Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 24.09.2011, Az. 2 BvR 1165/11

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2011, 3023

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Anforderungen an Feststellung der Voraussetzungen für Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung, Erfordernis der Bestimmtheit für Bewährungsbeschluss - hier: auf unzureichenden Feststellungen beruhender Bewährungswiderruf wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen verletzt Betroffenen in Grundrecht aus Art 2 Abs 2 S 2 GG iVm Art 104 Abs 1 S 1 GG


Tenor

Die angefochtenen Beschlüsse des [X.] vom 4. Mai 2011 - 1 [X.]/11 - und - 1 [X.] -, der Beschluss des [X.] vom 14. März 2011 - 1 [X.] 36/08 - und der Beschluss des [X.] vom 29. März 2011 - 1 [X.] 28/08 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Die einstweilige Anordnung des [X.] vom 3. Juni 2011 wird mit der Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.

A.

2

1. Er wurde durch Urteil des [X.] vom 4. September 2002, rechtskräftig seit dem 4. September 2002, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 37 Fällen, darunter in sieben Fällen jeweils zugleich mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, sowie des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln unter Auflösung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung und unter Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 9. Juni 2008 setzte das [X.] die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus und die Bewährungszeit auf vier Jahre fest.

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Durch Urteil des [X.] vom 23. Mai 2005, rechtskräftig seit dem 23. Mai 2005, wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 17. September 2008 setzte das [X.] die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus und die Bewährungszeit auf fünf Jahre fest.

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2. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 31. August 2010 ergänzte das [X.] die [X.] des [X.] und des [X.] und erteilte dem Beschwerdeführer jeweils die Auflage, "100 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung des [X.] und in Abstimmung mit seinem Bewährungshelfer zu erbringen". Zur Begründung führte das Amtsgericht in beiden Beschlüssen aus, der bisherige Bewährungsverlauf habe sich als äußerst unzureichend erwiesen. Der Beschwerdeführer komme trotz ständiger Anmahnungen durch das Gericht den ihm erteilten Weisungen nicht nach. Er halte keinen ausreichenden Kontakt zum Bewährungshelfer und komme auch der Weisung, sich [X.] zu unterziehen, nicht nach. Aus diesem Grund habe das [X.] bereits mit Beschluss vom 19. Januar 2010 die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, welcher jedoch durch das [X.] am 20. Juli 2010 aufgehoben worden sei. Um die weitere Durchführung der Bewährung durchzusetzen und den Beschwerdeführer anzuhalten, sich bewährungstreu zu verhalten, sei es erforderlich, weitere Auflagen gegen ihn festzusetzen. Das Gericht erachte dafür die Festsetzung von Arbeitsstunden als probates und erforderliches Mittel.

5

Die Beschlüsse wurden dem Beschwerdeführer am 21. September 2010 zugestellt.

6

3. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2010 teilte der Verein [X.] "zu [X.] 28/08 oder 36/08" mit, dass der Beschwerdeführer vorgesprochen habe und ihm durch den Verein eine geeignete Arbeitsstelle zur Ableistung der "100 gemeinnützigen Arbeitsstunden" zugewiesen werde. Am 26. Oktober teilte der Verein mit, der Beschwerdeführer habe nach der persönlichen Vorsprache mitgeteilt, dass er bis spätestens 18. Oktober 2010 die Stelle benennen werde, bei der er die [X.] erfülle. Am 18. Oktober habe man ihn aufgefordert, wieder Kontakt aufzunehmen, was noch nicht erfolgt sei, weshalb der Verein seine Bemühungen einstellen werde, solange der Beschwerdeführer keinen Kontakt aufnehme. Am 21. Dezember 2010 forderte das [X.] den Beschwerdeführer zu den Aktenzeichen "1 [X.] 36/08 oder 1 [X.] 28/08" auf, unverzüglich die auferlegten 100 gemeinnützigen Arbeitsstunden zu erbringen. Am 28. Januar 2011 teilte der Verein zunächst mit, dass der Beschwerdeführer sich nicht wieder gemeldet habe, ergänzte aber am 3. Februar 2011, dass er um eine nochmalige Vermittlung eines Arbeitsplatzes gebeten habe. Am 15. Februar meldete sich der Verein erneut und teilte mit, dass der Beschwerdeführer am 4. Februar 2011 zwei Arbeitstunden abgeleistet habe, dem Verein am 9. Februar 2011 jedoch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen eines grippalen Infekts für die [X.] vom 3. Februar bis 11. Februar 2011 habe zukommen lassen. Eine aktuelle Krankmeldung liege nicht vor. Anfang März berichtete der Verein, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitsstunden ab sofort in einem Altenheim ableisten werde, wobei er sich um diese Stelle selbst gekümmert habe. Der Beschwerdeführer teilte dem Gericht am 3. März 2011 mit, dass er mit der Ableistung der 100 Arbeitsstunden nun definitiv beginnen werde. Aus gesundheitlichen Gründen sei er zunächst nicht in der Lage gewesen, zu arbeiten. Er habe eine erneute Untersuchung durch die [X.] abwarten müssen und seine Tante besucht. Zuletzt, im Februar, habe Arbeitsunfähigkeit bestanden.

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4. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 14. bzw. 29. März 2011 widerrief das [X.] beide [X.]zur Bewährung. Der Beschwerdeführer habe trotz mehrerer Aufforderungen durch das Gericht, seinen Bewährungshelfer und den Verein [X.] bislang nur zwei Arbeitsstunden abgeleistet. Er habe sich dahingehend geäußert, dass er aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage gewesen sei, die Arbeitsstunden abzuleisten. Dies sei jedoch nur eine vorgeschobene Entschuldigung gewesen. Aus den vom Beschwerdeführer selbst übersandten Unterlagen ergebe sich, dass er keineswegs gehindert gewesen sei, die Arbeitsstunden abzuleisten. Es habe sich vielmehr gezeigt, dass bei seiner Untersuchung durch die [X.] schon im November 2010 ein "guter Allgemein- und normaler Ernährungszustand" vorgelegen habe und dass seine psychische Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen seien. Im März 2010 habe die Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers bestanden, so dass es ihm möglich gewesen wäre, die Arbeitsstunden zu leisten.

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5. Gegen die Beschlüsse des [X.] legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. April 2011 form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Sein Gesundheitszustand sei beeinträchtigt. Er leide an den Folgen einer Wohnungsexplosion, weswegen eine gesonderte Begutachtung erforderlich gewesen sei. Dies sehe auch die [X.] so, wie sich aus der Eingliederungsvereinbarung vom 2. November 2010 ergebe. Der Beschluss vom 31. August 2010 setze auch keine Frist, innerhalb derer die Arbeitsstunden zu erbringen seien, und sei daher zu unbestimmt. Außerdem halte er sich jetzt an die Weisungen, insbesondere habe er Kontakt zum Bewährungshelfer gehalten und die geforderte Haarprobe abgegeben, die seine Drogenabstinenz belegte. Er werde auch die [X.]n erfüllen.

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6. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 4. Mai 2011 verwarf das [X.] die sofortigen Beschwerden jeweils, da die Gründe des angefochtenen Beschlusses zuträfen und durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet würden. Der Widerruf sei erfolgt, weil der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, die ihm auferlegte [X.] von 100 Stunden zu erfüllen.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 2 GG. Die Auflage genüge dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht. Daher sei ein [X.], der zum Widerruf der Bewährung hätte führen können, nicht gegeben. Die Ausgestaltung von Weisungen und Auflagen obliege alleine dem Gericht und dürfe nicht an Dritte delegiert werden.

Das [X.] hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Fachgerichtliche Entscheidungen seien durch das [X.] lediglich auf Willkür und [X.]zu überprüfen, die von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts zeugten. Dass die Gerichte einen beharrlichen und gröblichen [X.] in grundsätzlicher Verkennung von Art. 103 Abs. 2 GG oder des [X.]angenommen hätten, sei nicht erkennbar.

Der Beschwerdeführer sei durch die Ergänzungsbeschlüsse des [X.] vom 31. August 2010 im Rahmen der Bewährungsüberwachung zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit entsprechend § 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB aufgefordert worden. Die Übertragung der näheren Ausgestaltung der [X.] auf einen Bewährungshelfer sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies sei praktischen Erwägungen geschuldet. Auch die fehlende Festsetzung der [X.], innerhalb derer die Arbeitsleistung zu erfüllen sei, stelle keinen Verstoß gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG dar. Zwar forderten einige Oberlandesgerichte die Bestimmung eines feststehenden [X.]raums für die Ableistung der Arbeitsstunden. Bei einer erheblichen Anzahl von Arbeitsstunden sei es dem Gericht in der Praxis jedoch oft nicht möglich, genau abzuschätzen, wann der Verurteilte zur Ableistung durch die entsprechende Institution herangezogen werden könne und wie lange er unter verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung seiner konkreten Lebensumstände hierfür benötigen werde. Fehle eine konkret in der Auflage benannte [X.], so gelte die gesamte Dauer der Bewährungszeit als [X.]. Mit dem Erlass des [X.] beginne die Pflicht zur Ableistung der gemeinnützigen Arbeit. Dem Beschwerdeführer sei mit Blick auf den bisherigen Bewährungsverlauf verdeutlicht worden, dass nunmehr ein positiver Verlauf von ihm erwartet werde, wozu neben dem regelmäßigen Kontakt mit dem Bewährungshelfer auch die sofortige Erbringung der gemeinnützigen Arbeit gehöre. Selbst wenn man die Auflagen als zu unbestimmt betrachtete, so sei der Beschwerdeführer spätestens im Schreiben des [X.] vom 21. Dezember 2010 unmissverständlich aufgefordert worden, unverzüglich die ihm auferlegten 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu erbringen, wodurch eine Konkretisierung der ursprünglichen [X.] erfolgt sei. Auch bringe der Beschwerdeführer in seinem Schreiben an das Gericht zum Ausdruck, dass er von einer Pflicht zur sofortigen Ableistung der Arbeitsstunden ausgehe. Da er lediglich zwei Arbeitsstunden absolviert habe, liege ein beharrlicher und gröblicher Verstoß gegen die [X.] vor. Die Widerrufsbeschlüsse des [X.] vom 14. März und 29. März 2011 und die Rechtsmittelentscheidungen des [X.] vom 4. Mai 2011 seien vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Freiheitsgrundrecht liege nicht vor.

Das [X.] hat auf Antrag des Beschwerdeführers am 3. Juli 2011 die Vollstreckung der [X.]aus den Urteilen des [X.] vom 4. September 2002 und des [X.] vom 23. Mai 2005 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Die [X.] der Staatsanwaltschaft [X.] (8 Js 980/02 und 353 Js 4144/05) und der Staatsanwaltschaft [X.] (8 Js 980/02) wurden beigezogen.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.], soweit sie sich gegen die Entscheidungen über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung richtet. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie zulässig ist, zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93 Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Das [X.] hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die gleichlautenden Beschlüsse des [X.] vom 31. August 2010 richtet, ist sie unzulässig, denn diese sind nicht innerhalb eines Monats angegriffen worden, § 93 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.]. Die angegriffenen Entscheidungen wurden dem Beschwerdeführer bereits am 21. September 2010 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde lief damit am 21. Oktober 2010 ab und ist durch die erst am 26. Mai 2011 beim [X.] eingegangene Verfassungsbeschwerde nicht gewahrt.

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Die weiteren angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.

1. [X.] (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus besonders gewichtigen Gründen eingegriffen werden darf ([X.] 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 109, 133 <157>). Aufgrund dieser Bedeutung ist das Freiheitsgrundrecht durch Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in besonderer Weise abgesichert. Hiernach darf die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Form beschränkt werden. [[X.]-07235ab1c6df]Art. 104 [X.]] und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG stehen insoweit in einem unlösbarem Zusammenhang ([X.] 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, also insbesondere für Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit wie Verhaftungen, Festnahmen und ähnliche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. [X.] 10, 302 <322>; 58, 208 <220>), indem er über die Notwendigkeit eines förmlichen Gesetzes hinaus auch die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Anforderungen zu beachten, zum [X.]erhebt ([X.] 10, 302 <323>; 29, 183 <195 f.>; 58, 208 <220>).

Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften kommt insbesondere dem Bestimmtheitsgebot freiheitsgewährleistende Funktion zu (vgl. [X.] 117, 71 <111>, m.w.N.). Auflagen nach § 56b StGB und Weisungen nach § 56c Abs. 1 StGB müssen gemäß [ref=aa3a3bf4-51cf-4290-b87d-c1606b26fd8a]Art. 2 Abs. 2 [X.]] in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat (vgl. [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993 - 2 BvR 368/92 -, juris, Rn. 8, und vom 10. August 1993 - 2 BvR 610/91 -, juris, Rn. 36, jeweils m.w.N.). Nur dem [X.] hat der Gesetzgeber die Befugnis eingeräumt, dem Verurteilten besondere Pflichten aufzuerlegen (§ 56c StGB). Mangels einer gesetzlichen Ermächtigung dürfen Bewährungshelfer schon nach dem Strafrecht (§ 56d Abs. 3 StGB) dem Verurteilten gegenüber keine selbständigen Anordnungen treffen ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993, - 2 BvR 368/92 -, juris, Rn. 8, m.w.N.). Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Der Gesetzgeber hat aber seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie das nach der Eigenart der zu ordnenden Sachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist ([X.] 49, 168 <181>). Gleiches muss auch für die Bestimmtheit der vom [X.] zu erteilenden Bewährungsweisung gelten. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. [X.], a.a.[X.], Rn. 9, m.w.N.). Danach können gewisse Konkretisierungen der [X.] eines [X.]es dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen [X.] - beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse - nicht sinnvoll praktikabel ist. Dies kann auch Festlegungen zur Bestimmung der [X.]punkte betreffen, zu denen bestimmte Leistungen zu erbringen sind, ohne dass darin eine Übertragung des gesetzlich dem Gericht vorbehaltenen Weisungsrechts zu sehen wäre (vgl. [X.], a.a.[X.], Rn. 8 und Rn. 10). Dies ändert aber nichts daran, dass ein [X.] nur in Betracht kommt, wenn dem Verurteilten zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, was genau von ihm erwartet wird und wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat .

Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist zudem, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. [X.] 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. [X.] 70, 297 <307>). Dies gilt nicht nur für das strafprozessuale Hauptverfahren, sondern auch für das Vollstreckungsverfahren (vgl. [X.], Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2010 - 2 BvR 1081/10 -, juris, Rn. 17).

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben stehen die angegriffenen Entscheidungen nicht in Einklang.

Es kann offenbleiben, ob die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung der genannten strafrechtlichen Vorschriften hier schon deshalb verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, weil der [X.] auf die Missachtung von - den gerichtlichen [X.]konkretisierenden - Vorgaben gestützt wurde, die im [X.] selbst hätten festgelegt werden müssen (vgl. für die Annahme, die Bestimmung des [X.]raums, innerhalb dessen eine nach Stunden bemessene [X.] zu erfüllen ist, dürfe nicht dem Bewährungshelfer übertragen werden, [X.], Beschluss vom 9. Januar 2006 - [X.] -, [X.], [X.]; KG, Beschluss vom 13. April 2005 - 5 [X.] -, juris), oder ob die Festlegung des äußeren zeitlichen Rahmens für die Ableistung einer durch [X.] auferlegten bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden als eine zulässige Präzisierung des gerichtlichen [X.]es (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993 - 2 BvR 368/92 -, juris, Rn. 9 f.) dem Bewährungshelfer übertragen werden kann mit der Folge, dass Verstöße gegen dessen Anordnung dann zugleich als Verstöße gegen die gerichtliche Weisung einzuordnen sind und unter den Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB zum Widerruf der Strafaussetzung führen können.

Auch wenn diese Frage im letzteren Sinne zu beantworten sein sollte, sind die angegriffenen Entscheidungen jedenfalls deshalb zu beanstanden, weil es an den in einem solchen Fall erforderlichen gerichtlichen Feststellungen fehlt. Das Amtsgericht hat den [X.] damit begründet, dass der Beschwerdeführer trotz mehrerer Aufforderungen durch das Gericht und den Bewährungshelfer sowie den Verein [X.] von den auferlegten 100 Arbeitsstunden bislang nur zwei Stunden geleistet habe, und dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, mit der er sich zwischendurch entschuldigt habe, auf den [X.]raum vom 3. Februar bis zum 11. Februar 2011 beschränkt gewesen sei. Diese Feststellungen können nach den obigen Maßstäben den Widerruf nicht rechtfertigen. Dass die Ableistung von nur zwei Arbeitsstunden bis zum [X.]punkt des [X.]s unzureichend war, ergab sich nicht unmittelbar aus den ergänzenden [X.]n, mit denen dem Beschwerdeführer die Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt worden war. Für das Nähere hatten diese Beschlüsse den Beschwerdeführer nicht auf Vorgaben des Bewährungshelfers, sondern auf Weisungen des [X.] in Abstimmung mit dem Bewährungshelfer verwiesen. Die Präzisierung des Verlaufs der "roten Linie", jenseits derer ein Widerruf der Strafaussetzung drohte, war damit, dem Wortlaut der gerichtlichen Weisung nach, einem privaten Träger überlassen. Die angegriffenen Widerrufsbeschlüsse des Amtsgerichts und der sie bestätigende Beschluss des [X.] beziehen sich zudem nicht hierauf, sondern stellen nur fest, dass der Beschwerdeführer Aufforderungen von verschiedenen Seiten nicht befolgt habe. Jegliche Feststellung dazu, wann von wem welche Aufforderung an den Beschwerdeführer erging und inwiefern er diese schuldhaft nicht befolgte, fehlt; erst recht wird nicht erkennbar, ob und warum dem Beschwerdeführer deutlich sein musste, dass es sich um Aufforderungen handelte, die - mit entsprechenden Folgen für die Anwendbarkeit des § 56f Abs. 1 StGB - als verbindliche hoheitliche Präzisierung der gerichtlichen Weisung aufzufassen waren.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, 3 [X.].

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1165/11

24.09.2011

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Bayreuth, 4. Mai 2011, Az: 1 Qs 65/11, Beschluss

Art 104 Abs 1 S 1 GG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 93 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 56b Abs 1 S 1 StGB, § 56b Abs 2 S 1 Nr 3 StGB, § 56c StGB, § 56f Abs 1 S 1 Nr 2 StGB, § 56f Abs 1 S 1 Nr 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 24.09.2011, Az. 2 BvR 1165/11 (REWIS RS 2011, 3023)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3023

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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