Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.10.2017, Az. B 6 KA 29/17 B

6. Senat | REWIS RS 2017, 4151

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Gegenstand

Vertragsärztliche Versorgung - Medizinisches Versorgungszentrum - Geltung der Grundsätze zum Gestaltungsmissbrauch - Umfang der Patientenidentität - kein Zusammenhang zwischen einer Richtigstellung infolge eines Gestaltungsmissbrauchs und einer unrichtigen Abrechnungssammelerklärung - Vergütungsanspruch auf bereicherungsrechtlicher Grundlage


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 11. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 173 049 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger, ein seit dem 1.7.2004 zugelassenes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), in dem hauptsächlich Ärzte aus dem fachärztlichen Versorgungsbereich tätig sind, wendet sich gegen Honorarrückforderungen für die [X.]/2006 bis III/2007 und I/2008 bis III/2010. In diesen Quartalen bestand formal eine Praxisgemeinschaft mit der hausärztlich tätigen Internistin [X.] Vom 1.7.2004 bis [X.] und ab dem 1.10.2010 war [X.] bei dem Kläger angestellt. Die beklagte [X.] gab den Widersprüchen gegen die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide insoweit statt, als sie die Rückforderungssumme reduzierte. Das [X.] reduzierte die Rückforderungssumme für einzelne Quartale weiter und wies im Übrigen die Klage mit Gerichtsbescheid vom [X.] ab. Das L[X.] hat mit der hier angefochtenen Entscheidung die Berufung zurückgewiesen. Der nach den Richtlinien der Abrechnungsprüfungen der [X.]en und Krankenkassen als Aufgreifkriterium für die Prüfung eines [X.] bestimmte Grenzwert von 30 % der Patientenidentität bei versorgungsbereichsübergreifenden Praxen sei deutlich überschritten worden. Dabei habe die Beklagte zutreffend auf das MVZ und nicht den einzelnen Arzt abgestellt. Die Grundsätze zum Missbrauch der Kooperationsform seien auch auf Konstellationen mit Leistungserbringern aus unterschiedlichen Versorgungsbereichen anwendbar.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) geltend macht.

3

II. [X.] hat keinen Erfolg.

4

1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G liegen nicht vor. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl B[X.] [X.]-1500 § 153 [X.] Rd[X.]3 mwN; B[X.] [X.]-1500 § 160 [X.] Rd[X.]). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt.

5

Der Kläger fragt:

"1. Dürfen die Grundsätze der Rechtsprechung zum Gestaltungsmissbrauch bei 'unechten Praxisgemeinschaften' unmodifiziert auf das Verhältnis zwischen Hausarzt und fachärztlichem MVZ angewendet werden, mit der Folge, dass die - insbesondere in ländlichen Regionen - zwangsläufig hohe Patientenidentität zur Unterstellung einer missbräuchlichen Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft indiziert wird?

6

2. Darf die [X.] einen Honorarbescheid auch dann komplett aufheben und mit weitem [X.] neu festsetzen, wenn sich der 'Abrechnungsfehler' nicht auf einen grob fehlerhaften Ansatz einer [X.], sondern um eine Implausibilität in dem Sinne handelt, dass eine Behandlung statt vom Hausarzt vom Facharzt (oder umgekehrt) vorgenommen wurde oder ist die [X.] auf [X.] der Abgrenzung der Praxen vorzuverlagern?

7

3. Ist die Frage, 'ob die gemeinsame Behandlung von vorneherein medizinisch indiziert war' und ob der Arzt mit 'Honorarsteigerungsabsicht' gehandelt hat, tatsächlich (wie das Bayerische L[X.] meint) unerheblich oder hätte der Aspekt zumindest im Rahmen der Ermessensausübung von der [X.] berücksichtigt werden müssen, mit der Folge, dass das behördliche [X.] einzuschränken ist?"

8

Zur Klärung dieser Fragen bedarf es der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht. Es besteht nach der Rechtsprechung des [X.]s kein Zweifel, dass die Grundsätze zum Gestaltungsmissbrauch auch auf die Zusammenarbeit einer Hausärztin mit einem hauptsächlich fachärztlich ausgerichteten MVZ anwendbar sind. Gestaltungsmissbrauch in Form eines Missbrauchs der Rechtsform liegt immer dann vor, wenn die formal gewählte Rechtsform nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht (B[X.]E 106, 222 = [X.]-5520 § 32 [X.], Rd[X.]4). Der Kläger hat hier nach den Feststellungen des L[X.] mit [X.] in einer Weise zusammengearbeitet, die über das Zusammenwirken in einer Praxisgemeinschaft hinausging und einer gemeinsamen Behandlung in einer Berufsausübungsgemeinschaft oder einem MVZ entsprach (vom [X.] ermittelte "Mischquote" des Anteils implausibler gemeinsamer Behandlungsfälle: 77,83 %). Soweit der Kläger meint, eine Patientenidentität in einem bestimmten Umfang sei in dieser Konstellation unvermeidlich und es sei auf die Überschneidungsquote mit dem einzelnen Facharzt im MVZ abzustellen, verkennt er zum einen, dass das formalisierte Aufgreifkriterium der prozentualen Patientenidentität bereits zulässige Zuweisungen berücksichtigt. Zum anderen ist, worauf die Vorinstanzen zutreffend hingewiesen haben, allein das MVZ und nicht die darin tätigen Ärzte Inhaber der Zulassung. Für den Umfang der Patientenidentität kann daher nur auf das MVZ als Rechtseinheit und nicht auf die Ärzte der im MVZ vertretenen Fachrichtungen abgestellt werden. Nach der vom Kläger angestrebten Berechnung wäre auch eine 100%ige Überschneidung nicht zu beanstanden, wenn sie sich auf verschiedene Fachgebiete verteilen würde. Zwar ist der Hinweis zutreffend, dass es in der grundlegenden Entscheidung des [X.]s zum Gestaltungsmissbrauch vom [X.] (B[X.]E 96, 99 = [X.]-5520 § 33 [X.]) um die Zusammenarbeit zweier Fachärzte für Allgemeinmedizin ging. In der Folgezeit hat der [X.] aber auch für die Zusammenarbeit eines Facharztes für Allgemeinmedizin und eines fachärztlich tätigen Internisten die Grundsätze des [X.] angewandt (Beschluss vom 17.2.2016 - [X.] [X.]/15 B - [X.] 2016, 311). Wenn der Kläger einwendet, dass bei der Zusammenarbeit von Praxen mit verschiedenen Versorgungsbereichen Doppelabrechnungen und eine künstliche Fallzahlvermehrung nicht eintreten könne, ist dies zum einen im Hinblick auf allgemeine übergreifende Gebührenpositionen, die von allen Ärzten abgerechnet werden können, nicht zutreffend, zum anderen begründet bereits der Verstoß gegen die formalen Regeln einen normativen Schaden (vgl B[X.]E 106, 222 = [X.]-5520 § 32 [X.], Rd[X.]7). Schließlich war das MVZ auch nicht ausschließlich fachärztlich tätig, sondern beschäftigte zwei hausärztlich tätige Ärzte. Soweit der Kläger sich gegen die Bewertung der Zusammenarbeit des [X.] mit [X.] wendet, betrifft dies den Einzelfall und vermag eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen.

9

Die Beschwerdebegründung des [X.] zu seiner zweiten Frage erschöpft sich in Darlegungen dazu, dass ihm eine grobe Fahrlässigkeit nicht vorzuwerfen sei. Auch insofern gilt, dass die Umstände des Einzelfalles keine grundsätzliche Bedeutung begründen können. Der Kläger verkennt im Übrigen, dass es für die sachlich-rechnerische Richtigstellung nach einem Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung keines Verschuldens bedarf (B[X.]E 96, 99 = [X.]-5520 § 33 [X.], RdNr 28-29). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die [X.] den gesamten Honorarbescheid für ein Quartal allein wegen der Unrichtigkeit der Abrechnungssammelerklärung aufhebt. Diese Rechtsfolge setzt voraus, dass unrichtige Angaben in den [X.] zumindest grob fahrlässig erfolgt sind (B[X.] SozR 3-5550 § 35 [X.] S 5). Nach der Rechtsprechung des [X.]s besteht kein Zusammenhang zwischen einer Richtigstellung infolge eines [X.] und einer unrichtigen Abrechnungssammelerklärung (Beschluss vom 17.2.2016 - [X.] [X.]/15 B - [X.] 2016, 311). Zwar haben die Vorinstanzen hier eine unrichtige Sammelerklärung für die [X.]/2006 bis III/2007 wegen Pflichtverletzungen im Rahmen der gemeinsamen Behandlung von Patienten und für die Quartale I/2008 bis III/2010 wegen der Falschabrechnung der [X.] [X.] bejaht. Die vom [X.] vorgenommene und vom L[X.] bestätigte Schätzung bezog sich aber allein auf die Berechnung der auf die unzulässige gemeinsame Behandlung entfallenden Honoraranteile. Der [X.] hat im Fall einer vorgetäuschten Gemeinschaftspraxis auch eine Verpflichtung des Arztes zur vollständigen Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Honorare gebilligt und betont, diese Rechtsfolge sei unvermeidlich, um die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu erhalten (B[X.]E 106, 222 = [X.]-5520 § 32 [X.], Rd[X.]6 f). Ebenso hat der [X.] dort die [X.] als berechtigt angesehen, das verbleibende Honorar im Wege der Schätzung zu ermitteln (B[X.] aaO Rd[X.]9-70).

Die Darlegungen des [X.] zu seiner dritten Frage betreffen den von ihm zu ersetzenden Schaden, den er unter Bezugnahme auf von ihm vorgelegte [X.] als Null bezeichnet. Damit verkennt der Kläger den im Vertragsarztrecht geltenden normativen Schadensbegriff. Eine Alternativberechnung scheidet danach aus. Für Leistungen, die nicht gemäß den Bestimmungen des Vertragsarztrechts erbracht worden sind, steht dem Vertragsarzt bzw MVZ auch kein Vergütungsanspruch auf bereicherungsrechtlicher Grundlage zu. Im Übrigen hat das [X.] bei seiner Schätzung berücksichtigt, dass nach seiner Auffassung keine systematische Doppelabrechnung von Fällen erfolgt ist.

2. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm §§ 154 ff VwGO. Als erfolgloser Rechtsmittelführer hat der Kläger auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).

3. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Rückforderungssumme (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 52 Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 3 GKG).

Meta

B 6 KA 29/17 B

11.10.2017

Bundessozialgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KA

vorgehend SG München, 9. März 2016, Az: S 21 KA 14/14

§ 106a Abs 2 SGB 5, § 95 Abs 1 S 2 SGB 5, § 812 BGB, §§ 812ff BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.10.2017, Az. B 6 KA 29/17 B (REWIS RS 2017, 4151)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4151

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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