Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.06.2012, Az. VI ZR 138/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5764

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]/11
Verkündet am:

12. Juni 2012

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 823 Abs. 1 Dc, Eb
Sind im Bereich eines Grundstücks nur vereinzelte Glättestellen ohne erkenn-bare Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr vorhanden, ist nicht von einer allgemeinen Glättebildung auszugehen, die eine Streupflicht begründen könnte.
[X.], Urteil vom 12. Juni 2012 -
VI [X.]/11 -
OLG Hamm

LG Dortmund

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
12. Juni 2012
durch den Vorsitzenden Richter Galke
und die
Richter Zoll, [X.], Pauge und Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 9.
Zivilsenats des Oberlandes-gerichts Hamm vom 18.
März 2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der [X.]n Zahlung von Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz aufgrund eines Glatteisunfalls.
Sie suchte am Sonntag, dem 23.
Dezember 2007, gegen 10.00 Uhr im Auftrag ihrer Arbeitgeberin, eines
Pflegedienstunternehmens, das Grundstück der [X.]n, einer Kundin, auf, um ihr eine Weihnachtsgrußkarte zukommen zu lassen. Von der [X.] aus führt ein etwa zwei Meter breiter Weg auf dem Grundstück zum Hauseingang, den die Klägerin benutzte, um die Karte in den Briefkasten einzuwerfen. Als sie in Richtung ihres Fahrzeugs zurückging, kam sie auf dem Weg zu Fall.
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Die Klägerin hat behauptet, sie sei auf dem zum Grundstück der [X.] gehörenden, unstreitig nicht gestreuten Weg auf einer Eisfläche, die ein Ausmaß von etwa 20
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30
cm gehabt und sich mittig auf dem Weg nahe der Grundstücksgrenze befunden
habe,
ausgerutscht und deshalb gestürzt. Weder auf dem Hinweg zum Hauseingang der [X.]n noch auf dem Rückweg habe sie diese Eisfläche bemerken können.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zuge-lassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren [X.] weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat Ansprüche der Klägerin verneint, weil es nicht habe feststellen können, dass die [X.] die ihr obliegende Räum-
bzw. Streupflicht verletzt habe.
Diese Pflicht setze eine allgemeine Glättebildung und nicht nur das [X.] vereinzelter Glättestellen voraus. An dem Vorliegen einer solchen allgemeinen Glätte bestünden bereits
nach dem eigenen Vorbringen der Kläge-rin
Zweifel. Diese habe bei ihrer persönlichen Anhörung
angegeben, sie habe vor dem Sturz kein Eis wahrgenommen, auch nicht auf der [X.]. Auch auf dem Weg der [X.]n habe sie keine weiteren vereisten Stellen bemerkt.
Jedenfalls lasse sich nicht feststellen, dass es bereits vor 9.15
Uhr zu [X.] gekommen sei. Nach dem Gutachten des [X.] sei es in der [X.] zwischen etwa 8.30
Uhr und 9.15
Uhr zu leich-3
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tem, kurzzeitig auch mäßigem Regen gekommen, der auf dem unterkühlten Boden gefroren sei. Da nicht sicher feststellbar sei, zu welcher Uhrzeit konkret im Bereich des Grundstücks der [X.]n Niederschlag eingesetzt habe, kön-ne von
Regenfall mit der Folge
einer allgemeinen Glättebildung erst um 9.15
Uhr
ausgegangen werden. Zur Erfüllung der Räum-
und Streupflicht sei dem Pflichtigen im Regelfall ein [X.]raum von nicht unter einer Stunde nach Einsetzen der allgemeinen Glätte zuzubilligen, wenn nicht aufgrund besonderer Umstände Anlass zu einer früheren Durchführung von Räum-
bzw. Streumaß-nahmen bestehe. Bei der am Unfalltag herrschenden Wetterlage hätten keine hinreichend erkennbaren Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr [X.], die ausnahmsweise vorbeugende Maßnahmen geboten hätten. Es sei auch nicht
festzustellen, dass die [X.] am Unfalltag, einem Sonntag, damit habe rechnen müssen, dass Personen schon um 10.00
Uhr ihr Grundstück [X.].

II.
Die vorstehenden Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung stand. Die Auffassung des
Berufungsgerichts, dass eine Verletzung der der [X.]n obliegenden Räum-
bzw. Streupflicht nicht festgestellt werden könne, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Nach
allgemeinen Grundsätzen
der
Beweislastverteilung
muss der Verletzte alle Umstände beweisen, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ergibt. Er muss deshalb
den Sachverhalt dartun
und gegebenenfalls beweisen, aus dem sich
ergibt, dass zur [X.] des Unfalls
aufgrund
der Wetter-, [X.]n-
oder Wegelage bereits oder noch eine Streupflicht bestand
und diese schuldhaft verletzt worden ist
(vgl. 8
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Senatsurteile vom 29.
September 1970 -
VI
ZR 51/69, [X.], 1130, 1131; vom 27.
November 1984 -
VI
ZR 49/83, [X.], 243, 245; Senatsbe-schluss vom 7.
Juni 2005 -
VI
ZR 219/04, NZV
2005, 578).
Die winterliche Räum-
und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, d.h. eine Ge-fährdung durch Glättebildung bzw.
[X.] voraus. Grundvoraussetzung für die Räum-
und Streupflicht
auf [X.]n oder Wegen
ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21.
Januar 1982 -
III
ZR 80/81, VersR
1982, 299, 300; vom 26.
Februar 2009 -
III
ZR 225/08, [X.], 3302 Rn.
4 mwN;
[X.] NZV 2009, 599, 600 mwN;
Carl, [X.], 414, 415; [X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., Kap.
14 Rn.
147; [X.]/[X.], BGB [2009], §
823 Rn.
[X.]). Ist eine Streupflicht gegeben, richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls (Senatsurteile vom 29.
September 1970 -
VI
ZR 51/69, aaO;
vom 2.
Oktober 1984 -
VI
ZR 125/83, NJW 1985, 270; [X.], Urteil vom 5.
Juli 1990 -
III
ZR 217/89, [X.]Z 112, 74,
75; Beschluss vom 20. Oktober 1994 -
III
ZR 60/94, VersR
1995, 721, 722). Bei öffentlichen [X.] und Gehwegen sind dabei Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden
Verkehrs. Die Räum-
und Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des [X.] ankommt ([X.], Urteil vom 5.
Juli 1990 -
III
ZR 217/89, aaO, 75 f.
mwN; vom 15.
Januar 1998 -
III
ZR 124/97, [X.], 1373, 1374 f.; Beschluss vom 20. Oktober 1994 -
III
ZR 60/94, aaO).
Nach diesen Grundsätzen bestehen Räum-
und Streupflichten regelmä-ßig für die [X.] des normalen [X.]verkehrs, d.h. an Sonn-
und Feiertagen ab 10
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9.00 Uhr (vgl. [X.], [X.], 506, 507; [X.], aaO; [X.],
Grundeigentum 2010, 272). Bei Auftreten von Glätte im Laufe des [X.] ist allerdings dem [X.] ein angemessener [X.]raum zuzubilligen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte zu treffen (vgl. [X.] vom 27.
November 1984 -
VI
ZR 49/83, aaO; [X.], Beschlüsse
vom 20.
Dezember 1984 -
III
ZR 54/84, [X.], 189; vom 27.
April 1987 -
III
ZR 123/86, [X.], 989).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Revision schon deswegen nicht begründet, weil nach dem
vom Berufungsgericht wiedergegebenen Vor-trag der Klägerin und ihren Ausführungen bei ihrer persönlichen Anhörung eine allgemeine Glätte im Bereich des
Grundstücks
der [X.]n nicht dargelegt ist. Auch wenn das Berufungsgericht das Vorliegen einer allgemeinen Glätte nur in Zweifel gezogen und nachfolgend maßgeblich darauf abgestellt hat, dass sich jedenfalls nicht feststellen lasse, dass es bereits vor 9.15
Uhr zu einer allge-meinen Glätte gekommen sei, ist entgegen der Auffassung der Revision für das Revisionsverfahren nicht davon auszugehen, dass eine allgemeine Glättebil-dung vorgelegen hat.
Denn nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin lagen im Bereich des Grundstücks der [X.]n keine erkennbaren Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr vor, die eine Streupflicht der [X.]n hätte begründen können.
Nach dem Vortrag der Klägerin ist
sie auf einer Eisfläche gestürzt, die ein Ausmaß von etwa 20
x
30 cm gehabt hat.
Sie hatte
im Übrigen weder auf der [X.] noch auf dem Weg weitere vereiste Stellen bemerkt. Dann ist aber nicht
von
einer
allgemeinen
Glättebildung
auszugehen, sondern nur vom
Vorhandensein vereinzelter Glättestellen. Dies reicht
nach den oben unter 1. dargestellten Grundsätzen
für die Annahme einer Räum-
und Streu-pflicht auf dem Weg zum Haus der [X.]n nicht aus.
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3. Bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Verletzung der Streupflicht [X.] verneint hat, weil zum [X.]punkt des Sturzes gegen 10.00 Uhr die der Klägerin zuzubilligende [X.] für die Vornahme eventueller [X.] noch nicht abgelaufen gewesen sei. Zwar ist der
Auffassung des Berufungsge-richts
nicht zu folgen, dass dem Verkehrssicherungspflichtigen im Regelfall ein [X.]raum von nicht unter einer Stunde nach Einsetzen der allgemeinen Glätte für den Beginn der [X.] zuzubilligen sei, wenn nicht aufgrund [X.] Umstände Anlass zu einer früheren Durchführung
von Räum-
bzw. [X.] bestehe. Vielmehr
ist auf die Umstände des Einzelfalls abzu-stellen und unter Berücksichtigung dieser Umstände dem Verkehrssicherungs-pflichtigen eine angemessene [X.] für den Beginn der [X.] [X.].
Für den Beginn der Streupflicht ist dabei vor allem von Bedeutung, in welchem Maße die erkennbare Wetterlage und die Eigenheiten des Gehwegs Anlass zur Vorsorge gegeben haben (vgl. Senatsurteil vom 29.
September 1970 -
VI
ZR 51/69, aaO).
Im Streitfall ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls
im Ergebnis
nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht
eine Verletzung der Streupflicht verneint hat.
Ausgehend von dem von ihm festgestellten -
und von der Revision nicht angegriffenen
-
frühesten [X.]punkt einer allgemeinen Glättebildung ab
9.15
Uhr
hat es für den [X.]punkt des Sturzes gegen 10.00
Uhr eine Verletzung der Streupflicht
ohne Rechtsfehler verneint. Das Be-rufungsgericht hat darauf abgestellt, dass bei der am Unfalltag herrschenden Wetterlage keine hinreichend
erkennbaren Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr bestanden hätten, die ausnahmsweise vorbeugende Maß-nahmen schon vor der Bildung von Glätte geboten hätten. Es sei ebenfalls nicht festzustellen, dass die [X.] am Unfalltag, einem Sonntag, damit rechnen musste, dass Personen schon um 10.00
Uhr ihr Grundstück betraten. Insbe-13
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sondere seien an diesem Tag keine Pflegeleistungen für die [X.] zu [X.] gewesen. Unter diesen Umständen
bestand keine Notwendigkeit, even-tuelle [X.] mit besonderer Eile durchzuführen. Eine vorbeugende Verpflichtung zum Bereithalten eines Streudienstes bestand nicht, weil an dem Sonntagvormittag auf dem Weg zum Haus weder mit einem Fußgängerverkehr zu rechnen war noch die Wetterlage dafür Anlass gab (vgl. zur vorbeugenden Streupflicht Senatsbeschluss vom 11.
August 2009 -
VI
ZR 163/08, [X.], 677 Rn.
5; [X.], Urteil vom 15.
Februar 1979 -
III
ZR 172/77, [X.], 541, 542).
4. Nach allem ist
die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu
bean-standen, dass die Verletzung einer Räum-
und Streupflicht seitens der [X.] nicht vorliegt. Die Revision
der Klägerin
ist mithin mit der Kostenfolge des §
97 Abs.
1 ZPO zurückzuweisen.
Galke
Zoll
[X.]

Pauge
Stöhr

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.06.2010 -
5 O 202/08 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 18.03.2011 -
I-9 [X.] -

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Meta

VI ZR 138/11

12.06.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.06.2012, Az. VI ZR 138/11 (REWIS RS 2012, 5764)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5764

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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