Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.06.2011, Az. B 5 R 14/11 BH

5. Senat | REWIS RS 2011, 5343

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Klärungsbedürftigkeit - Fälligkeit laufender Rentengeldleistungen - Prozesskostenhilfeantrag - Verfassungsmäßigkeit


Tenor

Der Antrag des [X.], ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 31. März 2011 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

1

Mit Urteil vom [X.] hat das [X.] [X.] Ansprüche des [X.] auf höhere Regelaltersrente wegen Neubewertung von Ausbildungszeiten und auf vorschüssige Rentenzahlung verneint.

2

Für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.

3

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil die Nichtzulassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1, § 121 Abs 1 ZPO). Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] im Hinblick auf die Neubewertung von Ausbildungszeiten erfolgreich zu begründen. Soweit der Kläger die vorschüssige Rentenzahlung geltend macht, ist ihm Prozesskostenhilfe zu versagen, weil er letztlich nicht erreichen kann, was er mit dem Prozess erreichen möchte. Denn die Prozesskostenhilfe hat nicht den Zweck, Bedürftigen die Durchführung solcher Verfahren zu ermöglichen, die im Ergebnis nicht zu ihrem Vorteil ausgehen können und die daher ein vernünftiger Rechtsuchender nicht auf eigene Kosten führen würde (vgl [X.]-1500 § 73a [X.] Rd[X.]).

4

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

        

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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 [X.] SGG),

        

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das Urteil von einer Entscheidung des [X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ([X.]) oder des [X.] ([X.]) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO [X.]) oder

        

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ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO [X.]).

5

1. Im Hinblick auf die erstrebte Neubewertung von Ausbildungszeiten ist keine Rechtsfrage erkennbar, die grundsätzliche Bedeutung haben könnte. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 [X.] SGG hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (zum Ganzen vgl [X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.]4 S 70). Dasselbe gilt, wenn ein oberstes [X.] oder das [X.] die Rechtsfrage zwar noch nicht ausdrücklich beantwortet haben, eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen aber bereits ausreichende Anhaltspunkte enthalten, um die Rechtsfrage zu beurteilen (vgl [X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.]; [X.], [X.], 2010, Rd[X.]14). Dies ist hier der Fall.

6

Denn mit Urteilen vom 13.11.2008 ([X.] R 43/07 R und [X.] R 77/07 R - jeweils Juris unter Bezugnahme auf [X.] Beschluss vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - [X.]E 117, 272 = [X.]-2600 § 58 [X.]) und vom [X.] ([X.] KN 1/07 R - [X.]-2600 § 72 [X.] Rd[X.]1) hat das [X.] § 58 Abs 1 Satz 1 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz - [X.]) vom 25.9.1996 ([X.] 1461) für verfassungsgemäß erachtet. Nach dieser Bestimmung wurden schulische Ausbildungszeiten nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu einer Höchstdauer von drei Jahren rentenerhöhend berücksichtigt. Hieran änderte sich bis zum 1.6.2004 - als die Regelaltersrente des [X.] begann - nichts Wesentliches: Zwar hob das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom [X.] ([X.] 403) die Höchstdauer berücksichtigungsfähiger Ausbildungszeiten ab dem 1.1.2002 auf acht Jahre an. Nach dem zeitgleich eingefügten § 74 Satz 3 [X.] (seit dem [X.]: Satz 4 gemäß FSJ-Förderungsänderungsgesetz vom [X.], [X.] 1667) wurden die Zeiten schulischer Ausbildung aber nur für höchstens drei Jahre "bewertet", dh nach wie vor wirkten nur höchstens drei Jahre schulischer Ausbildungszeit unmittelbar rentenerhöhend. Bei identischer Rechtslage ist die vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung ohne Weiteres auf die vorliegende Problematik übertragbar.

7

2. Bislang ist höchstrichterlich (noch) nicht entschieden, ob § 118 Abs 1 Satz 1 [X.] in der Neufassung (nF) von Art 1 [X.] 4b des Dritten Gesetzes zur Änderung des [X.] vom 27.12.2003 ([X.] 3019) mit Art 14 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG vereinbar ist, soweit er - in Abkehr von der bisherigen Regelung - ab dem 1.4.2004 die Fälligkeit laufender Geldleistungen auf das Ende des Monats verschiebt, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind und die nachschüssige Rentenauszahlung vorschreibt. Gleichwohl ist zur Klärung dieser Rechtsfrage keine Prozesskostenhilfe zu gewähren. Denn es liegt auf der Hand, dass die angegriffene Neuregelung verfassungskonform ist. Ein Verstoß gegen Art 14 Abs 1 Satz 1 GG scheidet aus, weil schon der Schutzbereich der Eigentumsgarantie die bloße Erwartung des [X.], seine Regelaltersrente werde vorschüssig gezahlt, nicht erfasst (vgl dazu [X.]E 97, 67, 77).

8

§ 118 Abs 1 Satz 1 [X.] nF ist auch mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar. Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er Rechtsnormen ausgestaltet und dabei eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (stRspr vgl [X.] [X.] 3-1100 Art 3 [X.]76 S 173; Senatsurteil vom 3.7.2002 - [X.] RJ 22/01 R - [X.] 3-5050 § 22b [X.] S 30). Der Kläger (und die von ihm repräsentierte Ausgangsgruppe der Neurentner) wird aufgrund der Neufassung des § 118 Abs 1 Satz 1 [X.] anders behandelt als die [X.], deren Rente vor dem 1.4.2004 begonnen hat (Vergleichsgruppe der [X.]). Im Gegensatz zur Ausgangsgruppe werden die Renten der Vergleichsgruppe - bei sonst identischem Sachverhalt - aufgrund der Übergangsbestimmung in § 272a Abs 1 Satz 1 [X.] vorschüssig gezahlt, was zu einer Besserstellung der Vergleichsgruppe führt. Diese Ungleichbehandlung aufgrund des Stichtages ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Gesetzgeber kann in den Grenzen des Willkürverbots grundsätzlich frei entscheiden, ob eine begünstigende Regelung erforderlich ist und bis wann sie gelten soll ([X.]E 53, 224, 253 f). Er muss dabei nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung wählen ([X.]E 83, 395, 401; 84, 348, 359), vielmehr genügt es, wenn sich "irgendein sachlich vertretbarer zureichender Grund anführen lässt" ([X.]E 71, 39, 58; 75, 108, 157). Eine insofern zulässige Erwägung kann dabei nicht nur im eigentlichen Zweck der betreffenden Regelung liegen, sondern beispielsweise auch in der Praktikabilität der Regelung ([X.]E 41, 126, 188; [X.] [X.] 3-4100 § 111 [X.]4 S 53) oder in finanziellen Gesichtspunkten ([X.] [X.] 3-5761 Allg [X.] S 13). [X.] sind trotz der damit verbundenen Härten zulässig ([X.]E 71, 364, 397), sofern sich die Einführung eines Stichtages am vorgegebenen Sachverhalt orientiert ([X.] [X.] 2200 § 1255a [X.] S 22).

9

Die Entscheidung des Gesetzgebers, Fälligkeit und Zahlung laufender Rentenleistungen auf das Monatsende zu verlegen, war durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Mit ihr sollten in der gesetzlichen Rentenversicherung rund 750.000.000 Euro je vollem Zugangsjahr gespart und dadurch zum Wohl aller der Beitragssatz auf 19,5 % stabilisiert werden (vgl BT-Drucks 15/1831, 1 f). Damit konnten weitere Belastungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch steigende Beitragssätze vermieden und die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden, die ihrerseits Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung sind. Zur kurzfristigen Beitragssatzstabilisierung war die Wahl des Stichtags (1.4.2004) sachgerecht und knüpfte am vorgegebenen Sachverhalt an. Dabei ist es keinesfalls willkürlich, dass die Zahlungsverzögerung nur die Gruppe der "Neurentner" trifft. Eine Beteiligung der [X.], die sich auf die regelmäßige Auszahlung der Renten im Voraus eingestellt haben, wäre nur nach entsprechender Änderung ihrer Rentenbescheide möglich gewesen, was angesichts der großen Anzahl von [X.] einen enormen verwaltungsmäßigen und finanziellen Aufwand erfordert hätte, der Umfang und kurzfristige Realisierung des Einsparvolumens zu großen Teilen in Frage gestellt hätte. Im Übrigen stellt die nachschüssige Rentenauszahlung nur eine unwesentliche Schlechterstellung der Neurentner dar, die von dem gesetzgeberischen Ziel der schnellen und nachhaltigen Beitragssatzstabilisierung deutlich überwogen wird. Denn die Neuregelung lässt die Höhe der Rente unangetastet. Die Beeinträchtigung besteht lediglich darin, dass der Neurentner - anders als die [X.] - über den Rentenbetrag erst zum Monatsende und nicht schon zum Monatsanfang verfügen kann. Dabei kann - gemeinsam mit den Verfassern des Gesetzentwurfs (BT-Drucks 15/1831, 6) - typisierend davon ausgegangen werden, dass viele Neurentner ihr Erwerbseinkommen in der Vergangenheit ebenfalls nachschüssig erhalten haben, so dass sich im ersten [X.] typischerweise keine "Deckungslücke" ergibt. Dasselbe gilt für Bezieher bestimmter Einkommensersatzleistungen wie dem Arbeitslosengeld oder der Verletztenrente, die ebenfalls erst nachträglich gezahlt werden (vgl § 337 Abs 2 [X.] und § 96 Abs 1 Satz 1 [X.]I). Ein konkreter wirtschaftlicher Nachteil durch die neue [X.] könnte allenfalls in einer Zinsbelastung für einen eventuell aufgenommenen Kredit zur Vorfinanzierung des ersten [X.]s gesehen werden oder - bei ausreichenden Eigenmitteln - in einem entsprechenden [X.], weil die Eigenmittel, statt sie Zins bringend anzulegen, verwendet werden mussten, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Angesichts eines monatlichen Rentenzahlbetrags von knapp 300 Euro bewegen sich diese möglichen Verluste für den Kläger allenfalls im unteren [X.] und damit im Bagatellbereich. Wegen derartiger geringfügiger Einbußen würde kein vernünftiger Rechtsuchender auf eigene Kosten ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führen.

3. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das [X.] tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das [X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des [X.], des [X.] oder des [X.] aufgestellt hat ([X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.]4 S 72 mwN). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

4. Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 [X.] SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein derartiger Beweisantrag, den das Berufungsgericht unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) übergangen haben könnte, ist hier nicht ersichtlich. Auch im Übrigen sind Verfahrensmängel nicht zu erkennen.

Da dem Kläger keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, hat er nach § 73a SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts.

Meta

B 5 R 14/11 BH

29.06.2011

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Hannover, 27. April 2009, Az: S 13 RA 30/05, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGB 6 vom 27.12.2003, Art 1 Nr 4 Buchst b SGB6uaÄndG 3, § 73a SGG, § 114 ZPO, §§ 114ff ZPO, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 S 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.06.2011, Az. B 5 R 14/11 BH (REWIS RS 2011, 5343)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5343

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