Bundessozialgericht, Urteil vom 09.06.2017, Az. B 11 AL 14/16 R

11. Senat | REWIS RS 2017, 9725

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Insolvenzgeldanspruch - erneutes Insolvenzereignis - Freigabeerklärung zur weiteren Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gem § 35 Abs 2 InsO - Sondervermögen außerhalb des ersten Insolvenzverfahrens - andauernde Zahlungsunfähigkeit - Europarechtskonformität)


Leitsatz

Ein Versicherter hat keinen erneuten Insolvenzgeld-Anspruch nach Erklärung der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter im Rahmen eines ersten Insolvenzverfahrens bei fortbestehender Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das freigegebene Sondervermögen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 9. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Zahlung von Insolvenzgeld ([X.]).

2

Die Klägerin war ab Oktober 2010 bei dem Inhaber des C.-Pflegedienstes Herrn [X.] (nachfolgend: Arbeitgeber) als Hauswirtschafterin beschäftigt. Über dessen Vermögen wurde mit Beschluss des [X.] am 1.11.2011 ein Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Die Beklagte bewilligte der Klägerin [X.] für rückständiges Arbeitsentgelt in den Monaten September und Oktober 2011 in Höhe von 1614,65 Euro.

3

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens gab der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit des Arbeitgebers aus dem [X.] nach § 35 Abs 2 der Insolvenzordnung ([X.]) frei (Schreiben des Insolvenzverwalters vom 8.11.2011). Der Arbeitgeber betrieb den Pflegedienst sodann in reduziertem Umfang weiter. Das zunächst befristete Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde zum 1.1.2012 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt.

4

Ein erneutes Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit, das die im Rahmen des ersten Insolvenzverfahrens freigegebene Tätigkeit betraf, wurde mit Beschluss des [X.] vom 1.8.2012 eröffnet. Den weiteren Antrag auf Bewilligung von [X.] vom [X.], mit dem die Klägerin geltend machte, dass noch Arbeitsentgelt für die Monate Juni/Juli 2012 in Höhe von insgesamt 2473,21 Euro ausstehe, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 2[X.]; Widerspruchsbescheid vom 27.9.2012).

5

Das [X.] hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des [X.] zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, einem Anspruch auf [X.] stehe entgegen, dass die Zahlungsunfähigkeit des früheren Arbeitgebers der Klägerin, auf der die Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens am 1.11.2011 beruht habe, bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 1.8.2012, ununterbrochen fortgedauert habe. Dies ergebe sich aus den aktenkundigen Unterlagen, insbesondere den gutachtlichen Stellungnahmen des Insolvenzverwalters vom 30.7.2012 und 28.11.2012 an das [X.]. In seinem Schreiben an das [X.] vom 3.6.2013 sei er zu der nachvollziehbaren Einschätzung gelangt, dass der Schuldner die Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt habe. Ein anderes Ergebnis folge auch nicht daraus, dass sich das zweite Insolvenzverfahren auf das nach Eröffnung vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen des Arbeitgebers aus seiner selbstständigen Tätigkeit und damit eine andere Masse bezogen habe. Das [X.]B III gehe davon aus, dass es grundsätzlich nur ein Insolvenzereignis für den Anspruch auf [X.] gebe. Bei dem Schutz durch [X.] im Arbeitsförderungsrecht habe der Gesetzgeber von Anfang an vor Augen gehabt, dass durch die Aufrechterhaltung eines Betriebs nach einem Insolvenzereignis weitere Arbeitsentgelt- und Beitragsrückstände entstehen könnten. Er habe sich dennoch bewusst für eine nur beschränkte Sicherung der Ansprüche der Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträger aus der Insolvenzgeldversicherung entschieden. [X.] stehe der bisherigen Auslegung und Anwendung der [X.]B III-Vorschriften zum Vorliegen eines erneuten [X.] nicht entgehen.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 165 Abs 1 Satz 1 [X.]B III, des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG und Art 2 Abs 1 GG) sowie von Art 2 Abs 1 der Richtlinie 2008/94/[X.] und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (nachfolgend: [X.] 2008/94/[X.]). Nach Freigabe der Tätigkeit habe sie davon ausgehen müssen, dass es mit dem Betrieb bergauf gehe und sie eine Vergütung erhalte. In seinen bisherigen Entscheidungen habe sich das B[X.] nur mit der Bedeutung eines Insolvenzplanverfahrens für einen Anspruch auf [X.] befasst. Erfolge - wie hier - eine Freigabeerklärung müsse auch der Schutz des sozial schwächeren Arbeitnehmers, für den der Umstand einer durchgehenden Zahlungsunfähigkeit nicht erkennbar sei, beachtet werden.

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 9. Juni 2016 und des [X.] vom 6. Dezember 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2012 Insolvenzgeld für die Monate Juni und Juli 2012 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie führt aus, ein neues Insolvenzereignis könne nicht eintreten, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauere. Nach den Tatsachenfeststellungen und der Beweiswürdigung des [X.] sei dies hier der Fall. Der Freigabebeschluss des Insolvenzverwalters könne schon nach seinem Inhalt nicht die Annahme rechtfertigen, dass eine Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt worden sei.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der [X.]lägerin ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Das [X.] hat die Berufung der [X.]lägerin gegen das klageabweisende Urteil des [X.] zu Recht zurückgewiesen.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 27.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2012 (§ 95 [X.]G), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der [X.]lägerin für die Monate Juni und Juli 2012 [X.] für ausgefallenes Arbeitsentgelt zu zahlen. Die [X.]lägerin verfolgt ihr Begehren zu Recht mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1 und 4 [X.]G).

2. Die Voraussetzungen für einen Anspruch der [X.]lägerin auf [X.] liegen nicht vor, weil es an einem (erneuten) [X.] im Sinne des [X.]B III fehlt.

a) Nach § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]B III in der Fassung des [X.] der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 ([X.]) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf [X.], wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem [X.] für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als [X.] gilt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers ([X.]), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ([X.]) oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt ([X.]).

Zwar ist durch den Beschluss des [X.] vom [X.] erneut ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden, sodass ein weiteres Insolvenzverfahren im Sinne der [X.] vorliegt. Ein (neues) arbeitsförderungsrechtliches [X.] iS des § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]B III ist damit jedoch nicht eingetreten, weil das frühere [X.] - hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen desselben Arbeitgebers vom 1.11.2011 - gegenüber dem Eintritt eines weiteren [X.]ses eine Sperrwirkung im arbeitsförderungsrechtlichen Sinne entfaltet.

b) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass ein neues [X.] im Sinne des [X.]B III nicht eintritt und folglich keine Ansprüche auf [X.] auslöst, solange die auf einem früheren [X.] beruhende Zahlungsunfähigkeit desselben Arbeitgebers noch andauert. Dies war hier der Fall.

Für die Annahme einer wiedererlangten Zahlungsfähigkeit genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit fortführt und die laufenden Verbindlichkeiten, wie insbesondere die [X.], befriedigt. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr so lange auszugehen wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet deshalb nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelnen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommt (B[X.] vom 21.11.2002 - [X.] [X.] 35/02 R - B[X.]E 90, 157, 158 = [X.]-4300 § 183 [X.], [X.]; B[X.] vom 29.5.2008 - [X.]a [X.] 57/06 R - B[X.]E 100, 282 = [X.] 4-4300 § 183 [X.], Rd[X.]1; B[X.] vom 6.12.2012 - [X.] [X.] 11/11 R - B[X.]E 112, 235 ff = [X.] 4-4300 § 183 [X.]4, Rd[X.]6; B[X.] vom 17.3.2015 - [X.] [X.] 9/14 R - NZS 2015, 591 ff; vgl bereits zum [X.]aug nur B[X.] vom 27.8.1998 - B 10 [X.] 7/97 R - [X.]-4100 § 141e [X.], S 8).

Nur bei einem Wechsel des Arbeitgebers während des [X.] kann es - wegen der rechtlichen Bezogenheit des Eintritts eines [X.]ses auf den jeweiligen Arbeitgeber - gerechtfertigt sein, von einem anderen [X.] iS der §§ 165 ff [X.]B III auch unbesehen einer zwischenzeitlich erneut erlangten Zahlungsfähigkeit auszugehen (B[X.] vom [X.] - B[X.]E 55, 195 = [X.] 4100 § 141b [X.]7). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben, weil das zweite [X.] denselben Arbeitgeber im insolvenzgeldrechtlichen Sinne betraf.

Zur durchgehenden Zahlungsunfähigkeit hat das [X.] - für den Senat bindend - festgestellt (§ 163 [X.]G), dass bei dem Schuldner bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder eingetreten ist, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Dabei ist das [X.] nicht von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der Zahlungsunfähigkeit ausgegangen. Seine Feststellung wird vielmehr durch folgende Zahlen erhärtet: Am Tag der Eröffnung des (erneuten) Insolvenzverfahrens über das freigegebene Vermögen, dem [X.], haben Aktiva im Form eines Vermögens in Höhe von 220 305,35 Euro Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 614 381,43 Euro gegenüber gestanden. Unter Berücksichtigung von Aus- und Absonderungsrechten ist für die freie Masse lediglich ein Vermögen in Höhe von 39 309,35 Euro verfügbar gewesen, aus der die Verbindlichkeiten zu befriedigen waren. Das [X.] hat festgestellt, dass der Arbeitgeber der [X.]lägerin auch nach der Freigabe seiner betrieblichen Tätigkeit bereits am 8.11.2011 insbesondere im Entgeltbereich (Ansprüche auf Arbeitsentgelt, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung) seit Januar 2012 wiederum erhebliche Rückstände aufgebaut und auch sonstige laufende Verbindlichkeiten, etwa bezogen auf das Grundstück in [X.], von dem aus der Pflegedienst zuletzt betrieben worden ist, nicht begleichen konnte.

c) Die vorliegende [X.]onstellation eines zweiten Insolvenzverfahrens nach Freigabe des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit im Rahmen des ersten Insolvenzverfahrens (siehe hierzu aa) rechtfertigt keinen Verzicht auf das Erfordernis einer tatsächlichen Behebung der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nach einem ersten Insolvenzverfahren (siehe hierzu [X.]). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats zu Ansprüchen auf [X.] bei Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens (siehe hierzu [X.]). Ein etwaiges Vertrauen des Arbeitnehmers auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit - auch soweit es sich auf eine bestimmte Gestaltung des Insolvenzverfahrens bezieht - kann nur im Rahmen des § 165 Abs 3 [X.]B III berücksichtigt werden und begründet nach aktueller Gesetzeslage keinen Anspruch auf [X.] (siehe hierzu [X.]). [X.] steht nicht entgegen (siehe hierzu ee).

aa) Der Insolvenzverwalter hat mit seiner Erklärung vom 8.11.2011 entschieden, die selbstständige Tätigkeit des Arbeitgebers der [X.]lägerin freizugeben, ohne dass diese dauerhafte und unwiderrufliche Erklärung ([X.] in [X.]/[X.], Insolvenzordnung, 8. Aufl 2016, § 35 [X.] Rd[X.] 76) durch die nachlaufende Sonderkompetenz des Gläubigerausschusses bzw der Gläubigerversammlung (§ 35 Abs 2 Satz 3 [X.]) außer [X.] gesetzt worden ist.

Mit seiner Erklärung gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber der [X.]lägerin hat der Insolvenzverwalter von der durch § 35 Abs 2 Satz 1 [X.] (in der Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom [X.] ) eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, gegenüber einem Schuldner, der - wie hier der Arbeitgeber der [X.]lägerin - eine selbstständige Tätigkeit ausübt, klarzustellen, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Bei dieser sog [X.] oder Negativerklärung, mit welcher der Insolvenzverwalter das Vermögen eines Schuldners aus der selbstständigen Tätigkeit freigibt, handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Erklärung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Schuldner. Mit dieser Erklärung verzichtet der Insolvenzverwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus § 80 Abs 1 [X.] hinsichtlich des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit (vgl BT-Drucks 16/3227 [X.]).

Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 [X.] betrifft als Erklärung mit Gesamtwirkung nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern ist auf eine bestimmte Form des Wirtschaftens in Gestalt einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gerichtet. Das unternehmerische Vermögen als Gesamtheit von Gegenständen und Werten wird aus dem Insolvenzverfahren herausgelöst. Rechte und Pflichten daraus sind folglich außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen ([X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 Rd[X.]53). Die ab dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte des Schuldners stehen als ihm gehörendes [X.] grundsätzlich allein den Neugläubigern, deren Forderungen erst nach der Freigabeerklärung entstanden sind, nicht aber den (bisherigen) Insolvenzgläubigern als [X.] zur Verfügung. Insofern zerschneidet die Negativerklärung das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner zukünftig ausgeübten selbstständigen Tätigkeit. Vertragsverhältnisse werden insgesamt und je als Ganzes erfasst. Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen sind - auch ohne zusätzliche [X.]ündigungserklärungen des Insolvenzverwalters - ab Zugang der bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters insgesamt nur noch gegen den Schuldner, und nicht mehr gegen die Masse durchsetzbar ([X.] vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - [X.], 322 ff, 327 f; [X.] vom 18.4.2013 - IX ZR 165/12 - [X.], 1314, 1315; [X.] vom 22.5.2014 - IX ZR 136/13 - NJW 2014, 2585 ff; B[X.] vom 10.12.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 118, 30 = [X.] 4-2500 § 85 [X.], Rd[X.]5 ff). Auch das Arbeitsverhältnis zwischen der [X.]lägerin und ihrem Arbeitgeber bestand nach der Freigabeerklärung mit dieser Maßgabe fort ([X.] vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - [X.]E 146, 295, 299 f).

[X.]) Mit einer Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 [X.] ist aber nicht bereits aus Gründen des Insolvenzrechts die zwingende Vermutung auch des Wiedereintritts der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers der [X.]lägerin im Sinne der Regelungen des [X.] nach dem [X.]B III verbunden. Zwar ist ein weiteres Insolvenzverfahren - nach einmaliger Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 [X.] oder bei einer [X.]ette von Folgeinsolvenzen nach zulässigen weiteren Freigaben - nicht von vornherein [X.] ([X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 Rd[X.]75 f), weil eine neue selbstständige [X.] entsteht und den neuen Schuldnern zur Verfügung steht. Auch die neue [X.] ist aber - gerade zB bezogen auf fortlaufende Vertragsverhältnisse - mit den bisherigen vertraglichen Pflichten belastet. In einer doppelten Teleologie ([X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 Rd[X.]66) soll durch die Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht nur dem Schuldner eine Chance auf eine erfolgreiche Selbstständigkeit und wirtschaftlichen Neubeginn gegeben werden, sondern gerade auch die Insolvenzmasse von Verbindlichkeiten aus der weiteren gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entlastet werden ([X.] vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - [X.], 322, 333). Aus Sicht des Insolvenzverwalters bei der Freigabeerklärung ist es bei einer Abwägungsentscheidung in einer Gesamtschau aller Faktoren [X.] in [X.]/[X.], Insolvenzordnung, 8. Aufl 2016, § 35 [X.] Rd[X.] 66) gegebenenfalls sinnvoll, eine Negativerklärung gerade bei einer die Masse potentiell belastenden, also wirtschaftlich voraussichtlich nicht erfolgreichen Tätigkeit abzugeben ([X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 Rd[X.]76; [X.] vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - [X.]E 146, 295 ff, 300 "legislatorisches Ziel, dem Insolvenzverwalter die Freigabe verlustreicher Betriebsführung zu ermöglichen"; vgl auch BT-Drucks 16/3227, [X.]). Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Regelung des § 35 Abs 2 [X.] [X.]onsequenz der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit des Schuldners ist, der auch während des Insolvenzverfahrens eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben kann ([X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 [X.] Rd[X.]32). Zudem muss der Schuldner eine Ausgleichsabgabe aus Erträgen der neuen Tätigkeit an die [X.] entrichten (§ 35 Abs 2 Satz 2 iVm § 295 Abs 3 [X.]).

Unter Berücksichtigung dieser Ausgestaltung des [X.] ist es regelmäßig ergebnisoffen, ob die Zahlungsfähigkeit bei Fortführung der selbstständigen Tätigkeit wiederhergestellt wird. Hier hat der Arbeitgeber der [X.]lägerin eine Zahlungsfähigkeit nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.], an die der Senat gebunden ist (§ 163 [X.]G) - auch unter Berücksichtigung des kurzen Zeitraums zwischen den beiden [X.]sen (vgl Voelzke in [X.]/[X.], [X.]B III, [X.] § 165 Rd[X.] 62, Stand Februar 2016) - nicht wieder erlangt.

[X.]) Bezogen auf die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens hat der Senat zudem bereits betont, dass es die [X.]onkurrenz von regulärem Insolvenzverfahren und Insolvenzplanverfahren ausschließt, allein das Insolvenzplanverfahren zu begünstigen, indem den Gläubigern durch die wiederholte Zuerkennung von [X.]-Ansprüchen ein Sondervorteil verschafft wird (B[X.] vom 21.11.2002 - [X.] [X.] 35/02 R - B[X.]E 90, 157 = [X.]-4300 § 183 [X.], Rd[X.]9). Diese Überlegung greift auch für das hier vorliegende Freigabeverfahren im Insolvenzfall, welches mehrfach hintereinander erfolgen kann (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 Rd[X.]75 f).

Zwar liegt bei einer Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners im Insolvenzverfahren eine andere Ausgangslage vor, weil - anders als in den vom Senat bereits entschiedenen Fallgestaltungen von Insolvenzplanverfahren - ein Sondervermögen außerhalb des Insolvenzverfahrens gebildet wird (vgl hierzu [X.]rasney, [X.]rV 2015, 84; zum Insolvenzplanverfahren B[X.] vom 21.11.2002 - [X.] [X.] 35/02 R - B[X.]E 90, 157 = [X.]-4300 § 183 [X.]; B[X.] vom 29.5.2008 - [X.]a [X.] 57/06 R - B[X.]E 100, 282 = [X.] 4-4300 § 183 [X.]; B[X.] vom 6.12.2012 - [X.] [X.] 11/11 R - B[X.]E 112, 235 ff = [X.] 4-4300 § 183 [X.]4; B[X.] vom 17.3.2015 - [X.] [X.] 9/14 R - NZS 2015, 591). Dies führt jedoch - wie dargelegt - wegen der damit verfolgten verschiedenen Zielsetzungen nicht zwingend zu der Annahme der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit. Mit den §§ 165 ff [X.]B III verfolgt der Gesetzgeber dagegen lediglich die (begrenzte) Sicherung bestimmter Lohnforderungen bei Insolvenz des Arbeitgebers. Trotz eines engen inhaltlichen Zusammenhangs zwischen den Vorschriften der [X.] und anderen insolvenz- und arbeitsrechtlichen Sicherungsmechanismen bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers mit dem arbeitsförderungsrechtlichen [X.] (Voelzke in [X.]üttner, [X.] 2017, 24. Aufl 2017 "Insolvenzgeld") kann auch bei einer Freigabeerklärung im Insolvenzverfahren nicht auf eine Wiederherstellung der tatsächlichen Zahlungsfähigkeit nach einem ersten [X.] verzichtet werden.

[X.]) Ein etwaiges Vertrauen der [X.]lägerin auf eine mögliche Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit ihres Arbeitgebers kann keinen erneuten Anspruch auf [X.] begründen.

Vertrauensschutzgesichtspunkte im Zusammenhang mit einem [X.] berücksichtigt allein die Regelung des § 165 Abs 3 [X.]B III. Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines [X.]ses weitergearbeitet oder eine Arbeit aufgenommen, besteht hiernach ein Anspruch auf [X.] für die dem Tag der [X.]enntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses (vgl zur Entstehungsgeschichte dieser beiden Vertrauensschutztatbestände: B[X.] vom 27.8.1998 - B 10 [X.] 7/97 R - [X.]-4100 § 141e [X.]; BT-Drucks 12/3211, [X.]; zur vorangegangenen Rspr: B[X.] vom 19.3.1986 - 10 [X.] - [X.] 4100 § 141b [X.]7; B[X.] vom [X.] - 10 [X.] - 10 [X.] - [X.] 4100 § 141b [X.] 45 S 167; B[X.] vom [X.] - 10 [X.] - [X.] 4100 § 141b [X.] 46 [X.]0).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Umwandlung des befristeten Arbeitsverhältnisses in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht das Tatbestandsmerkmal der Aufnahme einer Arbeit iS des § 165 Abs 3 [X.]B III erfüllt. Jedenfalls steht die [X.]enntnis der [X.]lägerin von dem ersten [X.] am 1.11.2011 einer Anwendbarkeit des § 165 Abs 3 [X.]B III entgegen. Von einer Unkenntnis von einem [X.] im Sinne dieser Regelung ist nur auszugehen, solange kein ausreichender Anhaltspunkt vorhanden ist, dass der Arbeitnehmer [X.]enntnis von einem vorausgegangenen [X.] nach § 165 Abs 1 [X.]B III hat ([X.] in [X.], [X.]B II/[X.]B III, § 165 [X.]B III, Rd[X.] 77 f, Stand 12/2014). Wegen der Anknüpfung des geschützten Vertrauens an den tatsächlich gegebenen Umstand eines [X.]ses kann nicht allein das Vertrauen eines Arbeitnehmers auf ein etwaiges "Potential" des derzeit zahlungsunfähigen, aber beruflich weiterhin tätigen Arbeitgebers, also auf möglicherweise in Zukunft zu erwartende Einnahmen, dazu führen, dass ein erneuter Anspruch auf [X.] trotz weiterhin vorliegender Zahlungsunfähigkeit besteht (vgl B[X.] vom 29.5.2008 - [X.]a [X.] 57/06 R - B[X.]E 100, 282 = [X.] 4-4300 § 183 [X.], Rd[X.]5). Von der Anknüpfung einer Vertrauensschutzregelung an die Art und Weise der Ausgestaltung eines Insolvenzverfahrens (Insolvenzplanverfahren, Freigabeerklärung zur weiteren Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit des Arbeitgebers) unbesehen einer weiterhin bestehenden tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit hat der Gesetzgeber bisher abgesehen, obgleich der Schuldner für seine weitere selbstständige Tätigkeit auf eine Beschäftigung der bisherigen Arbeitnehmer nach Freigabeerklärung als unentbehrliche Betriebsgrundlage zumeist angewiesen ist (vgl zu diesem Aspekt [X.] vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - [X.]E 146, 295 ff, 300; kritisch auch [X.], [X.] 13/2015, Anm 1).

ee) Diese Auslegung und Anwendung des § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]B III verstößt nicht gegen Vorgaben des [X.] Rechts. Nach Art 2 Abs 1 der [X.] gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat. Dies setzt weiter voraus, dass entweder die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde die Eröffnung des Verfahrens beschlossen oder festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen. Die Richtlinie knüpft also grundsätzlich an ein formelles [X.] an und ermöglicht es den Mitgliedstaaten, mehrere formell eigenständige, wegen materiell andauernder Insolvenz aber sachlich verbundene Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammen zu fassen. Eine solche Zusammenfassung wird durch diese Option jedoch nicht europarechtlich angeordnet ([X.]olbe, [X.] 2014, 2155, 2157); sie existiert im nationalen Recht nicht.

Die europarechtliche Regelung schreibt nicht vor, dass und unter welchen Voraussetzungen ein bereits eingetretenes [X.] arbeitsförderungsrechtlich abgeschlossen ist, um ein neues [X.] annehmen zu können (vgl bereits B[X.] vom 21.11.2002 - [X.] [X.] 35/02 R - B[X.]E 90, 157, 161 = [X.]-4300 § 183 [X.] S 7; B[X.] vom 6.12.2012 - [X.] [X.] 10/11 R; B[X.] vom 17.3.2015 - [X.] [X.] 9/14 R - NZS 2015, 591 ff). Der [X.] hat zudem aus dem Schutzzweck der Richtlinie abgeleitet, dass "eine Verbindung zwischen der Zahlungsunfähigkeit und den unbefriedigten Ansprüchen auf Arbeitsentgelt" bestehen müsse (Urteil vom 28.11.2013 - [X.]/12 - [X.] 2014, 291, 295). Wegen dieses kausalen Zusammenhangs zwischen dem Forderungsausfall und einer materiellen Insolvenz können bei einer Mehrheit von [X.]sen nur dann mehrere Garantieansprüche ausgelöst werden, wenn ein entsprechender Zusammenhang für jedes dieser Ereignisse zu bejahen ist ([X.]olbe, [X.] 2014, 2155, 2158). Daran fehlt es hier bezogen auf das weitere [X.] vom [X.].

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 14/16 R

09.06.2017

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Gelsenkirchen, 6. Dezember 2013, Az: S 4 AL 549/12, Urteil

§ 165 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 3 vom 20.12.2011, § 35 Abs 2 S 1 InsO vom 13.04.2007, Art 2 Abs 1 EGRL 94/2008

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 09.06.2017, Az. B 11 AL 14/16 R (REWIS RS 2017, 9725)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9725

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Insolvenzverwalter als Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinne


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IX ZR 75/11

IX ZR 165/12

IX ZR 136/13

6 AZR 979/11

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