Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.01.2021, Az. 6 B 48/20

6. Senat | REWIS RS 2021, 9697

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Gegenstand

Abänderung eines versammlungsrechtlichen Auflagenbescheides zugunsten eines Schaustellerbetriebs


Leitsatz

Art. 8 Abs. 1 GG verbürgt die Durchführung von Versammlungen während eines auf einer öffentlichen Fläche stattfindenden herkömmlichen Volksfests (im Anschluss an BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 - BVerfGE 128, 226 - Fraport).

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] für das [X.] vom 2. Juli 2020 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger nimmt als Betreiber einer [X.] für Kinder bundesweit an Volksfesten und regelmäßig auch an der S.-Kirmes in [X.] teil. Bereits anlässlich der [X.] und Herbstkirmes des Jahres 2016 fanden dort vor seinem Betrieb Versammlungen statt, die sich gegen die nicht artgerechte Haltung von Ponys und die Ausbeutung von Tieren zu Unterhaltungszwecken wandten. Für die [X.] 2017 meldete die Beigeladene unter dem Motto "Nutzung von Tieren zur Unterhaltung (Ponykarussell)" Versammlungen von jeweils 30 bis 40 Teilnehmern an vier Nachmittagen (am 13., 14., 20. und 21. Mai 2017) an. Sie machte dabei detaillierte Angaben zum beabsichtigten Verhalten der Teilnehmer. So sollten zehn Personen vor dem Betrieb des [X.] stehen, weitere auf einer gegenüberliegenden Freifläche. Es sei beabsichtigt, Flyer zu verteilen, Texte zu verlesen, zu skandieren und mit interessierten Besuchern ins Gespräch zu kommen. Mit [X.] vom 18. April 2017 untersagte die zuständige Polizeibehörde des beklagten [X.] u.a. die Verwendung von technischen Schallverstärkern auf dem Kirmesgelände.

2

Der Kläger beantragte bei der Versammlungsbehörde, zum Schutz seines Gewerbebetriebs weitergehende Auflagen zu erlassen, insbesondere die Versammlung auf einen außerhalb des [X.] gelegenen Ort zu verlagern oder hilfsweise die Anzahl der Versammlungen zu beschränken und einen Mindestabstand von 15 Metern zu seinem Betrieb vorzuschreiben. Weder dieser Antrag noch ein entsprechender Eilantrag des [X.] zum [X.] hatten Erfolg.

3

Auch seine zunächst auf Ergänzung des [X.]es vom 18. April 2017 gerichtete und nach Abschluss der [X.] 2017 auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Unterlassens weiterer Auflagen umgestellte Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Dagegen gab das Oberverwaltungsgericht für das [X.] der Berufung des [X.] mit Beschluss vom 2. Juli 2020 teilweise statt und stellte fest, dass der [X.] rechtswidrig gewesen sei, weil er keine ausreichenden Auflagen zum Schutz der vom Kläger betriebenen [X.] enthalten habe. Dem Kläger hätten angesichts der von den [X.] beabsichtigten optischen Barriere vor der [X.] an besonders besucherstarken Tagen erhebliche wirtschaftliche Einbußen gedroht, die über das im Lichte der Versammlungsfreiheit Zumutbare hinausgingen. Daher habe zur Herstellung der praktischen [X.] ein behördlicher Regelungs- und Konfliktbewältigungsbedarf bestanden, den die Polizeibehörde unzureichend berücksichtigt habe. Ihr Entschließungsermessen sei dahingehend auf Null reduziert gewesen, dass weitergehende Auflagen hätten erlassen werden müssen. Dem Kläger habe daher ein Anspruch auf Neubescheidung über die Ergänzung des [X.]es zugestanden.

4

Allerdings habe dem Kläger kein Anspruch auf die von ihm konkret beantragten Auflagen (Verlagerung der Versammlung vor das Kirmesgelände oder Reduzierung der Anzahl der Versammlungen und Einhaltung eines Mindestabstands) zugestanden. Es habe keine Sachlage vorgelegen, die als einzige Handlungsoption zwingend eine Verlegung der Versammlung auf einen Ort außerhalb des [X.] erforderlich gemacht habe. Die Lösung des räumlichen Bezugs der Versammlung zur [X.] hätte einen tiefgreifenden Eingriff in das in Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters dargestellt, der nicht zu rechtfertigen gewesen sei, weil dem Kläger eine Versammlung mit erkennbarem räumlichen Bezug zu seinem Betrieb grundsätzlich zuzumuten sei. Um zu dieser Einschätzung zu gelangen, bedürfe es keiner näheren Aufklärung des tatsächlichen Ablaufs der Versammlungen durch Anhörung der vom Kläger benannten Richterin am [X.] und des städtischen Mitarbeiters M. Soweit Herr M. in einem die Zulassung der Klagen zur S.-Kirmes 2018 betreffenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren gegenüber der Richterin geäußert habe, die Demonstrationen gegen den Betrieb des [X.] seien derartig gewesen, dass er befürchtet habe, die Kirmes abbrechen zu müssen, handle es sich offenkundig um eine rein subjektive Einschätzung, die nichts über die im Mai 2017 gegebene objektive (spezifisch versammlungsrechtliche) Gefahrenlage aussage und auch nichts für die Annahme einer Reduktion der versammlungsbehördlichen Handlungsoptionen hergebe. Es fehlten belastbare Anhaltspunkte dafür, dass im Mai 2017 aufgrund der erkennbaren tatsächlichen Umstände eine Gefahrensituation vorgelegen habe, auf die die Versammlungsbehörde ausschließlich durch die geforderte Verlegung hätte reagieren müssen. Das Veranstaltungsgelände sei auch nicht prinzipiell der Ausübung der Versammlungsfreiheit entzogen, weil dort ein öffentlicher allgemein zugänglicher Kommunikationsraum eröffnet sei. Auch aus der vom Kläger angeführten Regelung des § 17 [X.] folge nichts Anderes. Die dort genannten Veranstaltungen unterlägen nicht dem Regime des Versammlungsrechts, weil sie nicht von Art. 8 GG geschützt seien. Eine Aussage darüber, wie mit Versammlungen anlässlich eines Volksfestes auf einem Volksfestplatz umzugehen sei, finde sich dort nicht. Aus den genannten Gründen sei auch keine Ermessensreduzierung zugunsten der vom Kläger hilfsweise geforderten Auflagen, die Zahl der Versammlungen einzuschränken und einen Mindestabstand von 15 Metern zur [X.] vorzugeben, eingetreten. Vielmehr sei der beklagten Polizeibehörde zur Herstellung der praktischen [X.] ein Handlungsspielraum verblieben, zwischen diesen Maßnahmen zu wählen, sie abzustufen oder zu kombinieren oder sich für alternative Maßnahmen gleicher Wirkung zu entscheiden.

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision im angegriffenen Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

II

6

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 133 Abs. 6 VwGO). Aus der Beschwerdebegründung des [X.] ergibt sich zwar nicht, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt (1.). Das Berufungsurteil beruht aber, wie der Kläger zu Recht geltend macht, auf einem Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO) (2.).

7

1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Revisionsverfahren als entscheidungserheblich erweist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Das [X.] des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die erstrebte Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und Ausführungen zu dem Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2001 - 6 B 35.00 - [X.] 34 <2001>, 377 Rn. 2 <= juris Rn. 3> und vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 [[X.]:[X.]:[X.]] - NVwZ 2019, 1771 Rn. 7). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8 m.w.N.).

8

a. Die Beschwerde erachtet folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:

1. Stehen Flächen in einem Zeitraum, innerhalb dessen sie für ein Volksfest in Anspruch genommen werden, gleichzeitig für Versammlungen zur Verfügung?

2. Gebietet die Berufsausübungsfreiheit der Schausteller bzw. auf einem Volksfest vertretenen Anbieter - gegebenenfalls im Zusammenwirken mit den Sicherheitsanforderungen eines Volksfestes - es, den die jeweilige Darbietung, das jeweilige Angebot umgebenden unmittelbaren Raum so weit von Versammlungen freizuhalten, dass eine Beeinträchtigung des Betriebs durch eine Versammlung nicht zu erwarten steht?

9

Sie führt dazu aus, wie der Konflikt zwischen einem Volksfest und einer Demonstration zu lösen sei, sei bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt, aber für Schausteller auf Volksfesten von generellem Interesse. Auch § 17 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz - [X.]) vom 15. November 1978 ([X.] I S. 1789), der sich mit Volksfesten befasse, gebe darauf keine Antwort. Allerdings belege die ausdrückliche Erwähnung der Volksfeste, dass diese - anders als das Berufungsgericht meine - nicht grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Versammlungsrechts ausgenommen seien. Die erste Frage stelle sich vor dem Hintergrund des "[X.]" des [X.] vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 [[X.]:[X.]:[X.]:2011:rs20110222.1bvr069906] - ([X.] 128, 226). Das [X.] leite aus der besonderen Störanfälligkeit eines Flughafens ab, dass auf dem Flughafengelände weitergehende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit als im öffentlichen Straßenraum zulässig seien. Auch [X.] seien zweckgebunden ausgewiesene und beworbene Plätze, deren begrenztes Raumangebot jeweils für einen kurzen Zeitraum den zugelassenen Schaustellern und Anbietern zustehe und die ein besonderes Gefährdungspotential aufwiesen. Daher stünden die Grundrechte der Anbieter während der Dauer des Volksfestes einer Nutzung des Geländes als Versammlungsort entgegen und müssten stets zu einer Verlagerung der Versammlung vor das Volksfestgelände führen. Für den Fall, dass gleichwohl von der Zulässigkeit einer Versammlung auf dem Volksfestgelände auszugehen sei, ziele die zweite Frage darauf ab, zu klären, ob sich aus dem Grundsatz der praktischen [X.] ein generelles Abstandsgebot zu den Schaustellerbetrieben ableiten lasse. Das Berufungsurteil befasse sich lediglich auf [X.] mit der Frage der Herstellung der praktischen [X.], versäume es aber, der Versammlungsbehörde für die künftige Handhabung Maßstäbe an die Hand zu geben.

b. Zwar zielen beide in der Beschwerde aufgeworfenen Fragestellungen auf die Gewinnung verallgemeinerungsfähiger Obersätze für den Ausgleich der miteinander konkurrierenden Grundrechtspositionen der Schausteller auf einem Volksfest und der Teilnehmer einer Versammlung mit Bezug zu dort vertretenen Schaustellerbetrieben. Allerdings ist die erste Frage auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht zutreffend zugrunde gelegten höchstrichterlichen Rechtsprechung für den Ort eines herkömmlichen Volksfestes bereits geklärt und grundsätzlich zu bejahen. Die zweite Frage lässt sich nicht in der von der Beschwerde geforderten fallübergreifenden Weise, sondern lediglich im Einzelfall im Wege der Herstellung praktischer [X.] beantworten.

aa. Zu der Frage, ob und welche Orte zur Ausübung der Versammlungsfreiheit zur Verfügung stehen, hat sich das [X.] in dem auch von der Beschwerde zitierten Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 - ([X.] 128, 226) grundsätzlich geäußert und Fallgruppen gebildet. Die Versammlungsfreiheit verbürgt demnach die Durchführungen von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft - unabhängig von einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts - zunächst den öffentlichen Straßenraum. Dieser ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können. Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen (a.a.[X.] 251 f.). Die Frage, ob ein solcher außerhalb öffentlicher Straßen, Wege und Plätze liegender Ort als ein öffentlicher Kommunikationsraum zu beurteilen ist, beantwortet sich nach dem Leitbild des öffentlichen Forums. Dieses ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht (a.a.[X.]). Abzugrenzen sind davon die "versammlungsfreien" Räume, also Orte, zu denen die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht verschafft. Unter diese Gruppe fallen Stätten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Ausgeschlossen sind daher Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird (a.a.[X.]).

Die mit der Beschwerde im Rahmen der ersten Frage geltend gemachte generelle Unvereinbarkeit eines [X.] mit einem herkömmlichen, allgemein und frei zugänglichen Volksfest auf einer öffentlichen Fläche lässt sich mit dieser Rechtsprechung nicht vereinbaren. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde handelt es sich bei einem herkömmlichen Volksfestplatz für die Dauer der Veranstaltung nicht um einen Ort, der im Sinne eines "versammlungsfreien" Raums lediglich den kommerziellen Interessen der Schaustellerbetriebe diente und nur zu einem besonderen Zweck für die Allgemeinheit zugänglich wäre. Vielmehr steht er gerade während eines Volksfestes typischerweise dem allgemeinen öffentlichen Verkehr offen und erfüllt die Merkmale des vom [X.] als Leitbild herangezogenen öffentlichen Forums als Ort des Verweilens, der Begegnung, des Flanierens, des Konsums und der Freizeitgestaltung. Dies lässt sich dem Urteil des [X.] bereits unmittelbar entnehmen. So benennt das Urteil die "öffentliche Festwiese" neben einer Fußgängerzone, einer historischen Altstadt oder einem Marktplatz als einen typischerweise einem Versammlungsgeschehen offenstehenden Raum (a.a.[X.] 262).

bb. Ebenso wenig lässt sich auf der Grundlage dieser Rechtsprechung die in der zweiten Frage angesprochene und auch vom Beklagten thematisierte fallübergreifende und verallgemeinerungsfähige Pflicht zur Wahrung eines Mindestabstands des [X.] zum Angebot der Schaustellerbetriebe mit dem Ziel der Abwehr von Beeinträchtigungen für deren Gewerbe oder mit den allgemeinen Sicherheitsanforderungen eines Volksfestes rechtfertigen. Zwar zeigt das "Fraport-Urteil" des [X.] auf, dass Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, die der Abwehr spezifisch mit den räumlichen Gegebenheiten eines Ortes oder den typischen Sicherheitsgefahren einer Veranstaltung verbundener Gefahren dienen, nicht nur im Einzelfall, sondern auch generalisierend im Rahmen einer allgemeinen Benutzungsordnung getroffen werden können, die den [X.] im Rahmen ihrer versammlungsrechtlichen Befugnisse als Regelvermutungen für die Erfordernisse der Sicherheit und Funktionsfähigkeit und als typisierende Leitschnur dienen können (a.a.[X.] 262 f.). Dies entbindet die Versammlungsbehörde jedoch nicht von der Pflicht zu prüfen, ob diese generalisierenden Regelungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen oder ob im Einzelfall eine Situation vorliegt, die eine Abweichung hiervon erfordert (a.a.[X.] 263). Die von der Beschwerde für grundrechtlich geboten gehaltene Verlagerung sämtlicher Versammlungen vor das Volksfestgelände oder die Einrichtung einer generell versammlungsfreien Abstandszone könnte daher auch eine solche Benutzungsordnung nicht garantieren. Vielmehr kann die zuständige Behörde solche Distanzanordnungen im Rahmen des § 15 Abs. 1 [X.] nur aufgrund einer konkreten tatsachengestützten Gefahrenprognose treffen, an die mit Blick auf die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit keine zu geringen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 2020 - 6 B 18.20 [[X.]:[X.]:[X.]] - juris Rn. 6). Die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit und das durch Art. 8 Abs. 1 GG eingeräumte Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Versammlung haben im konkreten Fall nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit notwendig ist. Die dabei auftretenden Kollisionen sind im Wege der Herstellung praktischer [X.] zwischen den widerstreitenden Rechtspositionen im Einzelfall aufzulösen. Weder die von der Beschwerde angeführten allgemeinen Gefährdungslagen auf Volksfesten noch das für die Gewerbetreibenden streitende Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG erlauben es, in einem Revisionsverfahren abstrakte Rechtssätze zu einer versammlungsfreien Abstandszone auf Volksfesten unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu bilden.

cc. Soweit die Beschwerde für die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen § 17 [X.] eine Bedeutung beimisst, lässt das Vorbringen bereits eine nähere Darlegung eines rechtlichen Zusammenhangs vermissen. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass herkömmliche Volksfeste nicht unter den Versammlungsbegriff des Art. 8 Abs. 1 GG und des § 1 Abs. 1 [X.] fallen und daher nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit genießen (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 [[X.]:[X.]:BVerwG:2007:160507U6C23.06.0] - BVerwGE 129, 42 Rn. 15; so zuletzt auch [X.], Beschluss vom 27. Oktober 2016 - 1 BvR 458/10 [[X.]:[X.]:[X.]:2016:rs20161027.1bvr045810] - [X.] 143, 161 Rn. 110). Warum sich aus diesem Umstand etwas Näheres für die Gewichtung der grundrechtlichen Betroffenheiten der Schausteller einerseits und der Versammlungsteilnehmer andererseits ergeben könnte, erläutert die Beschwerde nicht.

2. Erfolg hat der Kläger demgegenüber mit der von ihm erhobenen Verfahrensrüge, soweit er die Ablehnung seines Antrags auf Einvernahme des Zeugen M. im angegriffenen Beschluss als Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) rügt.

a. Ein Tatsachengericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung, wenn es versäumt, hinreichend konkret dargelegten Einwänden eines Beteiligten nachzugehen und den Sachverhalt weiter aufzuklären, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 - 1 C 39.16 [[X.]:[X.]:[X.]] - BVerwGE 161, 1 Rn. 22 m.w.N.). Das Absehen von einer gebotenen Sachaufklärung mit der Begründung, etwa in Betracht kommende Beweismittel würden voraussichtlich nicht den gewünschten Aufschluss erbringen, stellt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung und damit eine Verletzung der Verpflichtung des Gerichts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO dar, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (BVerwG, Urteil vom 19. März 1998 - 2 C 5.97 - BVerwGE 106, 263 <265 f.>). Die nach Einschätzung des Gerichts geringe Wahrscheinlichkeit, dass Aufklärungsmaßnahmen zu weiteren Erkenntnissen führen werden, begrenzt nicht die Amtsermittlungspflicht (BVerwG, Beschluss vom 22. August 2000 - 2 B 29.00 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 310). Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensmangel unterlaufen ist, ist grundsätzlich dessen materiellrechtlicher Standpunkt zugrunde zu legen (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 - 6 B 14.17 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.] 402.41 [X.] Rn. 11 m.w.N).

b. Der Kläger hat zuletzt mit [X.] vom 15. Juni 2020 geltend gemacht, zur Aufklärung des Ausmaßes der seinem Betrieb durch die Versammlungen der Beigeladenen zugefügten Beeinträchtigungen müssten auch die Erkenntnisse des städtischen Mitarbeiters M. miteinbezogen werden. Denn dieser habe gegenüber der Richterin am [X.] in einem anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren geäußert, es sei infolge der Vorkommnisse anlässlich der Versammlungen sogar erwogen worden, die [X.] 2017 abzubrechen. Diesen Umständen komme auch insoweit Bedeutung zu, als sich das Gericht mit der Frage befasse, ob eine Ermessensreduzierung auf Null bezüglich der vom Kläger konkret zum Schutz seines Betriebs geforderten Auflagen eingetreten sei.

c. Welche Auswirkungen die Versammlungen der Beigeladenen auf der [X.] 2017 für den klägerischen Betrieb hatten, war für das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung erheblich. Ob dem Kläger neben dem vom Berufungsgericht bejahten Anspruch auf behördliches Einschreiten auch ein Anspruch auf Erlass der von ihm konkret begehrten Auflagen (Verlagerung auf einen außerhalb des [X.] gelegenen Ort oder hilfsweise Beschränkung der Anzahl der Versammlungen unter Vorgabe eines Mindestabstands von 15 Metern zu seinem Betrieb) zustand, hing nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz davon ab, ob hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die von den Versammlungen der Beigeladenen ausgehenden Störungen des klägerischen Betriebs allein durch die vom Kläger begehrten Auflagen zu bewältigen waren oder ob der Versammlungsbehörde noch anderweitige Handlungsoptionen zur Herstellung der praktischen [X.] der kollidierenden Grundrechtspositionen offenstanden ([X.] und 29). Auch wenn sich diese versammlungsrechtliche Gefahrenprognose vor Durchführung der Versammlung am 13. Mai 2017 nur anhand der Anmeldung und ggf. der Erfahrungen mit den in den Vorjahren durchgeführten Versammlungen treffen ließ (vgl. zu diesem Aspekt [X.], [X.] vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 [[X.]:[X.]:[X.]:2009:rk20090904.1bvr214709] - NJW 2010, 141 und [X.], Beschluss vom 29. Dezember 2016 - 15 B 1500/16 [[X.]:[X.]:OVGNRW:2016:1229.15B1500.16.00] - juris Rn. 17), so waren jedenfalls für die Gefahrenprognose hinsichtlich der nachfolgenden Versammlungen am 14., 20. und 21. Mai 2017 auch die aktuellen Geschehnisse auf der [X.] 2017 von Bedeutung. Sie hätten vom Berufungsgericht näher aufgeklärt werden müssen, um sich ein Bild darüber zu machen, ob alternative Handlungsoptionen noch offenstanden oder sich das Auswahlermessen des Beklagten angesichts des aktuellen [X.] bereits zugunsten des [X.] verdichtet hatte.

d. Demgegenüber trägt die vom Berufungsgericht gewählte Begründung für das Unterlassen der vom Kläger mit Schriftsätzen vom 30. August 2019 und vom 15. Juni 2020 angeregten Beweiserhebung durch Befragung des Zeugen M. nicht. Das Berufungsgericht führt dazu aus, bei der vom Zeugen M. zu erwartenden Aussage handle es sich um eine rein subjektive Einschätzung, die nichts über die im Mai 2017 gegebene objektive (spezifisch versammlungsrechtliche) Gefahrenlage aussage und auch nichts für die Annahme einer Reduktion der versammlungsbehördlichen Handlungsoptionen hergebe. Es trifft zwar zu, dass sich aus dem Inhalt des Vermerks der Richterin am [X.] keine näheren Einzelheiten über den konkreten Ablauf der [X.] 2017 ergeben, sondern sich dort lediglich eine zusammenfassende Wiedergabe der Einschätzung des Herrn M. hinsichtlich der Gefahrenlage findet. Ebenso wenig lässt sich erkennen, auf welchen tatsächlichen Erkenntnissen diese Einschätzung fußt. Dies rechtfertigt allerdings nicht den vom Berufungsgericht gezogenen Rückschluss, dass der Zeuge M. im Rahmen einer Zeugeneinvernahme diese subjektive Einschätzung nicht mit näheren Angaben zum tatsächlichen Geschehen ergänzen könnte. Ob der Zeuge aus eigener Anschauung über die Vorkommnisse berichten und welche tatsächlichen Wahrnehmungen er beitragen kann, lässt sich ohne nähere Aufklärung durch das Gericht nicht beurteilen. Die Ablehnung des klägerischen Antrags, den Zeugen M. zu der Frage des Verlaufs des [X.] auf der [X.] 2017 zu hören, beruht daher auf einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu einer anderen Beurteilung der Frage gelangt wäre, ob zu Gunsten der vom Kläger begehrten Auflagen jedenfalls für eine der späteren Versammlungen eine Verdichtung des Auswahlermessens bis hin zu einer Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist.

Der Senat macht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der ihm nach § 133 Abs. 6 VwGO eröffneten Befugnis Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

6 B 48/20

08.01.2021

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 2. Juli 2020, Az: 15 A 2100/18, Beschluss

Art 8 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 15 Abs 1 VersammlG, § 17 VersammlG, § 86 Abs 1 VwGO, § 133 Abs 3 S 3 VwGO, § 133 Abs 6 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.01.2021, Az. 6 B 48/20 (REWIS RS 2021, 9697)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9697

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 699/06

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