 47.06 - NVwZ 2008, 571 Rn. 13; [X.]eschluss vom 21. Oktober 1999 - 1 [X.] 37.99 - [X.]uchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 7). Ist hingegen ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigten Verwaltungsaktes, kann das [X.] nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden ([X.]VerwG, Urteile vom 25. November 1986 - 1 [X.] 10.86 - [X.]uchholz 310 § 113 VwGO Nr. 162 und vom 12. Oktober 2006 - 4 [X.] 12.04 - [X.]uchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8).

Diesen Maßstab zugrunde gelegt hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Rechtswidrigkeitsfeststellung der Entscheidung des [X.]n, keine weiteren versammlungsrechtlichen Auflagen zum Schutz seines [X.]etriebs getroffen zu haben. Wenn die [X.]eschwerde anführt, in [X.] sei mit Wirkung zum 7. Januar 2022 das ([X.]undes-)Versammlungsgesetz durch das Versammlungsgesetz des [X.] [X.] ersetzt worden (Art. 1 des Gesetzes zur Einführung eines [X.] Versammlungsgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 17. Dezember 2021, GV. [X.]. 2022 S. 2), stellt diese Rechtsänderung das [X.] des [X.] nicht infrage. Zwar ist der Tatbestand des § 13 Abs. 1 [X.] [X.] hinsichtlich des auf die öffentliche Sicherheit beschränkten [X.] enger als der des § 15 Abs. 1 [X.], der auch die öffentliche Ordnung erfasst. Die in § 15 Abs. 1 [X.] enthaltene, auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG bezogene Ermächtigung darf aber nach der Rechtsprechung nicht zu einer Ausweitung der in der Rechtsordnung enthaltenen Schranken des Inhalts von Meinungsäußerungen führen, die durch den Gesetzgeber immer nur dann beschränkt worden sind, wenn zugleich sonstige Rechtsgüter verletzt werden ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 23. Juni 2004 - 1 [X.]vQ 19/04 - [X.]VerfGE 111, 147 <156>). Zu diesen Rechtsgütern, die bei der behördlichen Entscheidung über die Verfügung von Auflagen anlässlich einer Versammlung zu berücksichtigen sind, gehört auch die grundrechtlich in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte [X.]erufsfreiheit des [X.]. Somit ist bei den gegen den Gewerbebetrieb des [X.] gerichteten Versammlungen der [X.]eigeladenen immer auch das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit berührt. Demzufolge hat das Inkrafttreten des [X.] Versammlungsgesetzes in der hier vorliegenden Fallkonstellation die Rechtslage nicht derart verändert, dass das [X.] des [X.] aus Rechtsgründen nicht als berechtigt anzusehen wäre.

In tatsächlicher Hinsicht überspannt das Vorbringen der [X.]eschwerde den Maßstab für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr.

Die von der [X.]eigeladenen vorgebrachten tatsächlichen Modifikationen bei den zuletzt von ihr durchgeführten Versammlungen sind zum einen nicht so bedeutend, dass sie die Schwelle einer wesentlichen Veränderung überschritten. Der Umstand, dass die Stadt [X.] seit dem Jahre 2019 eine Freifläche gegenüber der [X.] für die Versammlungen der [X.]eigeladenen freihält, führt zwar zu mehr Raum. An dem für die Versammlungsbehörde bestehenden Regelungs- und Konfliktbewältigungsbedarf wird jedoch weder hierdurch noch durch die von der [X.]eigeladenen reduzierte [X.]eanspruchung der Front des Reitbetriebs für ihre Versammlungen etwas Wesentliches geändert. Auch die [X.]eteiligten gehen von fortdauernden Konflikten aus, die mit den Mitteln des Versammlungsrechts bewältigt werden müssen. Dem zukünftigen behördlichen Vorgehen müssen nicht in allen Einzelheiten die gleichen Umstände wie in der Vergangenheit zugrunde liegen. Vielmehr reicht es aus, dass ein gerichtliches Feststellungsurteil noch einen relevanten Ertrag für die rechtliche [X.]eurteilung der in Zukunft gegebenen Sachlage zu erbringen vermag. Das ist hier offensichtlich der Fall. Eine Wiederholungsgefahr in vorliegender Situation zu verneinen, in der die [X.]eteiligten ihr Verhalten im Wesentlichen unverändert fortführen bzw. an dem Ausgang dieses Verfahrens ausrichten wollen, wäre mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

Zum anderen spricht die [X.]eigeladene dem Kläger das Feststellungsinteresse unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des [X.] ab, wonach ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ab dem Zeitpunkt nicht mehr besteht, in dem die [X.]ehörde erneut gehandelt und sich dadurch die Gefahr des erneuten Erlasses eines gleichartigen Verwaltungsakts gleichsam realisiert hat (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 10. Februar 2022 - 8 [X.] 1.22 - juris Rn. 6). Denn nach den Versammlungen im Frühjahr 2017 habe es auch in den Folgejahren weitere Versammlungen der [X.]eigeladenen auf der Kirmes gegeben, ohne dass die [X.] deshalb die vom Kläger begehrten Auflagen gegen die Versammlungen der [X.]eigeladenen erlassen hätte. Dieses Vorbringen der [X.]eschwerde geht fehl. Denn der von ihr angeführte Rechtssatz beansprucht in einer Situation, die wie die vorliegende von halbjährlich wiederkehrenden Veranstaltungen mit sich wiederholenden Protestaktionen geprägt ist, ersichtlich keine Geltung. Gerade in einer solchen Konstellation muss es zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes möglich sein, das behördliche Handeln zu kontrollieren.

b) Die [X.]eschwerde macht geltend, das [X.]erufungsgericht habe § 88 VwGO verletzt, da es mit dem tenorierten Feststellungsausspruch über das Klagebegehren hinausgegangen sei. Der Kläger habe im [X.]erufungsverfahren ausdrücklich keinen [X.]escheidungsantrag gestellt, sondern die Feststellung der Rechtswidrigkeit des [X.]escheids vom 18. April 2017 nur insoweit beantragt, als der [X.] die von ihm begehrten Auflagen nicht festgesetzt habe. Die Rüge greift nicht durch.

Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für dessen Umfang ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel. Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 [X.]G[X.]) heranzuziehen. Entscheidend ist der geäußerte [X.], wie er sich aus der prozessualen Erklärung und den sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Ist der Kläger im Verwaltungsprozess anwaltlich vertreten, kommt der Fassung des Klageantrags bei der Ermittlung des tatsächlich Gewollten zwar gesteigerte [X.]edeutung zu. Weicht das wirkliche [X.] von der Antragsfassung jedoch eindeutig ab, darf auch im Falle anwaltlicher Vertretung die Auslegung vom Antragswortlaut abweichen (vgl. zusammenfassend [X.]VerwG, Urteil vom 1. September 2016 - 4 [X.] 4.15 - [X.]VerwGE 156, 94 Rn. 9; [X.]eschluss vom 12. Mai 2020 - 6 [X.] 53.19 - juris Rn. 3).

Das [X.]erufungsgericht ist bei seiner Auslegung des vom Kläger gestellten [X.]erufungsantrags ([X.] f.) zutreffend davon ausgegangen, dass ein Verpflichtungsbegehren regelmäßig als Minus auch einen [X.]escheidungsantrag enthält ([X.]VerwG, Urteil vom 31. März 2004 - 6 [X.] 11.03 - [X.]VerwGE 120, 263 <275 f.>). Daher erweist sich allein der Umstand, dass der Kläger keinen expliziten [X.]escheidungsantrag gestellt und seine [X.]erufung auch insoweit nicht näher begründet hat, für die Annahme der [X.]eschwerde als unergiebig. Die von der [X.]eigeladenen angeführten weiteren Gründe belegen nicht, dass ein [X.]escheidungsantrag nicht seinem wirklichen Rechtsschutzziel entsprochen hätte. Gerade die aus der Klagebegründung deutlich werdende Interessenlage spricht vielmehr dafür, dass das [X.] darauf gerichtet war, die von den Versammlungen für seinen [X.] ausgehenden [X.]eeinträchtigungen durch versammlungsrechtliche Auflagen oder [X.]eschränkungen zu minimieren. Ein sachlicher Grund, weshalb es dem Kläger nur auf die von ihm in dem Haupt- sowie den beiden Hilfsanträgen genannten konkreten Maßnahmen angekommen sein sollte, ist nicht erkennbar. Nachdem das [X.]erufungsgericht im [X.]eschluss vom 2. Juli 2020 bereits davon ausgegangen war, dass der klägerische Antrag als Minus ein [X.]escheidungsbegehren enthält, bestand für den Kläger auch keine Veranlassung, im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2022 ausdrücklich zusätzlich einen [X.]escheidungsantrag zu stellen.

c) Die [X.]eschwerde rügt schließlich die [X.]enennung des beschränkten Megafoneinsatzes als möglichen Auflageninhalt im [X.]erufungsurteil ([X.] f.). Diese Feststellung sei aktenwidrig, da der [X.] in Ziffer 2 des [X.]escheids vom 18. April 2017 die Nutzung technischer [X.] vollständig untersagt habe. Mit diesem Vorbringen verkennt die [X.]eschwerde die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz in dem angefochtenen Urteil ([X.] f.): Das [X.]erufungsgericht hat dort den zeitlich begrenzten Megafoneinsatz nicht als Inhalt möglicher Auflagen, sondern als ein Element zur [X.]eschreibung der Art und Weise genannt, wie die Versammlungen tatsächlich durchgeführt worden sind. Insoweit räumt die [X.]eschwerde selbst ein, dass der [X.]eigeladenen der Megafoneinsatz trotz der vollständigen Untersagung des Einsatzes technischer [X.] im [X.]escheid vom 18. April 2017 wegen ihres Teilerfolgs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ([X.], [X.]eschluss vom 10. Mai 2017 - 18 L 2131/17 -) tatsächlich möglich war.

3. Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

6 B 22/22

23.11.2022

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 7. Juni 2022, Az: 15 A 2100/18, Urteil

Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 63 Nr 3 VwGO, § 88 VwGO, § 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 113 Abs 1 S 4 VwGO, § 121 Nr 1 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.11.2022, Az. 6 B 22/22 (REWIS RS 2022, 8538)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8538

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2 ZB 22.2512

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1 BvQ 19/04

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