Bundessozialgericht, Urteil vom 11.07.2019, Az. B 14 AS 51/18 R

14. Senat | REWIS RS 2019, 5540

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Antragserfordernis - Antrags per E-Mail - Zeitpunkt des Zugangs des elektronischen Antrags - Beweislast


Leitsatz

Ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist dem Jobcenter zugegangen, wenn er in dessen Macht- oder Willensbereich gelangt, ohne dass es auf die üblichen Dienstzeiten ankommt.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 14. September 2017 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Bewilligung von [X.] für Januar 2015.

2

Im Januar 2015 überwies der Arbeitgeber des nicht im Leistungsbezug stehenden Klägers das Arbeitsentgelt für diesen Monat nicht wie vertraglich vereinbart am Monatsende, sondern erst im Verlauf des Februar. Der Kläger sandte deswegen am Freitagabend, den 30.1.2015, um kurz nach 20 Uhr - ohne Anforderung einer Eingangs- oder Lesebestätigung - eine E-Mail an das beklagte Jobcenter, mit der er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für seine Bedarfsgemeinschaft beantragte.

3

Eine Reaktion des Beklagten erfolgte zunächst nicht. Der Kläger erinnerte ihn per E-Mail am [X.] an seine E-Mail aus Januar. E-Mails an den Beklagten werden auf einem Server der [X.] 6 Monate lang aufbewahrt und zum Abruf bzw zur Kontrolle des Eingangs bereitgestellt. Nach Ablauf dieses Zeitraums ohne Zugriff werden die Daten gelöscht. Der Beklagte nahm in dem Zeitraum vor Löschung der Daten keine Überprüfung des Eingangs der E-Mail vom 30.1.2015 vor.

4

Der Beklagte bewilligte dem Kläger und den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft auf den "Antrag vom 04.03.2015" Leistungen nach dem [X.] für den Zeitraum März bis August 2015 (Bescheid vom 16.6.2015). Hiergegen erhob der Kläger erfolglos Widerspruch, mit dem er neben der Zahlung für Januar zunächst auch höhere Leistungen für die Folgemonate geltend machte (Widerspruchsbescheid vom 7.10.2015).

5

Im gerichtlichen Verfahren hat sich der allein klagende Kläger auf Leistungen für Januar 2015 beschränkt. Das [X.] hat den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 7.10.2015 dem Grunde nach verurteilt, an den Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Januar 2015 zu erbringen. Im Hinblick auf diesen Monat sei eine erstmalige Sachentscheidung erst mit dem Widerspruchsbescheid erfolgt (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat die vom [X.] zugelassene Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, der Beklagte werde unter Abänderung des Bescheids vom 16.6.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7.10.2015 verurteilt, an den Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Januar 2015 zu erbringen (Urteil vom 14.9.2017). Der Bescheid vom 16.6.2015 sei ebenfalls in das Verfahren einbezogen, weil mit der Bewilligung von Leistungen (erst) ab März zugleich Leistungen für Januar und Februar 2015 abgelehnt worden seien. Der Kläger habe mit seiner E-Mail vom 30.1.2015 wirksam Leistungen für den Monat Januar 2015 beantragt. Der Antrag wirke auf den 1.1.2015 zurück. Für das Bewirken des Zugangs des Antrags genüge es, dass die Erklärung in den Machtbereich der Behörde gelangt sei. Der Kläger habe den Nachweis für den Zugang des Antrags erbracht.

6

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 37 [X.]. Das L[X.] habe verkannt, dass der Zugang einer Willenserklärung nach allgemeinen Grundsätzen die Möglichkeit der Kenntnisnahme voraussetze, die hier erst am nächsten Tag der Dienstbereitschaft bestanden habe. Dies gelte auch für einen Antrag nach dem [X.]. Hilfsweise wird eine Verletzung der prozessualen Grundsätze der Beweis- und Darlegungslast sowie des § 20 [X.]B X gerügt.

7

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 14. September 2017 und des [X.] vom 17. Januar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Der [X.]läger hat für Jan[X.]r 2015 einen Anspruch auf [X.] Er hat am 30.1.2015 einen auf den [X.] zurückwirkenden Antrag nach dem [X.] gestellt, wie das [X.] zutreffend entschieden hat.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Urteilen der Bescheid vom 16.6.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.10.2015, soweit dieser eine Leistungsbewilligung für Jan[X.]r 2015 ablehnt, sowie die Zahlung von [X.] für diesen Monat. Nach dem im Berufungsurteil festgestellten tatsächlichen Geschehensablauf enthält der Bescheid vom 16.6.2015 zugleich eine Ablehnung von Leistungen für Jan[X.]r. Der Beklagte hat seine insoweit zunächst erhobenen Verfahrensrügen zuletzt nicht mehr aufrechterhalten.

2. Der Sachentscheidung entgegenstehende prozess[X.]le Hindernisse bestehen nicht. Die von dem [X.]läger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 [X.]G) ist statthaft. Die Berufung ist vom [X.] zugelassen worden (vgl § 144 [X.]G).

3. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs sind §§ 19 ff und §§ 7 ff [X.] in der Fassung, die das [X.] für den streitbefangenen Monat zuletzt durch das Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und [X.]ommunen ab 2015 und zum q[X.]ntitativen und q[X.]litativen Ausbau der [X.]indertagesbetreuung sowie zur Änderung des [X.] vom 22.12.2014 ([X.]) erhalten hat (Geltungszeitraumprinzip, vgl B[X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]4 f).

4. Der [X.]läger war leistungsberechtigt nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] und ein [X.] lag nicht vor, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] ergibt. Er war aufgrund der ausgebliebenen Gehaltszahlung im Jan[X.]r 2015 hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 [X.], weil nach dem das [X.] prägenden Monatsprinzip laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen sind, in dem sie zufließen (stRspr, vgl nur B[X.] vom 30.3.2017 - [X.] AS 18/16 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]8). Eine Rechtsgrundlage dafür, dem [X.]läger im Hinblick auf das im Febr[X.]r 2015 nachgezahlte Erwerbseinkommen [X.] für Jan[X.]r nur als Darlehen zu gewähren, besteht nicht. § 24 Abs 4 Satz 1 [X.] bestimmt, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden können, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen.

5. Der [X.]läger hat am 30.1.2015 per E-Mail einen Antrag auf Leistungen nach dem [X.] gestellt, der auf den 1.1.2015 zurückwirkte. Die Notwendigkeit einer Antragstellung ergibt sich aus § 37 [X.]. Nach § 37 Abs 1 Satz 1 [X.] werden Leistungen nach dem [X.] nur auf Antrag und nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. § 37 Abs 2 Satz 2 [X.] (idF des [X.] [X.] und zur Änderung des [X.] und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - RBEG/[X.]/[X.]B XII-ÄndG - vom 24.3.2011, [X.]) bestimmt zudem, dass der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den [X.] zurückwirkt.

Ein Antrag auf Leistungen nach dem [X.] kann auch per E-Mail gestellt werden (a). Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist dem Jobcenter bereits dann zugegangen, wenn er in dessen Macht- oder [X.] gelangt, ohne dass es auf die üblichen Dienstzeiten ankommt (b). Der Antrag des [X.] konnte auf den 1.1.2015 zurückwirken, weil er dem Beklagten nach den im Berufungsurteil getroffenen und nicht mit erfolgreichen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen noch in den Abendstunden des 30.1.2015 zuging (c).

a) Einer wirksamen Antragstellung steht nicht entgegen, dass der [X.]läger den Antrag per E-Mail versandt hat. Der Antrag auf Leistungen der Grundsicherung nach § 37 [X.] ist grundsätzlich an keine Form gebunden, weil insofern der (allgemeine) Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens gilt (vgl § 9 [X.]B X; B[X.] vom 28.10.2009 - [X.] AS 56/08 R - [X.] 4-4200 § 37 [X.] Rd[X.]4 mwN). § 37 [X.] verlangt weder - iS des § 126 Abs 1 [X.] - die schriftliche Form noch - wie der Anspruch auf [X.] (§ 137 Abs 1 [X.] iVm § 141 [X.]I) - eine persönliche Meldung bei der Behörde. Aus diesem Grund ist eine Antragstellung auch per E-Mail möglich (allgemeine Ansicht: [X.] in [X.], [X.]/[X.]B XII/[X.], § 37 [X.] Rd[X.]a ff, Stand Juli 2018; [X.] in jurisP[X.]-[X.], 4. Aufl 2015, Onlineausgabe, § 37 Rd[X.].1, Akt[X.]lisierung November 2017; [X.], [X.] 2009, 193, 194 f; [X.] in BeckO[X.]-[X.], § 37 [X.] Rd[X.] 8, Stand Juni 2019; [X.] in G[X.]-[X.], § 37 Rd[X.]3, Stand August 2013; [X.] in LP[X.]-[X.], 6. Aufl 2017, § 37 Rd[X.]1; [X.] in Eicher/[X.], [X.], 4. Aufl 2017, § 37 Rd[X.]8; Striebinger in Gagel, [X.]/[X.]I, § 37 [X.] Rd[X.] 46, Stand Dezember 2016; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 37 [X.] Rd[X.]4, Stand Febr[X.]r 2017; so auch die Fachlichen Weisungen der [X.] zu § 37 [X.], Ziffer 37.1 und 37.2 am Ende <[X.]>, zuletzt Stand März 2019). Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Jobcenter einen Zugang für die [X.]ommunikation per E-Mail eröffnet hat (vgl hierzu § 36a Abs 1 [X.]B I), der [X.] nicht ausschließt.

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte einen solchen Zugang für eine Antragstellung per E-Mail eröffnet. Nach den Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) verwandte der [X.]läger eine E-Mail-Adresse des Beklagten, die dieser [X.] auf der von ihm unterhaltenen Internetseite als [X.]ontaktmöglichkeit ohne Beschränkung auf bestimmte Gegenstände der [X.]ommunikation veröffentlicht hat.

b) Ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ist dem Jobcenter bereits dann zugegangen, wenn er in dessen Macht- oder [X.] gelangt. Auf die üblichen Dienstzeiten kommt es nicht an.

Der Antrag nach dem [X.] ist eine einseitige, empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Das [X.]B enthält keine Regelung über das Wirksamwerden von Willenserklärungen im Bereich des öffentlichen Rechts. Mangels besonderer Vorschriften sind deswegen die Vorschriften des bürgerlichen Rechts entsprechend anwendbar, soweit eine solche entsprechende Anwendung der Eigenart des Sozialrechts gerecht wird (B[X.] vom [X.] [X.]/84 - B[X.]E 60, 79, 82 = [X.] 4100 § 100 [X.]1 S 29; B[X.] vom [X.] - B 12 R 12/14 R - [X.] 4-2400 § 7a [X.] Rd[X.]5). Dies gilt auch im Hinblick auf einen Antrag nach dem [X.] (B[X.] vom 28.10.2009 - [X.] AS 56/08 R - [X.] 4-4200 § 37 [X.] Rd[X.]4; B[X.] vom 19.8.2010 - [X.] AS 10/09 R - [X.] 4-4200 § 23 [X.]0 Rd[X.]3; B[X.] vom 24.4.2015 - [X.] AS 22/14 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]9; vgl auch Weinreich, NZS 2012, 612).

Nach § 130 Abs 1 Satz 1 [X.], der auf Erklärungen gegenüber einer Behörde gemäß § 130 Abs 3 [X.] (sog amtsempfangsbedürftige Willenserklärungen) Anwendung findet, wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Nach § 130 Abs 1 Satz 2 [X.] wird sie nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

Eine Willenserklärung ist nach allgemeinen Grundsätzen in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem normalerweise bei einem der Lebenserfahrung entsprechenden Verlauf der Dinge davon ausgegangen werden kann, dass der Empfänger von ihr Notiz nimmt. Geht eine amtsempfangsbedürftige Willenserklärung bei der Behörde außerhalb der Dienstzeit ein, ist sie demnach im Grundsatz erst am nächsten Tag der Dienstbereitschaft iS des § 130 Abs 1, 3 [X.] zugegangen (vgl B[X.] vom 7.10.1976 - 9 RV 218/75 - B[X.]E 42, 279, 280 = [X.] 1500 § 84 [X.] S 6 f; [X.] in [X.] [X.]ommentar zum [X.], 8. Aufl 2018, § 130 Rd[X.] 44 mwN).

Im Hinblick auf den Zugangszeitpunkt wird die Anwendung zivilrechtlicher Grundsätze auf einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] den Besonderheiten dieses Rechtsgebiets nicht gerecht. Diese Grundsätze sind vorliegend bereichsspezifisch zu modifizieren.

Ob eine Ausnahme schon deshalb anzunehmen ist, weil § 37 Abs 2 Satz 2 [X.] im Hinblick auf Leistungen für den [X.] eine Fristenregelung enthält (ablehnend [X.] in jurisP[X.]-[X.], 4. Aufl 2015, Onlineausgabe, § 37 Rd[X.]0.2, Akt[X.]lisierung November 2017; vgl zu § 37 [X.] in der vor dem 1.1.2011 geltenden Fassung B[X.] vom 18.1.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 37 [X.] Rd[X.]3; B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] AS 166/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.] 32), kann dahinstehen.

Aufgrund der einem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] gesetzlich zugeordneten Wirkungen im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen kann es allein darauf ankommen, an welchem Tag der Antrag in den Macht- oder [X.] der Behörde gelangt ist. Ob das Jobcenter im konkreten Zeitpunkt des [X.] (noch) dienstbereit war, ist nicht entscheidend. Die weiteren Funktionen, die einem [X.]-Leistungsantrag zukommen, erfordern es ebenfalls nicht, die Wirksamkeit des Antrags abhängig zu machen von der Dienstbereitschaft der Behörde.

Der Antrag gemäß § 37 Abs 1 [X.] hat zunächst - ohne Differenzierung zwischen Erst- und Fortzahlungsbegehren (B[X.] vom 18.1.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 37 [X.] Rd[X.]5) - konstitutive Wirkung für einen Leistungsanspruch (BT-Drucks 15/1516 [X.]). Darüber hinaus hat er auch eine verfahrensrechtliche Bedeutung, weil mit der Antragstellung das Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt wird - ab diesem Zeitpunkt hat der Leistungsträger die Verpflichtung, das Bestehen des Leistungsanspruchs zu prüfen und zu bescheiden (B[X.] vom 30.9.2008 - [X.] AS 29/07 R - B[X.]E 101, 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.]5, Rd[X.] 30; B[X.] vom 28.10.2009 - [X.] AS 56/08 R - [X.] 4-4200 § 37 [X.] Rd[X.]6; B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] AS 166/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]5). Aus dieser Verpflichtung lässt sich aber nicht ableiten, der Antrag könne erst wirksam werden, wenn das Jobcenter dienstbereit ist. Dies gilt erst recht für die konstitutive Bedeutung des Antrags für den Leistungsanspruch.

Darüber hinaus kommt dem Antrag materiell-rechtlich insbesondere Bedeutung zu im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen, weil Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 [X.] nach der ständigen Rechtsprechung des B[X.] grundsätzlich alles das ist, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen iS des § 12 Abs 1 [X.] das, was jemand vor der Antragstellung bereits hatte (vgl nur B[X.] vom 30.7.2008 - [X.]/11b [X.] - Rd[X.]3; B[X.] vom 30.9.2008 - [X.] AS 29/07 R - B[X.]E 101, 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.]5, Rd[X.]8; B[X.] vom 9.8.2018 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]1). Der [X.] bildet die maßgebliche Zäsur (B[X.] vom 14.2.2013 - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]9 Rd[X.]5). Von der Antragstellung gehen insoweit - sobald sie einmal erfolgt ist - leistungsrechtliche Wirkungen aus, ohne dass den potentiell Leistungsberechtigten Gestaltungsmöglichkeiten zukommen. Dazu zählt, dass die Folgen eines einmal gestellten Leistungsantrags für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach der Rechtsprechung des B[X.] durch seine Rücknahme nachträglich nicht mehr zu beseitigen sind (B[X.] vom 24.4.2015 - [X.] AS 22/14 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.]1 ff).

Der Gesetzgeber hat die Bedeutung des Leistungsantrags für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen durch die Neuregelung des § 37 Abs 2 Satz 2 [X.] noch einmal bekräftigt. § 37 Abs 2 Satz 2 [X.] zielt nach den Gesetzesmaterialien darauf, zur Wahrung des Nachranggrundsatzes sicherzustellen, dass im [X.] vor Antragstellung zugeflossene Einnahmen als Einkommen und nicht als Vermögen zu berücksichtigen sind (vgl BT-Drucks 17/3404, [X.]). Dadurch hat der Gesetzgeber die rechtsgestaltenden Wirkungen eines Antrags auf existenzsichernde Leistungen zum einen mit dem Monatsprinzip des [X.] harmonisiert und sie zum anderen noch weitgehender als bis dahin schon der Disposition der Leistungsberechtigten entzogen. Daraus folgt zugleich, dass der Leistungsberechtigte die Wirkung seines Antrags, wonach für die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen der Erste des Monats der Antragstellung maßgeblich ist, nicht dadurch vermeiden kann, dass er Leistungen ausdrücklich erst ab einem späteren [X.] in Anspruch nehmen will (B[X.] vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 117, 179 = [X.] 4-4200 § 37 [X.], Rd[X.]2 ff).

Dies schließt es aus, den Eintritt der Antragswirkungen in entsprechender Anwendung der zivilrechtlichen Regelungen über das Wirksamwerden von Willenserklärungen (§ 130 Abs 1 Satz 1, Abs 3 [X.]) von den Öffnungszeiten des jeweiligen Jobcenters abhängig zu machen. Die Interessenlage beim Wirksamwerden bürgerlich-rechtlicher Willenserklärungen ist grundlegend verschieden. Während die zivilrechtlichen Regelungen darauf zielen, den Zeitpunkt der [X.]enntnisnahme durch den Adressaten rechtssicher zu bestimmen (vgl nur Singer/[X.], [X.], 2017, § 130 Rd[X.] 8, 39), ist im Bereich des [X.] allein maßgeblich, dass die Erklärung, Leistungen zu begehren, in verbindlicher Form geäußert wird. Entscheidend für den Leistungsanspruch im [X.] ist danach ausschließlich, dass in dem betreffenden Monat überhaupt ein entsprechender Antrag in den Macht- oder [X.] eines Jobcenters gelangt ist. Zutreffend führt deswegen die [X.] in ihren Fachlichen Weisungen zu § 37 [X.] aus, maßgebliches Datum des Antrags sei "der Tag des Post- bzw. [X.]", soweit der Antrag postalisch oder per E-Mail gestellt worden sei (Ziffer 37.2 [X.], zuletzt Stand März 2019).

c) Die E-Mail des [X.] ist dem Beklagten auf der Grundlage der im Berufungsurteil getroffenen und für die Revision bindenden (§ 163 [X.]G) Feststellungen noch in den Abendstunden des 30.1.2015 zugegangen und konnte deshalb auf den 1.1.2015 zurückwirken.

Der Zugang einer E-Mail setzt jedenfalls voraus, dass sie in der Mailbox des Empfängers oder der des Providers eingegangen, dh abrufbar gespeichert ist (vgl Ellenberger in [X.], [X.], 78. Aufl 2019, § 130 Rd[X.]; [X.] in jurisP[X.]-[X.], 8. Aufl 2017, § 130 [X.] Rd[X.]7; vgl zu den Nachweismöglichkeiten ausführlich Mankowski, NJW 2004, 1901). Ob eine empfangsbedürftige Willenserklärung zugegangen ist, hat das Gericht im Einzelfall nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, weil es sich um eine Frage der Beweiswürdigung handelt (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G; B[X.] vom 29.1.1990 - 5 BJ 361/89 - juris Rd[X.]1).

Nach den Feststellungen des [X.] hat der [X.]läger seinen Antrag per E-Mail am Abend des 30.1.2015 an den Beklagten gesandt. Das [X.] hat zudem festgestellt, dass die E-Mail auch im elektronischen Postfach (E-Mail-Server) des Beklagten abrufbar gespeichert worden ist.

Das [X.] hat für den Nachweis des Eingangs der E-Mail insoweit (ausnahmsweise) die Sendebestätigung mit korrekter Angabe der E-Mail-Adresse des Beklagten als ausreichend angesehen, weil der Beklagte den E-Mail-Eingang nicht innerhalb der [X.] geprüft und damit weitere Beweismöglichkeiten vereitelt habe. Damit hat es im Rahmen seiner Beweiswürdigung aus dem Vorliegen der Sendebestätigung als Indiz und dem Verhalten des Beklagten den Schluss gezogen, die vollständige Übermittlung der E-Mail sei bewiesen.

Insoweit ist das [X.] von einer Beweiserleichterung zu Gunsten des [X.] aufgrund einer Beweisvereitelung durch den Beklagten ausgegangen. Wird durch die Beweisvereitelung eines Beteiligten eine unverschuldete Beweisnot hervorgerufen, darf sich das Gericht auch im sozialgerichtlichen Verfahren im Rahmen der Beweiswürdigung mit geringeren [X.] zu Lasten dessen begnügen, der den Beweis vereitelt hat (Analogie zu § 444 ZPO; vgl hierzu B[X.] vom [X.] [X.] - [X.] 3-1750 § 444 ZPO [X.]; B[X.] vom 2.9.2004 - B 7 AL 88/03 R - [X.] 4-1500 § 128 [X.] Rd[X.]0 ff; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 128 Rd[X.]a; [X.] in jurisP[X.]-[X.]B X, 2. Aufl 2017, § 20 [X.]B X Rd[X.] 40).

Der Beklagte hat im Hinblick auf diese Feststellung des [X.] keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben. Er rügt eine Verletzung der prozess[X.]len Grundsätze der Beweis- und Darlegungslast durch das [X.] sowie des § 20 [X.]B X.

Eine Verletzung der Grundsätze der Beweis- und Darlegungslast liegt schon deshalb nicht vor, weil das [X.] zwar unter Bezugnahme auf zivilprozess[X.]le Grundsätze mit der Beweis- und Darlegungslast argumentiert hat. Es hat aber eine Entscheidung auf der Grundlage der objektiven Beweislast, auf die es im sozialgerichtlichen Verfahren allein ankommt (vgl nur B[X.] vom 24.10.1957 - 10 RV 945/55 - B[X.]E 6, 70, 72 f; B[X.] vom 8.11.2005 - B 1 [X.]R 18/04 R - [X.] 4-2500 § 44 [X.] Rd[X.]9), gerade nicht getroffen, sondern hat den Nachweis des [X.] als erbracht angesehen.

Soweit sich der Beklagte mit seiner Verfahrensrüge auf eine vermeintliche Verletzung des § 20 [X.]B X bezieht, ist er der Ansicht, das [X.] habe es zu Unrecht zu seinem Nachteil gewertet, dass er keine Nachforschungen zu einem E-Mail-Eingang am 30.1.2015 angestellt habe. Er sei im Verwaltungsverfahren nur zur Ermittlung solcher Tatsachen verpflichtet, die nach seiner rechtlichen Einschätzung erheblich seien. Hierzu zähle ein möglicher E-Mail-Eingang in den Abendstunden des 30.1.2015 nicht, weil nach seiner Ansicht ein Zugang vor Febr[X.]r auf jeden Fall ausscheide.

Der Beklagte zielt mit dieser Verfahrensrüge letztlich auf die Beweiswürdigung durch das [X.], ohne aber aufzuzeigen, dass das Berufungsgericht die Grenzen des § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G verletzt hat, indem es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl hierzu nur B[X.] vom 14.3.2018 - B 12 [X.]R 13/17 R - B[X.]E 125, 183 = [X.] 4-2400 § 7 [X.] 35, Rd[X.]3; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 128 Rd[X.]0 ff mwN).

Das [X.] hat im Rahmen seiner Beweiswürdigung auch die Grundsätze über die Folgen einer Beweisvereitelung nicht verletzt (vgl zu einer solchen Verfahrensrüge B[X.] vom 2.9.2004 - B 7 AL 88/03 R - [X.] 4-1500 § 128 [X.] Rd[X.]0). Die unterbliebene Ermittlung des Beklagten hinsichtlich des Zeitpunkts des [X.] war, nachdem er von dem [X.]läger innerhalb der 6-monatigen [X.] an die fehlende Bearbeitung seines Leistungsantrags erinnert worden war, pflichtwidrig und die dadurch entstandene Beweisnot des [X.] zugleich unverschuldet.

Nach § 20 Abs 1 [X.]B X ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt - nach pflichtgemäßen Ermessen - Art und Umfang der Ermittlungen. Auch wenn sich im Grundsatz der Umfang der Ermittlungen maßgeblich nach der Rechtsauffassung der Behörde richtet (vgl hierzu nur [X.] in von [X.]/Schütze, [X.]B X, 8. Aufl 2014, § 20 Rd[X.]), hätte es vorliegend einer Beweissicherung durch den Beklagten bedurft, um eine spätere Überprüfung dieser Rechtsauffassung zu ermöglichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insoweit eine Tatsache im ausschließlichen Einfluss- und Verantwortungsbereich des Beklagten erheblich ist, die ohne Schwierigkeiten zu ermitteln gewesen wäre, und dass deren Beweisverlust allein durch die interne Organisation der von der [X.] zentral verwalteten Verfahren der Informationstechnik eintrat, die der Beklagte zur Erfüllung seiner Aufgaben nutzt (§ 50 Abs 3 Satz 1 [X.]).

Die hierdurch entstandene Beweisnot auf Seiten des [X.] war trotz der nicht angeforderten Eingangs- oder Lesebestätigung auch unverschuldet, nachdem er den Beklagten auf die fehlende Reaktion im Hinblick auf den versandten Antrag hingewiesen hat und dieser gleichwohl innerhalb der [X.] untätig blieb.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 51/18 R

11.07.2019

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Köln, 17. Januar 2017, Az: S 7 AS 4008/15, Urteil

§ 37 Abs 1 S 1 SGB 2, § 37 Abs 2 S 1 SGB 2, § 37 Abs 2 S 2 SGB 2, § 130 Abs 1 S 1 BGB, § 130 Abs 3 BGB, § 444 ZPO, § 36a Abs 1 SGB 1, § 20 Abs 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 11.07.2019, Az. B 14 AS 51/18 R (REWIS RS 2019, 5540)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 5540

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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