LG Berlin, Beschluss vom 06.07.2023, Az. 67 O 36/23

67. Zivilkammer | REWIS RS 2023, 3938

URHEBER- UND MEDIENRECHT MEINUNGSFREIHEIT JOURNALISMUS PERSÖNLICHKEITSRECHT LANDGERICHT BERLIN

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

"48 Stunden"


Leitsatz

1. Nur 48 Stunden: Bei der Pflicht zur nachträglichen Darlegung und Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 Alt. 2 ZPO handelt es sich mangels einzuräumender Prüfungs- und Überlegungszeit um eine unaufschiebbare Pflicht des Rechtsanwalts, die schon ein Zögern von mehr als zwei Tagen nach Kenntnis von den wesentlichen Umständen der technischen Störung nicht gestattet.
2. Die nachträgliche Glaubhaftmachung einer technischen Unmöglichkeit zur fristwahrenden Einreichung eines elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 130d Satz 3 Alt. 2 ZPO kommt nicht mehr in Betracht, wenn dem Rechtsanwalt vor Fristablauf noch genügend Zeit zu einer Glaubhaftmachung zusammen mit der fristwahrend vorgenommenen Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 3 Alt. 1 ZPO zur Seite stand. Dafür reicht jedenfalls eine Zeitspanne von viereinhalb Stunden ab Kenntnis der technischen Unmöglichkeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist aus.

Tenor

Der sofortigen Beschwerde wird nicht abgeholfen und die Sache dem [X.] vorgelegt.

Gründe

I.

Die sofortige Beschwerde ist aus den Gründen des [X.] bereits unzulässig, da es der Antragsteller nicht vermocht hat, die Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 ZPO zu wahren. Deren Einhaltung ist nicht erst vom Beschwerdegericht, sondern bereits von der Kammer als Ausgangsgericht zu prüfen (vgl. [X.], [X.]. v. 7. Oktober 2020 – [X.], NJW 2021, 553 [X.]. 11 ff.).

Der Antragsteller kann sich nicht auf eine fristwahrende Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO berufen.

Zwar haben seine Verfahrensbevollmächtigten noch vor Fristablauf eine Beschwerdeschrift in Papierform eingereicht. Diese hätte die Frist jedoch nur dann gewahrt, wenn eine rechtzeitige Beschwerdeeinlegung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen wäre und der Antragsteller schon bei der Ersatzeinreichung selbst die Unmöglichkeit zur fristwahrenden Beschwerdeeinlegung gemäß § 130d Satz 3 Alt. 1 ZPO glaubhaft gemacht hätte. Seiner Darlegungs- und Glaubhaftmachungspflicht ist der Antragsteller nicht gerecht geworden, da er erstmals am 29. Juni 2023 - und damit neun Tage nach Ablauf der Beschwerdefrist - eine vorübergehende technische Unmöglichkeit zur fristwahrenden Beschwerdeeinlegung geltend gemacht hat. Eine nachträgliche Glaubhaftmachung gemäß § 130d Satz 3 Alt. 2 ZPO kommt aber nur in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit tatsächlich erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise gemäß §§ 129, 130 Nr. 6 ZPO einzureichenden Schriftsatz verbleibt (st. Rspr., vgl. nur [X.], [X.]. v. 17. November 2022 – [X.], NJW 2023, 456, [X.]. 11; von [X.], in: [X.] ZPO, Stand: 1. März 2023, § 130d [X.]. 5.1. m.w.N.).

Die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers hatten genügend Zeit, die angebliche technische Unmöglichkeit noch vor Fristablauf bereits in dem ersatzweise in Papierform eingereichten Schriftsatz glaubhaft zu machen. Denn zwischen dem behaupteten Auftreten der Störung „um ca. 19.20 Uhr“ und dem Fristablauf lagen über viereinhalb Stunden. In diesem Zeitraum wäre eine Ergänzung des später in Papierform eingereichten Schriftsatzes um die in § 130d Satz 3 ZPO verlangten Angaben durch eine verständliche und geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen. Die Verfahrensbevollmächtigten hätten zudem zusätzliche Zeit zur Glaubhaftmachung dadurch gewinnen können, dass sie die Ersatzeinreichung nicht durch eine zeitlich aufwändigere Botenzustellung, sondern per Telefax vorgenommen hätten. Das hätte zur wirksamen Ersatzeinreichung ebenfalls genügt (vgl. von [X.], a.a.[X.], Rz. 4).

Die Voraussetzungen des § 130d Satz 3 Alt. 2. ZPO sind ebenfalls nicht erfüllt, da die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers die von ihnen behauptete vorübergehende technische Störung nicht unverzüglich nachträglich geltend gemacht haben.

Unverzüglich – und ohne schuldhaftes Zögern – ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist der anwaltlich vertretenen [X.] keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung gegenüber dem Gericht sofort abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist (st. Rspr., vgl. nur [X.], [X.]. v. 21. September 2022 – [X.] 264/22, NJW 2022, 3637, [X.]. 17). Bei der Pflicht zur nachträglichen Darlegung und Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 Alt. 2 ZPO handelt es sich mangels einzuräumender Prüfungs- und Überlegungszeit um eine unaufschiebbare Pflicht des Rechtsanwalts, die schon ein Zögern von mehr als zwei Tagen nach Kenntnis von den wesentlichen Umständen der technischen Störung nicht gestattet. Erst recht aber ist ein Zuwarten von mehr als einer Woche zu lang, um die nachträgliche Glaubhaftmachung noch als „unverzüglich“ i.S.d. § 130d Satz 3 Alt. 2 ZPO erscheinen zu lassen (vgl. [X.], [X.]. v. 21. September 2022, a.a.[X.]).

Gemessen an diesen Maßstäben haben die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers auf jeden Fall zu lange gezögert, indem sie sich erstmals neun Tage nach Kenntnis von den wesentlichen Abläufen und Umständen auf eine vorübergehende technische Störung i.S.d. § 130d Satz 2 ZPO berufen haben. Dabei war für den Fristbeginn nicht auf die Vornahme der von dem Antragsteller behaupteten Reparaturmaßnahmen an der „[X.]“ seiner Verfahrensbevollmächtigten am 22. Juni 2023 abzustellen, sondern auf das Auftreten der - hinsichtlich ihrer tatsächlichen Abläufe oder Umstände bereits vor Ablauf der Beschwerdefrist hinreichend zu Tage getretenen - technischen Störung am 20. Juni 2023.

Die geltend gemachten Wiedereinsetzungsgründe, deren Bescheidung ebenso wie eine endgültige Prüfung der Zulässigkeit dem [X.] als Beschwerdegericht obliegt, bestehen ebenfalls nicht. Wiedereinsetzung kann gemäß § 233 ZPO nur gewährt werden, wenn eine [X.] ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten. Der Antragsteller war nicht ohne Verschulden an der Wahrung der Beschwerdefrist gehindert. Denn selbst im Falle der behaupteten technischen Störung hätte die Möglichkeit zur fristwahrenden Ersatzeinreichung sowie zur gleichzeitigen oder unverzüglichen nachträglichen Glaubhaftmachung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO bestanden (vgl. [X.], [X.]. v. 1. März 2023 – [X.] 228/22, BeckRS 2023, 6152 [X.]. 19). Diese Möglichkeit haben die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers schuldhaft nicht ergriffen. Ihr Verschulden wird dem Antragsteller gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet.

II.

Der sofortigen Beschwerde ist allerdings auch wegen fehlender Begründetheit nicht abzuhelfen. Es kann insoweit dahinstehen, ob dem Antragsteller nicht schon der erforderliche Verfügungsgrund fehlt, weil er diesen durch die vollständige Ausschöpfung der zweiwöchigen Beschwerdefrist selbst widerlegt hat (vgl. [X.], [X.]. v. 16. September 2021 – 29 U 3437/21 Kart, [X.] 2021, 29384 (Fristverlängerung)).

Jedenfalls fehlt es ihm aus den Gründen des angefochtenen [X.]usses, auf den die Kammer Bezug nimmt und dem im Wesentlichen nichts mehr hinzuzufügen ist, an einem Verfügungsanspruch für die begehrte Unterlassung. Der Antragsteller hat die [X.]ussgründe schon nicht angegriffen, mit denen die Kammer eine Unterlassungspflicht des Antragsgegners mangels [X.] Verpflichtung zur Geheimhaltung verneint hat. Soweit er die Unterlassung einzelner Äußerungen wegen angeblicher Unrichtigkeit verlangt, rechtfertigt das den Unterlassungsanspruch aus den Gründen des angefochtenen [X.]usses ebenfalls nicht. Es bleibt dabei, dass sämtliche der beanstandeten Äußerungen im Wesentlichen wahr sind. Das gilt auch für die zum Gegenstand der Anträge zu 1) und 2) erhobenen Äußerungen, bei denen es sich entweder um nicht unterlassungsfähige Werturteile oder wahre Tatsachenbehauptungen handelt. Denn die im Rahmen der Beschwerdeerwiderung eingereichten Anlagen [X.], [X.] und [X.] belegen über den von der Kammer bereits herangezogenen Prozessstoff hinaus, dass der Antragsteller tatsächlich Interna aus dem [X.] hat und die mitgeteilten Informationen - offenkundig - auch der Berichterstattung über das streitgegenständliche Medienunternehmen und ihren Vorstandsvorsitzenden dienen sollten. Die gegenteiligen Ausführungen des Antragstellers im Schriftsatz vom 4. Juli 2023 verfangen bereits wegen der unstreitigen Authentizität und des ebenso unstreitigen Inhalts der vom Antragsteller verfassten Eingaben nicht. Soweit die Beschwerde ausführt, dass Gegenstand einer redaktionellen Aufarbeitung [X.] nicht das genannte Medienunternehmen oder deren Vorstandsvorsitzender sein sollten, sondern allein die Entlastung des Antragstellers von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen€œ, trifft das schon ausweislich der im Rahmen der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Kommunikation nicht zu. Es kommt hinzu, dass eine Berichterstattung über eine Entlastung des Antragstellers aus den Gründen des angefochtenen [X.]usses zur Herstellung eines verständlichen Kontextes zwangsläufig die genannten Äuߟerungsgegenstände betreffen musste.

Soweit die Beschwerde weiterhin die Verwendung eines falschen Numerus und weitere angebliche Ungenauigkeiten rügt, handelt es sich allenfalls um persönlichkeitsrechtsneutrale Abweichungen von der Wahrheit, die ebenso wie der unmittelbare [X.] keinen Unterlassungsanspruch rechtfertigen. Dagegen vermag die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung ebenfalls nichts zu erinnern.

Zur besseren Lesbarkeit wurden ggf. Tippfehler entfernt oder Formatierungen angepasst.

Meta

67 O 36/23

06.07.2023

LG Berlin 67. Zivilkammer

Beschluss

Sachgebiet: O

§ 130d ZPO

Zitier­vorschlag: LG Berlin, Beschluss vom 06.07.2023, Az. 67 O 36/23 (REWIS RS 2023, 3938)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3938

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 11/22 (Bundesgerichtshof)

Anwaltliche Verpflichtung zur Einreichung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument: Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer …


V ZB 15/22 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Vertrauen auf eine Fristverlängerung nur bei Wahrung der erforderlichen Form; …


IV B 46/23 (Bundesfinanzhof)

Pflicht zur Nutzung des beSt für Steuerberatungsgesellschaften ab dem 01.01.2023 - Schuldhafte Versäumung der Beschwerdeeinlegungsfrist


III ZB 18/22 (Bundesgerichtshof)

Elektronischer Rechtsverkehr: Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit der Übermittlung einer Berufungsbegründung per beA


X ZR 51/23 (Bundesgerichtshof)

Ersatzeinreichung bei Störung der elektronischen Übermittlung - EGVP-Störung


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.