Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.02.2015, Az. VI ZB 26/14

6. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 15790

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Gegenstand

Notwendiger Inhalt einer Berufungsbegründung nach erstinstanzlicher Abweisung einer Klage wegen eines Glatteisunfalls eines Fußgängers


Leitsatz

Zum notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des [X.] vom 10. Februar 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 8.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin hat behauptet, am 10. Februar 2010 gegen 6.20 Uhr auf dem Rückweg von den Gleisen des [X.]      auf dem völlig vereisten Bahnhofsvorplatz gestürzt zu sein und sich dabei eine Sprunggelenksfraktur zugezogen zu haben. Sie ist der Meinung, die Beklagte zu 1 habe dafür wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht einzustehen. Dasselbe gelte für die Beklagte zu 2 als zuständiges Eisenbahnverkehrsunternehmen, das ihr gegenüber jedenfalls vertraglich unter dem Gesichtspunkt eines Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter hafte.

2

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, eine Inanspruchnahme der [X.] zu 1 aus § 823 Abs. 1 BGB scheitere bereits daran, dass ihr die Räum- und Streupflicht von der Stadt W.      bezogen auf die [X.] nicht wirksam übertragen worden sei. Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 2 schieden aus, weil ein Vertrag zwischen ihnen nicht bestanden habe und der zwischen der [X.] zu 2 und dem Ehemann der Klägerin zustande gekommene Beförderungsvertrag keine Schutzwirkung zu Gunsten der Klägerin entfalte. Unbeschadet der vorstehenden Erwägungen müsse sich die Klägerin "jedenfalls ein übergroßes und damit eine eventuelle Pflichtverletzung überlagerndes Mitverschulden an dem Sturz zurechnen lassen".

3

Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin dagegen geführte Berufung - nach vorherigem Hinweis - durch Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

5

1. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung der Klägerin sei mangels ausreichender Berufungsbegründung unzulässig. Entgegen § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO enthalte die Berufungsbegründung keinen Berufungsangriff gegen alle Begründungselemente des landgerichtlichen Urteils. So habe das [X.] die Abweisung der Klage hinsichtlich beider Beklagter auch auf ein anspruchsausschließendes Mitverschulden der Klägerin gestützt. Dieser eigenständige Grund sei mit der Berufungsbegründung nicht hinreichend angegriffen worden.

6

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt. Da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung deshalb eine Entscheidung des [X.] erfordert, ist die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Im Hinblick auf den dargestellten Rechtsfehler ist sie zudem begründet.

7

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschluss vom 22. Mai 2014 - [X.], juris Rn. 7 mwN).

8

Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (Senat, Beschluss vom 18. Oktober 2005 - [X.], [X.], 285 Rn. 8 f.; [X.], Beschlüsse vom 28. Januar 2014 - [X.], juris Rn. 13; vom 23. Oktober 2012 - [X.], [X.], 174 Rn. 11; vom 15. Juni 2011 - [X.] 572/10, NJW 2011, 2367 Rn. 10; vgl. auch [X.], 5. Aufl., § 520 Rn. 23; [X.]/[X.], ZPO, 30. Aufl., § 520 Rn. 37a; jeweils mwN).

9

b) Den dargestellten Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin gerecht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist auch die das landgerichtliche Urteil selbständig tragende Annahme, die Klägerin treffe jedenfalls ein anspruchsausschließendes Mitverschulden, in noch hinreichender Weise angegriffen.

Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung unter anderem ausgeführt:

"Da das Bahnhofsgelände zum Unfallzeitpunkt verschlossen war, führte der einzige Weg von der öffentlichen Straße zu den [X.] über das mit der Unfallstelle belegene Grundstück. Da die [X.] auf diesem keinerlei Räumarbeiten vorgenommen hatten, haften sie wegen der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflicht für die der Klägerin entstandenen Schäden."

Damit hat sie in noch hinreichender Weise sowohl zum Ausdruck gebracht, dass sie - anders als das [X.] - von einer vollen Haftung der [X.] ausgeht, als sich in der Sache auch mit der vom [X.] im Rahmen des § 254 BGB vorgenommenen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge befasst. Denn das [X.] hatte der Klägerin dabei gerade auch zum Vorwurf gemacht, auf dem Rückweg den Weg über den Vorplatz genommen und sich damit selbst in eine von ihr erkannte Gefahr begeben zu haben. Mit dem Verweis darauf, es habe sich um den einzigen zur Verfügung stehenden Weg gehandelt, hat sie die Haltbarkeit dieses Vorwurfs in Frage gestellt. Darüber hinaus hat sie mit dem Hinweis, die [X.] hätten "keinerlei" Räumarbeiten vorgenommen, auch das Gewicht der den [X.] ihrer Ansicht nach vorzuwerfenden Pflichtverletzung, das im Rahmen der Abwägung nach § 254 BGB zweifelsfrei erheblich ist, betont.

Unzutreffend ist die Annahme des Berufungsgerichts, die dargestellten Ausführungen in der Berufungsbegründung bezögen sich in ihrem Zusammenhang ausschließlich auf die Frage, ob der örtliche Anwendungsbereich der Straßenreinigungssatzung eröffnet sei und diese für den Verpflichteten hinreichend konkret vorschreibe, zumindest einen Zuweg von der öffentlichen Straße zu den [X.] zu räumen. Zwar befasst sich die Berufungsbegründung in der Tat zunächst mit der Frage, ob die genannte Satzung die Räum- und Streupflicht an der Unfallstelle wirksam auf die Beklagte zu 1 überträgt. Die oben dargestellten Ausführungen der Klägerin beziehen sich aber auf beide [X.], was sich bereits daraus ergibt, dass die Berufungsbegründung insoweit nicht mehr von der "[X.] zu 1", sondern von den "[X.]" spricht. Ob die genannte Satzung die Räum- und Streupflicht wirksam auf die Beklagte zu 1 übertragen hat, ist für die Frage nach dem Bestehen eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte zu 2 ersichtlich ohne Bedeutung. Deshalb können sich diese Ausführungen im Gesamtzusammenhang auch nicht mehr auf die die Straßenreinigungssatzung betreffenden Fragen beziehen. [X.] sind sie vielmehr dahingehend zu verstehen, dass sie gegen den Teil der Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils gerichtet sind, die beide [X.] gleichermaßen betreffen. Dies ist allein die Annahme des [X.]s, eine Haftung der [X.] scheide jedenfalls aufgrund des überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin aus.

[X.]                         [X.]

              Offenloch                       [X.]

Meta

VI ZB 26/14

10.02.2015

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Dresden, 10. Februar 2014, Az: 1 U 1307/13

§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, § 254 Abs 1 BGB, § 823 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.02.2015, Az. VI ZB 26/14 (REWIS RS 2015, 15790)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15790

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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