Bundessozialgericht, Urteil vom 06.12.2012, Az. B 11 AL 10/11 R

11. Senat | REWIS RS 2012, 684

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Insolvenzgeldanspruch - erneutes Insolvenzereignis - Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens und sich anschließender nicht mehr überwachter Insolvenzplan - andauernde Zahlungsunfähigkeit - einheitliches Insolvenzereignis - Gesamtverfahren - unmittelbare Wirkung der EGRL 74/2002)


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. März 2011 aufgehoben. Die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 14. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Insolvenzgeld ([X.]) für die [X.] vom 1.2. bis [X.].

2

Der Kläger war [X.] ("Vertragsamateur") beim [X.] ([X.]; im Folgenden: Arbeitgeber). Das [X.] (AG) eröffnete erstmals mit Beschluss vom 1.1.2000 über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren, bestätigte den vom damaligen Insolvenzverwalter vorgelegten Insolvenzplan, der den Erhalt des Arbeitgebers gewährleisten sollte und ordnete dessen Überwachung für die Dauer von zwei Jahren an. Mit Beschluss vom 1.12.2000 stellte das AG das Insolvenzverfahren ein und hob am 5.12.2002 die Überwachung wegen Ende der Überwachungszeit auf ([X.] vom 15.1.2003). Am 9.12.2002 bestätigte der damalige Insolvenzverwalter, dass ihm als einzige fällige, nicht erfüllte [X.] eine solche des Herrn M. bekannt sei, er aber keine Bedenken habe, dass die Überwachung durch [X.]ablauf per 30.11.2002 ende.

3

Am 3.12.2003 bzw 23.12.2003 beantragten der Arbeitgeber und die [X.] erneut die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit. Nachdem ein Gutachten die Überschuldung des Arbeitgebers ergeben hatte (Arbeitsentgeltrückstände: 309 818,64 Euro; Beitragsrückstände gegenüber den Einzugsstellen: 367 938,30 Euro), eröffnete das AG mit Beschluss vom 2.2.2004 ein zweites Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers.

4

Auf seinen ersten Antrag vom 16.2.2000 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die [X.] vom 1.10. bis zum 31.12.1999 [X.] in Höhe von 12 016,99 DM (Bescheid vom 8.3.2000). Vom [X.] bis zum 30.6.2003 war der Kläger aufgrund eines befristeten Vertrags vom 16.5.2002 (für die Saison 2002/2003) erneut als Vertragsfußballspieler beim Arbeitgeber beschäftigt. In einem Arbeitsgerichtsprozess einigten sich Arbeitgeber und Kläger darauf, dass das Vertragsverhältnis zum [X.] geendet habe und ein Vertragsverhältnis zum jetzigen Insolvenzverwalter nicht begründet worden sei. Bereits am 25.2.2004 hatte der Kläger erneut die Gewährung von [X.] bei der Beklagten beantragt.

5

Mit Bescheid vom 9.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von (erneutem) [X.] ab, weil nach dem ersten [X.] eine Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers nicht wiederhergestellt worden sei.

6

Das Sozialgericht ([X.]) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das [X.] (L[X.]) hat das erstinstanzliche Urteil sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger [X.] für die [X.] vom 1.2. bis [X.] entsprechend der [X.]-Bescheinigung des Insolvenzverwalters zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar bestehe ein Anspruch des [X.] auf Zahlung von [X.] nicht bereits nach § 183 Abs [X.] ([X.]B III), weil der Kläger bereits aufgrund des ersten [X.] [X.] erhalten habe, die Vorschrift aber nur den Arbeitnehmer schütze, der in Unkenntnis eines [X.] weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen habe. Der Anspruch des [X.] bestehe jedoch nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 [X.]B III für die bei Eintritt des (neuen) [X.] vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Zwar könne ein neues [X.] solange nicht eintreten, wie die auf einem bestimmten [X.] beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauere. Diese ende nicht schon dadurch, dass der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfülle. Auch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgericht nach Bestätigung des vom Insolvenzverwalter überwachten Insolvenzplans beseitige den zunächst eingetretenen Insolvenzfall noch nicht mit der Möglichkeit des Entstehens neuer Ansprüche auf [X.]. Dies gelte jedenfalls solange, wie die im Insolvenzplan vorgesehene Überwachung der Planerfüllung andauere. Gleichwohl sei die erneute Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2.2.2004 ein hinreichendes [X.], um einen neuen Anspruch auf [X.] zu begründen. Denn § 183 Abs 1 [X.]B III sei unter Beachtung der Richtlinie des [X.] vom [X.] zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitglieder über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ([X.], [X.], 23) idF der [X.] 2002/74 dahingehend auszulegen, dass auch ein nachfolgendes zweites "formelles" [X.] bei fortbestehender Insolvenz ausreichend sei, einen Anspruch auf [X.] auszulösen, wenn durch den nationalen Gesetzgeber nachfolgende Insolvenzverfahren nicht mit dem vorhergehenden zu einem [X.] zusammengefasst seien. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik der genannten Richtlinie ([X.]). Einer Anwendung der [X.] stehe nicht der Umstand entgegen, dass nach der maßgebenden Fassung die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorschriften spätestens zum [X.] zu erlassen hätten. Aus den dokumentierten Erwägungen zu der [X.] 2002/74 folge, dass der Richtliniengeber einerseits die Arten der Insolvenzverfahren habe erweitern, andererseits aber auch dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit habe eröffnen wollen, eine Mehrheit von Verfahren als einheitliches [X.] zu behandeln. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass grundsätzlich jedes formell definierte [X.] geeignet sei, den Anspruch zu begründen.

7

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 [X.]B III. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: In seiner bisherigen Rechtsprechung habe das [X.] (B[X.]) zwar nicht die vorliegende Fallgestaltung und Fragestellung erfasst, ob der früher eingetretene Insolvenzfall durch eine zweite Zahlungsunfähigkeit beseitigt werde, wenn im ersten Insolvenzverfahren zwar die Anordnung der Überwachung des Insolvenzplans erfolgt sei, jedoch die Überwachung vor Beginn des [X.]-[X.]raums geendet habe. Auch für diesen Fall müsse jedoch von einem einzigen Insolvenzverfahren ("[X.]") ausgegangen werden. Für die Rechtsauffassung der Beklagten spreche auch, dass eine Initiative des [X.], durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des L[X.] einzuführen, nicht umgesetzt worden sei.

8

Die Beklagte beantragt
das Urteil des Sächsischen [X.]s vom 9.3.2011 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom [X.] zurückzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält das vorinstanzliche Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Wiederherstellung der [X.] erstinstanzlichen Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz ).

1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf [X.] gemäß § 183 Abs 1 [X.] [X.] wegen des ab Februar 2003 ausgefallenen Arbeitsentgelts liegen nicht vor.

Maßgebend ist § 183 Abs 1 [X.] [X.] in der Fassung, die die Vorschrift durch das [X.] vom [X.] ([X.] 3443) erhalten hat und die bis 31.3.2012 unverändert geblieben ist (vgl auch ab 1.4.2012 § 165 [X.] idF des [X.] der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, [X.] 2854). Danach hat ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines [X.]ses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat, Anspruch auf [X.]. [X.] ist nach § 183 Abs 1 [X.] [X.] ua die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Durch den Beschluss des [X.] ist jedoch kein (neues) [X.] eingetreten. Denn die Insolvenzeröffnung durch Beschluss des AG vom 1.1.2000 entfaltet insoweit eine Sperrwirkung, die einem neuen Anspruch entgegensteht.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, an der der [X.] festhält, tritt ein neues [X.] nicht ein und kann folglich auch Ansprüche auf [X.] nicht auslösen, solange die auf einem bestimmten [X.] beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert (vgl [X.], 157, 158 = [X.]-4300 § 183 [X.] 3; [X.], 282, 284 = [X.] 4-4300 § 183 [X.] 9, Rd[X.] 11, jeweils mwN). Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet nicht schon dann, wenn der Schuldner wieder einzelnen Zahlungsverpflichtungen nachkommt ([X.] aaO).

Unter Beachtung dieser in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Feststellungen des [X.] ist die Auffassung der Beklagten, die auf dem im Jahre 2000 eingetretenen [X.] beruhende Zahlungsunfähigkeit habe in der Folgezeit fortbestanden, nicht zu beanstanden. Das [X.] hat unmissverständlich festgestellt, dass der jedenfalls seit Ende der Spielsaison 1998/1999 insolvente Arbeitgeber des [X.] auch danach zu keinem [X.]punkt die Zahlungsfähigkeit wiedererlangt hat. Es hat die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers insbesondere in der [X.] ab 2000 ausführlich dargestellt und im Ergebnis ausgeführt, dass die ursprüngliche Insolvenz aufgrund des fehlgeschlagenen Sanierungskonzepts zum Erhalt des Arbeitgebers bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens noch nicht beendet war und dass der Arbeitgeber auch zu keinem [X.]punkt nach der Beendigung des ersten Insolvenzplanverfahrens mit Ablauf des [X.] bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am [X.] in der Lage war, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen dauerhaft zu erfüllen. Das durchgehende Fehlen von Zahlungsfähigkeit wird auch dadurch offenkundig, dass der Arbeitgeber von Mitte 2000 bis Mitte 2002 weitere [X.] von jeweils rund einer Million Euro erwirtschaftet hat. Diese den [X.] gemäß § 163 SGG bindenden, tatsächlichen Feststellungen des [X.] führen zwingend zur Sperrwirkung des [X.]ses aus dem Jahre 2000 mit der Folge, dass dem Kläger über das hierfür erhaltene [X.] hinaus kein weiterer Anspruch zusteht.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Feststellungen des [X.], wonach das Insolvenzgericht am 1.12.2000 das Insolvenzverfahren einstellte und die Überwachung wegen Ende der Überwachungszeit am 5.12.2002 aufhob. Insoweit ist die Rechtsprechung des [X.]s zu beachten, wonach allein aus der Bestätigung eines Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens noch nicht folgt, dass der zunächst eingetretene Insolvenzfall beseitigt wäre; denn die nur die Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens betreffenden Wirkungen des Insolvenzplans nach Maßgabe des § 255 Insolvenzordnung ([X.]) werden hinfällig, wenn der Schuldner den Plan nicht erfüllt ([X.], 157, 159 = [X.]-4300 § 183 [X.] 3). An dieser Rechtsprechung hält der [X.] weiter fest.

Soweit der [X.] darüber hinaus in der Vergangenheit für die Annahme fortdauernder Zahlungsunfähigkeit auf die andauernde Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter abgestellt hat ([X.], 282, 285 = [X.] 4-4300 § 183 [X.] 9, Rd[X.] 14), ist hieraus nicht etwa zu folgern, dass immer von der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit auszugehen wäre, wenn der Insolvenzplan nicht (mehr) überwacht wird. Bei andauernder [X.] wird lediglich besonders deutlich, dass insbesondere im Hinblick auf die fortbestehenden Befugnisse des Insolvenzverwalters von einer Wiedererlangung der Fähigkeit, fällige Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, von vornherein keine Rede sein kann. Der [X.] hat deshalb ausdrücklich offengelassen, wie in Fällen fehlender oder später wieder aufgehobener [X.] zu verfahren ist ([X.], 157, 161 = [X.]-4300 § 183 [X.] 3). Diese Rechtsprechung entwickelt der [X.] in dem Sinne weiter, dass auch dann ein einheitlicher Insolvenztatbestand vorliegen kann, wenn keine Überwachung der Planerfüllung stattfindet. Dies ist anhand der Einzelumstände zu prüfen und im Streitfall von den [X.] festzustellen. Wird - wie im vorliegenden Fall durch das [X.] - eindeutig festgestellt, dass der Arbeitgeber bis zur Beendigung der [X.] (per [X.]) und auch danach bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens (am [X.]) zu keinem [X.]punkt die Fähigkeit wieder erlangt hat, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, muss es bei der Sperrwirkung des [X.]ses bleiben.

2. Ein Anspruch auf [X.] kann auch nicht - wie das [X.] zu Recht ausgeführt hat - aus § 183 Abs 2 [X.] hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines [X.]ses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat, [X.] auch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses erhalten. Ein solcher Anspruch kommt unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht. Denn dem Kläger war das maßgebliche [X.] von 2000 bereits bekannt, weil er hierfür [X.] erhalten hatte (vgl [X.], 282, 285 f = [X.] 4-4300 § 183 [X.] 9, Rd[X.] 16).

3. Der Rechtsmeinung des [X.], § 183 [X.] sei "richtlinienkonform" dahingehend auszulegen, dass bei fehlender [X.] auch ein nachfolgendes zweites "formelles" [X.] für einen Anspruch auf [X.] ausreiche, folgt der [X.] nicht.

Die Ausführungen des [X.], der Umstand, dass von den Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der [X.]/987 idF der [X.] 2002/74 bis [X.] zu erlassen seien, stehe einer "sofortigen Anwendung" dieser Richtlinie nicht im Wege, stehen bereits nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.] ([X.]). Denn hiernach kommt der [X.] 2002/74 im Fall ihrer Nichtumsetzung unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem [X.] eingetretenen [X.] zu ([X.], Urteil vom 17.1.2008 - [X.]/06 - [X.]E I 2008, 105; Urteil vom 10.3.2011 - [X.]/09 - NJW 2011, 1791). Im vorliegenden Fall war jedoch der zweite (unbeachtliche) Insolvenzfall bereits durch Beschluss des [X.] eingetreten.

Unabhängig davon verkennt das [X.] bei seiner Auslegung der [X.]/987 idF der [X.] 2002/74 den Regelungsgehalt des Art 2 der [X.], der insbesondere definiert, wann ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig "gilt". Dem Text des Art 2 Abs 1 in der hier maßgebenden Fassung (jetzt: [X.] 2008/94 vom 22.10.2008) sind aber keine ausdrücklichen Bestimmungen zu der im vorliegenden Fall streitigen Frage zu entnehmen, ob einem Arbeitnehmer, der bereits aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers eine Garantieleistung iS der [X.] erhalten hat, bei andauernder Zahlungsunfähigkeit durch die zuständige Garantieeinrichtung erneut eine Leistung zu gewähren ist. Soweit aufgrund der Änderungen durch die [X.] 2002/74 von einem "[X.]" sowie in Art 2 Abs 4 davon die Rede ist, dass die Mitgliedstaaten "nicht gehindert sind", den Schutz der Arbeitnehmer auch "auf andere Situationen der Zahlungsunfähigkeit" auszuweiten, erfordert dies jeweils den Erlass entsprechender Rechts- oder Verwaltungsvorschriften durch die Mitgliedstaaten, über die diese frei entscheiden können (vgl Abschnitt 5 der Erwägungen der [X.] 2002/74 und auch Abschnitt 4 der Erwägungen bzw Art 2 Abs 4 der Neufassung der [X.] durch die [X.] 2008/94 vom 22.10.2008, [X.] vom 28.10.2008, S 36 ff).

Nicht zu folgen vermag der [X.] dem [X.] insbesondere, soweit es aus den Materialien zur Änderung der [X.]/987 durch die [X.] 2002/74 den Schluss zieht, jedes "formell definierte [X.]" iS der [X.]/987 sei geeignet, einen Anspruch gegen die Garantieeinrichtung zu begründen. Das [X.] verweist hierzu vor allem auf den "Gemeinsamen Standpunkt" des [X.] ([X.] vom 22.5.2002, [X.] E/1), in dessen Abschnitt 5 - wortgleich übernommen in Abschnitt 5 der Erwägungen der [X.] 2002/74 [X.] - ausgeführt ist, es sei angebracht, mit dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit "auch andere Insolvenzverfahren als Liquidationsverfahren zu erfassen", und die Mitgliedstaaten sollten "vorsehen können, dass für den Fall, dass das Vorliegen einer Insolvenz zu mehreren Insolvenzverfahren führt, die Situation so behandelt wird, als würde es sich um ein einziges Insolvenzverfahren handeln". Aus Sicht des [X.]s ist nicht nachvollziehbar, inwiefern dies "im Umkehrschluss" bedeuten soll, dass - mangels [X.] gesetzlicher Regelungen, die mehrere Insolvenzverfahren zu einem [X.] zusammenfassen - im vorliegenden Fall die "formelle" Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 19.6.2003 einen neuen Anspruch auf [X.] auslöst. Den Mitgliedstaaten räumen die Erwägungen die Möglichkeit ein, für die Zukunft auch andere Verfahren einzubeziehen und für diesen Fall einschränkend zu bestimmen, wann mehrere Verfahren als "einziges" Verfahren zu behandeln sind. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass ohne ausdrückliche Neuregelung zwei aufeinanderfolgende [X.]se nicht als einheitliches [X.] behandelt werden dürften, wenn zwischenzeitlich weiterhin Zahlungsunfähigkeit bestanden hat.

Für die Auffassung des [X.] sprechen schließlich auch nicht die angeführten wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen ([X.], 35 des Urteilsumdrucks), der auch Äußerungen im Schrifttum zugrunde liegen ([X.]/[X.] NZI 2011, 569, 571 ff und NZS 2011, 689, 691). Es mag zwar wünschenswert sein, in [X.] über den Schutz des § 183 Abs 2 [X.] hinaus auch Arbeitnehmern, die schon einmal [X.] erhalten haben, eine zusätzliche Absicherung zuzubilligen. Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall die Sanierungsbemühungen offenbar zum Scheitern verurteilt waren, kann derartigen Vorstellungen aber nur durch den Gesetzgeber entsprochen werden. Die mit der Einführung von Insolvenzplanverfahren verfolgten Zielsetzungen rechtfertigen es nicht, allein aufgrund der Bestätigung des Plans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine erneute Inanspruchnahme der [X.]-Versicherung zu eröffnen; auch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit den §§ 183 ff [X.] nicht die Ziele der [X.] verfolgt (vgl dazu bereits [X.], 157, 160 f = [X.] 4-4300 § 183 [X.] 3). Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, hat sich der [X.] Gesetzgeber anlässlich der Überarbeitung und Neugestaltung des [X.] im Jahre 2011 insbesondere im Hinblick auf zu erwartende Mehrkosten für die umlagepflichtigen Arbeitgeber und mögliche Wettbewerbsverzerrungen gerade nicht dazu entschlossen, eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des [X.] in das [X.] aufzunehmen (vgl Gegenäußerung der Bundesregierung zur - sich explizit auf die vorliegende Entscheidung des [X.] beziehenden - Stellungnahme des [X.] zum Entwurf des [X.] der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt, BT-Drucks 17/6853 [X.], zu [X.] 2, und [X.] ff, zu Art 1 [X.] 7a und Art 2 [X.] 18).

4. Nach alledem steht das einschlägige [X.] Recht der Anwendung des § 183 Abs 1 [X.] [X.] iS der Rechtsprechung des BSG (s oben 1.) nicht entgegen. Der [X.] ist nicht gehalten, die oben behandelten Fragen zur Auslegung der [X.]/987 idF der [X.] 2002/74 dem [X.] gemäß Art 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) vorzulegen. Denn insoweit liegt bereits hinreichend aussagekräftige Rechtsprechung des [X.] vor. Geklärt ist insbesondere, dass der [X.] unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem [X.] eingetretenen [X.] zukommt ([X.], Urteil vom 17.1.2008 - [X.]/06 - [X.]E I 2008, 105; Urteil vom 10.3.2011 - [X.]/09 - NJW 2011, 1791). Nicht ersichtlich ist, dass im vorliegenden Fall durch die Anwendung des § 183 [X.] entsprechend der Auffassung des [X.]s der allgemeine Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung (vgl [X.], Urteil vom [X.]/00 - [X.]-6084 Art 2 [X.] 3; Urteil vom [X.]/05 - [X.] 4-6084 Art 3 [X.] 3; Urteil vom 17.1.2008 - [X.]/06 - [X.]E I 2008, 105) verletzt sein könnte.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 11 AL 10/11 R

06.12.2012

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Leipzig, 14. November 2006, Az: S 5 AL 987/04, Urteil

§ 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 3 vom 10.12.2001, § 183 Abs 2 SGB 3, Art 2 Abs 1 EWGRL 987/80, Art 2 Abs 1 EGRL 74/2002, Erwägungsgrund 5 EGRL 74/2002, Art 2 Abs 1 EGRL 94/2008, Art 2 Abs 4 EGRL 94/2008, Erwägungsgrund 4 EGRL 94/2008, § 255 InsO, § 258 InsO, § 259 InsO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.12.2012, Az. B 11 AL 10/11 R (REWIS RS 2012, 684)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 684

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