Bundessozialgericht, Urteil vom 14.02.2013, Az. B 14 AS 51/12 R

14. Senat | REWIS RS 2013, 8181

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Abgrenzung von Einkommen und Vermögen - Zufluss am Tag der Antragstellung - Berücksichtigung als Einkommen


Leitsatz

Bei der Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen ist nicht auf die exakte Uhrzeit des Zuflusses, sondern den jeweiligen Kalendertag abzustellen.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für alle Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten sind Leistungen nach dem [X.] - ([X.]), insbesondere deren Beginn und die Berücksichtigung von Einkommen.

2

Der im Jahr 1968 geborene, im [X.] wohnende, alleinstehende Kläger, der schon früher Leistungen nach dem [X.] bezogen hatte, ging bis zum 31.3.2008 einer Beschäftigung nach und bekam sein Gehalt für den März 2008 in Höhe von 1189,45 Euro netto am [X.] auf seinem Konto bei der [X.] gutgeschrieben. Ebenfalls am [X.] beantragte er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] bei der [X.] ([X.]) M Aufgrund der damals im [X.] bestehenden getrennten Trägerschaft bewilligte die [X.] dem Kläger nur die Regelleistung ab 1.5.2008 und verwies ihn im Übrigen an den [X.] In einem weiteren Bescheid lehnte sie für den Monat April 2008 Leistungen wegen des als Einkommen zu berücksichtigenden Märzgehaltes ab (Bescheid vom 22.4.2008; Widerspruchsbescheid vom 10.6.2008).

3

Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht ([X.]) die genannten Bescheide aufgehoben und die [X.] verurteilt, dem Kläger für April Leistungen nach dem [X.] ohne Anrechnung seines Märzgehaltes zu zahlen, weil ihm das Gehalt schon am 1.4. ab 00.01 Uhr und damit vor der Antragstellung zu den üblichen Öffnungszeiten der [X.] zur Verfügung gestanden habe (Urteil vom 7.10.2009). Das [X.] ([X.]) hat die Berufung zugelassen, auf die Berufung des Jobcenters [X.], der als zwischenzeitlich zugelassener kommunaler Träger in die Rechtsstellung der [X.] eingetreten war, das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.3.2012). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die am [X.] auf dem Konto des [X.] gutgeschriebene Gehaltszahlung für März sei im April 2008 zu berücksichtigendes Einkommen iS des § 11 [X.]. Dass die Antragstellung am [X.] nach 11.30 Uhr und damit zeitlich erst nach der Gutschrift des Betrags auf dem Konto um 10.50 Uhr erfolgt sei, stehe dem nicht entgegen. Denn zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen sei zwar auf den Tag der Antragstellung abzustellen, nicht aber auf die Uhrzeit an diesem Tag. Bezugspunkt für die Leistungen nach dem [X.] sei der Kalendertag (§ 41 Abs 1 Satz 1 [X.]) und Leistungen würden erst ab Antragstellung erbracht (§ 37 Abs 2 Satz 1 [X.]).

4

Mit der - vom [X.] zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er macht geltend, das Urteil verletze § 11 Abs 1, § 12 Abs 1, § 37 Abs 2 [X.] in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung. Nach der vom [X.] angeführten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B[X.]) sei auf den [X.]punkt der Antragstellung abzustellen und nicht auf den Kalendertag. Das Rückwirkungsverbot in § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] habe nur deklaratorische Bedeutung. Anspruch auf Leistungen beständen nur für jeden vollen Kalendertag, vorliegend also erst ab dem 2.4.2008. Die Manipulationsüberlegungen des [X.] träfen nicht zu, wenn er habe manipulieren wollen, würde er den Antrag erst am 2.4. gestellt haben. Erst durch die Neufassung des § 37 Abs 2 Satz 2 [X.] nF und die darin angeordnete Rückwirkung eines Antrags auf den Monatsersten sei die Rechtsfrage ab dem 1.1.2011 geklärt, was für die [X.] vorher für die Rechtsauffassung des [X.] spreche.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen [X.]s vom 21. März 2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 7. Oktober 2009 zurückzuweisen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des [X.] ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Das [X.] hat zu Recht auf die Berufung des Beklagten das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen das beklagte Jobcenter als Rechtsnachfolger der ursprünglich beklagten [X.] keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II für den Monat April 2008.

8

Die Rechtmäßigkeit des [X.] auf der Beklagtenseite ergibt sich aus der im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgten Zulassung des Beklagten als kommunalen Träger durch die Zweite Verordnung zur Änderung der [X.] vom 14.4.2011 ([X.] 645) und den gesetzlich angeordneten Eintritt des neuen Trägers an die Stelle des bisherigen Trägers durch § 76 Abs 3 [X.]B II in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der [X.] vom [X.] ([X.] 1112).

9

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten, vom [X.] zugesprochenen und vom [X.] zu Recht verneinten Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes im April 2008 ist § 19 Satz 1 iVm § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II in der für die strittige Zeit geltenden Fassung des [X.] vom [X.] ([X.] 2954), die abgesehen von sprachlichen Anpassungen bis heute nicht grundlegend geändert wurde. Die Grundvoraussetzungen, um Leistungen nach dem [X.]B II zu erhalten, sind nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II ein bestimmtes Alter, Erwerbsfähigkeit, [X.]keit und ein gewöhnlicher Aufenthalt in [X.]. Außerdem dürfen bestimmte Ausschlusstatbestände nicht gegeben sein (vgl § 7 Abs 1 Satz 2, Abs 4, 5 [X.]B II).

Vorliegend mangelt es beim Kläger für den strittigen April 2008 schon an der Voraussetzung der [X.]keit. [X.] ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht
1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit,
2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen
sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs 1 [X.]B II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, im Folgenden: [X.]B II aF, die der Entscheidung zugrunde zu legen ist, weil um Leistungen in abgeschlossenen Bewilligungsabschnitten gestritten wird).

Der allein lebende Kläger ist im April 2008 nicht hilfebedürftig gewesen, weil sich sein Bedarf maximal nur aus der Regelleistung in Höhe von 347 Euro plus seinen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung von rund 425 Euro zusammensetzte und sein zu berücksichtigendes Einkommen deutlich über diesem Betrag liegt. Dies folgt aus der am [X.] seinem Konto gutgeschriebenen und als Einnahme iS des § 11 Abs 1 [X.]B II zu berücksichtigenden Gehaltszahlung in Höhe von 1189,45 Euro netto, selbst wenn dieser Betrag noch nach dem damals geltenden § 11 Abs 2, 3 [X.]B II aF bereinigt wird. Hinsichtlich dieser tatsächlichen Feststellung des [X.] sind von Seiten der Beteiligten keine [X.] erhoben worden.

Die Gehaltszahlung ist - entgegen der Auffassung des [X.] - als (laufende) Einnahme iS des § 11 Abs 1 [X.]B II und nicht als Vermögen anzusehen, weil sie an dem selben Tag auf seinem Konto einging, an dem er auch seinen Antrag auf Leistungen nach dem [X.]B II stellte. Auf die Uhrzeit der Kontogutschrift - vorliegend um 10.50 Uhr - und den Zeitpunkt der Antragstellung bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten - erst nach 11.30 Uhr - kommt es nicht an.

Dies kann schon den vom [X.] und den Beteiligten angeführten Entscheidungen des Senats vom 30.7.2008 ([X.] AS 26/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.] ff; - [X.] [X.]/07 R - Rd[X.] 22 ff; - [X.]/11b [X.] - Rd[X.] ff, jeweils mwN) entnommen werden. Nach diesen ist zusammengefasst von Folgendem auszugehen: Als Einkommen zu berücksichtigen ist grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, Vermögen ist alles, was er vor der Antragstellung bereits hatte. Dies folgt aus § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II, der im Wesentlichen wortgleich mit dem bis zum 31.12.2004 geltenden § 76 Bundessozialhilfegesetz ([X.]) übereinstimmt, sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des [X.] ([X.]), den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 15/1516 [X.] zu § 11) und dem Sinn und Zweck der Leistungen nach dem [X.]B II als bedarfsabhängige Fürsorgeleistungen. Entsprechend der vom [X.] zuletzt vertretenen modifizierten Zuflusstheorie ist auf den tatsächlichen Zufluss der Einnahmen abzustellen, soweit nicht rechtlich ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wird (normativer Zufluss). Auf die Identität der Zweckbestimmung oder des Zeitraums der Leistung und des Bedarfs kommt es nicht an (vgl nur [X.] vom [X.] - 5 C 35/97 - [X.]E 108, 296 ff). Da die Leistungen nach dem [X.] keinen Antrag voraussetzten (§ 5 [X.]), während die nach dem [X.]B II antragsabhängig sind (§ 37 [X.]B II), beginnt die "Bedarfszeit" - so der Begriff des [X.] - im Rahmen des [X.]B II erst mit der Antragstellung, sodass diese auch der maßgebliche Zeitpunkt für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen ist.

Dem hat sich der ebenfalls für das [X.]B II zuständige 4. Senat des B[X.] in mehreren Entscheidungen vom [X.] ([X.] AS 19/07 R - B[X.]E 101, 281 = [X.] 4-4200 § 11 [X.]; [X.] AS 29/07 R - B[X.]E 101, 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.]; [X.] AS 57/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]) und vom 16.12.2008 ([X.] [X.]/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]) angeschlossen. Der erkennende Senat ist dieser Rechtsprechung auch im Weiteren gefolgt (Urteil vom [X.] - [X.] AS 13/08 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] 22; Urteil vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/09 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] 36).

Diesen Entscheidungen kann darüber hinaus entnommen werden, dass "mit Zeitpunkt der Antragstellung" als Zäsur zwischen Einkommen und Vermögen nicht die Uhrzeit an dem jeweiligen Tag der Antragstellung gemeint ist, sondern dieser Tag der Antragstellung. Denn als maßgebliche Begründung wird anknüpfend an die Rechtsprechung des [X.] auf die Bedarfszeit abgestellt und die kleinste mögliche Bedarfszeit nach dem [X.]B II ist der Tag (vgl § 41 Satz 1 [X.]B II, die Rückwirkungsregelung in § 37 Abs 2 Satz 2 [X.]B II aF). Wird der Antrag an einem bestimmten Tag gestellt, so gilt er schon für diesen Tag und nicht erst für den nächsten. Der Antrag gilt auch nicht nur anteilig für diesen Tag der Antragstellung, je nachdem um wie viel Uhr er gestellt wurde. Denn mit der Antragstellung beim zuständigen Träger ist der Antrag bei diesem eingegangen (§ 16 Abs 2 Satz 2 [X.]). Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag und eine zeitlich anteilige Erbringung von Leistungen sieht das Gesetz nur für Monate vor 41 Abs 1 Satz 1, 3 [X.]B II).

Im Übrigen wird zur Konkretisierung des Begriffs "Zeitpunkt" schon in den Urteilen vom 30.7.2008 auf das Datum abgestellt und der Begriff damit einem Kalendertag gleichgesetzt. Denn es wird ausgeführt, "da die Antragstellung gemäß § 37 [X.]B II am 25. Mai 2005 erfolgte, stellt dieses Datum hier die maßgebliche Zäsur dar" (so wörtlich im Urteil - [X.] [X.]/07 R - Rd[X.] 26; ähnlich in - [X.] AS 26/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] Rd[X.] 23 am Ende).

Bestätigt wird dieses auf den Kalendertag abstellende Ergebnis durch die zwischenzeitliche Neuregelung des § 37 Abs 2 Satz 2 [X.]B II durch das Gesetz zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.]B II und des [X.] vom [X.] ([X.] 453), nach der der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf "den [X.]" zurückwirkt, auch wenn diese Neuregelung vorliegend nicht anzuwenden ist, weil der Entscheidung die Rechtslage im strittigen Zeitpunkt zugrunde gelegt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 51/12 R

14.02.2013

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG München, 7. Oktober 2009, Az: S 52 AS 1676/08, Urteil

§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 12 Abs 1 SGB 2, § 37 Abs 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 37 Abs 2 S 2 SGB 2 vom 24.12.2003, § 37 Abs 2 S 2 SGB 2 vom 24.03.2011, § 41 Abs 1 S 1 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 14.02.2013, Az. B 14 AS 51/12 R (REWIS RS 2013, 8181)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8181

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 14 AS 52/18 R (Bundessozialgericht)

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Rückwirkung des Leistungsantrags auf den Monatsersten - Einkommens- und/oder Vermögensberücksichtigung - …


B 14 AS 101/11 R (Bundessozialgericht)

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Abgrenzung von Einkommen und Vermögen - Erbschaft - Berücksichtigung als Einkommen …


B 14 AS 45/09 R (Bundessozialgericht)

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Vermögens- statt Einkommensberücksichtigung - Erbschaft - Vermächtnis - Eintritt des Erbfalles …


B 14 AS 20/17 R (Bundessozialgericht)

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung - Zahlungen aus titulierter Schadensersatzforderung aus außergerichtlichem Vergleich …


B 14 AS 15/18 R (Bundessozialgericht)

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung - Erbschaft - Zeitpunkt des Erbfalls während des …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.