Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.11.2012, Az. X ZB 6/11

X. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 928

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X [X.]
vom
28. November 2012
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend das [X.] Patent 102
49
336
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

Sorbitol
[X.] § 100 Abs. 3 Nr. 3
Selbst wenn der Schwerpunkt der Verhandlung im Einspruchsverfahren auf ei-nem bestimmten [X.] gelegen hat, weil das Patentgericht zunächst einem Widerruf des Streitpatents aus diesem Grund zuneigte, darf der [X.] nicht annehmen, allein dieser [X.] sei entscheidungserheb-lich.
[X.], Beschluss vom 28. November 2012 -
X [X.] -
[X.]

-
2
-

Der X.
Zivilsenat des [X.] hat am 28. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Meier-Beck, die Richter [X.], Dr.
Grabinski
und Hoffmann sowie die Richterin Schuster
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15.
[X.]s ([X.]) des [X.] vom 14.
März 2011 wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewie-sen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 50.000

festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des [X.]n Patents 102
49
336 (Streitpatents), das ein Verfahren zur Herstellung von sprühge-trocknetem Sorbitol und Trocknung der [X.] auf einem nachgeschal-teten Fließbett und sprühgetrockneten Sorbitol betrifft. Das Streitpatent umfasst neun Patentansprüche. Patentanspruch
1 lautet:
"Verfahren zur Herstellung von sprühgetrocknetem Sorbitol durch Versprühen einer 65 bis 75%igen Sorbitollösung mittels eines Ro-tationszerstäubers in einem Sprühturm im Gleichstrom mit feinver-teiltem Sorbitol-[X.] unter Zuführung von Warmluft und einem nachgeschalteten Fließbett zur weiteren Trocknung der [X.], dadurch gekennzeichnet, dass die Sorbitollösung vor der Zuführung zu dem Zerstäuber auf eine Viskosität von 8 bis 50 [X.] eingestellt wird, der Zerstäuber mit einer Drehzahl von 1
-
3
-

5000 bis 15000 U/[X.] betrieben wird, [X.] in einer Menge von 3 bis 4 kg/kg Endprodukt zugeführt wird und am [X.] die Temperatur der Abluft kontinuierlich [X.] und über eine Regelstrecke die Temperatur der zugeführten Warmluft in einem Bereich von 105 bis 150ºC verändert wird, der-art, dass die [X.] auf einem konstanten Wert von 55 bis 57ºC gehalten wird, wobei Warmluft in einer Menge von 14 bis 22
m³ im Normzustand/kg Endprodukt zugeführt wird, und an-schließend am [X.] anfallender Sorbitol direkt dem nachgeschalteten Fließbett zugeführt, mittels Warmluft mit einer Temperatur von 85 bis 90ºC getrocknet und abschließend mit ent-feuchteter Kaltluft auf eine Temperatur von 20 bis 40 ºC abgekühlt wird."
Die Einsprechende hat geltend gemacht, dem [X.] fehle es an der erforderlichen Neuheit und erfinderischen Tätigkeit. Sie hat sich hierzu auf zahlreiche Entgegenhaltungen gestützt. Darüber hinaus hat sie mangelnde [X.] und Ausführbarkeit der patentgemäßen Lehre geltend gemacht.
Das Patentgericht hat das Streitpatent widerrufen.
Mit der nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde rügt die Patentinhaberin, der angefochtene Beschluss beruhe auf einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, da mit ihr der [X.] der Verletzung rechtlichen Gehörs (§
100 Abs.
3 Nr.
3 [X.]) geltend gemacht wird, und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt in der Sache ohne Erfolg, da der geltend gemachte [X.] nicht vorliegt.
1.
Das Patentgericht hat ausgeführt, die Lehren des Streitpatents könn-ten nachgearbeitet werden und seien damit ausführbar. Der in Patentan-spruch
8 geschützte Sorbitol sowie das Herstellungsverfahren gemäß Pa-tentanspruch
1 beruhten mit Blick auf die [X.] [X.] 2
3
4
5
6
-
4
-

32
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170
sowie die DDR-Wirtschaftspatente
252 003 und 277 176 jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
2.
Die Rechtsbeschwerde sieht durch den Widerruf des Patents den Anspruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör verletzt. Der Widerruf des Streitpatents aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit stehe im [X.] zu der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des [X.]s. Dieses
habe der Meinung zugeneigt, das beanspruchte Verfahren sei aufgrund mangelnder [X.] nicht ausführbar. Aufgrund dieses [X.] habe sich der gesamte Vortrag der Verfahrensbeteiligten auf Fragen zur [X.] und Ausführbarkeit konzentriert. Das Patentgericht
habe diesen Schwerpunkt durch entsprechende Nachfragen bestätigt. Für die Beteiligten sei insgesamt der Eindruck entstanden, allein die Ausführbarkeit
sei entschei-dungserheblich. Vertiefte Ausführungen zur Patentfähigkeit seien daher nicht geboten gewesen. Aus diesem Grund habe die Patentinhaberin davon abgese-hen, ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit vorzutragen und vorbereitete [X.] zu stellen. Von der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechts-auffassung sei das Patentgericht in seinem Beschluss überraschend abgewi-chen. Darin werde die Frage der Ausführbarkeit nur am Rande behandelt, wäh-rend der Widerruf des Streitpatents auf mangelnde erfinderische Tätigkeit ge-stützt werde. Das Patentgericht habe folglich einen Umstand als entschei-dungserheblich angesehen, zu dem sich die Parteien in der [X.] nicht hätten äußern können; deshalb sei vor der Entscheidung ein richterlicher Hinweis erforderlich gewesen. Die Änderung der Auffassung des Patentgerichts sei offenbar erst durch Zusendung der Entscheidung "[X.]" des [X.] veranlasst worden. Diese Entscheidung [X.] der Patentinhaberin im Nachgang zur münd-lichen Verhandlung dem
Vorsitzenden des [X.] persönlich übersandt. Der angefochtene Beschluss beruhe auch auf dem ge-7
-
5
-

schilderten Gehörsverstoß, da die Patentinhaberin bei Erteilung des gebotenen Hinweises ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit vorgetragen und vorbereitete
Hilfsanträge gestellt hätte.
3.
Die Rüge ist unbegründet.
a)
Der Rechtsbeschwerdegrund des §
100 Abs.
3 Nr.
3 [X.] trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in
dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht seine Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen. Das Gericht ist verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der [X.] zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfah-rensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen. Es darf ferner keine [X.] verwerten, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten nicht äußern konnten (st. Rspr., [X.],
Beschluss vom 19.
Mai
1992
1
BvR
986/91, [X.]E
86, 133; Beschluss vom 10.
Februar
1995
2
BvR
893/93, NJW 1995, 2095; Beschlüsse vom 2.
Mai
1995
1
BvR
2174/94, 1
BvR
2220/94, NJW 1995, 2095, 2096; [X.], Beschluss vom 27.
Juni
2007
X
ZB
6/05, [X.]Z 173, 47
Informationsübermittlungsverfahren
II; Beschluss vom 27.
Februar
2008

X
ZB
10/07, [X.], 456
[X.]; Beschluss vom 22.
September 2009
Xa
ZB
36/08, [X.], 87
Schwingungsdämpfer; Beschluss vom 15.
April
2010
Xa
ZB
10/09, [X.], 950
Walzenform-gebungsmaschine; Beschluss vom 12.
April
2011
X
ZB
1/10, [X.], 656

Modularer Fernseher; Beschluss vom 16.
Juni
2011 -
X
ZB
3/10, [X.], 851
Werkstück).
8
9
-
6
-

Das Gericht muss aber den Parteien nicht mitteilen, wie es den die Grundlage seiner Entscheidung bildenden Sachverhalt voraussichtlich würdigen wird. Es reicht in der Regel aus, wenn die Sach-
und Rechtslage erörtert und den Beteiligten dadurch aufgezeigt wird, welche Gesichtspunkte für die Ent-scheidung voraussichtlich von Bedeutung sein
werden ([X.], Beschluss vom 16.
September 2008

X
ZB 29/07, [X.], 21

Antennenhalter; [X.],
aaO -
Walzenformgebungsmaschine). Eine Gehörsverletzung kann jedoch [X.], wenn die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der von ihnen zu erwar-tenden Sorgfalt nicht erkennen konnten, auf welches Vorbringen es für die Ent-scheidung des Gerichts ankommen kann und wird ([X.], Beschluss vom 8.
September 2009

[X.], [X.], 1192

Polyolefinfolie mwN).
b)
Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht zu erkennen.
In dem Einspruchsverfahren vor dem Patentgericht haben beide Beteilig-te schriftsätzlich ausführlich sowohl zum [X.] der mangelnden Aus-führbarkeit als auch zum [X.] der mangelnden Patentfähigkeit
Stel-lung genommen, und zwar sowohl in der Einspruchsbegründung und der Ein-spruchserwiderung als auch in den kurz vor der mündlichen Verhandlung einge-reichten Schriftsätzen vom 17. Februar und 2. März 2011. In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende
-
wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt

den wesentlichen Inhalt der Akten und damit auch den jeweiligen [X.] referiert. Im [X.] daran wurde die Sach-
und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Danach waren beide Widerrufsgründe Gegenstand der Verhandlung; auch die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Abrede, dass der [X.] der mangelnden Patentfähigkeit angesprochen wurde.
Selbst wenn der Schwerpunkt der Verhandlung auf der Frage der Aus-führbarkeit gelegen hat, weil das Patentgericht möglicherweise zunächst einem 10
11
12
13
-
7
-

Widerruf des Streitpatents wegen
mangelnder Ausführbarkeit zuneigte, durfte die Patentinhaberin entgegen der Rechtsbeschwerde nicht annehmen, allein die Ausführbarkeit sei entscheidungserheblich. Denn allein entscheidungser-heblich konnte die Ausführbarkeit der Erfindung nur dann sein, wenn das [X.] aus diesem Grund widerrief. Solange die Patentin-haberin der vom Patentgericht hierzu vorläufig geäußerten
Auffassung entge-gentrat und keinen

von der Rechtsbeschwerde auch nicht aufgezeigten

[X.] zu der Annahme hatte, mit ihren Argumenten keinesfalls durchzudringen, musste sie damit rechnen, dass sich das Patentgericht auch der Frage der [X.] zuwenden würde.
Insoweit zeigt die Rechtsbeschwerde jedoch gleichfalls keine Umstände auf, aufgrund deren die Patentinhaberin hätte davon ausgehen
dürfen, es [X.] desjenigen Vortrags nicht, den sie nach dem Rechtsbeschwerdevorbrin-gen ergänzend zur erfinderischen Tätigkeit gehalten hätte. Dies wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn entweder das Patentgericht zu erkennen gegeben hätte, der Gegenstand des Streitpatents sei nach seiner Auffassung ohne Zwei-fel patentfähig
oder wenn das Patentgericht die mangelnde Patentfähigkeit in dem
angefochtenen Beschluss mit Erwägungen begründet hätte, mit denen die Patentinhaberin auch bei sorgfältiger Verfahrensführung und [X.] mit den Argumenten der Einsprechenden nicht rechnen musste. Weder für das eine noch für das andere ist von
der Rechtsbeschwerde etwas dargetan. Die Patentinhaberin war deshalb gehalten, alle Gesichtspunkte von sich aus in Betracht zu ziehen, die die Patentfähigkeit gegebenenfalls zusätzlich stützen konnten, ihren Vortrag auf eine mögliche Berücksichtigung des weiteren Wider-rufsgrunds auszurichten und mittels der nach dem Rechtsbeschwerdevorbrin-gen vorbereiteten Hilfsanträge das Streitpatent auch beschränkt zu verteidigen (vgl. [X.] NJW 1998, 2515, 2523; [X.], Beschluss vom 8.
Mai 2007

VIII
ZR 235/06, [X.], 2117). Wenn die Patentinhaberin grundsätzlich 14
-
8
-

eine (hilfsweise) beschränkte Verteidigung des Streitpatents erwog, gebot es ohnehin eine sorgfältige Verfahrensführung, geänderte Haupt-
oder Hilfsanträge rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung einzureichen, um dem Gericht und der Gegnerin eine Einarbeitung zu ermöglichen und eine Vertagung zu vermei-den. Hierzu war sie mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ausdrücklich aufgefordert worden.
Die Vermutung
der Rechtsbeschwerde,
das Patentgericht habe die [X.] Entscheidung nachträglich mit mangelnder Patentfähigkeit begründet, nachdem der Verfahrensbevollmächtigte der Patentinhaberin den
Vorsitzenden des [X.] nach der mündlichen Verhandlung auf die Entscheidung "Klammernahtgerät"
([X.], Urteil vom 13.
Juli 2010

Xa
ZR
126/07, [X.], 916)
hingewiesen habe, die ihm, dem [X.], bei der Einspruchsverhandlung noch nicht bekannt ge-wesen sei, ist unerheblich
und im Übrigen ohne jeden
tatsächlichen Anhalt. Es ist weder ersichtlich, warum die
zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits seit mehreren Monaten veröffentlichte Entscheidung des [X.] dem Patentgericht unbekannt gewesen sein sollte, noch warum das Patentgericht erst in Kenntnis dieser Entscheidung die Verteidigung der Erfin-dung als ausführbar offenbart als zutreffend zu erkennen in der Lage gewesen sein sollte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
109 Abs. 1 Satz 2 [X.].
15
16
-
9
-

IV.
Eine mündliche Verhandlung hat der [X.] nicht für erforderlich ge-halten (§
107 Abs. 1 Halbsatz 2 [X.]).
Meier-Beck
[X.]
Grabinski

Hoffmann
Schuster
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 14.03.2011 -
15 W(pat) 341/06 -

17

Meta

X ZB 6/11

28.11.2012

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.11.2012, Az. X ZB 6/11 (REWIS RS 2012, 928)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 928

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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X ZB 6/11

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