Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.08.2013, Az. XII ZB 533/10

12. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 3578

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei plötzlicher Erkrankung


Leitsatz

Zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei plötzlich auftretender Erkrankung.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des 18. Zivilsenats - [X.] - des [X.] vom 12. Oktober 2010 aufgehoben.

Dem Beteiligten zu 1 wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - [X.] ([X.]) vom 21. Juni 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und streiten in einem am 1. Juli 2009 eingeleiteten Verfahren um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei gemeinsamen Kinder. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat mit Beschluss vom 21. Juni 2010 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle drei Kinder auf die Mutter übertragen. Dieser Beschluss ist dem Vater am 25. Juni 2010 zugestellt worden. Am 26. Juli 2010 (einem Montag) hat er hiergegen beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt, beim [X.] ist die Beschwerde mit den Akten am 30. Juli 2010 eingegangen. Auf den Hinweis der [X.]svorsitzenden, dass die Beschwerde verspätet beim [X.] eingegangen sei, hat der Vater Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe am Tag des [X.] noch prüfen wollen, ob die Beschwerde beim Amts- oder beim [X.] einzulegen sei, und habe zur Sicherheit je einen [X.] an das Amtsgericht und an das [X.] fertig gestellt und unterschrieben. Sein Verfahrensbevollmächtigter sei am Abend des [X.] gegen 19.45 Uhr zunächst nach Hause gefahren und habe beabsichtigt, später noch einmal in die Kanzlei zu fahren, um die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts abschließend zu prüfen und den richtigen Schriftsatz zu faxen. Daran sei er jedoch durch eine plötzlich aufgetretene [X.] gehindert gewesen. Er habe daher seine Ehefrau, die ebenfalls Volljuristin sei, gebeten, in die Kanzlei zu fahren und den vorbereiteten Schriftsatz an das [X.] zu faxen. Diese habe jedoch um 22.10 Uhr versehentlich den ebenfalls unterschriebenen Schriftsatz an das Amtsgericht gesendet.

2

Das [X.] hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und zugleich die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. [X.]sbeschluss vom 3. November 2010 - [X.] 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 9).

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des [X.]s (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den [X.] in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), welcher es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. hierzu [X.]Z 151, 221 = NJW 2002, 3029, 3031 und [X.]sbeschluss vom 2. April 2008 - [X.] 189/07 - [X.], 1338 Rn. 8 mwN).

5

2. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, den Verfahrensbevollmächtigten des [X.] treffe ein Verschulden an der Fristversäumung, da er den Anforderungen an eine wirksame [X.] nicht genügt habe. Hierbei könne dahingestellt bleiben, ob die Büroorganisation in der Kanzlei grundsätzlich den Anforderungen an eine wirksame [X.] genüge, da trotz der konkret an die Ehefrau des Verfahrensbevollmächtigten erteilten [X.], die vorbereitete und an das [X.] gerichtete Beschwerdeschrift an dieses zu übermitteln, eine [X.] nicht entbehrlich gewesen sei. Hierzu seien der Ausdruck und die Vorlage eines [X.] notwendig gewesen, um überprüfen zu können, welcher Schriftsatz tatsächlich an welches Gericht übermittelt worden sei. Das gelte umso mehr, als der Verfahrensbevollmächtigte zwei an unterschiedliche Gerichte adressierte Schriftsätze unterschrieben und hinterlegt habe. Diese Anforderungen an eine wirksame [X.] müssten auch vor dem Hintergrund der vorliegend an die Ehefrau des Verfahrensbevollmächtigten erteilten Weisung Geltung beanspruchen.

6

3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht stellt nur darauf ab, dass der Verfahrensbevollmächtigte des [X.] keine wirksame [X.] vorgenommen habe. Ob dessen plötzlich aufgetretene Erkrankung unabhängig hiervon das Wiedereinsetzungsgesuch rechtfertigen kann, zieht das Beschwerdegericht dagegen unter Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht in Erwägung.

7

a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass der Rechtsanwalt in seinem Büro eine [X.] zu schaffen hat, durch die gewährleistet wird, dass Frist wahrende Schriftsätze rechtzeitig beim zuständigen Gericht eingehen. Bei der Übermittlung per Telefax kommt der Rechtsanwalt dieser Verpflichtung nur dann nach, wenn er seinen Büroangestellten die Weisung erteilt, sich einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die [X.] erst nach Kontrolle des [X.] zu löschen ([X.]sbeschluss vom 7. Juli 2010 - [X.] 59/10 - NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12 mwN; [X.] Beschluss vom 12. Juni 2012 - [X.]/11 - NJW-RR 2012, 1267 Rn. 7). Die [X.] anhand eines [X.] dient nicht nur dazu, Fehler bei der Übermittlung auszuschließen. Vielmehr soll damit ebenso die Feststellung ermöglicht werden, ob der Schriftsatz überhaupt übermittelt worden ist ([X.]sbeschluss vom 7. Juli 2010 - [X.] 59/10 - NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12; [X.] Beschluss vom 16. Juni 1998 - [X.] - [X.], 996).

8

Ob die in der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten praktizierte [X.] beim Versand fristgebundener Schriftsätze per Telefax generell ordnungsgemäß organisiert ist, hat das Beschwerdegericht hier allerdings zu Recht als unerheblich angesehen, weil der Verfahrensbevollmächtigte außerhalb seiner allgemeinen Kanzleiorganisation eine Einzelanweisung zur Übersendung des [X.]es erteilt hat.

9

b) Dem Rechtsanwalt kann nicht vorgeworfen werden, einen Sendebericht nicht am Abend des [X.] kontrolliert zu haben, da er plötzlich und unvorhergesehen erkrankt war. Diesen Umstand hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft nicht in seine Erwägungen einbezogen.

Ein Rechtsanwalt hat zwar im Rahmen seiner Organisationspflichten grundsätzlich auch dafür Vorkehrungen zu treffen, dass im Falle einer Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen wahrnimmt ([X.] Beschluss vom 5. April 2011 - [X.]/10 - NJW 2011, 1601 Rn. 18). Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Rechtsanwalt aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Wird er dagegen unvorhergesehen krank, gereicht ihm eine unterbleibende Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar war ([X.] Beschlüsse vom 5. April 2011 - [X.]/10 - NJW 2011, 1601 Rn. 18; vom 6. Juli 2009 - [X.]/09 - NJW 2009, 3037 Rn. 10 und vom 18. September 2008 - [X.]/08 - [X.], 2271 Rn. 9). So liegt der Fall hier. Der [X.] hat glaubhaft gemacht, dass sein Anwalt am Abend des [X.] plötzlich und unvorhergesehen an einer Magen-Darm-Grippe mit Fieber erkrankt war und deshalb nicht wie vorgesehen nochmals ins Büro fahren konnte, um den [X.] selbst abzuschicken. Angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit (nach 22 Uhr) und der Tatsache, dass der Verfahrensbevollmächtigte ausweislich seines [X.] als Einzelanwalt in Bürogemeinschaft tätig ist, war die Erreichung und Bestellung eines Vertreters erkennbar aussichtslos. Angesichts dieser Umstände hat er mit der Beauftragung seiner Ehefrau, das Fax an das [X.] zu senden, schon eine Maßnahme getroffen, zu der er im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand nicht verpflichtet war. Allein deshalb kann ihm der dann bei der [X.] aufgetretene Fehler nicht angelastet werden (vgl. hierzu [X.] Beschluss vom 6. Juli 2009 - [X.]/09 - NJW 2009, 3037 Rn. 10 und [X.]sbeschluss vom 26. November 1997 - [X.] 150/97 - NJW-RR 1998, 639).

III.

Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 2 und 4, 621 e Abs. 3 Satz 2, 574 Abs. 1 Nr. 1, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben. Hinsichtlich des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der [X.] selbst abschließend entscheiden (vgl. § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), weil die plötzliche Erkrankung des Verfahrensbevollmächtigten durch seine eigene eidesstattliche Versicherung sowie durch diejenige seiner Ehefrau glaubhaft gemacht worden ist. In der Sache selbst ist es dem [X.] allerdings verwehrt, abschließend zu befinden, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist. Insoweit ist die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das [X.] zurückzuverweisen.

Dose                                 Weber-Monecke                     Schilling

             Nedden-Boeger                                  Botur

Meta

XII ZB 533/10

07.08.2013

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Celle, 12. Oktober 2010, Az: 18 UF 92/10

§ 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.08.2013, Az. XII ZB 533/10 (REWIS RS 2013, 3578)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3578

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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