Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.07.2015, Az. B 2 U 78/15 B

2. Senat | REWIS RS 2015, 7662

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Streitwertfestsetzung - gesetzliche Unfallversicherung - Anfechtung der Mitgliedschaft und Festsetzung der Beitragsumlage - zwischenzeitlich beendete Mitgliedschaft des Unternehmens - Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes gem § 103 SGG - Nichtvernehmung eines Zeugen)


Leitsatz

Zur Bemessung des Streitwerts, wenn in einem Rechtsstreit sowohl die zwischenzeitlich beendete Mitgliedschaft eines Unternehmens bei einem Unfallversicherungsträger als auch die Festsetzung einer Beitragsumlage angefochten sind.

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] werden das Urteil des [X.] vom 3. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 345,33 [X.] festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Mitgliedschaft des [X.] bei der Beklagten und deren Festsetzung der Beitragsumlage für das [X.] (Aufnahmebescheid vom [X.]; Beitragsbescheid vom 5.2.2010 und Änderungsbescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]). Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger sei von 2009 bis Ende November 2011 landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen, weil er infolge einer Heugewinnung eine bodenbewirtschaftende Tätigkeit verrichtet habe. Der mit dem Landwirt S. abgeschlossene Pachtvertrag datiere erst vom 1.12.2011. Daher habe es dessen Vernehmung als Zeuge nicht bedurft (Urteil vom 3.12.2014).

2

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG). Das [X.] sei seinem Antrag, Beweis über die konkreten Besitzverhältnisse der streitigen Fläche durch Vernehmung des Landwirts S. zu erheben, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Dieser hätte eine mündliche Verpachtung für die [X.] vor dem 1.12.2011 bestätigt.

3

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des [X.] ist unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG ergangen.

4

Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen ergibt (§ 160 Abs 2 [X.] SGG). Der Kläger hat hinreichend deutlich gemacht, warum sich das [X.] zu der von ihm beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen. Die Beschwerdebegründung enthält auch Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann.

5

Das Berufungsgericht hat die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG) dadurch verletzt, dass es eine Vernehmung des als Zeugen benannten Landwirts S. unterlassen hat. Indem das [X.] von einer solchen Beweiserhebung abgesehen hat, weil der schriftliche Pachtvertrag vom 1.12.2011 datiere und sich der Kläger erst im Laufe des Verfahrens auf den benannten Zeugen festgelegt habe, hat es ohne hinreichende Begründung einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag übergangen (§ 160 Abs 2 [X.] SGG).

6

Der Kläger hat bis zuletzt einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt, mit dem sowohl das Beweismittel als auch das Beweisthema angegeben und aufgezeigt worden ist, über welche Tatsachen im Einzelnen Beweis erhoben werden soll (vgl BSG vom 19.11.2007 - [X.]/5 R 382/06 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 6). Er hat am 3.12.2014 in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] Beweis angetreten durch Vernehmung des Landwirts S. als Zeuge "über die konkreten Besitzverhältnisse der streitigen Flächen". Dieser Beweisantrag war auf ein zulässiges und geeignetes Beweismittel gerichtet. Das bezeichnete Beweisthema erfasst die Nutzung des betroffenen Grünlandes und darüber getroffene Vereinbarungen für den hier streitigen [X.]raum als die Tatsachen, zu denen der Landwirt hätte aussagen sollen.

7

Dem Beweisantrag ist das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. "Ohne hinreichende Begründung" ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (BSG vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - [X.] 1500 § 160 [X.] 5). Entscheidend ist, ob sich das [X.] von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 9), weil nach den dem [X.] vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offen geblieben sind, damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des [X.] entscheidungserheblich sind (BSG vom 19.6.2008 - B 2 U 76/08 B - mwN). Einen Beweisantrag darf es nur ablehnen, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen ist oder die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (BSG vom [X.] - B 8 KN 16/05 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 12 Rd[X.] 10).

8

Ein solcher Ablehnungsgrund liegt hier nicht vor. Daher hätte das [X.] von einer Vernehmung des als Zeuge benannten Landwirts nicht absehen dürfen. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der schriftliche Pachtvertrag vom 1.12.2011 datiere und sich der Kläger erst im Laufe des Verfahrens auf den benannten Zeugen festgelegt habe. Allein infolgedessen ist aber eine Nutzungsüberlassung für die [X.] vor Abschluss des schriftlichen Pachtvertrags nicht auszuschließen. Weshalb es sich nach der Überzeugung des [X.] zunächst um Werkverträge gehandelt haben soll, wird aus der angegriffenen Entscheidung nicht deutlich. Aus der rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts entfällt mit der Verpachtung des Grundstücks die Grundlage für die Mitgliedschaft des [X.] und dessen Beitragspflicht. Ob eine Verpachtung schon vor dem 1.12.2011 ohne schriftliche Vereinbarung bestanden hat, wäre demnach vom [X.] aufzuklären gewesen.

9

Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass es ohne den Verfahrensfehler zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen (§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 39 Abs 1 GKG.

In Rechtsmittelverfahren richtet sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs 1 Satz 1 GKG). In Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert (§ 47 Abs 3 GKG). Dabei ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes geregelt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des [X.] für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs 1 GKG). Betrifft der Antrag des [X.] eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 Satz 1 GKG). Nur wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist ein Streitwert von 5000 Euro ([X.]) anzunehmen (§ 52 Abs 2 GKG, vgl hierzu [X.], NZS 2012, 283). Danach war ein Streitwert in Höhe von 345,33 Euro festzusetzen.

Entgegen der Auffassung des [X.] ist die Mitgliedschaft des [X.] und die streitgegenständliche Beitragsforderung nicht einheitlich zu bewerten. Sind Beitragsbescheide eigenständig angegriffen, bestimmt deren Höhe den Streitwert (BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - [X.] 4-2700 § 123 [X.] 2 Rd[X.]2). Soweit mit der Klage die Aufhebung der Bescheide über die Festsetzung der Umlage für 2009 über 78,98 Euro geltend gemacht worden ist, bestimmt daher dieser Betrag den Streitwert (§ 52 Abs 3 Satz 1 GKG).

Der Streitwert in Höhe der angegriffenen Beitragsforderung ist nicht gemäß § 52 Abs 3 Satz 2 GKG anzupassen. Danach ist, wenn der Antrag des [X.] offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat, die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit solche Auswirkungen ein auf Aufhebung eines die Beitragsumlage regelnden Verwaltungsaktes gerichteter Antrag grundsätzlich entfaltet. Ein solcher Antrag wirkt sich jedenfalls dann nur auf den in ihm geregelten [X.]raum aus, wenn - wie hier - zugleich der Verwaltungsakt über die Aufnahme als Unternehmer (mit)angegriffen ist. Der Antrag auf Aufhebung der durch den Unfallversicherungsträger festgestellten Mitgliedschaft ist dann nach Maßgabe des § 52 GKG eigenständig (vgl § 39 Abs 1 GKG) zu bewerten.

Für die Anfechtung des Aufnahmebescheids vom [X.] ist vorliegend ein Streitwert von 266,35 Euro anzusetzen. In [X.], in denen es um die Mitgliedschaft bei einem bestimmten Unfallversicherungsträger geht, fehlt es zwar grundsätzlich für die Festsetzung des Streitwerts an hinreichenden Anhaltspunkten. Dem trägt § 52 Abs 2 GKG Rechnung, der für solche Fälle einen [X.] von 5000 Euro vorsieht (vgl BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - Juris Rd[X.]2). Diese Regel greift aber nicht, wenn - wie hier - die Mitgliedschaft im [X.]punkt der das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde einleitenden Antragstellung (vgl § 40 GKG) unstreitig beendet worden und damit eine Bedeutung des Rechtsstreits für spätere Beitragsjahre ausgeschlossen ist (BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - [X.], 194 = [X.] 4-2700 § 6 [X.] 2, Rd[X.] 67). In einem solchen Fall orientiert sich die Bedeutung der Sache iS des § 52 Abs 1 GKG ausschließlich an der mit der Mitgliedschaft verbundenen und bezifferbaren Beitragslast, hier in Höhe von 78,98 Euro für 2009, von 90,23 Euro für 2010 und von 97,14 Euro für 2011. Wegen der Beendigung der Mitgliedschaft vor Eintritt des für die Streitwertfestsetzung maßgebenden [X.]punkts ist auch in Bezug auf den Aufnahmebescheid kein Raum für eine Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs 3 Satz 2 GKG.

Meta

B 2 U 78/15 B

23.07.2015

Bundessozialgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: U

vorgehend SG Itzehoe, 27. Juni 2012, Az: S 9 U 86/10

§ 39 Abs 1 GKG 2004, § 40 GKG 2004, § 47 Abs 1 S 1 GKG 2004, § 47 Abs 3 GKG 2004, § 52 Abs 1 GKG 2004, § 52 Abs 3 S 1 GKG 2004, § 52 Abs 3 S 2 GKG 2004, § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG, § 103 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.07.2015, Az. B 2 U 78/15 B (REWIS RS 2015, 7662)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7662

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