Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.12.2022, Az. IV ZB 1/22

4. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8149

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Gegenstand

Rechtskraftfähige Sachentscheidung bei Nichtberücksichtigung einer Eventualaufrechnung mangels Gegenseitigkeit


Leitsatz

Eine der Rechtskraft fähige Entscheidung gemäß § 322 Abs. 2 ZPO liegt auch dann vor, wenn eine hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung unberücksichtigt bleibt, weil es an der Gegenseitigkeit im Sinne von § 387 BGB fehlt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des [X.] - 9. Zivilkammer - vom 5. Januar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 847,50 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Das Amtsgericht hat den [X.]n zur Zahlung von 512,75 € verurteilt. Zu einer Hilfsaufrechnung des [X.]n mit einer Gegenforderung in Höhe von 334,75 € hat es ausgeführt, der [X.] könne gegen den Anspruch der Klägerin nicht aufrechnen, da es an der Gegenseitigkeit der Forderungen fehle.

2

Das [X.] hat die Berufung des [X.]n, mit der er seinen Antrag auf Klageabweisung unter Aufrechterhaltung der Hilfsaufrechnung weiter verfolgt, als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der [X.] mit seiner Rechtsbeschwerde.

3

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des [X.] ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den [X.]n in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Dezember 2021 - [X.], NJW-RR 2022, 426 Rn. 6; vom 6. Juni 2018 - [X.], NJW-RR 2018, 957 Rn. 6; vom 8. März 2017 - [X.], [X.] 2017, 278 Rn. 5).

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

6

a) Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil die Beschwer des [X.]n die Berufungssumme von 600 € nicht übersteige und das Amtsgericht die Berufung auch nicht zugelassen habe. Hinsichtlich des hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Anspruchs in Höhe von 334,75 € sei keine der Rechtskraft fähige Entscheidung ergangen. Bei der Bestimmung der Beschwer des [X.]n sei die Eventualaufrechnung nur dann zu berücksichtigen, wenn über beide Forderungen - aus der Klage und der [X.] rechtskräftig im Sinne der Regelung zu § 322 Abs. 1 und 2 ZPO entschieden werde. Die Gegenforderung bleibe bei der Bemessung der Beschwer unberücksichtigt, sofern sie aus [X.] oder prozessrechtlichen Gründen - zu Recht oder zu Unrecht - als unzulässig angesehen werde. Dies sei hier der Fall, indem das Amtsgericht lediglich zutreffend festgestellt habe, der [X.] sei jedenfalls nicht Inhaber dieser Forderung. Zum Bestehen der Forderung selbst habe das Amtsgericht gerade keine Feststellungen getroffen.

7

b) Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist die beklagte [X.] zusätzlich zur Klageforderung in Höhe des Betrages ihrer vorsorglich zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung dann beschwert, wenn das Gericht das Bestehen der Gegenforderung verneint hat und im Falle der Rechtskraft des Urteils das Nichtbestehen der Gegenforderung nach § 322 Abs. 2 ZPO rechtskräftig festgestellt wäre (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Oktober 2010 - [X.], juris Rn. 5; vom 24. Februar 1994 - [X.], [X.], 1003 unter 1a [juris Rn. 4].

9

bb) Ob eine der Rechtskraft fähige Entscheidung im Sinne von § 322 Abs. 2 ZPO vorliegt, wenn eine hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung unberücksichtigt bleibt, weil es nach Auffassung des Gerichts an der Gegenseitigkeit im Sinne von § 387 BGB fehlt, ist umstritten.

(1) Ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie eine Auffassung im Schrifttum gehen davon aus, dass in diesem Fall keine der Rechtskraft fähige Entscheidung im Sinne von § 322 Abs. 2 ZPO getroffen wird ([X.], [X.] 1991, 1387 f.; [X.], [X.] in der Prozessaufrechnung, 2012, S. 245; Noltze, Aufrechnung und Prozess, 2000, [X.]; [X.], ZPO 23. Aufl. § 322 Rn. 157).

Demgegenüber wird von der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung sowie von der herrschenden Auffassung im Schrifttum für den Fall der Nichtberücksichtigung einer Eventualaufrechnung mangels Gegenseitigkeit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung nach § 322 Abs. 2 ZPO bejaht ([X.] 1984, 311; OLG Düsseldorf MDR 1996, 1299; [X.]/[X.], ZPO 34. Aufl. § 322 Rn. 18; [X.]/[X.], 6. Aufl. § 322 Rn. 197; [X.]/Schütze/Büscher, ZPO 4. Aufl. § 322 Rn. 264; Musielak/[X.]/Musielak, ZPO 19. Aufl. § 322 Rn. 85; Prütting/Gehrlein/Völzmann-Stickelbrock, ZPO 14. Aufl. § 322 Rn. 72; Anders/[X.]/[X.], ZPO 80. Aufl. § 322 Rn. 132).

(2) Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu. Die Annahme des Gerichts, die Klageforderung sei mangels [X.] nicht nach §§ 387, 389 BGB durch die Eventualaufrechnung des [X.]n erloschen, ist eine Entscheidung in der Sache (vgl. zur Bedeutung dieses Umstandes für die Reichweite der Rechtskraft [X.], Beschluss vom 24. Februar 1994 - [X.], [X.], 1003 unter 1b [juris Rn. 5]) und deshalb der Rechtskraft fähig im Sinne von § 322 Abs. 2 ZPO. Denn die Entscheidung umfasst in diesem Fall im Verhältnis der Prozessparteien die - für den Fall der Rechtskraft des Urteils endgültige - Klärung der Frage, ob dem [X.]n jedenfalls gegen den Kläger die Gegenforderung nicht zusteht (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1996, 1299; Musielak/[X.]/Musielak, ZPO 19. Aufl. § 322 Rn. 85; Anders/[X.]/[X.], ZPO 80. Aufl. § 322 Rn. 132). Dass der [X.] hierdurch nicht gehindert wird, die Forderung in einem anderen Prozess geltend zu machen, steht diesem Ergebnis nicht entgegen (vgl. [X.]/Schütze/Büscher, ZPO 4. Aufl. § 322 Rn. 264; Prütting/Gehrlein/Völzmann-Stickelbrock, ZPO 14. Aufl. § 322 Rn. 72). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung ergibt sich etwas anderes auch nicht daraus, dass in der Rechtsprechung das Bestehen eines [X.] als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Aufrechnung bezeichnet wird (vgl. [X.], Urteil vom 20. Februar 2008 - [X.], [X.]Z 175, 297 Rn. 21; Versäumnisurteil vom 6. Oktober 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 375 [juris Rn. 11 und 14]; Urteile vom 22. Juni 1961 - [X.]/60 [X.]Z 35, 248 unter I 3 [juris Rn. 27 ff.]; vom 22. Oktober 1957 - [X.], [X.]Z 25, 360 unter III 1 [juris Rn. 29]), denn dies ändert nichts daran, dass eine Entscheidung in der Sache ergeht.

Anders als das Berufungsgericht meint, ist die Verneinung einer Aufrechnungslage wegen des Fehlens der Gegenseitigkeit im Sinne von § 387 BGB nicht vergleichbar mit dem Ausschluss der Aufrechnung nach § 390 Satz 1 und 2 [X.] wegen des Bestehens einer Einrede (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 31. Juli 2001 - [X.], NJW 2001, 3616 Rn. 5), denn im letztgenannten Fall erfolgt keine Entscheidung in einer Weise, die das Bestehen oder Nichtbestehen der Forderung zumindest im Verhältnis der Prozessparteien klärt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung kommt es für die Bemessung der Beschwer schließlich auch nicht darauf an, ob der Vortrag des [X.]n, die hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung stehe ihm zu, unschlüssig ist. Dies betrifft allein die inhaltliche Richtigkeit der mit der Berufung angegriffenen Entscheidung des Amtsgerichts; für die Bemessung der Höhe der Beschwer des [X.]n ist dies ohne Relevanz.

c) Der Wert der Beschwer des [X.]n beträgt demnach 847,50 €. Dem ausgeurteilten Zahlbetrag von 512,75 € ist der Wert der vom [X.]n im Wege der Hilfsaufrechnung geltend gemachten Gegenforderung in Höhe von 334,75 € hinzuzurechnen. Die Beschwer übersteigt demnach die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, so dass die Verwerfung der Berufung auf der Grundlage von § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO hier nicht in Betracht kam.

III. Hinsichtlich der Berechtigung der Klägerin, den [X.] gerichtlich geltend zu machen, wird auf das Senatsurteil vom 30. November 2022 ([X.]) hingewiesen.

Prof. Dr. Karczewski  

  

[X.]  

  

Dr. Götz

  

Dr. Bommel  

  

Rust  

  

Meta

IV ZB 1/22

14.12.2022

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Osnabrück, 5. Januar 2022, Az: 9 S 118/20

§ 322 Abs 2 ZPO, § 387 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.12.2022, Az. IV ZB 1/22 (REWIS RS 2022, 8149)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8149 NJW 2023, 1521 REWIS RS 2022, 8149

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IV ZB 11/21

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