Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2017, Az. 3 StR 308/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5164

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Gegenstand

Strafzumessung bei sexuellem Kindesmissbrauch: Strafmildernde Wirkung des zeitlichen Abstandes zwischen Deliktsbegehung und Urteil


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 1. Februar 2017 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1a Satz 1 [X.]).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

1. [X.], mit der der Beschwerdeführer die rechtsfehlerhafte Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen S.     rügt, ist unbegründet.

Zwar genügt die Begründung des Ablehnungsbeschlusses nicht den Anforderungen, die an die Darlegung der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit der [X.] im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2 [X.] zu stellen sind; auf diesen Ablehnungsgrund hat die [X.] die Entscheidung ersichtlich tragend gestützt. Es reicht als Begründung nicht hin, die Ablehnung - wie die [X.] - allein auf die inhaltslose Aussage zu stützen, dass die behauptete [X.] für den Fall ihres [X.] "nur einen möglichen, nicht aber zwingenden Schluss" zulasse und "das Gericht auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses den gewünschten Schluss nicht ziehen" wolle. Erforderlich ist vielmehr in aller Regel, dass der Beschluss konkrete fallbezogene Erwägungen darüber enthält, warum das Tatgericht aus der [X.] keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen im Grundsatz denjenigen, denen das Tatgericht genügen müsste, wenn es die [X.] durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, weshalb sie auf seine Überzeugungsbildung ohne Einfluss geblieben ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 - 3 [X.], [X.], 110, 111; vom 5. August 2015 - 1 StR 300/15, [X.]R [X.] § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 30; vom 13. Dezember 2016 - 3 [X.], [X.], 119; ferner [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., § 244 Rn. 225 mwN).

Jedoch beruht das Urteil nicht auf dem [X.] (s. § 337 Abs. 1 [X.]). Denn die tatsächliche Bedeutungslosigkeit der [X.] lag und liegt hier aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen auf der Hand; es ist auszuschließen, dass die Prozessführung der Verteidigung durch die unzulängliche Begründung des Ablehnungsbeschlusses beeinträchtigt wurde (s. hierzu [X.], Beschluss vom 16. Januar 2007 - 4 StR 574/06, [X.], 352; vom 10. November 2015 - 3 [X.], [X.], 117, 118; [X.]/[X.] aaO, Rn. 226).

2. Die Strafzumessung begegnet in einem Punkt sachlichrechtlichen Bedenken: Die [X.] hat die seit den Taten bis zur Urteilsverkündung vergangene Zeitspanne von zwölf bis 13 Jahren nur einschränkend zugunsten des Angeklagten gewürdigt, weil diesem Umstand in Fällen des sexuellen Kindesmissbrauchs "nicht die gleich hohe Bedeutung" wie sonst zukomme. Eine derartige pauschale Relativierung der strafmildernden Wirkung des zeitlichen Abstands zwischen Deliktsbegehung und Urteil ungeachtet einzelfallbezogener Feststellungen ist rechtsfehlerhaft; sie folgt insbesondere nicht aus einem allgemeinen Rechtsgedanken, welcher der Verjährungsvorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB entnommen werden könnte (vgl. - in Abkehr von früherer anderslautender Rechtsprechung - [X.], Beschluss vom 12. Juni 2017 - [X.], juris).

Die von der [X.] festgesetzten [X.] und die hieraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe sind indes angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a Satz 1 StGB.

Die Angemessenheit einer Rechtsfolge hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere der nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände, zu beurteilen. Das ist hier auch möglich, weil alle für die Strafzumessung erforderlichen Feststellungen von der [X.] getroffen worden sind und es daher keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf. Ein [X.] auf ein Vorgehen nach § 354 Abs. 1a Satz 1 [X.] war nicht geboten, weil der Angeklagte auf Grund der Antragsschrift des [X.] Kenntnis von einer im Raum stehenden [X.] im Revisionsverfahren erlangt hat; er hat hierzu auch Stellung genommen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers steht der Anwendung des § 354 Abs. 1a Satz 1 [X.] auf die für die Taten 1 bis 12 sowie 14 bis 18 verhängten Strafen nicht entgegen, dass bei [X.] Strafzumessung die für minder schwere Fälle vorgesehenen milderen Strafrahmen des § 176 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB aF bzw. des § 176a Abs. 3 Halbsatz 1 StGB aF in Betracht kämen. Dabei kann hier dahinstehen, inwieweit eine Entscheidung nach § 354 Abs. 1a Satz 1 [X.] auch dann möglich ist, wenn das Tatgericht von einem unzutreffenden Strafrahmen ausgegangen ist (so [X.], Beschlüsse vom 29. Oktober 2004 - 2 StR 381/04, [X.], 76, 77; vom 26. April 2006 - 2 [X.], juris Rn. 3; vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, juris Rn. 6; vom 13. Oktober 2009 - 5 StR 347/09, [X.], 21; vgl. auch [X.], Beschluss vom 9. Januar 2008 - 5 StR 554/07, [X.], 182, 183 [zu § 354 Abs. 1a Satz 2 [X.]]), oder ob ein solches Vorgehen des [X.] ausgeschlossen ist, wenn ein anderer Strafrahmen zugrunde zu legen ist (so [X.], Beschlüsse vom 1. Dezember 2006 - 2 [X.], [X.], 176; vom 18. Mai 2010 - 3 [X.], [X.], 714) oder - wie die Revision geltend macht - in Betracht kommt (so [X.], Beschluss vom 4. Februar 2010 - 4 StR 585/09, [X.], 159). Denn hier lagen minder schwere Fälle im Sinne der genannten Vorschriften auch bei uneingeschränkter strafmildernder Gewichtung des Zeitablaufs seit den Taten offensichtlich nicht vor (zu einem anderen derartigen Evidenzfall s. [X.], Beschluss vom 11. August 2009 - 3 [X.], [X.] 2011, 177, 180). Das jeweilige Tatbild war geprägt von der spezifischen Ausgestaltung des [X.] zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger im Rahmen der langfristigen individualpädagogischen Maßnahme, wie es in den Urteilsgründen näher beschrieben ist (vgl. [X.]). Darüber hinaus handelt es sich vorliegend um eine Tatserie über einen langen Zeitraum hinweg mit einer durch die 18-malige Deliktsbegehung gesteigerten Beeinträchtigung der durch § 174 Abs. 1 StGB aF sowie §§ 176, 176a StGB aF geschützten Rechtsgüter.

Auf der Grundlage des zutreffend ermittelten, vollständigen und aktuellen [X.] kann der Senat daher diese und die weiteren für die Strafzumessung relevanten Umstände und deren konkretes Gewicht selbst abwägen und entscheiden, dass die Einzelstrafen, die die [X.] nach der Intensität der Sexualkontakte abgestuft hat, ebenso wie die Gesamtstrafe angemessen sind.

Schäfer     

       

Gericke     

       

Tiemann

       

Berg     

       

Hoch     

       

Meta

3 StR 308/17

19.09.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aurich, 1. Februar 2017, Az: 11 KLs 26/16

§ 46 StGB, § 78 Abs 1 Nr 1 StGB, § 176 StGB, § 176a StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2017, Az. 3 StR 308/17 (REWIS RS 2017, 5164)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5164

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3 StR 635/17

3 StR 308/17

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