Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.09.2012, Az. 2 C 48/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 2872

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Gegenstand

Versorgungsbezüge; Versorgung aus dem letzten Amt; Nichtigerklärung der dreijährigen Wartefrist; Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge


Leitsatz

1. Die Nichtigerklärung der dreijährigen Wartefrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG F1998 durch das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - BVerfGE 117, 372) zieht die Unanwendbarkeit der darauf bezogenen Ausnahme- und Anrechnungsregelungen nach sich. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung gilt die frühere Wartefrist von zwei Jahren mit den darauf bezogenen Ausnahme- und Anrechnungsregelungen übergangsweise weiter.

2. Hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzliche Grundlage eines Versorgungsfestsetzungsbescheids für nichtig erklärt, so kann der Betroffene für den Zeitraum ab Bekanntgabe dieser Entscheidung die Aufhebung des Festsetzungsbescheids und damit die Anpassung seiner Versorgungsbezüge an die verfassungsrechtlich klargestellte Rechtslage verlangen. Das Ermessen der Behörde zur Rücknahme des rechtswidrigen Versorgungsfestsetzungsbescheids ist wegen des Rechtsgedankens des § 79 Abs. 2 BVerfGG und des verfassungsrechtlichen Schutzes des Versorgungsanspruchs auf Null reduziert.

Tatbestand

1

Der 1946 geborene Kläger stand als Polizist im Dienst des [X.]. Mit Wirkung vom 1. Dezember 2004 wurde er zum [X.] ([X.] 13 [X.]) befördert. Einen diesem Amt entsprechenden Dienstposten hatte der Kläger bereits seit Januar 2002 inne. Mit Ablauf des 30. Juni 2006 trat der Kläger entsprechend der besonderen Altersgrenze für Polizeivollzugsbeamte in den Ruhestand.

2

Unter Berufung darauf, dass der Kläger erst 19 Monate vor dem Eintritt in den Ruhestand befördert worden war, setzte der Beklagte die Versorgungsbezüge des [X.] nach den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen des Amtes der [X.] 12 [X.] fest.

3

Nachdem das [X.] durch Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - ([X.] 117, 372) die dreijährige Wartefrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] für nichtig erklärt hatte, beantragte der Kläger, die bestandskräftige Versorgungsfestsetzung aufzugreifen und seine Versorgungsbezüge nach den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen des Amtes der [X.] 13 [X.] neu festzusetzen. Der Antrag und der Widerspruch des [X.] blieben erfolglos.

4

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen: Das [X.] habe auch entschieden, dass die Wartefrist von zwei Jahren noch verfassungsgemäß sei. Nach der Gesetzeslage sei es unerheblich, dass der Kläger das zuletzt innegehabte Amt der [X.] 13 [X.] erheblich länger als zwei Jahre tatsächlich wahrgenommen habe.

5

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung auf das Urteil des [X.] verwiesen. Ergänzend hat es ausgeführt: Aus dem Beschluss des [X.]s ergebe sich im Umkehrschluss, dass es die Wartefrist von zwei Jahren auch unter Wegfall der Möglichkeit der Anrechnung der Zeiten der tatsächlichen Wahrnehmung eines [X.] für verfassungsrechtlich zulässig erachtet habe. Da die Entscheidung Gesetzeskraft habe, könne sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die früher im Gesetz enthaltene Anrechnungsmöglichkeit berufen.

6

Hiergegen richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des [X.], mit der er beantragt,

die Urteile des [X.] vom 20. Mai 2011 und des Schleswig-Holsteinischen [X.] vom 3. März 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. September 2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 28. August 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Festsetzungsbescheid vom 22. Juni 2006 für den Zeitraum ab Mai 2007 aufzuheben und die Versorgungsbezüge des [X.] für den Zeitraum ab Mai 2007 auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus dem Amt des [X.]s, [X.] 13 [X.], festzusetzen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Der Vertreter des [X.] verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht und revisibles Landesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Versorgungsfestsetzungsbescheid für den [X.]raum ab Mai 2007 aufhebt und seine Versorgungsbezüge für diesen [X.]raum auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus dem Amt des [X.], [X.] 13 [X.], festsetzt.

Der Anspruch des [X.] auf Aufhebung des [X.], soweit in diesem für den [X.]raum ab Mai 2007 die Festsetzung der Versorgungsbezüge des [X.] auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge eines höheren Amtes als der [X.] 12 [X.] abgelehnt worden ist, ergibt sich aus § 118a Abs. 5 und § 116 Abs. 1 Satz 1 des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das [X.] (- LVwG -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1992 (GVOBl Schl.-H. [X.]). Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Entsprechend der für den [X.]raum ab Mai 2007 bestehenden Rechtslage sind die Versorgungsbezüge des [X.] sodann auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus dem Amt [X.] 13 [X.] festzusetzen. Bei der maßgeblichen Wartefrist von zwei Jahren ist auch die [X.] zu berücksichtigen, in der der Kläger vor seiner Ernennung die höherwertigen Funktionen des ihm später übertragenen Amtes des [X.] tatsächlich wahrgenommen hat.

Der Versorgungsfestsetzungsbescheid ist im [X.]raum ab Mai 2007 insoweit rechtswidrig, als in die Wartefrist nicht die [X.] eingerechnet worden ist, in der der Kläger vor der Amtsübertragung die Aufgaben des höherwertigen Amtes erfüllt hat. Da der Kläger die Aufgaben des Amtes eines [X.] bereits seit Januar 2002 wahrgenommen hat, hat er bei Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des Juni 2006 die für die Festlegung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge maßgebliche Wartefrist von zwei Jahren erfüllt. Damit sind für die Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge des [X.] die Bezüge des Amtes des [X.], [X.] 13 [X.], maßgebend (1). Das dem Beklagten nach § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG eröffnete Ermessen ist zu Gunsten des [X.] dahingehend reduziert, dass der Beklagte den bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheid für den [X.]raum ab Mai 2007 mit der Folge aufheben muss, dass die Versorgungsbezüge ab diesem [X.]punkt nach dem höheren Amt festzusetzen sind (2).

1. Bei dem bestandskräftig gewordenen Versorgungsfestsetzungsbescheid handelt es sich um einen [X.]. Er ist darauf gerichtet, eine laufende Geldleistung zu gewähren und damit dauerhaft Rechtswirkungen zu entfalten. Nach dem durch § 49 Abs. 1 [X.] vorgegebenen Regelungsgehalt ist dieser Bescheid die gesetzlich vorgeschriebene, rechtsverbindliche Mitteilung über die Höhe der Versorgungsbezüge. Wird festgestellt, dass der Bescheid in Bezug auf die Festsetzung der Versorgungsbezüge wegen eines nachträglich eingetretenen Umstandes rechtswidrig geworden ist, sind für die Aufhebung des Bescheids die Vorschriften über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, hier § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG, maßgebend (Urteile vom 16. November 1989 - BVerwG 2 C 43.87 - BVerwGE 84, 111 <113 f.> = [X.] 232 § 87 [X.] Nr. 64 S. 2 und vom 28. Juni 2012 - BVerwG 2 C 13.11 - Rn. 12 bis 15 ).

Da der Kläger mit Ablauf des 30. Juni 2006 in den Ruhestand getreten ist, bestimmt sich sein Ruhegehalt nach den Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes, die zu diesem [X.]punkt galten. Danach ist für die Festlegung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge des [X.], aus denen sich nach § 4 Abs. 3 [X.] das Ruhegehalt berechnet, grundsätzlich § 5 [X.] in der Fassung des Professorenbesoldungsreformgesetzes vom 16. Februar 2002 (- [X.] [X.] -, [X.]) maßgeblich. Die vom [X.] erlassenen versorgungsrechtlichen Vorschriften, zum einen das Gesetz zur Überleitung des Bundesbesoldungsgesetzes, des Beamtenversorgungsgesetzes und ergänzender Vorschriften sowie Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2008 (GVOBl Schl.-H. S. 785) und zum anderen das Gesetz zur Neuregelung des Besoldungs- und Beamtenversorgungsrechts in [X.] vom 26. Januar 2012 (GVOBl Schl.-H. [X.]), sind auf die Festsetzung des Ruhegehalts von Landesbeamten, die bereits mit Ablauf des Juni 2006 in den Ruhestand getreten sind, nicht anwendbar.

Zwar sah § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] [X.] vor, dass ruhegehaltfähig nur die Bezüge des vorher bekleideten Amtes sind, sofern ein Beamter aus einem Amt in den Ruhestand getreten ist, das nicht der Eingangsbesoldungsgruppe seiner Laufbahn angehört, und er die Dienstbezüge dieses oder eines mindestens gleichwertigen Amtes vor dem Eintritt in Ruhestand nicht mindestens drei Jahre erhalten hat. Das [X.] hat aber mit Beschluss vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - [X.] 117, 372) die Ausdehnung der Wartefrist auf drei Jahre als mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar und § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 ([X.]) für nichtig erklärt.

Entgegen der Annahme des [X.] hat das [X.] in seinem Beschluss vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.[X.] ff.) aber nicht mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 [X.]) entschieden, dass die Kombination aus einer Wartefrist von zwei Jahren und dem Wegfall der Einrechnung von [X.]en der tatsächlichen Wahrnehmung der Aufgaben eines höherwertigen Amtes verfassungsrechtlich zulässig ist. Denn eine solche gesetzliche Regelung stand, weil sie vor dieser Entscheidung nie in [X.] war, nicht zur verfassungsrechtlichen Prüfung an.

Aus § 79 Abs. 2 [X.], der die Folgen der Nichtigerklärung einer gesetzlichen Regelung durch das [X.] für die auf dieser Norm beruhenden unanfechtbaren Entscheidungen regelt, ergibt sich die grundlegende Annahme des Gesetzgebers, dass die Rechtsfolge der Nichtigkeit eines Gesetzes mit Wirkung ex tunc eintritt ([X.], Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 1905/02 - [X.] 115, 51 <62>). Danach konnte das nichtige Gesetz die zuvor bestehende gesetzliche Regelung nicht aufheben, so dass diese - unerkannt - in Geltung geblieben ist ([X.], Beschlüsse vom 19. Juli 2000 - 1 BvR 539/96 - [X.] 102, 197 <208> und vom 21. November 2001 - 1 BvL 19/93, 1 BvR 1318, 1513, 2358/94, 308/95 - [X.] 104, 126 <149 f.>; Schlaich/[X.], Das [X.], 9. Aufl., Rn. 457 f.).

Nach den allgemeinen Kollisionsregeln gilt für die Fortgeltung der scheinbar verdrängten Normen zum einen, dass eine generelle Norm, der die nichtige spezielle Norm nach dem Grundsatz lex specialis zuvor - scheinbar - vorging, wieder anwendbar ist. Zum anderen sind ältere (auch spezielle) Vorschriften, die von der nichtigen jüngeren (ebenfalls speziellen) Vorschrift sinngemäß oder ausdrücklich aufgehoben worden sind, unverändert anzuwenden (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 78 Rn. 17; [X.], [X.], 3. Aufl., § 20 Rn. 127).

Nach diesen Grundsätzen ist infolge der Nichtigerklärung durch den Beschluss des [X.]s vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.[X.]) für die Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge des [X.] nicht die allgemeine Vorschrift des § 5 Abs. 1 [X.], sondern die früher geltende, spezielle Vorschrift der zweijährigen Wartefrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] in der Fassung des Reformgesetzes vom 24. Februar 1997 (- [X.] [X.] -, [X.]) maßgeblich. Ein Ausnahmefall, bei dem sich aus dem nichtigen Reformgesetz ergibt, dass der Gesetzgeber den alten Zustand nicht lediglich verbessern, sondern auf jeden Fall abschaffen wollte, so dass mangels Gültigkeit der neuen Regelung keine spezielle Regelung besteht, liegt hier nicht vor (vgl. [X.], a.a.[X.]; [X.], in: [X.]/Schmidt-Bleibtreu, [X.], § 78 Rn. 51). Aus den Materialien zum Versorgungsreformgesetz 1998 vom 29. Juni 1998 (- [X.] F1998 -, [X.]), durch das die Wartefrist auf drei Jahre verlängert wurde, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber an der Wartefrist grundsätzlich festhalten wollte (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 13/9527, [X.] zu Art. 6 Nr. 4).

Neben der generellen Regelung der Wartefrist von zwei Jahren des § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] [X.] sind auch die darauf bezogenen Ausnahmen und Anrechnungsregelungen dieser Fassung anzuwenden. Zwar hat das [X.] im Beschluss vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.[X.]) die Ausnahmen und Anrechnungsregelungen des § 5 Abs. 3 Satz 3 und 4 [X.] F 1998 nicht für nichtig erklärt. Diese Regelungen sehen im Gegensatz zu § 5 Abs. 3 Satz 4 [X.] [X.] die Anrechnung von Beschäftigungszeiten auf Beförderungsdienstposten vor der Beförderung auf die Wartezeit nicht mehr vor. Nach ihrem Wortlaut beziehen sie sich jedoch auf die Wartefrist von drei Jahren und haben, weil diese Regelung infolge der Entscheidung des [X.]s vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.[X.]) von Anfang an nichtig ist, keinen Anwendungsbereich.

Die infolge der Nichtigerklärung des [X.]s maßgebliche Regelung der zweijährigen Wartefrist (§ 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] [X.]) steht mit den [X.] und den Anrechnungsregelungen der Absätze 3 bis 5 dieser Fassung in einem einheitlichen Regelungszusammenhang. Sie beruhen auf einer einheitlichen gesetzgeberischen Entscheidung, so dass neben der generellen Wartefrist von zwei Jahren auch wiederum die darauf bezogenen Anrechnungsregelungen maßgeblich sind.

Die Grundsätze über die Teilnichtigkeit eines Gesetzes sind auf die hier vorliegende Konstellation nicht in der Weise übertragbar, dass Teilelemente aus verschiedenen Fassungen einer gesetzlichen Regelung von den Gerichten eigenverantwortlich zu einer Gesamtregelung zusammengefügt werden können (anders [X.], Beschluss vom 17. Januar 2012 - 3 BV 08.1947 - juris Rn. 52). Bei der Teilnichtigkeit ist entscheidend, ob von der gesetzlichen Regelung trotz der Nichtigkeit eines Teils ein Anwendungsrest bestehen bleibt, der für sich genommen ein sinnvolles Regelungsgefüge darstellt und dessen Geltung ohne den nichtigen Teil dem hypothetischen Willen des Normgebers entspricht ([X.], Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 2 BvL 16/09 - NVwZ-RR 2011, 387, Rn. 29). Kennzeichen des Grundsatzes der Teilnichtigkeit ist aber, dass die Norm, die teilweise aufrechterhalten wird, von einem einheitlichen gesetzgeberischen Willen getragen ist. Demgegenüber würden bei einer gleichzeitigen Anwendung der zweijährigen Wartefrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] [X.] und der Anrechnungsregelungen des § 5 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 [X.] F1998 Elemente aus verschiedenen gesetzgeberischen Entscheidungen miteinander kombiniert. Es ist aber nicht die Aufgabe von Gerichten, aus verschiedenen, vom Gesetzgeber zu unterschiedlichen [X.]punkten geschaffenen Teilregelungen eine gesetzliche Gesamtregelung zusammenzustellen, die als solche nie erlassen wurde und daher nicht von einem einheitlichen Willen des Gesetzgebers getragen ist. Die Schaffung eines aufeinander abgestimmten Systems von Wartefrist und Ausnahme- oder Anrechnungsregelungen ist allein Sache des Gesetzgebers. Diesem Regelungsauftrag ist der Bundesgesetzgeber durch das [X.] vom 5. Februar 2009 (Art. 4 Nr. 5 Buchst. b und c, [X.]) auch nachgekommen. Auch das [X.] hat durch die oben genannten gesetzlichen Vorschriften die Wartefrist umfassend neu geregelt.

Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit einer Wartefrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] von zwei Jahren unter Anrechnung von [X.]en der Wahrnehmung der Aufgaben des [X.] die Grenze, bis zu der der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des [X.]s den gemäß Art. 33 Abs. 5 GG zu beachtenden Grundsatz der Versorgung aus dem letzten Amt einschränken kann, ausgeschöpft ([X.], Beschlüsse vom 7. Juli 1982 - 2 BvL 14/78, 2/79 und 7/82 - [X.] 61, 43 und vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - a.a.[X.]).

Die danach anzuwendende Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 4 [X.] [X.] bestimmt, dass [X.]en, in denen der Beamte vor der Amtsübertragung die höherwertigen Funktionen des ihm später übertragenen Amtes tatsächlich wahrgenommen hat, in die Zweijahresfrist einzurechnen sind. Deshalb hat der Kläger, weil die [X.]en der tatsächlichen Wahrnehmung der höherwertigen Funktionen des Amtes des [X.] seit Januar 2002 einzurechnen sind, die maßgebliche Wartefrist erfüllt.

2. Das dem Beklagten nach § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG eröffnete Ermessen ist infolge des Beschlusses des [X.]s vom 20. März 2007 dahingehend reduziert, dass er den bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheid für den [X.]raum ab Mai 2007 aufheben muss. Als Folge hiervon muss der Beklagte die Versorgungsbezüge des [X.] ab Mai 2007 auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus dem Amt des [X.], [X.] 13 [X.], festsetzen.

Dies ergibt sich aus der in § 79 Abs. 2 [X.] zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung. Sofern der Gesetzgeber die Reaktion auf die Nichtigerklärung einer gesetzlichen Vorschrift durch das [X.] durch eine allgemeine Regel des Verwaltungsverfahrensrechts in das Ermessen der Behörde stellt, muss sich dieses Ermessen an den Vorgaben des § 79 Abs. 2 [X.] ausrichten, wenn sich aus dem jeweiligen [X.], wie hier, nichts anderes ergibt (Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 2 C 50.09 - [X.] 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 14 ff.). Danach kann der Betroffene für die Zukunft auch die Anpassung eines [X.]s an die verfassungsrechtlich klargestellte Rechtslage verlangen ([X.], a.a.[X.] § 79 Rn. 53 m.w.N.; [X.], a.a.[X.] § 79 Rn. 31; [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 79 Rn. 13; [X.], in: [X.]/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., [X.], § 70, Rn. 118 [X.]. 912 m.w.N.).

Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 [X.] bleiben die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 [X.] für nichtig erklärten Norm beruhen, vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 [X.] oder einer besonderen gesetzlichen Regelung unberührt. Hierdurch hat der Gesetzgeber für die Vergangenheit, d.h. für die [X.] vor der Nichtigerklärung, der Rechtssicherheit den Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit eingeräumt. [X.] Entscheidungen sollen trotz feststehender anfänglicher Rechtswidrigkeit für die Vergangenheit rechtswirksam bleiben. Ein Verwaltungsakt, der auf einer für nichtig erklärten Norm beruht, ist unverändert Rechtsgrundlage für die von ihm geregelten Rechtsbeziehungen. Die Behörde kann weder die vor der Nichtigerklärung zu Unrecht gewährten Leistungen zurückverlangen noch kann der Begünstigte für diese [X.] nachträglich höhere als die festgesetzten Leistungen beanspruchen ([X.], Beschlüsse vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164,178/64 - [X.] 20, 230 <235 f.> und vom 16. Januar 1980 - 1 BvR 127, 679/78 - [X.] 53, 115 <130>; [X.], a.a.[X.] § 79 Rn. 44).

Demgegenüber erklärt § 79 Abs. 2 Satz 2 [X.] die Vollstreckung aus unanfechtbaren Entscheidungen für unzulässig. Danach kann der Geltungsanspruch der nach Satz 1 unberührt bleibenden Entscheidung, wozu in erster Linie Verwaltungsakte gehören (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Oktober 1966- 1 BvR 164, 178/64 - a.a.[X.] S. 236), gegen den Willen des Betroffenen nicht mehr durchgesetzt werden.

Somit stellt die Nichtigerklärung einer gesetzlichen Regelung durch das [X.] die zeitliche Grenze für den Geltungsanspruch der auf der für nichtig erklärten Vorschrift beruhenden unanfechtbaren Entscheidungen dar. Bis zur Nichtigerklärung der gesetzlichen Regelung gebührt der Rechtssicherheit der Vorrang. Für den [X.]raum danach setzt sich demgegenüber das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit durch. Das [X.] hat dementsprechend aus den Regelungen des § 79 Abs. 2 [X.] den allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, dass einerseits zwar unanfechtbar gewordene fehlerhafte Akte der öffentlichen Gewalt nicht rückwirkend aufgehoben und die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangenen nachteiligen Wirkungen nicht beseitigt werden, andererseits jedoch zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung der verfassungswidrigen Entscheidung ergeben würden, abgewendet werden sollen (stRspr, [X.], Beschlüsse vom 27. November 1997 - 1 BvL 12/91 - [X.] 97, 35 <48> und vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 1905/02 - [X.] 115, 51 <63> m.w.N.).

Dieser Rechtsgedanke ist auf [X.]e wie Versorgungsfestsetzungsbescheide, die nicht im engeren Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 2 [X.] vollstreckt werden, sondern die Grundlage für monatlich im Voraus zu zahlende Versorgungsbezüge bilden, zu übertragen. Ihre Bestandskraft wird nur für die Vergangenheit geschützt, so dass der Betroffene nicht unter Berufung auf die Nichtigerklärung einer gesetzlichen Regelung für die Vergangenheit höhere Leistungen beanspruchen kann. Demgegenüber gebührt für die Zukunft der materiellen Gerechtigkeit, nicht der Rechtssicherheit der Vorrang, so dass der [X.] an die Rechtslage anzupassen ist ([X.], a.a.[X.] § 79 Rn. 53 m.w.N.; [X.], a.a.[X.] § 79 Rn. 31). Andernfalls müsste [X.]en zeitlich unbegrenzte Geltung beigemessen werden, obwohl ihre gesetzliche Grundlage wegen der Nichtigerklärung weggefallen ist. Ihre nach dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit gebotene Anpassung an die klargestellte Rechtslage hinge dann von Zufälligkeiten ab, d.h. vom Eintritt von Umständen, die die Behörde unabhängig von der Nichtigerklärung der gesetzlichen Grundlage durch das [X.] zur Abänderung des [X.]s veranlassen.

Auch die verfassungsrechtliche Verankerung des [X.]s des [X.] spricht dafür, dass das nach § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG eröffnete Rücknahmeermessen nach dem Rechtsgedanken des § 79 Abs. 2 [X.] zu dessen Gunsten auf Null reduziert ist. Durch die bei Eintritt in den Ruhestand geltenden Regeln hat der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum ausgeübt, der ihm verfassungsrechtlich durch den [X.] eröffnet ist. Der sich daraus ergebende [X.] genießt verfassungsrechtlichen Schutz, weil ihn der Versorgungsberechtigte erdient hat ([X.], Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvL 11/04 - a.a.[X.] S. 387 m.w.N.). Der Dienstherr behält einen fiktiven Anteil der Dienstbezüge ein, um die Altersversorgung der Beamten zu finanzieren (Urteil vom 27. Januar 2011 - BVerwG 2 C 25.09 - [X.] 449.4 § 55b [X.] Rn. 22 m.w.N.).

Dem Anspruch des [X.] auf Anpassung des bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheids an die Nichtigerklärung ab Mai 2007 steht auch nicht die Aussage des [X.]s in seinem Beschluss vom 20. März 2007 (- 2 BvL 11/04 - a.a.[X.] S. 391) entgegen, wonach die auf der für nichtig erklärten Vorschrift beruhenden, im [X.]punkt der Bekanntgabe der Entscheidung bereits bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheide von der Entscheidung unberührt bleiben. Diese Aussage bezieht sich, wie dem Verweis auf den dort zitierten Beschluss des [X.]s vom 28. April 1999 (- 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 - [X.] 100, 1 <58 f.>) unmittelbar zu entnehmen ist, auf die [X.] vor der Bekanntgabe des Beschlusses.

Die hier beantragte Anpassung der Versorgungsbezüge des [X.] an die Nichtigerklärung der dreijährigen Wartefrist (§ 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] F1998) durch das [X.] für den [X.]raum ab Mai 2007 könnte ermessensfehlerfrei nur dann zeitlich hinausgeschoben werden, wenn hierfür ein gewichtiger Grund bestünde, der eine unverzügliche Anpassung als unangemessen erscheinen ließe (Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.[X.] Rn. 24). Ein derartiger Grund liegt hier nicht vor.

Insbesondere kann die Anpassung des Versorgungsfestsetzungsbescheids nicht von einem entsprechenden Antrag des Ruhestandsbeamten abhängig gemacht werden. Das Antragserfordernis ist keine allgemeine ungeschriebene Voraussetzung für beamtenrechtliche Ansprüche. Ein Antrag im Sinne einer Rügeobliegenheit oder Hinweispflicht des Beamten kommt als ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung nur in Betracht, wenn es um nicht normativ festgelegte Ansprüche geht. Der [X.] ist aber gesetzlich festgelegt und kann deshalb nicht an einen solchen Antrag geknüpft werden (Urteil vom 26. Juli 2012 - BVerwG 2 C 29.11 - juris Rn. 27 ).

Meta

2 C 48/11

26.09.2012

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 20. Mai 2011, Az: 3 LB 20/10, Urteil

§ 5 Abs 3 BeamtVG vom 16.02.2002, § 5 Abs 3 BeamtVG vom 16.03.1999, § 5 Abs 3 BeamtVG vom 24.02.1997, Art 33 Abs 5 GG, § 79 Abs 2 BVerfGG, § 116 Abs 1 S 1 VwG SH, § 118a Abs 5 VwG SH

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.09.2012, Az. 2 C 48/11 (REWIS RS 2012, 2872)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2872

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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