Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2012, Az. X ZB 6/11

10. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 907

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Gegenstand

Einspruchsverfahren gegen ein deutsches Patent: Rechtsbeschwerdegrund der Verletzung rechtlichen Gehörs in der Beschwerdeinstanz - Sorbitol


Leitsatz

Sorbitol

Selbst wenn der Schwerpunkt der Verhandlung im Einspruchsverfahren auf einem bestimmten Widerrufsgrund gelegen hat, weil das Patentgericht zunächst einem Widerruf des Streitpatents aus diesem Grund zuneigte, darf der Patentinhaber nicht annehmen, allein dieser Widerrufsgrund sei entscheidungserheblich.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15. Senats ([X.]) des [X.] vom 14. März 2011 wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des [X.] 336 ([X.]), das ein Verfahren zur Herstellung von sprühgetrocknetem Sorbitol und Trocknung der [X.] auf einem nachgeschalteten Fließbett und sprühgetrockneten Sorbitol betrifft. Das Streitpatent umfasst neun Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Herstellung von sprühgetrocknetem Sorbitol durch Versprühen einer 65 bis 75%igen Sorbitollösung mittels eines Rotationszerstäubers in einem Sprühturm im Gleichstrom mit feinverteiltem [X.] unter Zuführung von Warmluft und einem nachgeschalteten Fließbett zur weiteren Trocknung der [X.], dadurch gekennzeichnet, dass die Sorbitollösung vor der Zuführung zu dem Zerstäuber auf eine Viskosität von 8 bis 50 mPa·s eingestellt wird, der Zerstäuber mit einer Drehzahl von 5000 bis 15000 U/[X.] betrieben wird, [X.] in einer Menge von 3 bis 4 kg/kg Endprodukt zugeführt wird und am Sprühturmaustritt die Temperatur der Abluft kontinuierlich gemessen und über eine Regelstrecke die Temperatur der zugeführten Warmluft in einem Bereich von 105 bis 150ºC verändert wird, derart, dass die [X.] auf einem konstanten Wert von 55 bis 57ºC gehalten wird, wobei Warmluft in einer Menge von 14 bis 22 m³ im Normzustand/kg Endprodukt zugeführt wird, und anschließend am Sprühturmaustritt anfallender Sorbitol direkt dem nachgeschalteten Fließbett zugeführt, mittels Warmluft mit einer Temperatur von 85 bis 90ºC getrocknet und abschließend mit entfeuchteter Kaltluft auf eine Temperatur von 20 bis 40 ºC abgekühlt wird."

2

Die Einsprechende hat geltend gemacht, dem [X.] fehle es an der erforderlichen Neuheit und erfinderischen Tätigkeit. Sie hat sich hierzu auf zahlreiche Entgegenhaltungen gestützt. Darüber hinaus hat sie mangelnde [X.] und Ausführbarkeit der patentgemäßen Lehre geltend gemacht.

3

Das Patentgericht hat das Streitpatent widerrufen.

4

Mit der nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde rügt die Patentinhaberin, der angefochtene Beschluss beruhe auf einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.

5

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, da mit ihr der [X.] der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 100 Abs. 3 Nr. 3 [X.]) geltend gemacht wird, und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt in der Sache ohne Erfolg, da der geltend gemachte [X.] nicht vorliegt.

6

1. Das Patentgericht hat ausgeführt, die Lehren des [X.] könnten nachgearbeitet werden und seien damit ausführbar. Der in Patentanspruch 8 geschützte Sorbitol sowie das Herstellungsverfahren gemäß Patentanspruch 1 beruhten mit Blick auf die [X.] [X.] 32 45 170 sowie die [X.] 252 003 und 277 176 jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

7

2. Die Rechtsbeschwerde sieht durch den Widerruf des Patents den Anspruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör verletzt. Der Widerruf des [X.] aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit stehe im Widerspruch zu der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Patentgerichts. Dieses habe der Meinung zugeneigt, das beanspruchte Verfahren sei aufgrund mangelnder [X.] nicht ausführbar. Aufgrund dieses Hinweises habe sich der gesamte Vortrag der Verfahrensbeteiligten auf Fragen zur [X.] und Ausführbarkeit konzentriert. Das Patentgericht habe diesen Schwerpunkt durch entsprechende Nachfragen bestätigt. Für die Beteiligten sei insgesamt der Eindruck entstanden, allein die Ausführbarkeit sei entscheidungserheblich. Vertiefte Ausführungen zur Patentfähigkeit seien daher nicht geboten gewesen. Aus diesem Grund habe die Patentinhaberin davon abgesehen, ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit vorzutragen und vorbereitete Hilfsanträge zu stellen. Von der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsauffassung sei das Patentgericht in seinem Beschluss überraschend abgewichen. Darin werde die Frage der Ausführbarkeit nur am Rande behandelt, während der Widerruf des [X.] auf mangelnde erfinderische Tätigkeit gestützt werde. Das Patentgericht habe folglich einen Umstand als entscheidungserheblich angesehen, zu dem sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung nicht hätten äußern können; deshalb sei vor der Entscheidung ein richterlicher Hinweis erforderlich gewesen. Die Änderung der Auffassung des Patentgerichts sei offenbar erst durch Zusendung der Entscheidung "[X.]" des [X.] veranlasst worden. Diese Entscheidung habe der Verfahrensbevollmächtigte der Patentinhaberin im Nachgang zur mündlichen Verhandlung dem Vorsitzenden des [X.] persönlich übersandt. Der angefochtene Beschluss beruhe auch auf dem geschilderten Gehörsverstoß, da die Patentinhaberin bei Erteilung des gebotenen Hinweises ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit vorgetragen und vorbereitete Hilfsanträge gestellt hätte.

8

3. Die Rüge ist unbegründet.

9

a) Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 [X.] trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht seine Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen. Das Gericht ist verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen. Es darf ferner keine Erkenntnisse verwerten, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten nicht äußern konnten (st. Rspr., [X.], Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91, [X.]E 86, 133; Beschluss vom 10. Februar 1995 - 2 BvR 893/93, NJW 1995, 2095; Beschlüsse vom 2. Mai 1995 - 1 BvR 2174/94, 1 BvR 2220/94, NJW 1995, 2095, 2096; [X.], Beschluss vom 27. Juni 2007 - [X.], [X.]Z 173, 47 - [X.]; Beschluss vom 27. Februar 2008 - [X.], [X.], 456 - Installiereinrichtung; Beschluss vom 22. September 2009 - [X.], [X.], 87 - Schwingungsdämpfer; Beschluss vom 15. April 2010 - [X.], [X.], 950 - [X.]; Beschluss vom 12. April 2011 - [X.], [X.], 656 - Modularer Fernseher; Beschluss vom 16. Juni 2011 - [X.], [X.], 851 - Werkstück).

Das Gericht muss aber den Parteien nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird. Es reicht in der Regel aus, wenn die Sach- und Rechtslage erörtert und den Beteiligten dadurch aufgezeigt wird, welche Gesichtspunkte für die Entscheidung voraussichtlich von Bedeutung sein werden ([X.], Beschluss vom 16. September 2008 - [X.], [X.], 21 - Antennenhalter; [X.], aaO - [X.]). Eine Gehörsverletzung kann jedoch vorliegen, wenn die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der von ihnen zu erwartenden Sorgfalt nicht erkennen konnten, auf welches Vorbringen es für die Entscheidung des Gerichts ankommen kann und wird ([X.], Beschluss vom 8. September 2009 - [X.], [X.], 1192 - Polyolefinfolie mwN).

b) Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht zu erkennen.

In dem Einspruchsverfahren vor dem Patentgericht haben beide Beteiligte schriftsätzlich ausführlich sowohl zum [X.] der mangelnden Ausführbarkeit als auch zum [X.] der mangelnden Patentfähigkeit Stellung genommen, und zwar sowohl in der Einspruchsbegründung und der Einspruchserwiderung als auch in den kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätzen vom 17. Februar und 2. März 2011. In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende - wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt - den wesentlichen Inhalt der Akten und damit auch den jeweiligen Beteiligtenvortrag referiert. Im [X.] daran wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Danach waren beide Widerrufsgründe Gegenstand der Verhandlung; auch die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Abrede, dass der [X.] der mangelnden Patentfähigkeit angesprochen wurde.

Selbst wenn der Schwerpunkt der Verhandlung auf der Frage der Ausführbarkeit gelegen hat, weil das Patentgericht möglicherweise zunächst einem Widerruf des [X.] wegen mangelnder Ausführbarkeit zuneigte, durfte die Patentinhaberin entgegen der Rechtsbeschwerde nicht annehmen, allein die Ausführbarkeit sei entscheidungserheblich. Denn allein entscheidungserheblich konnte die Ausführbarkeit der Erfindung nur dann sein, wenn das Patentgericht das Streitpatent aus diesem Grund widerrief. Solange die Patentinhaberin der vom Patentgericht hierzu vorläufig geäußerten Auffassung entgegentrat und keinen - von der Rechtsbeschwerde auch nicht aufgezeigten - Anlass zu der Annahme hatte, mit ihren Argumenten keinesfalls durchzudringen, musste sie damit rechnen, dass sich das Patentgericht auch der Frage der Patentfähigkeit zuwenden würde.

Insoweit zeigt die Rechtsbeschwerde jedoch gleichfalls keine Umstände auf, aufgrund deren die Patentinhaberin hätte davon ausgehen dürfen, es bedürfe desjenigen Vortrags nicht, den sie nach dem [X.] ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit gehalten hätte. Dies wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn entweder das Patentgericht zu erkennen gegeben hätte, der Gegenstand des [X.] sei nach seiner Auffassung ohne Zweifel patentfähig oder wenn das Patentgericht die mangelnde Patentfähigkeit in dem angefochtenen Beschluss mit Erwägungen begründet hätte, mit denen die Patentinhaberin auch bei sorgfältiger Verfahrensführung und Auseinandersetzung mit den Argumenten der Einsprechenden nicht rechnen musste. Weder für das eine noch für das andere ist von der Rechtsbeschwerde etwas dargetan. Die Patentinhaberin war deshalb gehalten, alle Gesichtspunkte von sich aus in Betracht zu ziehen, die die Patentfähigkeit gegebenenfalls zusätzlich stützen konnten, ihren Vortrag auf eine mögliche Berücksichtigung des weiteren [X.]s auszurichten und mittels der nach dem [X.] vorbereiteten Hilfsanträge das Streitpatent auch beschränkt zu verteidigen (vgl. [X.] NJW 1998, 2515, 2523; [X.], Beschluss vom 8. Mai 2007 - [X.], [X.], 2117). Wenn die Patentinhaberin grundsätzlich eine (hilfsweise) beschränkte Verteidigung des [X.] erwog, gebot es ohnehin eine sorgfältige Verfahrensführung, geänderte Haupt- oder Hilfsanträge rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung einzureichen, um dem Gericht und der Gegnerin eine Einarbeitung zu ermöglichen und eine Vertagung zu vermeiden. Hierzu war sie mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht ausdrücklich aufgefordert worden.

Die Vermutung der Rechtsbeschwerde, das Patentgericht habe die verkündete Entscheidung nachträglich mit mangelnder Patentfähigkeit begründet, nachdem der Verfahrensbevollmächtigte der Patentinhaberin den Vorsitzenden des [X.] nach der mündlichen Verhandlung auf die Entscheidung "[X.]" ([X.], Urteil vom 13. Juli 2010 - [X.], [X.], 916) hingewiesen habe, die ihm, dem Verfahrensbevollmächtigten, bei der Einspruchsverhandlung noch nicht bekannt gewesen sei, ist unerheblich und im Übrigen ohne jeden tatsächlichen Anhalt. Es ist weder ersichtlich, warum die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits seit mehreren Monaten veröffentlichte Entscheidung des [X.] dem Patentgericht unbekannt gewesen sein sollte, noch warum das Patentgericht erst in Kenntnis dieser Entscheidung die Verteidigung der Erfindung als ausführbar offenbart als zutreffend zu erkennen in der Lage gewesen sein sollte.

III. [X.] beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.].

IV. Eine mündliche Verhandlung hat der [X.] nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 [X.]).

Meier-Beck                           Gröning                         Grabinski

                     Hoffmann                        Schuster

Meta

X ZB 6/11

28.11.2012

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BPatG München, 14. März 2011, Az: 15 W (pat) 341/06, Beschluss

§ 100 Abs 3 Nr 3 PatG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2012, Az. X ZB 6/11 (REWIS RS 2012, 907)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 907

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