Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.03.2023, Az. III ZR 104/21

3. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 1840

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Gegenstand

Beiziehung von Ermittlungs-/Strafakten im Zivilprozess: Beweisantritt durch eine Prozesspartei; Akteneinsicht für Gerichte; zu beachtendes Verfahren zum Schutz der Grundrechte der anderen Partei und Dritter; Voraussetzungen für die Vorlagepflicht Dritter - Zivilprozess, Beiziehung von Ermittlungs-/Strafakten


Leitsatz

Zivilprozess, Beiziehung von Ermittlungs-/Strafakten

1. Gemäß § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO steht einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, in einem anhängigen Zivilprozess (Teile von) Ermittlungs- beziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen.

2. Nach § 474 Abs. 1 StPO ist den Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren.

3. Grundrechten der anderen Partei oder Dritter, insbesondere deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass das Gericht nach Erhalt der angeforderten Akte unter Berücksichtigung von deren schutzwürdigen Interessen abwägt und so prüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen aus ihr im Zivilverfahren verwertet werden können; der Zugang zu den Informationen aus der beigezogenen Akte ist gegebenenfalls angemessen zu beschränken.

4. Maßgeblich für die Vorlagepflicht Dritter gemäß § 429 Satz 1 Halbs. 1, § 432 Abs. 3 ZPO ist, ob die beweisführungsbelastete Partei im Verhältnis zu ihnen einen Vorlegungsanspruch hat. Ob die Gegenpartei in Ermangelung der Voraussetzungen der §§ 422 f. ZPO nicht zur Vorlage einer Urkunde verpflichtet ist, ist demgegenüber in Bezug auf Dritte nicht von Bedeutung.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] - 15. Zivilsenat - vom 9. Juli 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von der [X.] die Erstattung von insgesamt 46.500 € und die Feststellung, dass die Forderung auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 [X.] beruht. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe an Geldautomaten von seinem [X.]konto mit seiner Bankkarte und seiner [X.] Beträge in der genannten Gesamthöhe unberechtigt abgehoben und behalten.

2

Die Parteien waren miteinander liiert. Im Oktober 2014 flog der Kläger für eine Motorradtour nach [X.]. Dort erlitt er einen Verkehrsunfall, bei dem er sich eine schwere Beinverletzung zuzog. Nach seiner Rückkehr nach [X.] befand er sich deswegen vom 5. bis zum 25. November 2014 in einem Krankenhaus. Anschließend wohnte er - in seiner Bewegungsfähigkeit noch immer eingeschränkt - bei der [X.]. Vom 20. April bis zum 18. Mai 2015 hielt er sich in einer Unfallklinik auf. Danach wohnte er nicht mehr bei der [X.].

3

Während seines ersten Krankenhausaufenthaltes bat der Kläger die Beklagte, für ihn von seinem Konto bei der [X.] an einem Geldautomaten Bargeld zu holen. Er händigte ihr seine Bankkarte aus und teilte ihr die [X.] mit. Die Beklagte hob daraufhin am 13. und am 14. November 2014 insgesamt 1.500 € in drei Teilbeträgen von jeweils 500 € ab, welche sie dem Kläger übergab.

4

In der [X.] vom 15. November 2014 bis 19. April 2015 erfolgten 49 weitere Auszahlungen vom Konto des [X.] an Geldautomaten in Höhe von jeweils 500 € oder 1.000 € mit einem Gesamtbetrag von 43.500 €.

5

Der Kläger trägt vor, die Beklagte habe diese Abhebungen vorgenommen. Sie habe jeweils ohne sein Wissen die Bankkarte für sein [X.]konto an sich genommen, ihm das Geld nicht ausgehändigt und es auch nicht für seine Zwecke verwendet.

6

Am 28., 29. und 30. Mai 2015 hob die Beklagte über einen Geldautomaten jeweils 1.000 € vom [X.]konto des [X.] ab. Insoweit ist - nachdem die Beklagte auf Bildern der Überwachungskamera der Bank zu erkennen war - lediglich streitig, ob die [X.] jeweils auf entsprechende Bitte des [X.] geschah und ob die Beklagte ihm das abgehobene Bargeld aushändigte.

7

Vom Kläger angestrengte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte wegen des Verdachts von Vermögensstraftaten im Zusammenhang mit [X.]en vom [X.]konto des [X.] wurden sämtlich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

8

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dem Kläger 12.000 € nebst Zinsen unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zugesprochen und im Übrigen die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klage in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit darin zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat - soweit in der Revisionsinstanz von Relevanz - zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Von den drei Abhebungen in der [X.] vom 28. bis zum 30. Mai 2015 und von neun weiteren im [X.]raum vom 15. November 2014 bis 19. April 2015 durch die Beklagte abgesehen vermöge es sich bei Würdigung des Prozessstoffs und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht die nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderliche Überzeugung für die Berechtigung des Anspruchs des [X.] zu bilden. Eine von diesem zur Beweisführung beantragte Anforderung des "[X.]" bei der Staatsanwaltschaft [X.] unter dem Aktenzeichen 114 Js 20466/15 sei nicht veranlasst gewesen. Die Vorlage von Bankunterlagen, die sich im Besitz der [X.] befänden, könne nur unter den Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO angeordnet werden. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ergebe sich jedoch weder aus dem Vortrag des [X.] noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Die vorgenannten Vorschriften würden umgangen, wenn die Staatsanwaltschaft als Dritte, die auch im Besitz der Bankunterlagen der [X.] sei, unabhängig von den Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO zur Vorlage dieser Unterlagen durch das Zivilgericht aufgefordert werden könnte. Es bedürfe folglich keiner Entscheidung mehr, ob der Senat den "Sonderband [X.]" nach Erhalt von der Staatsanwaltschaft überhaupt dem Kläger zugänglich machen dürfte. Bei der Entscheidung hierüber müsste der Senat die Wertung des § 479 Abs. 3 Nr. 1 StPO berücksichtigen, wonach ein rechtliches Interesse des [X.] an den darin befindlichen Informationen erforderlich sei, was die Wahrnehmung formal eingeräumter Rechte durch den Kläger erfordere, und kein schutzwürdiges Interesse der [X.] entgegenstehen dürfe.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Dass das Berufungsgericht den "[X.]" bei der Staatsanwaltschaft [X.] nicht beigezogen und verwertet hat, verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des [X.] aus Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG als grundrechtsgleiches Recht soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt - auch bei Kenntnisnahme des Vorbringens durch den Tatrichter - dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (stRspr, zB Senat, Beschluss vom 7. Juni 2018 - [X.]/17, [X.], 1252 Rn. 4; [X.], Beschlüsse vom 2. November 2021 - [X.], NJW-RR 2022, 69 Rn. 5 und vom 11. Januar 2022 - [X.], [X.], 347 Rn. 13 f; jew. [X.]). Das ist hier der Fall.

b) Das Berufungsgericht hat es mit Recht als erheblich angesehen, ob und in welchem Umfang beziehungsweise wie oft die Beklagte unberechtigte Barabhebungen vom Postbankkonto des [X.] an Geldautomaten vornahm, wofür der Kläger die Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat. Es hat jedoch den den formalen Anforderungen der §§ 430, 432 ZPO genügenden Beweisantrag des [X.] vom 26. Juni 2020 ([X.]), den "[X.]" der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft beizuziehen, in dem sich Auszüge der Konten der [X.] und ihres [X.] für den [X.]raum von November 2014 bis Mai 2015 befinden, mit einer Begründung abgelehnt, die im Prozessrecht keine Stütze mehr findet.

aa) Gemäß § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO steht einer [X.] grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, in einem anhängigen Zivilprozess (Teile von) Ermittlungs- beziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen (vgl. [X.], [[X.] vom 12. November 2021 - 1 BvR 576/19, juris Rn. 9). Die Beiziehung der Akten ist zulässig, wenn und soweit sich eine [X.] unter Angabe der erheblichen Aktenteile auf diese Akten bezogen hat (vgl. [X.], NJW 2014, 1581 Rn. 22; [X.], Urteil vom 12. November 2003 - [X.], [X.], 1324, 1325). § 474 Abs. 1 StPO legt die Gewährung von Akteneinsicht an Gerichte als Regelfall fest; nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Regierungsentwurf des [X.] 1999, BT-Drucks. 14/1484, [X.]) ist den Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren (vgl. [X.], [X.] 2014, 526, 527 und 529). Grundrechte der anderen [X.] oder Dritter, insbesondere deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, stehen der Aktenbeiziehung und der Einsichtnahme in die beigezogene Akte durch die Gerichte in aller Regel nicht entgegen. Diesen Grundrechten kann vielmehr dadurch Rechnung getragen werden, dass im konkreten Fall das Gericht nach Erhalt der angeforderten Ermittlungs- oder Strafakte unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der anderen [X.] und gegebenenfalls Dritter abwägt und so prüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen aus ihr im Zivilverfahren verwertet werden können (vgl. [X.] aaO Rn. 24 ff und 29); der Zugang zu den Informationen aus der beigezogenen Akte ist gegebenenfalls angemessen zu beschränken (vgl. [X.], NJW 2007, 1052).

bb) Ausgeschlossen ist ein Beweisantritt nach § 432 Abs. 1 ZPO nach Absatz 2 der Vorschrift, wenn der [X.] die Urkunde nach den gesetzlichen Vorschriften ohne Mitwirkung des Gerichts zu beschaffen imstande ist. Dieser [X.] ist jedoch nicht erfüllt. Der Kläger hatte einen Antrag auf Einsichtnahme in den Sonderband "Bankauskunft" der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft [X.] gestellt, der von dieser zurückgewiesen wurde. Hiergegen stellte der Kläger Antrag auf gerichtliche Entscheidung zum Amtsgericht [X.], den dieses mit der ([X.] zurückwies, die Einsicht in den Sonderband sei zur Durchsetzung der Interessen des [X.] nicht erforderlich.

Dahinstehen kann, ob sich auch aus Absatz 3 der Vorschrift ein [X.] ergeben kann (dafür zB Feskorn in [X.], ZPO, 34. Aufl., § 432 Rn. 2; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 19. Aufl., § 432 Rn. 4; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 43. Aufl., § 432 Rn. 1; [X.] in BeckOK-ZPO [1. Dezember 2022], § 432 Rn. 3; Förster in [X.]/[X.], ZPO, 2. Aufl., § 432 Rn. 2; dagegen zB [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 432 Rn. 2; [X.] in Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 432 Rn. 2). Denn dass ein materiell-rechtlicher Vorlegungsanspruch "gegen die Behörde" besteht, wie es nach § 432 Abs. 3 ZPO erforderlich ist (Förster aaO; [X.] aaO), ist nicht auszumachen, und zudem hat der Kläger eine Verpflichtung zur Vorlegung nicht auf § 422 ZPO gestützt.

cc) Somit bestehen grundsätzlich keine Hindernisse für eine Aktenbeiziehung nach § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO; der vorstehend unter Buchstaben aa beschriebene Anwendungsbereich dieser Vorschriften ist eröffnet. Dass die Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO im Verhältnis zur [X.] nicht vorliegen, ist ohne Belang.

Die demgegenüber vom Berufungsgericht - und soweit ersichtlich von niemandem sonst - vertretene Auffassung, die Vorschriften der §§ 422 f ZPO würden umgangen, wenn die Staatsanwaltschaft unabhängig von den Voraussetzungen dieser Bestimmungen zur Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen durch das Zivilgericht aufgefordert werden könnte, weswegen die beantragte Anforderung des "[X.]" abzulehnen sei, findet im Prozessrecht keine Stütze. Die Beschränkung der Vorlagepflicht der nicht beweisbelasteten [X.] auf die Fälle der §§ 422 f ZPO ist Folge der Beweisführungslast ihres Gegners. Wäre die diese Last nicht tragende [X.] gezwungen, ohne die besonderen Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO in ihrem Besitz befindliche Urkunden vorzulegen, würde die Beweisführungslast zu ihrem Nachteil verkehrt, denn es besteht der Grundsatz, dass keine [X.] gehalten ist, dem beweis(führungs)belasteten Gegner für seinen [X.] das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (vgl. [X.], Urteile vom 11. Juni 1990 - [X.], [X.], 1254, 1255 und vom 17. Oktober 1996 - [X.], NJW 1997, 128, 129; siehe [X.] in [X.], 6. Aufl., § 422 Rn. 1). Diese Erwägung trifft jedoch nicht zu im Verhältnis zu [X.], die sich im Besitz einer Urkunde befinden. Maßgeblich für die Vorlagepflicht Dritter gemäß § 429 Satz 1 Halbsatz 1, § 432 Abs. 3 ZPO ist deshalb allein, ob die beweisführungsbelastete [X.] im Verhältnis zu ihnen einen Vorlegungsanspruch hat. Ob die Gegenpartei in Ermangelung der Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO nicht zur Vorlage einer Urkunde verpflichtet ist, ist demgegenüber in Bezug auf Dritte nicht von Bedeutung.

c) Die (einschränkungslose) Ablehnung des Beweisantrags ([X.]) erweist sich auch nicht als richtig, weil ihm mangels durchgreifenden rechtlichen Interesses des [X.] keine Folge zu leisten wäre.

Da der Kläger vor Gericht zivilrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend macht, hat er grundsätzlich ein rechtliches Interesse an der Erlangung der mit der Aktenbeiziehung hierfür verfolgten Informationen (vgl. [X.], [X.], 437). Dem Grundrecht der [X.] und ihres [X.] auf informationelle Selbstbestimmung kann im konkreten Fall etwa dadurch Rechnung getragen werden, dass die Einsichtnahme des [X.] in den [X.] nach Maßgabe der obigen Ausführungen zu Buchstaben [X.] auf (etwaige) zwischen dem 15. November 2014 und dem 31. Mai 2015 vorgenommene Einzahlungen auf die im Beweisantrag ([X.]) genannten Konten beschränkt und die Ermittlungsakte nur in diesem Umfang im vorliegenden Zivilverfahren verwertet wird.

Das rechtliche Interesse des [X.] kann nicht damit in Abrede gestellt werden, dass bloße Ausforschung betrieben würde beziehungsweise eine von vornherein aussichtslose Klage vorläge (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juli 2015 - [X.] 55/14, NJW 2015, 3648 Rn. 32). Denn das Berufungsgericht hat es bereits nach dem seinerzeitigen Sach- und Streitstand schon "für nicht unwahrscheinlich" gehalten, "dass die Beklagte in der [X.] vom 15.11.2014 bis 19.04.2015 mehr Barabhebungen vom Postbankkonto des [X.] vorgenommen hat, als sie im Zivilverfahren zugibt".

d) Das Berufungsurteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei einer Beweisaufnahme entsprechend den gesetzlichen Regeln des [X.] eine dem Kläger günstigere Entscheidung getroffen hätte (vgl. [X.], [[X.] vom 9. Juli 1993 - 2 BvR 859/92, juris Rn. 29). Denn wenn ein zeitlicher und größenordnungsmäßiger Zusammenhang zwischen den vom Postbankkonto des [X.] erfolgten Barabhebungen und Einzahlungen auf Konten der [X.] oder deren [X.] besteht, kann dies ein Indiz für die unrechtmäßige Abhebung und Verwendung der entsprechenden Beträge durch die Beklagte darstellen. Das gilt auch bezüglich der Frage, ob die vom Kläger geltend gemachte Forderung (auch) auf deliktische, Vorsatz voraussetzende Anspruchsgrundlagen gestützt werden kann - und [X.] auszusprechen ist, dass jene auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 [X.] beruht.

Unbeachtlich ist indessen, dass die Staatsanwaltschaft [X.] die betreffenden Unterlagen nicht für ausreichend gehalten hat, um den hinreichenden Tatverdacht gegen die Beklagte zu begründen, und dass das dortige Amtsgericht in seinem abschlägigen Beschluss betreffend die Gewährung der Einsicht in den "[X.]" durch den Kläger ausgeführt hat, die erteilten [X.] der Sparkasse der [X.] seien so rudimentär, dass sich keine weiteren Erkenntnisse erzielen ließen. Ob die in dem Sonderband enthaltenen Unterlagen ergiebig für das Beweisthema sind, unterliegt der eigenständigen Würdigung durch das Zivilgericht.

2. Das angefochtene Urteil kann daher nicht aufrechterhalten werden. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, muss sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). In dem neuen Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht eine umfassende neue Beweiswürdigung vorzunehmen haben. Dabei besteht auch Gelegenheit, sich mit den weiteren [X.] der Revision zu befassen, auf die einzugehen der Senat zum derzeitigen Verfahrensstand keine Veranlassung hat.

[X.]     

      

Reiter     

      

Kessen

      

Herr     

      

Liepin     

      

Meta

III ZR 104/21

16.03.2023

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Nürnberg, 9. Juli 2021, Az: 15 U 2897/19

§ 422 ZPO, § 423 ZPO, § 429 S 1 Halbs 1 ZPO, § 432 Abs 1 ZPO, § 432 Abs 3 ZPO, § 474 Abs 1 StPO, § 479 Abs 4 S 2 StPO, § 479 Abs 4 S 3 StPO, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.03.2023, Az. III ZR 104/21 (REWIS RS 2023, 1840)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1840 NJW 2023, 1734 REWIS RS 2023, 1840

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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