Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.03.2019, Az. B 5 R 22/18 B

5. Senat | REWIS RS 2019, 9346

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - mündliche Verhandlung - grobe Fehleinschätzung - Fragerecht - pflichtgemäßes Ermessen


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 28. Juni 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den 9. Senat dieses Gerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Im Mai 2011 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte darauf das Gutachten des Chirurgen [X.] vom 20.11.2011 ein, nach dem der Kläger über ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verfügt. Mit Bescheid vom 11.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] lehnte die Beklagte den Rentenantrag insbesondere wegen Nichterfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab. Im Klageverfahren, in dem der Kläger eine nicht abgeklärte Alkoholkrankheit geltend gemacht hat, hat das [X.] das nervenfachärztliche Gutachten des Sachverständigen [X.] vom 14.5.2014 eingeholt. Dieser ist ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger weiterhin körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zumutbar sind. Während des Klageverfahrens hat das [X.] auf Empfehlung des fachpsychiatrischen Gutachtens des Dr. M. vom 23.3.2011 für den Kläger einen Betreuer bestellt. Der Sachverständige Dr. M. ist zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger eine schwere chronifizierte Alkoholabhängigkeit mit einem beginnenden Korsakow-Syndrom vorliegt. Ferner hat Dr. M. den Kläger als bei der Untersuchung mindestens teilweise desorientiert bei erheblichen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie als körperlich und seelisch völlig verwahrlost beschrieben. Daraufhin hat das [X.] das fachärztliche psychiatrische Gutachten des Sachverständigen [X.] vom 13.3.2015 eingeholt. Dieser hat ebenfalls ein beginnendes Korsakow-Syndrom bei chronischer psychischer Alkoholabhängigkeit diagnostiziert und ist von einem aufgehobenen Leistungsvermögen des [X.] jedenfalls seit Rentenantragstellung ausgegangen. Auf Nachfrage des [X.] hat der Sachverständige [X.] mit Schreiben vom [X.] mitgeteilt, dass möglicherweise bereits 2007 eine teilweise oder auch volle Erwerbsminderung des [X.] vorgelegen habe. Es gebe jedoch keine Anknüpfungstatsachen, die eine solche Annahme beweisen könnten. Der Kläger hat daraufhin die eidesstattliche Versicherung seines [X.] vom 19.10.2015 vorgelegt, nach der der Kläger regelmäßig bis zur Bewusstlosigkeit getrunken habe, was sich nach der Scheidung der Eltern 2002/2003 noch verschlimmert habe. Danach sei der Vater total verwahrlost. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 5.11.2015 hat der Sachverständige [X.] erklärt: "Legt man die eidesstattliche Erklärung als zutreffend zugrunde, so gibt es darüber ausreichende Anknüpfungstatsachen dafür, dass die Leistungsfähigkeit von [X.] bereits seit 2005 … aufgehoben war." Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] die Klage abgewiesen. Es lasse sich nicht feststellen, dass die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderung bereits zu einem [X.]punkt vor Ende Juli 2007 vorgelegen hätten, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt gewesen seien. Von einer bereits damals eingetretenen gänzlichen Verwahrlosung des [X.] könne nach Aktenlage nicht die Rede sein.

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Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Das L[X.] hat mit Beschluss vom [X.] den Antrag des [X.] auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) mangels Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt und darauf hingewiesen, dass eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 [X.]G erwogen werde. Der Kläger hat sich - innerhalb der vom L[X.] gesetzten Frist - mit Schriftsatz vom [X.] gegen eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren verwahrt und die Vernehmung seines [X.] zu seinem Alkoholkonsum und seiner Verwahrlosung ab 2002/2003 sowie die Vernehmung seiner Arbeitgeber im [X.]raum 1997 bis 2011 [X.], [X.]. und [X.] zu seinem rudimentären Leistungsvermögen (stundenweise auf Abruf durchschnittlich neun Stunden wöchentlich) als Zeugen beantragt. Ferner hat er unter Angabe der zu erläuternden Punkte die Anhörung der Sachverständigen [X.] und [X.] zu den von ihnen erstellten Gutachten beantragt.

4

Mit Beschluss vom 28.6.2017 hat das L[X.] die Berufung zurückgewiesen. Im [X.]punkt August 2007, in dem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zuletzt erfüllt gewesen seien, habe bei dem Kläger keine rentenrelevante Minderung der Erwerbsfähigkeit vorgelegen. Nach der Rechtsprechung des B[X.] habe die Tatsache der Ausübung einer zumutbaren Tätigkeit in der Regel einen höheren Beweiswert als dies scheinbar ausschließende medizinische Befunde. Der Kläger habe schon nach dem Versicherungsverlauf bis 2013 immer wieder geringfügige berufliche Tätigkeiten ausgeübt. Unter Berücksichtigung seiner Angaben gegenüber den Sachverständigen [X.] und [X.] sei aber davon auszugehen, dass er seinerzeit in erheblichem Umfang Schwarzarbeit geleistet habe. Zudem sei er in der Lage gewesen, nach der Scheidung eine neue Partnerschaft aufzubauen. Überdies hätten die Sachverständigen [X.] und [X.] noch mehrere Jahre später ein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen. Von der Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung des [X.] des [X.] könne sich der [X.] nicht überzeugen. Es bestehe kein Anlass, den [X.] als Zeugen zu vernehmen. Dieser Beweisantrag sei ins Blaue hinein erfolgt und völlig unsubstantiiert. Letzteres gelte auch für die beantragte Vernehmung der Arbeitgeber. Eine ergänzende mündliche Anhörung der erstinstanzlichen Sachverständigen [X.] und [X.] hätte der Kläger bereits in der vorangegangenen Instanz beantragen müssen, was aber ausweislich des [X.] nicht der Fall gewesen sei.

5

Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde rügt der Kläger ua einen Verstoß gegen § 103 [X.]G, eine Verletzung seines Fragerechts aus § 116 [X.], § 118 Abs 1 S 1 [X.]G iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO sowie eine Verletzung von § 153 Abs 4 [X.]G.

6

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger hat die gerügten Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ordnungsgemäß dargelegt. Sie liegen zudem überwiegend vor.

7

1. Das L[X.] hat die ihm obliegende tatrichterliche Sachaufklärungspflicht iS von § 103 [X.]G verletzt.

8

a) Der Kläger hat prozessordnungsgemäße Beweisanträge iS von § 118 Abs 1 S 1 [X.]G iVm § 373 ZPO gestellt. Hiernach sind die als Zeugen benannten Personen mit ladungsfähiger Anschrift und die zu beweisenden Tatsachen substantiiert zu bezeichnen ([X.] in [X.]/[X.], ZPO, 39. Aufl 2018, § 373 Rd[X.]).

9

Eine Partei genügt bei einem von ihr zur Rechtsverfolgung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltende Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (vgl [X.] Beschluss vom 11.7.2007 - [X.] - Juris Rd[X.] 6; vgl auch zu einem zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag [X.] Beschluss vom [X.] - VIII ZR 212/07 - Juris Rd[X.]1). Dabei ist unerheblich, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer [X.], die etwa den [X.]punkt und den Vorgang bestimmter Ereignisse betreffen, nicht verlangt werden (vgl [X.] Beschlüsse vom 11.7.2007, aaO und vom 12.6.2008 - [X.]/07 - Juris Rd[X.]). Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die benannten Zeugen nach Einzelheiten zu befragen, die ihm für die Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen ([X.] Beschlüsse vom [X.], aaO und vom 11.7.2007, aaO). Darüber hinaus darf die in das Gewand einer substantiierten Behauptung gekleidete, unter Beweis gestellte Tatsache nicht "ins Blaue hinein" aufgestellt worden, dh aus der Luft gegriffen sein (vgl [X.] Beschluss vom 1.6.2005 - [X.]/02 - Juris Rd[X.]).

aa) Der Kläger hat zum einen mit Schriftsatz vom [X.] beantragt, seinen [X.] B. D. unter Angabe der [X.] Anschrift als Zeugen zu vernehmen. Aus dem Kontext des Antrags ergibt sich, dass der [X.] B. sowohl zu den von ihm in der eidesstattlichen Versicherung vom 19.10.2015 gemachten Angaben zur Verwahrlosung des [X.] schon vor dem [X.] als auch zu dessen übermäßigem Alkoholkonsum insbesondere ab 2002/2003 aussagen sollte.

Der benannte Zeuge hat bereits in seiner eidesstattlichen Versicherung darauf hingewiesen, dass der Kläger regelmäßig nach Feierabend und insbesondere am Wochenende bis zur Bewusstlosigkeit getrunken habe. Er habe alles konsumiert, was er bekommen konnte - Bier, Wodka, Springer. Der Alkoholkonsum habe sich nach der Scheidung seiner Eltern, als er 18 oder 19 Jahre alt gewesen sei - dh 2002/2003 -, noch verschlimmert. Der Vater sei danach total verwahrlost, habe sich um keinen Papierkram, Rechnungen oder sonst was gekümmert.

Der [X.] des [X.] hat insoweit konkrete Tatsachen beschrieben, die Rückschlüsse auf das Leistungsvermögen seines Vaters und damit die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bereits vor September 2007 zulassen. So hat der Sachverständige [X.] in seiner ergänzenden fachärztlichen Stellungnahme vom 5.11.2015 die Angaben in der eidesstattlichen Versicherung, wenn man diese als zutreffend zugrunde lege, als ausreichende Anknüpfungstatsachen dafür bewertet, dass die Leistungsfähigkeit des [X.] bereits seit 2005 aufgehoben war.

Der Beweisantrag ist auch nicht deshalb unsubstantiiert, weil aus der eidesstattlichen Versicherung nicht hervorgeht, "was genau der [X.] an welchen Tagen oder jedenfalls in welchen konkreten [X.]räumen persönlich beobachtet haben will." Derartige [X.] - sollten sie für die Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen - hat vielmehr der Tatsachenrichter entsprechend der Funktion der Beweisaufnahme in einer solchen durch Befragung des Zeugen festzustellen. Aus diesem Grund rechtfertigt sich ebenso wenig die Annahme der Unsubstantiiertheit, weil sich nicht erschließe, auf welcher Grundlage der [X.] des [X.] "hilfreiche eigene Beobachtungen im Zusammenhang mit der Frage eines dauerhaft reduzierten beruflichen Leistungsvermögens des [X.] insbesondere in den Jahren 2005 bis 2007 gemacht haben könnte".

Die vom Kläger unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen sind auch nicht "ins Blaue hinein" erfolgt.

Vielmehr enthalten die Akten Hinweise auf eine Verwahrlosung des [X.] bereits vor dem nach den Feststellungen des L[X.] entscheidungserheblichen [X.]punkt September 2007. So erwähnt etwa der Sachverständige [X.] in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 5.11.2015 gehäufte alkoholbedingte Verletzungen des [X.] ab 2005, beschreibt das Operationsprotokoll des [X.] vom 11.9.2006 den Kläger nicht nur als ungepflegt, sondern als völlig verschmutzt und eingekotet und weist das fachpsychiatrische Gutachten des Dr. M. vom 23.3.2014 auf eine jahrzehntelange Alkoholabhängigkeit des [X.] ohne adäquate Behandlung hin.

Auch das L[X.] räumt im Übrigen ein, dass der Kläger schon vor 2008 in sehr deutlichem Maße Alkohol konsumiert hat und es vermehrt zu Unfällen gekommen ist. Zwar begründet auch ein erheblicher Alkoholkonsum nicht zwingend eine rentenrelevante Erwerbsminderung. Eine jahrzehntelange Alkoholabhängigkeit kann aber diese Folge haben. Im Fall des [X.] liegen ausweislich der aufgeführten Umstände genügend Anhaltspunkte dafür vor, dass eine rentenrelevante Einschränkung seines Leistungsvermögens vor September 2007 eingetreten sein kann.

bb) Der Kläger hat ferner mit Schriftsatz vom [X.] beantragt, seine früheren Arbeitgeber [X.] (dortige Beschäftigung bis 2001), [X.]. (dortige Beschäftigung von 2005 bis 2006) und [X.] (dortige Beschäftigung von 2008 bis 2011) unter Angabe ihrer [X.] Anschriften dazu zu vernehmen, dass er seinerzeit nur noch einer rudimentären Tätigkeit, dh stundenweise auf Abruf durchschnittlich neun Stunden wöchentlich, nachgehen konnte.

Entgegen der Ansicht des L[X.] sind auch diese Beweisanträge ausreichend substantiiert.

Die Behauptung, nur noch durchschnittlich neun Stunden pro Woche gearbeitet zu haben bzw nur noch in diesem [X.]umfang imstande gewesen zu sein, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, stellt eine konkrete Tatsachenbehauptung dar. Sie ist auch geeignet, Rückschlüsse auf das quantitative Leistungsvermögen des [X.] und damit auf eine rentenrelevante Einschränkung seines Leistungsvermögens im hier maßgeblichen [X.]raum vor September 2007 zuzulassen. Auch nicht medizinisch geschulte Personen können durch die Beschreibung des von ihnen wahrgenommenen körperlichen und psychischen Zustands eines Menschen Tatsachen beschreiben, die einem medizinischen Sachverständigen unter Zugrundelegung dieser Wahrnehmungen eine medizinische Beurteilung des Leistungsvermögens des Betroffenen erlauben. Dies zeigt schon die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen [X.] vom 5.11.2015.

b) Der Kläger hat die Beweisanträge auch bis zuletzt aufrechterhalten.

Das L[X.] hat mit Beschluss vom [X.] den [X.] des anwaltlich vertretenen [X.] abgelehnt und darauf hingewiesen, dass eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs 4 [X.]G erwogen werde. Dem Kläger ist eine (verlängerte) Frist zur Stellungnahme bis zum 14.9.2016 eingeräumt worden.

Mit Schriftsatz vom [X.] - eingegangen per Fax am 9.9.2016 - hat der Kläger die Beweisanträge gestellt. Dass das Berufungsgericht mit Verfügung vom [X.] den Hinweis auf § 153 Abs 4 [X.]G wiederholt hat, ohne dass der Kläger seine Beweisanträge erneut gestellt hat, ist unschädlich, weil dieser Hinweis ohne nähere Begründung erfolgt ist (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.] mwN).

c) Das L[X.] ist den Beweisanträgen des [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Es hat gemeint, nicht feststellen zu können, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr sechs Stunden täglich arbeiten könne. Damit hat es eine Beweislastentscheidung getroffen, ohne die vom Kläger angebotenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Zureichende Gründe bestanden dafür nicht. Das L[X.] hätte sich vielmehr zu der beantragten Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen.

Das L[X.] durfte nicht ohne weitere Beweiserhebungen von einem "jedenfalls bis Ende 2007" fortbestehenden Erwerbsvermögen des [X.] ausgehen, weil dieser seinerzeit noch "in erheblichem Umfang am Erwerbsleben teilgenommen" habe. Zu dieser Einschätzung ist das Berufungsgericht gelangt, weil der Kläger gegenüber dem Sachverständigen [X.] die Ausübung von Schwarzarbeit eingeräumt und gegenüber dem Sachverständigen [X.] ausdrücklich erklärt habe, in den Jahren ab 2005 "gut verdient" zu haben. Nur aufgrund nachhaltiger und erheblicher Einkünfte aus Schwarzarbeit lasse sich - so das L[X.] weiter - auch erklären, dass der Kläger seinerzeit seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen habe bestreiten können.

In einem Gutachten erwähnte nichtmedizinische Tatsachen dürfen indes nicht ohne Weiteres übernommen werden, vor allem dann nicht, wenn Beteiligte sie substantiiert bestreiten und dem Gericht weitere zur Aufklärung des Sachverhalts geeignete Beweismittel zur Verfügung stehen (B[X.] [X.] [X.] 59 zu § 128 [X.]G; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 103 Rd[X.]1a). Das L[X.] durfte sich nach diesen Vorgaben nicht allein auf die von ihm angenommenen Angaben des [X.] zur Schwarzarbeit stützen. Der Kläger hat insbesondere im Schriftsatz vom [X.] bestritten, mehr als neun Stunden wöchentlich arbeiten zu können. Zudem standen dem L[X.] weitere geeignete Beweismittel, die benannten Zeugen, zur Verfügung. Es lagen zudem Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger gegenüber Sachverständigen seine beruflichen Fähigkeiten in Verkennung der Realität unrichtig darstellt. Nach dem Gutachten des Dr. M. vom 23.3.2014 leidet der Kläger an einer schweren chronifizierten Alkoholabhängigkeit mit einem beginnenden Korsakow-Syndrom und hat sich bei der Untersuchung mindestens teilweise desorientiert bei erheblichen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen in einer körperlich sowie seelisch völlig verwahrlosten Situation gezeigt. Trotz dieser Befundlage hat der Kläger dem Sachverständigen Dr. M. erklärt, er gehe wieder arbeiten, der Arbeitgeber werde für ihn ein Konto bei der Sparkasse einrichten, Angaben, die der Sachverständige als völlig realitätsfern eingestuft hat. Ferner hat Dr. M. darauf hingewiesen, dass der Kläger so schwer krank sei, dass er seine Situation nicht richtig einschätze.

Soweit das L[X.] darüber hinaus davon ausgegangen ist, dass der Kläger seinerzeit noch in der Lage gewesen sei, eine neue Partnerschaft aufzunehmen, was ebenfalls gegen eine völlige Verwahrlosung spreche, ist der Kläger diesen bereits im Beschluss vom [X.] angestellten Erwägungen substantiiert entgegengetreten. Im Schriftsatz vom [X.] hat er vorgetragen, dass er keine Partnerschaft eingegangen sei, sondern es sich um eine reine [X.] gehandelt habe mit einer Partnerin, die ebenfalls dem Alkohol zugesprochen und darüber hinaus erhebliche psychische Probleme gehabt habe. Angesichts dieser Einlassung des [X.] durfte das L[X.] nicht unter dem Gesichtspunkt einer neu aufgebauten Partnerschaft eine weitere Beweisaufnahme begründet unterlassen.

Ferner konnte das L[X.] auch nicht deswegen von der beantragten Beweisaufnahme begründet Abstand nehmen, weil die Sachverständigen [X.] und [X.] noch in den Jahren 2011 und 2014 ein vollschichtiges Leistungsvermögen des [X.] für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bejaht haben. Der Sachverständige [X.] ist Chirurg; dass er eine hinsichtlich der hier infrage stehenden Krankheiten erforderliche psychiatrische Fachkompetenz besitzt, ist den Akten nicht zu entnehmen. Das Gutachten des [X.] ist nach der Beurteilung des Sachverständigen [X.] nicht nachvollziehbar. Dass das L[X.] über eine medizinische Kompetenz verfügt, die es in die Lage versetzt, diese Beurteilung als unrichtig bewerten zu können, ist [X.] nicht aufgezeigt.

Ebenso wenig ist die Nichtdurchführung der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des vom L[X.] herangezogenen Urteils des [X.]s vom 26.6.1980 (5 RJ 66/79 - Juris) gerechtfertigt. Zwar hat der [X.] in dieser Entscheidung (aaO Rd[X.]9) darauf hingewiesen, dass die Tatsache der Ausübung einer zumutbaren Arbeit in der Regel einen stärkeren Beweiswert habe als dies scheinbar ausschließende medizinische Befunde. Gleichzeitig hat er aber hervorgehoben, dass ein Versicherter zur Ausübung einer Tätigkeit gesundheitlich nicht in der Lage sei, wenn er diese Tätigkeit nur unter unzumutbaren Schmerzen, einer unzumutbaren Anspannung seiner [X.]enskräfte, unter Gefährdung oder auf Kosten seiner Gesundheit verrichten könne, was auch dann gelte, wenn der Versicherte unter den genannten Umständen eine zumutbare Tätigkeit tatsächlich ausübe. Da hier sowohl der Gesundheitszustand des [X.] als auch die "Umstände" seiner Tätigkeiten für die [X.] vor September 2007 nicht aufgeklärt worden sind, konnte das L[X.] aus der genannten [X.] keine Schlussfolgerungen ableiten.

d) Bei einer Vernehmung der beantragten Zeugen ist nicht auszuschließen, dass das L[X.] den Gesundheitszustand des [X.] und sein Leistungsvermögen vor September 2007 anders gewürdigt und/oder eine weitere Sachaufklärung für notwendig gehalten hätte.

2. Des Weiteren hat das L[X.] das Fragerecht des [X.] nach § 116 [X.], § 118 Abs 1 S 1 [X.]G iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO verletzt.

a) Der Kläger hat mit Schriftsatz vom [X.] beantragt, den Sachverständigen [X.] zur Erläuterung seines Gutachtens und ergänzenden Befragung zu laden. Diesem Antrag ist das L[X.] zu Unrecht nicht nachgekommen.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des B[X.], dass unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 [X.] [X.]G, § 118 Abs 1 S 1 [X.]G iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (vgl nur B[X.] Beschluss vom 17.4.2012 - [X.] R 355/11 B - Juris Rd[X.]3; B[X.] Beschluss vom 27.9 2018 - [X.] V 14/18 B - Juris Rd[X.]).

Sachdienlichkeit iS von § 116 [X.] [X.]G ist zu bejahen, wenn sich die Fragen im Rahmen des [X.] halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind. Weitergehende Anforderungen sind hingegen nicht zu stellen. Unabhängig davon, ob das Gericht ein Gutachten für erläuterungsbedürftig hält, soll das Fragerecht dem Antragsteller erlauben, im Rahmen des [X.] aus seiner Sicht unverständliche, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen eines Sachverständigen zu hinterfragen, um auf das Verfahren Einfluss nehmen und die Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung verstehen zu können. Nur dieses Verständnis trägt der Bedeutung des Fragerechts im Rahmen des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs hinreichend Rechnung (B[X.] Beschluss vom 17.4.2012 - [X.] R 355/11 B - Juris Rd[X.]4; B[X.] Beschluss vom [X.] - Juris Rd[X.] 9; B[X.] Beschluss vom 27.9.2018 - [X.] V 14/18 B - Juris Rd[X.]3). Abgelehnt werden kann ein solcher Antrag prozessordnungsgemäß nur dann, wenn er rechtsmissbräuchlich gestellt ist, wenn die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen nicht hinreichend genau benannt oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl [X.] vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - Juris Rd[X.]9 mwN). Insofern steht beim Fragerecht nach § 116 [X.] [X.]G ein anderes Ziel im Vordergrund als bei der Rückfrage an den Sachverständigen nach § 118 Abs 1 S 1 [X.]G iVm § 411 Abs 3 ZPO; diese dient in erster Linie der Sachaufklärung und nicht der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 116 [X.] Rd[X.]1 mwN).

Das Fragerecht nach § 116 [X.] [X.]G bzw § 411 Abs 4 ZPO erfordert nicht die Formulierung von Fragen. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen, zB auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. Solche Einwendungen sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (§ 411 Abs 4 S 1 ZPO). Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören, und er schriftlich sachdienliche Fragen im oben dargelegten Sinn angekündigt hat. Liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht grundsätzlich dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt. Dies gilt selbst dann, wenn das Gutachten nach Auffassung des Gerichts ausreichend und überzeugend ist und keiner Erläuterung bedarf (B[X.] Beschluss vom 17.4.2012 - [X.] R 355/11 B - Juris Rd[X.]5; B[X.] Beschluss vom 27.9.2018 - [X.] V 14/18 B - Juris Rd[X.]4).

aa) Der Kläger hat sein Recht auf Befragung des Sachverständigen [X.] entgegen der Rechtsauffassung des L[X.] nicht wegen verspäteter Antragstellung in der zweiten Instanz verloren.

Zwar besteht das Fragerecht grundsätzlich nur hinsichtlich solcher Gutachten, die innerhalb des [X.] eingeholt worden sind (B[X.] [X.] 4-1500 § 116 [X.] Rd[X.] 9). Dies gilt aber nicht ausnahmslos.

Die Anhörung eines bereits erstinstanzlich tätig gewordenen Sachverständigen ist in der zweiten Instanz dann zulässig, wenn sich - wie hier - das L[X.] anders als das [X.] in seiner Entscheidung auf dessen Gutachten berufen will und auch berufen hat (in diese Richtung wohl B[X.] [X.] 4-1500 § 160 [X.]4 Rd[X.]6; vgl zu sonstigen Ausnahmefällen B[X.] [X.] 4-1500 § 116 [X.] Rd[X.] 9 mwN). Ansonsten würde bei einer derartigen Fallkonstellation das aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) abgeleitete Recht des Beteiligten auf Anhörung eines Sachverständigen (dazu: [X.] Beschluss vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - Juris Rd[X.] 9 f; [X.] Beschluss vom 24.8.2015 - 2 BvR 2915/14 - Juris Rd[X.]9) ausgehöhlt.

Art 103 Abs 1 GG verlangt nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung ist zwar die nächstliegende, nicht aber die einzige mögliche Behandlung eines derartigen Antrags ([X.] Beschluss vom 3.2.1998, aaO, Rd[X.]3; [X.] Beschluss vom 24.8.2015, aaO). Das Gericht kann den Sachverständigen auch zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder nach § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einholen ([X.] Urteil vom 10.12.1991 - [X.] - Juris Rd[X.] mwN; B[X.] [X.] 4-1500 § 160 [X.]4 Rd[X.]5). Wählt das erstinstanzliche Gericht - wie hier das [X.] - die letzte Möglichkeit und stützt sich bei der Sachentscheidung nicht auf das von einem Beteiligten als erläuterungsbedürftig angesehene Gutachten, besteht für das Gericht keine Veranlassung, den Sachverständigen anzuhören. [X.] demgegenüber das Berufungsgericht dieses Gutachten zur Grundlage seiner Entscheidung machen und wiederholt der Beteiligte seinen Antrag auf Anhörung des Sachverständigen, kann der Antrag nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Antragstellung hätte erstinstanzlich erfolgen bzw aufrechterhalten werden müssen. Anderenfalls würde dem Antragsteller sein Recht genommen, durch Befragung des Sachverständigen auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Je wichtiger ein Sachverständigengutachten für das Ergebnis des Prozesses ist, desto mehr Gewicht kommt dem Recht der Verfahrensbeteiligten zu, Einwendungen da-gegen vorzutragen und den Sachverständigen mit ihnen zu konfrontieren ([X.] Beschluss vom 3.2.1998, aaO, Rd[X.]3).

bb) Die übrigen Voraussetzungen für die Anhörung des Sachverständigen [X.] sind ebenfalls erfüllt.

Der Kläger hat den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen [X.] innerhalb der vom L[X.] gesetzten (verlängerten) [X.] iS von § 153 Abs 4 [X.] [X.]G mit Schriftsatz vom [X.] gestellt. Dabei hat er die zu erläuternden Punkte benannt: Unter anderem zusätzliche, vom Sachverständigen trotz diagnostizierter Erinnerungslücken nicht festgestellte Krankheiten - Korsakow-Syndrom und Alkoholabhängigkeit als psychische Erkrankung; Krankheitsbedingtheit der vom Sachverständigen [X.] beschriebenen beeinträchtigten Koordination des [X.]; Aufklärung, ob die vom Sachverständigen [X.] festgestellte unscharfe Erinnerung auf einer alkoholtoxischen Gehirnschädigung beruht.

Diese Punkte sind auch sachdienlich. Sie halten sich im Rahmen des [X.], sind nicht abwegig und auch nicht bereits vom Gutachter lückenlos und widerspruchsfrei beantwortet worden. Insoweit ist auf die Beurteilung des Sachverständigen [X.] im Gutachten vom 13.3.2015 zu verweisen, der im Gegensatz zum Sachverständigen [X.] eine chronische psychische Alkoholabhängigkeit mit beginnendem Korsakow-Syndrom diagnostiziert und die übrigen vom Kläger angesprochenen Punkte als im Gutachten [X.] ungeklärt kritisiert hat.

Auf dem Verfahrensmangel kann die Entscheidung des L[X.] beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht das Gutachten des [X.] im Fall seiner Anhörung zu den vom Kläger gestellten sachdienlichen Fragen bei seiner Entscheidungsfindung anders gewürdigt und/oder eine weitere Sachaufklärung für notwendig gehalten hätte.

b) Eine Anhörung des Sachverständigen [X.] hat das L[X.] hingegen schon deshalb zu Recht abgelehnt, weil der Kläger keine sachdienlichen erläuterungsbedürftigen Punkte beschrieben hat. Die Frage, warum der Sachverständige seine Feststellungen im Gegensatz zu denen des [X.] für zutreffend hält, ergibt sich bereits aus den medizinischen Ausführungen seines Gutachtens.

3. Schließlich liegt auch der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer fehlerhaften Anwendung des § 153 Abs 4 S 1 [X.]G vor.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach § 153 Abs 4 [X.]G vorzugehen, steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen ("kann"). Sie wird daher vom B[X.] nur darauf überprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, der Beurteilung etwa sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (vgl B[X.] [X.] 3-1500 § 153 [X.] S 4; B[X.] [X.] 3-1500 § 153 [X.]3 S 38; B[X.] [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]7; B[X.] [X.] 4-1500 § 153 [X.]4 Rd[X.] 9). Das Vorliegen einer groben Fehleinschätzung ist anhand der gesamten Umstände des Falles zu beurteilen. Dabei kommt es vor allem auch darauf an, ob die Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung als "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens berücksichtigt worden ist (vgl B[X.] Beschluss vom 14.11.2013 - [X.] SB 31/13 B - Juris Rd[X.]). Nur wenn die Sach- und Rechtslage eine mündliche Erörterung mit den Beteiligten überflüssig erscheinen lässt und das Gericht nur noch darüber zu befinden hat, wie das Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 [X.]G zu würdigen und rechtlich zu beurteilen ist, ist das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 [X.]G sinnvoll (vgl B[X.]E 44, 292, 293 = [X.] 1500 § 124 [X.] [X.]). Nicht erforderlich ist eine mündliche Verhandlung nur dann, wenn der Sachverhalt umfassend ermittelt worden ist, sodass [X.] in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr geklärt werden müssen, oder wenn etwa im Berufungsverfahren lediglich der erstinstanzliche Vortrag wiederholt wird. Diese Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung muss das Berufungsgericht auch bei der Entscheidung berücksichtigen, ob es im vereinfachten Verfahren gemäß § 153 Abs 4 [X.]G ohne mündliche Verhandlung entscheiden will. Demgemäß sind für diese Ermessensentscheidung die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von [X.] relevant. Ist bei Abwägung aller danach zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung gegen den ausdrücklichen [X.]en eines Beteiligten unter keinen Umständen zu rechtfertigen, liegt eine grobe Fehleinschätzung im obigen Sinne vor (vgl B[X.] Beschluss vom 11.12.2002 - B 6 [X.] 13/02 B - Juris Rd[X.] 9; B[X.] Beschluss vom 27.12.2011 - [X.] R 253/11 B - Juris Rd[X.]3; B[X.] Beschluss vom [X.] KR 80/17 B - Juris Rd[X.] 8). So ist der vorliegende Fall zu beurteilen.

Angesichts der Komplexität des Sachverhalts und der Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger war eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 S 1 [X.]G nicht vertretbar. Der Sachverhalt des hiesigen Verfahrens ist - wie die Ausführungen unter Ziff 1 und 2 zeigen - nicht umfassend ermittelt worden. Weder der Gesundheitszustand des [X.] noch sein Leistungsvermögen für den [X.]raum vor September 2007 sind ausreichend aufgeklärt worden. Auch ist die damit zusammenhängende und für das L[X.] entscheidungserhebliche Einnahmesituation des [X.] in dieser [X.] unklar. Während der Kläger angegeben hat, nicht in der Lage gewesen zu sein, mehr als neun Stunden wöchentlich arbeiten zu können und nur über ein geringes Einkommen verfügt zu haben, hat das L[X.] dem Kläger in der angefochtenen Entscheidung nachhaltige und erhebliche Einkünfte aus Schwarzarbeit unterstellt. Zudem liegen widersprüchliche Gutachten vor. Während das psychiatrische Sachverständigengutachten des [X.] vom 14.5.2014 ein vollschichtiges Leistungsvermögen des [X.] annimmt, beschreibt das ebenfalls psychiatrische Sachverständigengutachten des [X.] vom 13.3.2015 den Kläger als "in keinster Weise belastbar" und datiert die Aufhebung seiner Leistungsfähigkeit auf mindestens Ende Mai 2011. Bei dieser Sachlage durfte das L[X.] eine mündliche Verhandlung nicht für verzichtbar halten. Auf die erforderliche weitere Aufklärung des Sachverhalts hat der Kläger in seiner Stellungnahme zur Anhörungsmitteilung des [X.]s auf der Grundlage des § 153 Abs 4 [X.] [X.]G hingewiesen und sich ausdrücklich gegen eine Entscheidung im vereinfachten Verfahren ohne mündliche Verhandlung verwahrt.

Eine Verletzung von § 153 Abs 4 S 1 [X.]G führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit Berufungsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 S 1 [X.]G iVm § 547 [X.] ZPO, bei dem eine Kausalität zwischen dem Verfahrensmangel und der angefochtenen Entscheidung vermutet wird, ohne dass es näherer Darlegung bedarf.

4. Zur Vermeidung einer weiteren Verfahrensverzögerung hat der [X.] die Sache im [X.] nach § 160a Abs 5 [X.]G zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverwiesen.

Die Verweisung an einen anderen [X.] des L[X.] war hier gemäß § 202 S 1 [X.]G iVm § 563 Abs 1 [X.] ZPO ausnahmsweise geboten. Nach dem Vortrag des [X.] hat das Verhalten des 2. [X.]s des L[X.] Niedersachsen-Bremen sein Vertrauen auf ein faires Verfahren erschüttert. Dies ist objektiv nachvollziehbar und vom B[X.] zu berücksichtigen (vgl B[X.] [X.] 3-1750 § 565 [X.] S 6). Für die Entscheidung des [X.]s war insbesondere die Kumulation der Verfahrensfehler maßgeblich, die dazu geführt hat, dass der Kläger keine Möglichkeit hatte, die Voraussetzungen des von ihm geltend gemachten Rentenanspruchs zu beweisen. Hinzu kommt, dass sich das Berufungsgericht auf nicht bewiesene Umstände gestützt hat, die der Kläger ausdrücklich und nachhaltig in Abrede gestellt hat. Dies wiegt umso schwerer, als der Rechtsstreit für den Kläger von existentieller Bedeutung ist.

In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das L[X.] die oben genannten Zeugen zu vernehmen und den Sachverständigen [X.] anzuhören haben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem L[X.] vorbehalten.

Meta

B 5 R 22/18 B

14.03.2019

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Hannover, 26. Februar 2016, Az: S 44 R 427/12

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 116 S 2 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 160a SGG, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 411 Abs 4 ZPO, § 412 ZPO, § 373 ZPO, § 411 Abs 3 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.03.2019, Az. B 5 R 22/18 B (REWIS RS 2019, 9346)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 9346

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VIII ZR 212/07

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