Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.12.2021, Az. 9 B 19/21

9. Senat | REWIS RS 2021, 134

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Fristversäumnis durch Faxversand an ein unzuständiges Gericht wegen Eingabe einer unrichtigen Faxnummer


Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 17. März 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren wird auf 325,68 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte [X.]eschwerde ist unbegründet.

2

1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt schon deshalb nicht in [X.]etracht, weil dieser Zulassungsgrund nicht in einer den [X.]egründungsanforderungen von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt ist. Soweit der Kläger die grundsätzliche [X.]edeutung darin sieht, dass das erstinstanzliche Urteil von der Rechtsprechung des [X.] zu Art. 28 GG abweiche, formuliert er schon keine für die angefochtene Entscheidung des [X.]erufungsgerichts entscheidungserhebliche konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage, die im Revisionsverfahren geklärt werden könnte.

3

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil das Urteil von einer Entscheidung des [X.] abweicht und auf dieser Abweichung beruht.

4

Eine solche Divergenz liegt nur vor, wenn das [X.]erufungsgericht sich in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der herangezogenen Entscheidung des [X.] aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat. Daran fehlt es.

5

Nach Ansicht des [X.] weicht das [X.]erufungsgericht im Hinblick auf den Maßstab der Fristenkontrolle vom [X.]eschluss des [X.] vom 9. Januar 2008 - 6 [X.] - ([X.] 310 § 60 VwGO Nr. 261 Rn. 2 f.) ab.

6

Danach ist der Anwalt gehalten, Fehlerquellen bei der [X.]ehandlung von [X.] soweit wie möglich auszuschließen. Zur Vermeidung der Fristversäumung aufgrund von Fehlern, die bei der Ermittlung und der Eingabe der zutreffenden Telefaxnummer leicht unterlaufen können, hat der Anwalt die möglichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen zu treffen. Hierzu muss er für eine [X.]üroorganisation sorgen, die eine Überprüfung der per Telefax übermittelten Schriftsätze auch auf die Verwendung einer zutreffenden [X.] gewährleistet ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 9. Januar 2008 - 6 [X.] - [X.] 310 § 60 VwGO Nr. 261 Rn. 2 f.).

7

Die Abweichung von diesem Rechtssatz stützt der Kläger darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach den Rechtssatz aufstelle, der Rechtsanwalt müsse in jedem Einzelfall eine entsprechende konkrete Anweisung gegeben haben, während nach der Entscheidung des [X.] die Schaffung einer geeigneten [X.]üroorganisation genüge. Ein solcher Rechtssatz ist der [X.]erufungsentscheidung jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr geht das [X.]erufungsgericht offenbar davon aus, dass im vorliegenden Einzelfall einer Vertretung des für die fristgerechte Versendung von Schriftsätzen per Telefax und deren Kontrolle zuständigen Assistenten die zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen einer ordnungsgemäßen [X.]üroorganisation eine konkrete Weisung erfordert hätten, mit der die Vertretung zur Kontrolle der [X.] angehalten worden wäre. Ein abstrakter Rechtssatz des [X.]erufungsgerichts, nach dem im Widerspruch zu dem vom Kläger genannten Rechtssatz des [X.] für jede Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax eine Einzelweisung erforderlich sein soll, lässt sich daraus nicht ableiten.

8

Soweit der Kläger anders als der Verwaltungsgerichtshof die Anforderungen an eine ordnungsgemäße [X.]üroorganisation als erfüllt ansieht, macht er lediglich eine fehlerhafte Anwendung eines Rechtssatzes geltend; dies kann eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht rechtfertigen (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).

9

3. Die Revision kann auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines [X.] zugelassen werden, der vorliegt und auf dem die Entscheidung beruhen kann.

a) Kein Verfahrensmangel liegt darin, dass das [X.]erufungsgericht dem Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO gewährt hat.

Dabei kann dahinstehen, ob der Verwaltungsgerichtshof verfahrensfehlerhaft davon ausgegangen ist, dass der Wiedereinsetzungsantrag bereits nach § 60 Abs. 3 VwGO unzulässig war, weil er erst später als ein Jahr seit dem Ende der versäumten [X.]erufungsbegründungsfrist gestellt wurde und die Antragstellung vor Ablauf der Jahresfrist nicht infolge höherer Gewalt unmöglich war. Insbesondere braucht nicht entschieden zu werden, ob die Wiedereinsetzung deshalb nicht ausgeschlossen war, weil die Ursache für die Versäumung der Jahresfrist in der Sphäre des Gerichts liegt ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 2. April 1992 - 5 [X.] - [X.] 310 § 60 VwGO Nr. 177 S. 50; Urteil vom 25. April 2012 - 8 C 18.11 - [X.]VerwGE 143, 50 Rn. 20), soweit es den Kläger auf die Versäumung der [X.]erufungsbegründungsfrist erst nach 15 Monaten hingewiesen hat, oder ob § 60 Abs. 3 VwGO nach seinem Sinn und Zweck mangels unangemessener Verfahrensverzögerung nicht greift. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat die Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht nur nach § 60 Abs. 3 VwGO, sondern auch nach § 60 Abs. 1 VwGO verneint. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

aa) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. [X.] ist eine Fristversäumung, wenn der [X.]eteiligte nicht die Sorgfalt hat walten lassen, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden [X.]eteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 3. Dezember 2001 - 4 [X.] 32.01 - [X.] 310 § 60 VwGO Nr. 241 S. 32 m.w.N.). Nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO steht dabei das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden des [X.]eteiligten gleich. Hingegen muss sich ein [X.]eteiligter ein Verschulden von Hilfskräften, derer sich sein Prozessbevollmächtigter bedient, nicht zurechnen lassen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 4. August 2000 - 3 [X.] 75.00 - [X.] 310 § 60 VwGO Nr. 235 S. 23). Von einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist daher dann nicht auszugehen, wenn der Prozessbevollmächtigte einfache technische Verrichtungen wie die Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax und die Auswahl der richtigen Telefaxnummer einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten [X.]ürokraft überlässt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Prozessbevollmächtigte Fehlerquellen bei der [X.]ehandlung von [X.] soweit wie möglich ausschließt. Zur Vermeidung der Fristversäumung aufgrund von Fehlern, die bei der Ermittlung und der Eingabe der zutreffenden Telefaxnummer leicht unterlaufen können, hat der Prozessbevollmächtigte die möglichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen zu treffen. Hierzu muss er durch entsprechende Anweisungen für eine [X.]üroorganisation sorgen, die eine Überprüfung der per Telefax übermittelten Schriftsätze auch auf die Verwendung einer zutreffenden [X.] gewährleistet. [X.]ei der erforderlichen Ausgangskontrolle ist in der Regel ein Sendebericht auszudrucken und auf die Richtigkeit der verwendeten [X.] zu überprüfen, wobei die Überprüfung insbesondere anhand eines Abgleichs mit einem aktuellen Verzeichnis oder einer anderen geeigneten Quelle sicherzustellen hat, dass die Faxnummer zutreffend ermittelt wurde ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 9. Januar 2008 - 6 [X.] - [X.] 310 § 60 VwGO Nr. 261 Rn. 2 f.; vgl. auch [X.], [X.]eschluss vom 10. Januar 2000 - [X.] - NJW 2000, 1043 <1044>; [X.]FH, Urteil vom 24. April 2003 - [X.]/02 - [X.], 44 <46 ff.>).

Dies zugrunde gelegt, hat der Kläger die [X.]erufungsbegründungsfrist nicht ohne Verschulden versäumt. Zwar hatte die [X.]ürokraft, die die [X.] versandt hat, nach der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten im Wiedereinsetzungsantrag vom 30. Oktober 2020 bisher zuverlässig gearbeitet. Regelmäßige Kontrollen hatten keinen Anlass zu [X.]eanstandungen ergeben. Der anwaltlichen Versicherung lässt sich jedoch mangels Angaben zur Qualifikation dieser Mitarbeiterin schon nicht entnehmen, dass sie hinreichend geschult war. Außerdem wird nicht ersichtlich, dass der Prozessbevollmächtigte alle möglichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen getroffen hatte, um für eine [X.]üroorganisation zu sorgen, die den vorgenannten Anforderungen genügt.

Die gelebte Praxis im Referat des Prozessbevollmächtigten, wonach der dort angestellte Assistent vor der Versendung von Schriftsätzen die Adresse und die Faxnummer des Gerichts prüft und sich die Kontrolle der Faxnummer auf die Vollständigkeit der Übermittlung, die Richtigkeit der dafür maßgeblichen Faxnummer und einen Abgleich zwischen den ermittelten, übertragenen und eingegebenen Faxnummern erstreckt sowie das [X.] der den Assistenten vertretenden [X.]üroangestellten mit diesen Gepflogenheiten gewährleisten nicht, dass im Vertretungsfall auch eine weitere [X.]ürokraft, die wie hier zur Unterstützung herangezogen wird, die der gelebten Praxis entsprechenden Überprüfungen vornimmt. Organisatorische Vorkehrungen, die dies sicherstellen könnten, etwa eine verbindliche Anleitung für den Versand fristgebundener Schriftsätze per Telefax, die vertretungshalber im Referat des Prozessbevollmächtigten eingesetzten Mitarbeitern zugänglich gemacht wird, nennt die anwaltliche Versicherung nicht.

Ausreichende organisatorische Vorkehrungen sind auch nicht dargelegt, soweit der Prozessbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 10. Dezember 2020 klargestellt hat, dass auch die weitere Assistentin, die die [X.] versandt hat, mit dem Procedere vertraut gewesen sei, weil sie bereits zuvor im Referat des Prozessbevollmächtigten gearbeitet habe und dabei Mahnschreiben versandt und Schriftsätze an den [X.] vorbereitet habe. Denn aus diesen Ausführungen geht nicht hervor, dass die Assistentin mit der Versendung fristgebundener Schreiben per Telefax befasst war und daher auch genügende Kenntnis von der Notwendigkeit einer sorgfältigen Kontrolle der Faxnummern hatte.

Ebenso wenig zeigt der Vortrag im Schriftsatz vom 16. Februar 2021, die gelebte [X.] beruhe auch darauf, dass den Assistenten im Lauf der [X.] in verschiedenen Fällen die Anweisung erteilt worden sei, die Richtigkeit der Faxnummern zu prüfen, eine [X.]üroorganisation auf, die die Verwendung der richtigen Faxnummer hinreichend gewährleistet. Denn die mündliche Anweisung einzelner Mitarbeiter im Einzelfall stellt nicht sicher, dass sich die darauf beruhende gelebte Praxis auch einer wie hier nur vertretungsweise im Referat des Prozessbevollmächtigten tätigen [X.]üroangestellten erschließt und von ihr beachtet wird. Dass der Mitarbeiterin, die die [X.] versandt hat, selbst eine solche Weisung erteilt worden wäre, trägt der Kläger nicht vor.

bb) Der Kläger hat die [X.]erufungsbegründungsfrist auch nicht deshalb unverschuldet versäumt, weil das Verwaltungsgericht die bei ihm fristgerecht eingegangene [X.]erufungsbegründung nicht rechtzeitig an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet hat.

Aus der auf dem Gebot eines fairen Verfahrens beruhenden Fürsorgepflicht des erstinstanzlichen Gerichts für die Prozessbeteiligten folgt, dass es fristgebundene Schriftsätze des Rechtsmittelverfahrens, die bei ihm eingereicht werden, im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterleiten muss. Die Weiterleitung hat ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen. Allerdings braucht das unzuständige Gericht den [X.]eteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten nicht die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien abzunehmen. Mit der Formulierung "ordentlicher Geschäftsgang" ist deshalb gemeint, dass die Vorinstanz zu Eilmaßnahmen rechtlich nicht verpflichtet ist. So muss sie weder den [X.]eteiligten, der seinen Schriftsatz irrtümlich bei ihr eingereicht hat, durch Telefonat oder Telefax auf diesen Irrtum hinweisen, noch muss sie den Schriftsatz selbst per Telefax an das Rechtsmittelgericht weiterleiten ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. Juli 2003 - 4 [X.] - [X.] 310 § 60 VwGO Nr. 248 S. 46 f. m.w.N.).

Danach scheidet eine Wiedereinsetzung wegen verzögerter Weiterleitung der [X.]erufungsbegründung aus. Selbst wenn das Verwaltungsgericht den am 1. Juli 2019, dem letzten Tag der [X.]erufungsbegründungsfrist, um 16.10 Uhr per Telefax eingegangenen Schriftsatz noch am selben Tag per Post weitergeleitet hätte, wäre er nicht mehr fristgerecht beim [X.]erufungsgericht eingegangen. Die Frist hätte vielmehr nur durch eine Weiterleitung per Telefax gewahrt werden können. Dazu war das Verwaltungsgericht jedoch nicht verpflichtet.

b) [X.] ist es auch nicht, dass das [X.]erufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag nicht im Tenor der [X.]erufungsentscheidung abgelehnt hat. Denn über die Wiedereinsetzung kann nicht nur im Tenor, sondern auch in den Entscheidungsgründen entschieden werden, soweit diese deutlich machen, dass und warum die Wiedereinsetzung gewährt oder abgelehnt wird (vgl. etwa [X.], Urteil vom 28. Mai 1980 - 9 S 114/80 - DÖV 1981, 228 <229>; [X.]ier/Steinbeiß, in: [X.]/[X.], VwGO, Stand Juli 2021, § 60 Rn. 74; [X.], in: [X.], VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 43; [X.], in: [X.]/[X.], VwGO, Stand Oktober 2021, § 6o Rn. 41; [X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 27. Aufl. 2021, § 60 Rn. 38). Diesen Anforderungen genügt die [X.]erufungsentscheidung.

c) Die Revision ist auch nicht wegen einer Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der [X.] ([X.]) zuzulassen, nach dem jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten in [X.]ezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht in einem fairen Verfahren verhandelt wird.

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist hier nicht anwendbar. Denn um Streitigkeiten in [X.]ezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen handelt es sich nicht bei Streitigkeiten aus dem Kernbereich des öffentlichen Rechts, zu denen insbesondere Steuerstreitigkeiten und damit auch Klagen gehören, die sich wie im vorliegenden Fall gegen einen Grundsteuerbescheid richten ([X.], Urteile vom 12. Juli 2001 - 44759/98, [X.] - juris Rn. 48 und vom 13. Juli 2006 - 38033/02, [X.] - NVwZ 2007, 1035 Rn. 27; [X.]FH, Urteil vom 27. April 2016 - [X.] - [X.], 306 Rn. 31).

d) Soweit der Kläger einen Verfahrensmangel aus einer Vorfestlegung der [X.]erichterstatterin ableitet, liegt auch eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vor.

Danach haben die [X.]eteiligten eines gerichtlichen Verfahrens nicht nur Anspruch auf den gesetzlichen [X.], der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den [X.] sowie den Geschäftsverteilungs- und [X.]esetzungsregelungen des Gerichts ergibt, sondern auch darauf, dass sie nicht vor einem [X.] stehen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt. Die Frage, ob [X.]efangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines [X.]s sprechen, berührt daher die den Verfahrensbeteiligten durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eingeräumte prozessuale Rechtsstellung ([X.], [X.] vom 28. April 2011 - 1 [X.]vR 2411/10 - NJW 2011, 2191 <2192>). Dem Schutz dieses verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs dienen die Vorschriften der §§ 41 bis 49 ZPO über die Ausschließung und Ablehnung von [X.]n, die im Verwaltungsprozess ergänzt durch § 54 Abs. 2 und 3 VwGO nach § 54 Abs. 1 VwGO entsprechend gelten. Letzter [X.]punkt für die Geltendmachung von [X.] ist allerdings der vollständige Abschluss der Instanz ([X.], [X.] vom 28. April 2011 - 1 [X.]vR 2411/10 - NJW 2011, 2191 <2192>). Nach Abschluss der [X.]erufungsinstanz kann daher die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit der dort entscheidenden [X.] nicht mehr geltend gemacht werden. Das folgt aus § 138 Nr. 2 VwGO, nach dem ein Verfahrensfehler nur dann gegeben ist, wenn ein [X.] an der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des [X.]amts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit mit Erfolg abgelehnt war. Der Verfahrensfehler ist demnach nur gegeben, wenn ein Ablehnungsgesuch in der Vorinstanz tatsächlich Erfolg gehabt hat. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn sich die Gründe für die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit erst aus den Gründen der abschließenden Entscheidung ergeben ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 29. Juni 2016 - 2 [X.] 18.15 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 77 Rn. 38 m.w.N.).

aa) Soweit der Kläger sich zur [X.]egründung einer Vorfestlegung der [X.]erichterstatterin auf deren Vorgehen bis zum Erlass des die [X.]erufung verwerfenden [X.]eschlusses stützt, liegt ein Verfahrensmangel danach nicht vor. Denn der Kläger hat die [X.]erichterstatterin bis zum Abschluss des [X.]erufungsverfahrens nicht nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 1 ZPO abgelehnt, obwohl er sich mit dem nunmehr gegen ihre Unvoreingenommenheit ins Feld geführten Verhalten in seinen Schriftsätzen vom 15. Januar 2021, 29. Januar 2021 und 16. Februar 2021 auseinandergesetzt hat.

bb) Der Kläger macht darüber hinaus allerdings geltend, die vorzeitige Festlegung der [X.]erichterstatterin zeige sich auch im Verwerfungsbeschluss. Auch insoweit liegt jedoch keine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor.

Zwar kommt in Fällen, in denen sich die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit erst aus den Gründen der abschließenden Entscheidung ergibt, ausnahmsweise der Verfahrensfehler der nicht ordnungsgemäßen [X.]esetzung des erkennenden Gerichts nach § 138 Nr. 1 VwGO in [X.]etracht. Voraussetzung dafür ist aber, dass der [X.] der Vorinstanz tatsächlich und so eindeutig die gebotene Distanz und Neutralität hat vermissen lassen, dass jede andere Würdigung als die einer [X.]esorgnis der [X.]efangenheit willkürlich erscheint ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 29. Juni 2016 - 2 [X.] 18.15 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 77 Rn. 38). Daran fehlt es.

Nach Ansicht des [X.] zeigt sich die Voreingenommenheit der [X.]erichterstatterin darin, dass der die [X.]erufung verwerfende [X.]eschluss ohne sachliche Rechtfertigung die Ausführungen des [X.] zu § 60 Abs. 3 VwGO negiere und den anwaltlich versicherten Sachverhalt als streitig oder abweichend darstelle oder ganz ausblende.

Abgesehen davon, dass nicht jeder Verfahrensfehler, der einem [X.] unterläuft, die Annahme der [X.]efangenheit tragen kann, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten, die diese Annahme rechtfertigen, weil sie die beanstandete Entscheidung als willkürlich und auf sachfremden Erwägungen beruhend erscheinen lassen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 30. September 2015 - 2 AV 2.15 - [X.] 310 § 54 VwGO Nr. 79 Rn. 13 und vom 14. Juni 2016 - 4 [X.] 45.15 - juris Rn. 8), zeigt der Kläger keine Gesichtspunkte auf, die so eindeutig auf eine [X.]efangenheit hindeuten, dass ihre Verneinung willkürlich wäre.

aaa) Dies gilt zunächst, soweit der Kläger geltend macht, das [X.]erufungsgericht habe seine Ausführungen zu § 60 Abs. 3 VwGO in der [X.]egründung des [X.] vom 30. Oktober 2020 negiert.

Dass das [X.]erufungsgericht ausdrücklich davon ausgeht, es sei nicht vorgetragen, dass dem Kläger die Stellung des [X.] innerhalb der Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO wegen höherer Gewalt unmöglich gewesen sei, lässt nicht eindeutig erkennen, dass der Verwaltungsgerichtshof es an der gebotenen Neutralität hat fehlen lassen.

Zwar berücksichtigt das [X.]erufungsgericht die Ausführungen des [X.] im Schriftsatz vom 29. Januar 2021 nicht, wonach dem Umstand, dass die Versäumung der [X.]erufungsbegründungsfrist vom Gericht erst nach mehr als einem Jahr bemerkt worden sei, bei der Auslegung von § 60 Abs. 3 VwGO zu seinen Gunsten Rechnung getragen werden müsse. Angesichts dessen, dass das [X.]erufungsgericht Wiedereinsetzung nicht nur nach § 60 Abs. 3 VwGO, sondern vor allem war auch, wie ausgeführt, im Ergebnis zutreffend nach § 60 Abs. 1 VwGO als ausgeschlossen angesehen hat, liegt darin aber kein Gesichtspunkt, aus dem sich eindeutig auf eine Voreingenommenheit der [X.]erichterstatterin schließen lässt.

bbb) Dass der [X.]eschluss des [X.]erufungsgerichts den anwaltlich versicherten Sachverhalt nicht als feststehend im Indikativ, sondern als Vortrag des Klägerbevollmächtigten in indirekter Rede wiedergegeben hat, deutet ebenfalls nicht auf eine [X.]efangenheit der [X.]erichterstatterin hin.

Entgegen der Ansicht des [X.] hat das Gericht den anwaltlich versicherten Sachverhalt schon nicht unbesehen seiner Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zugrunde zu legen. Ob die für die Glaubhaftmachung der Tatsachen zur [X.]egründung des [X.] nach § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit vorliegt, ist vielmehr eine Frage der freien richterlichen Würdigung des gesamten Vorbringens (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. [X.], [X.]eschluss vom 27. September 2016 - XI Z[X.] 12/14 - NJW-RR 2017, 308 Rn. 12 zu dem nach § 173 Satz 1 VwGO auch für die Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO geltenden § 294 ZPO; [X.], in: [X.], VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 34). Im Übrigen hat das [X.]erufungsgericht den anwaltlich vorgetragenen Sachverhalt inhaltlich nicht in Zweifel gezogen, sondern als nicht ausreichend für eine unverschuldete Fristversäumnis bewertet.

ccc) Das [X.]erufungsgericht hat auch nicht den Vortrag des Klägerbevollmächtigten, die betreffenden [X.]üroangestellten hätten bisher zuverlässig gearbeitet, in einer auf eine [X.]efangenheit der [X.]erichterstatterin hindeutenden Weise rechtsfehlerhaft ausgeblendet und unberücksichtigt gelassen.

Zwar hat das [X.]erufungsgericht diesen Vortrag nicht ausdrücklich wiedergegeben. Es hat aber bei seiner Prüfung die Zuverlässigkeit der [X.]üromitarbeiterinnen unterstellt und das Verschulden nicht mit einer mangelnden Zuverlässigkeit der [X.]üroangestellten, sondern damit begründet, dass der Prozessbevollmächtigte nicht vorgetragen habe, Weisungen zur Kontrolle der [X.] erteilt zu haben.

ddd) Eine [X.]efangenheit der [X.]erichterstatterin lässt sich schließlich nicht aus der Formulierung des [X.]erufungsgerichts ableiten, der Vertretung des Assistenten des Klägerbevollmächtigten sei dessen gelebte Praxis "bekannt" gewesen. Zwar weicht dies von der Formulierung des Klägervortrags ab, nach dem die Vertreterin mit der Praxis des Assistenten "vertraut" war. Abgesehen davon, dass sich diese Formulierungen allenfalls in Nuancen unterscheiden, war dies auf der Grundlage der Rechtsauffassung des [X.]erufungsgerichts, nach der die Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO am Fehlen einer Weisung zur Kontrolle der [X.] scheiterte, für seine Entscheidung ohne [X.]edeutung.

e) Die [X.]erufungsentscheidung verletzt allerdings den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit der Kläger rügt, das [X.]erufungsgericht habe seine Ausführungen zur höheren Gewalt im Sinne von § 60 Abs. 3 VwGO aktenwidrig negiert. Auch dies rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

aa) Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, deren Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht dieser Pflicht nachgekommen ist. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der [X.]eteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Die fehlende [X.]escheidung des Vorbringens von [X.]eteiligten in den Entscheidungsgründen lässt nur dann auf dessen Nichtberücksichtigung schließen, wenn dieses Vorbringen [X.] des [X.] zu einer Frage von zentraler [X.]edeutung für das Verfahren betrifft und nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert ist (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 29. Oktober 2009 - 9 [X.] 41.09 - juris Rn. 6 m.w.N.) oder wenn die Entscheidung zu zentralen rechtlichen Gesichtspunkten im Vortrag eines [X.]eteiligten keine nähere Auseinandersetzung in den Entscheidungsgründen und auch keinen Hinweis darauf enthält, weshalb diese Argumente nach Ansicht des Gerichts nicht entscheidungserheblich sind ([X.]VerwG, Urteil vom 31. Juli 2002 - 8 C 37.01 - [X.] 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 109 und [X.]eschluss vom 4. Juli 2008 - 3 [X.] 18.08 - juris Rn. 10). Dies zugrunde gelegt, hat das [X.]erufungsgericht den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör verletzt.

Soweit das [X.]erufungsgericht ausführt, es sei nicht vorgetragen, dass dem Kläger die Stellung des [X.] innerhalb der Jahresfrist nach § 60 Abs. 3 VwGO infolge höherer Gewalt nicht möglich gewesen sei, setzt es sich mit [X.] nicht auseinander, das eine zentrale und für das [X.]erufungsgericht maßgebliche Frage des Rechtsstreits betrifft, ohne zu erkennen zu geben, warum dieses Vorbringen aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblich ist.

bb) Darin liegt zugleich ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine Verletzung dieses Grundsatzes kommt in [X.]etracht, wenn das [X.] entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 11. Januar 2012 - 8 PKH 8.11 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 72 Rn. 3 m.w.N.). [X.] setzt dabei einen zweifelsfreien, also ohne weitere [X.]eweiserhebung offensichtlichen Widerspruch zwischen einer Feststellung der Vorinstanz und dem Akteninhalt voraus ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 16. März 1999 - 9 [X.] 73.99 - [X.] 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 7 S. 5 f. und vom 29. Juni 2015 - 8 [X.] 67.14 - juris Rn. 8 m.w.N.).

Ein solcher Widerspruch liegt hier vor. Denn nach den Feststellungen des [X.]erufungsgerichts hat der Kläger nicht vorgetragen, dass ihm die Stellung des [X.] innerhalb der Jahresfrist infolge höherer Gewalt nicht möglich war, obwohl der Kläger hierzu Ausführungen gemacht hat.

cc) Weder der Gehörsverstoß noch die Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes rechtfertigen allerdings die Zulassung der Revision.

[X.]eide Verfahrensmängel betreffen ausschließlich die Verneinung des Vorliegens von höherer Gewalt im Sinne von § 60 Abs. 3 VwGO. Das [X.]erufungsgericht hat die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung jedoch - wie ausgeführt - auch wegen des [X.] der [X.] nach § 60 Abs. 1 VwGO verneint und seine Entscheidung damit auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt. In einem solchen Fall kann die Revision aber nur zugelassen werden, wenn gegenüber jeder der [X.]egründungen ein durchgreifender Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 13. Oktober 2020 - 2 [X.] 57.20 - juris Rn. 4 m.w.N.). Daran fehlt es hier.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Meta

9 B 19/21

21.12.2021

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 17. März 2021, Az: 5 A 812/19, Beschluss

§ 54 Abs 1 VwGO, § 60 Abs 1 VwGO, § 60 Abs 3 VwGO, § 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 42 Abs 1 ZPO, Art 6 Abs 1 S 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.12.2021, Az. 9 B 19/21 (REWIS RS 2021, 134)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 134

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X R 1/15

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XI ZB 12/14

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