Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.07.2022, Az. B 7 AS 21/22 B

7. Senat | REWIS RS 2022, 4568

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Recht auf den gesetzlichen Richter - Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit nach Beendigung der Instanz


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 27. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Gemäß § 160 Abs 2 [X.] SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Kläger behauptet zwar [X.], das Urteil des [X.] verletze das Recht auf den gesetzlichen [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG), weil der zuständige [X.] - wie erst aus den Entscheidungsgründen des Urteils erkennbar gewesen sei - befangen gewesen sei und es unterlassen habe, seine [X.]efangenheit anzuzeigen. Der behauptete Verfahrensmangel liegt aber nicht vor.

2

Nach der gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG entsprechend geltenden Regelung der ZPO über die Ablehnung von [X.] kann die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit eines [X.]s im Grundsatz nur in der Weise geltend gemacht werden, dass ein Ablehnungsgesuch gemäß § 44 ZPO bei dem Gericht, dem der betreffende [X.] angehört, angebracht wird. Aus Sinn und Zweck der §§ 43 bis 45 ZPO ergibt sich zudem, dass ein Ablehnungsgesuch nur bis zum Erlass der Endentscheidung des Gerichts zulässigerweise angebracht werden kann, dem der abgelehnte [X.] angehört. Denn Art 101 Abs 1 Satz 2 GG gewährleistet nicht nur eine Entscheidung durch den zuständigen [X.], sondern auch, dass dem [X.] nicht die notwendige Neutralität fehlt ([X.] vom 28.4.2011 - 1 [X.]vR 2411/10). Dieser Zweck ist nach [X.]eendigung der Instanz nicht mehr erreichbar. Ein Ablehnungsgesuch kann dann folglich nicht mehr zulässig gestellt werden (vgl nur [X.]SG vom [X.] KR 48/20 [X.] - RdNr 9 mwN). Dies gilt selbst dann, wenn der [X.]etreffende den Ablehnungsgrund erst nach Erlass der Endentscheidung des Gerichts, dem der abgelehnte [X.] angehört, erfahren hat (vgl [X.]SG vom 27.1.1993 - 6 [X.] 2/91; [X.]SG vom 4.10.1996 - 11 [X.]/96).

3

Einen Ablehnungsantrag vor [X.]eendigung der Instanz gestellt zu haben, behauptet der Kläger nicht; der Verlust des Rechts zur Ablehnung eines [X.]s wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit kann auch nicht durch die vom Kläger vorgebrachte Rüge umgangen werden, der [X.] hätte sich gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 48 ZPO selbst ablehnen müssen ([X.] vom 3.3.1975 - [X.] 43.74 - [X.] 310 § 54 VwGO [X.]). Die [X.]estimmungen über den Verlust des Ablehnungsrechts nach beendeter Instanz liefen leer, wenn statt dessen die versäumte Selbstablehnung gerügt werden bzw unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen [X.]s für das [X.]eschwerdeverfahren mittelbar Erheblichkeit erlangen könnte ([X.] - [X.], 132 = [X.]-2400; [X.]SG vom 27.1.1993 - 6 [X.] 2/91 - juris Rd[X.]5).

4

Ausnahmsweise kann aber auch nach [X.]eendigung der Instanz ein Ablehnungsgesuch in zulässiger Weise angebracht werden, wenn sich erst aus den Entscheidungsgründen Hinweise auf die [X.]efangenheit eines an der Entscheidung mitwirkenden [X.]s ergeben. Voraussetzung für die erfolgreiche Rüge der nicht vorschriftsmäßigen [X.]esetzung des Gerichts ist in diesem Fall, dass der [X.] der Vorinstanz tatsächlich und so eindeutig die gebotene Distanz und Neutralität hat vermissen lassen, dass jede andere Würdigung als die einer [X.]esorgnis der [X.]efangenheit willkürlich erscheint; dann läge zugleich ein Verstoß unmittelbar gegen Art 101 Abs 1 Satz 2 GG vor ([X.] vom 7.3.2017 - 6 [X.] 53.16 - unter Verweis auf [X.] vom 21.3.2012 - 6 C 19.11 - [X.] 421.0 Prüfungswesen [X.] Rd[X.]8 und vom 16.4.1997 - 6 C 9.95 - [X.] 421.0 Prüfungswesen [X.]82 S 186; [X.]FH vom 30.5.2008 - [X.]/07 - [X.], 1510 <1511>; [X.] vom 11.7.2007 - [X.]/06 - NJW-RR 2007, 1653; [X.]SG vom [X.] - [X.] 2 U 201/99 [X.] - [X.] 2000, 1978). Hierfür ist im vorliegenden Fall auch unter [X.]erücksichtigung des [X.] nichts ersichtlich.

5

Der Kläger trägt insoweit vor, der [X.] habe ihm auf Seite 6 der Entscheidung "[X.]" unterstellt, was ein Zeichen für Ablehnung und Voreingenommenheit sei. Die Verwendung des [X.]egriffs "[X.]" in der Entscheidung des [X.] greift der Kläger zwar zurecht kritisch auf. Die Ausführungen des [X.] müssen aber im inhaltlichen Kontext der Entscheidung wie auch unter [X.]erücksichtigung des gerichtlichen Verfahrens im Übrigen gewürdigt werden und tragen im Ergebnis der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht den Schluss, der [X.] sei befangen.

6

Der Kläger beruft sich zur Zulässigkeit der von ihm verfolgten Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs 1 Satz 3 SGG) [X.] darauf, ihm stehe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes wegen eines [X.] zu (zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage vgl nur [X.]SG vom [X.] - [X.] 1 KR 19/15 R - [X.], 32 = [X.]-3250 § 17 [X.], RdNr 29 mwN). Zur [X.]egründung hat er schriftsätzlich vorgetragen, er sehe die "Rechtsanwendung des [X.] durch den [X.]eschwerdegegner in vielen Fällen als problematisch - und rechtwidrig" an. "Wer meint, einen während eines [X.] in [X.] in finanzielle Nöte geratenen Juristen und [X.]iologen durchweg wie einen arbeitslosen Taxifahrer mit Migrationshintergrund behandeln zu müssen, verstößt nicht nur gegen die Grundsätze des [X.], sondern auch gegen Verfassungsrecht. Insbesondere der Gleichheitssatz sieht vor, dass nicht nur wesentlich Gleiches gleich zu behandeln ist, sondern eben auch wesentlich Ungleiches ungleich. Und genau darum geht es im [X.]: die Verweigerung der [X.]etrachtung meiner Person als Individuum".

7

Diesen Vortrag aufgreifend führt das [X.] im Rahmen der erforderlichen rechtlichen Würdigung des [X.] für das behauptete [X.] auf Seite 6 seines Urteils [X.] aus, es sei nicht ersichtlich, dass von der bloßen Ablehnung einer Darlehenszusage eine den Kläger diskriminierende Wirkung ausgehen könne. Soweit dieser bemängele, er könne als promovierter Jurist und [X.]iologe nicht wie ein "arbeitsloser Taxifahrer mit Migrationshintergrund" behandelt werden, deute dies eher auf das Vorliegen eines gewissen "[X.]s" bei dem Kläger hin, als dass sich daraus ein Hinweis auf eine diskriminierende "unwürdige" [X.]ehandlung ergeben könne. Unabhängig von der Wortwahl im Einzelnen nimmt das [X.] in seinen Ausführungen also lediglich notwendig wertend [X.]ezug auf die Ausführungen des [X.] und prüft diese auf ihre Tragfähigkeit und Schlüssigkeit für das behauptete [X.]. [X.]erücksichtigt man zudem die weiteren Ausführungen im Urteil des [X.], die sich umfassend, in der gebotenen Form und detailliert mit dem vom Kläger als stigmatisierend empfundenen Verhalten des beklagten Jobcenters auseinandersetzen und auch auf den "eindringlichen Vortrag" des [X.] im Termin zur mündlichen Verhandlung eingehen (dessen Verlauf offenbar auch für den Kläger keinen Anlass gegeben hat, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln), ist auch unter [X.]erücksichtigung des weiteren Verfahrensablaufs vor dem [X.], [X.] dem [X.] und ausführlichen richterlichen Hinweisschreiben vom 14.4.2020, nichts dafür erkennbar, dass der [X.] trotz der Verwendung des [X.]egriffs "[X.]" in der Sache bei seiner Entscheidungsfindung tatsächlich die gebotene Distanz und Neutralität hat vermissen lassen mit der Konsequenz, dass jede andere Würdigung als die einer [X.]esorgnis der [X.]efangenheit willkürlich erschiene.

8

Die weiteren behaupteten Verfahrensmängel hat der Kläger schon nicht ordnungsgemäß dargelegt. Wenn er die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit auch damit begründen will, das Urteil sei bereits vor der mündlichen Verhandlung geschrieben worden und bereits deshalb sei sein Vortrag in der Verhandlung nicht mehr berücksichtigt worden, benennt er schon keine Anknüpfungstatsachen, auf die sich diese [X.]ehauptung stützen ließe, sondern beschränkt sich auf eine bloße Spekulation. Nichts anderes gilt, soweit der Kläger meint, die Entbindung des [X.]eklagtenvertreters von seiner Pflicht zum Erscheinen zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] sei geeignet, die [X.]efangenheit des Gerichts zu begründen.

9

Soweit er vorträgt, das Urteil verletze sein Recht auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG), denn wäre sein Vortrag zur Präjudizialität, zum [X.] und zur wesentlichen Grundrechtsbeeinträchtigung so berücksichtigt worden wie vorgetragen, hätte das Urteil zu seinen Gunsten ausgehen müssen, ist auch damit ein Verfahrensmangel nicht formgerecht gerügt. Denn nach seinem eigenen Vortrag hat das [X.] sein Vorbringen berücksichtigt, wenn auch inhaltlich nicht in der von ihm für geboten erachteten Art und Weise gewürdigt. Allein der Umstand, dass das [X.] der Rechtsauffassung des [X.] nicht gefolgt ist, begründet aber keinen Gehörsverstoß und auch keinen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (vgl [X.]SG vom 18.12.2012 - [X.] R 305/11 [X.] - und vom [X.] - [X.] R 112/11 [X.]), dass ihm also inhaltlich gefolgt wird.

Wenn der Kläger zudem meint, das [X.] habe die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu Unrecht verneint, liegt hierin ebenfalls keine ordnungsgemäße Rüge eines Gehörsverstoßes. Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist nicht, ob das [X.]erufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (stRspr; vgl nur [X.]SG vom 26.6.1975 - 12 [X.]J 12/75 - [X.] 1500 § 160a [X.]). Deshalb vermögen die vom Kläger im [X.]eschwerdeverfahren erneut vorgetragenen [X.]eeinträchtigungen wesentlicher Grundrechtspositionen durch das behauptete Verhalten der [X.]eklagtenmitarbeiter in Wiederholung seines Sachvortrags vor dem [X.] die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen; der Vortrag ist zudem nicht geeignet, einen der Revisionszulassungsgründe des § 160 Abs 2 [X.] bis 3 SGG ordnungsgemäß zu bezeichnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

                [X.]

Meta

B 7 AS 21/22 B

13.07.2022

Bundessozialgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 4. April 2018, Az: S 65 AS 14295/17, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 60 Abs 1 S 1 SGG, § 42 ZPO, § 43 ZPO, §§ 43ff ZPO, § 48 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.07.2022, Az. B 7 AS 21/22 B (REWIS RS 2022, 4568)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4568

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1 BvR 2411/10

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