Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 13.09.2017, Az. 1 BvR 1998/17

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2017, 5416

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

PROZESSKOSTENHILFE VERSÄUMNISURTEIL SCHRIFTLICHES VORVERFAHREN

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer eA: Anwaltszwang im Unterhaltsverfahren (§ 114 Abs 1 FamFG) und Versäumnisbeschluss gegen Antragsgegner ohne Entscheidung über dessen Verfahrenskostenhilfeantrag - Folgenabwägung: kein schwerer, irreversibler Nachteil infolge Vollstreckung des Versäumnisbeschlusses - strafrechtliche Sanktion (§ 170 StGB) unwahrscheinlich


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich gegen das Unterlassen einer richterlichen Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe sowie einen [X.] in einem familienrechtlichen [X.]. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt er, den angegriffenen [X.] zum Zwecke der Abwehr schwerer Nachteile einstweilig außer Vollzug zu setzen.

2

1. a) Der Antragsteller ist Vater eines [X.], der bei seiner Mutter, der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers, lebt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. Juni 2017 beantragte diese in eigenem Namen, den Antragsteller zur Zahlung von rückständigem und zukünftigem Kindesunterhalt für den gemeinsamen [X.] zu verpflichten und ihr zugleich Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres [X.] zu bewilligen. Zu diesem Antrag nahm der Antragsteller mit Schreiben vom 24. Juli 2017 Stellung und beantragte seinerseits die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nebst Beiordnung eines Rechtsanwalts, den er jedoch noch nicht benannte. In der Sache trug er vor, dass er aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sei, den beantragten Kindesunterhalt zu leisten.

3

Mit nicht angegriffenem Beschluss des Amtsgerichts vom 1. August 2017 wurde der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers die beantragte Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Mit Verfügung vom gleichen Tag ordnete das Amtsgericht das schriftliche Vorverfahren an, stellte dem Antragsteller zugleich die Antragsschrift vom 22. Juni 2017 zu und forderte diesen auf, dem Gericht innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung seine Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen.

4

Am 7. August 2017 suchte der Antragsteller das Amtsgericht auf und gab gegenüber der zuständigen [X.] zu Protokoll, dass er das Gericht darum bitte, vorab über seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, damit er sodann einen Anwalt mandatieren könne, der ihn in dieser Angelegenheit vertrete und nachträglich beigeordnet werden könne. Er bat weiterhin darum, die in dem gerichtlichen Schreiben vom 1. August 2017 gesetzte Frist zu verlängern respektive erst dann in Gang zu setzen, wenn über seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe entschieden sei. Hinsichtlich der Begründung seines [X.]s verwies er auf seine Eingabe vom 24. Juli 2017.

5

Mit Schreiben vom 11. August 2017 teilte die zuständige Richterin dem Antragsteller mit, dass das Gericht erst nach Prüfung der Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung über seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden könne. Er werde deshalb nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich im [X.] von einem Rechtsanwalt vertreten lassen müsse. Vortrag, der nicht von einem Rechtsanwalt erfolge, könne das Gericht nicht berücksichtigen. Insoweit werde nochmals auf die gerichtliche Verfügung und den entsprechenden Hinweis vom 1. August 2017 verwiesen. Wenn sich der Antragsteller im vorliegenden Verfahren verteidigen wolle, müsse er unverzüglich einen Rechtsanwalt beauftragen.

6

Der Antragsteller sprach daraufhin am 15. August 2017 erneut bei der [X.] des Amtsgerichts vor und erkundigte sich danach, ob über seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe bereits entschieden worden sei. Mit [X.], nach seinem Vortrag vom selben Tage, forderte der Antragsteller das Amtsgericht dazu auf, vorab über seinen [X.] zu entscheiden, da es ihm sonst aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich sei, einen Anwalt zu mandatieren.

7

b) Mit angegriffenem [X.] vom 30. August 2017, dem Antragsteller zugestellt am 1. September 2017, wurde dieser zur Zahlung rückständigen sowie zukünftigen Kindesunterhalts an seine geschiedene Ehefrau sowie das Jobcenter verpflichtet.

8

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Antragsteller die Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 6 [X.] sowie Art. 103 Abs. 1 GG.

9

Das Unterlassen einer Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch und der gleichzeitige Erlass eines [X.]es stellten einen Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot dar. Das Amtsgericht habe ihm als Sozialleistungsempfänger dadurch, dass es nicht über den [X.] entschieden habe, die Möglichkeit genommen, einen Rechtsanwalt zu beauftragen und sich im Rahmen des Anwaltsverfahrens wirksam zu verteidigen. Ihm drohten mit dem Ablauf der Einspruchsfrist am 15. September 2017 Vollstreckungsmaßnahmen sowie ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren und ein Strafprozess wegen Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 StGB).

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist im Ergebnis unbegründet.

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] einen Zustand durcheinstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiesen sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das [X.] grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).

2. Die Verfassungsbeschwerde erscheint zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, vielmehr spricht einiges dafür, dass der Antragsteller durch den [X.] in Grundrechten, insbesondere im Recht auf Rechtsschutzgleichheit, verletzt ist. Der [X.] wurde erlassen, nachdem die [X.] zur Verteidigungsanzeige fruchtlos verstrichen war. Der Antragsteller hatte innerhalb der Frist die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Der beizuordnende Rechtsanwalt sollte nach Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe unverzüglich benannt werden. Das Amtsgericht hat jedoch ausdrücklich davon Abstand genommen, über den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, weil es erst nach der Prüfung der Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung hierüber entscheiden könne. Zugleich hat das Gericht erklärt, wegen des im [X.] geltenden [X.] (§ 114 Abs. 1 FamFG) könne nur Vortrag berücksichtigt werden, der durch einen Rechtsanwalt erfolge. Der Antragsteller macht aber gerade geltend, nicht aus eigenen Mitteln einen Anwalt einschalten und demnach zu den Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung nicht wirksam vortragen zu können. Das Gericht hat den vom Antragsteller persönlich gestellten [X.] trotz des im [X.] geltenden [X.] nicht zum Anlass genommen, den [X.] bis zur Entscheidung über den Antrag zurückzustellen (vgl. hierzu aber [X.], Beschluss vom 27. Februar 2001 - 11 W 15/01 -, juris, Rn. 13; [X.] in [X.], ZPO, 31. Aufl. 2016, § 276 Rn. 10; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 38. Aufl. 2017, § 276 Rn. 5).

3. Jedoch lässt sich nicht feststellen, dass eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. [X.] die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache jedoch als begründet, wäre nach Ablauf der Einspruchsfrist eine Vollstreckung aus dem angegriffenen [X.] rechtlich möglich, so dass der Antragsteller der Vollstreckung des gegen ihn gerichteten Unterhaltsanspruchs aus dem [X.] ausgesetzt wäre. Dass dem Antragsteller durch diese Vollstreckung ein schwerwiegender unumkehrbarer Nachteil entstehen könnte, ist nicht ersichtlich. Sollte die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache Erfolg haben, würde der angegriffene [X.] aufgehoben und der Antragsteller könnte seine Verteidigungsrechte im Fall der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe geltend machen. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer Unterhaltsverletzung (§ 170 StGB) dürfte aufgrund des angegriffenen Beschlusses kaum drohen, zumal Entscheidungen im Rahmen von [X.] als solche keine Bindungswirkung für den Strafrichter entfalten (vgl. [X.], in: [X.] Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 170 Rn. 31 m.w.N.).

Meta

1 BvR 1998/17

13.09.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

nachgehend BVerfG, 20. Juni 2018, Az: 1 BvR 1998/17, Stattgebender Kammerbeschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, §§ 1601ff BGB, § 1601 BGB, § 1612a BGB, § 112 Nr 1 FamFG, § 114 Abs 1 FamFG, § 231 Abs 1 Nr 1 FamFG, § 170 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 13.09.2017, Az. 1 BvR 1998/17 (REWIS RS 2017, 5416)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1203-1204 REWIS RS 2017, 5416


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 1998/17

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 1998/17, 20.06.2018.

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 1998/17, 13.09.2017.


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Wird zitiert von

1 BvR 1998/17

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1 BvR 1998/17

1 BvR 2507/16

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