Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.09.2020, Az. B 6 KA 13/20 B

6. Senat | REWIS RS 2020, 2298

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Gegenstand

Wirtschaftlichkeitsprüfung - Vorrang der sachlich-rechnerischen Richtigstellung - Vornahme durch Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei untergeordneter Bedeutung - Annexkompetenz


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 12. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 56 171 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines [X.], den der beklagte Beschwerdeausschuss als Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten bezogen auf die Abrechnung der Gebührenordnungspositionen ([X.]) 35100 und 35110 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen ([X.]) in den Jahren 2010 und 2011 gegen den [X.]läger festgesetzt hat.

2

Nachdem eine Plausibilitätsprüfung zu dem Ergebnis geführt hatte, dass eine sachlich-rechnerische Richtigstellung aufgrund einer unrichtigen Abrechnung ua der [X.] 35100 (Differentialdiagnostische [X.]lärung psychosomatischer [X.]rankheitszustände) und 35110 [X.] (Verbale Intervention bei psychosomatischen [X.]) nicht durchzuführen ist, beantragte die beklagte [X.] ([X.]) bei der Prüfungsstelle die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Abrechnung des [X.] nach Durchschnittswerten. Die Prüfungsstelle setzte für die vier Quartale des Jahres 2010 Honorarkürzungen in Höhe von 30 222,90 Euro und für die vier Quartale des Jahres 2011 in Höhe von 25 947,65 Euro fest. Widerspruch, [X.]lage und Berufung des [X.] blieben ohne Erfolg.

3

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] macht der [X.]läger [X.] (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G) geltend.

4

II. 1. Die Beschwerde des [X.] bleibt ohne Erfolg. Der Zulassungsgrund der Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) liegt nicht vor. Die Darlegung einer Rechtsprechungsabweichung gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G erfordert, dass abstrakte Rechtssätze des Urteils des [X.] und eines Urteils des [X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.] bezeichnet und einander gegenübergestellt werden und dargelegt wird, dass sie nicht miteinander vereinbar sind und dass das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB [X.] Beschluss vom 29.11.1989 - 7 [X.]/88 - [X.] 1500 § 160a [X.]; [X.] Beschluss vom [X.] [X.] 78/11 B - juris RdNr 8 mwN).

5

Der [X.]läger entnimmt den Urteilen des Senats vom 15.4.1986 - 6 [X.] 27/84 - [X.]E 60, 69 = [X.] 2200 § 368n [X.], vom 16.6.1993 - 14a/6 [X.] 37/91 - [X.]E 72, 271 = [X.] 3-2500 § 106 [X.], vom 20.9.1995 - 6 [X.] 56/94 - [X.] 3-2500 § 106 [X.]9, vom [X.] - [X.] [X.] 39/04 R - [X.] 4-2500 § 106 [X.], vom [X.] - [X.] [X.] 40/05 R - [X.]E 97, 84 = [X.] 4-2500 § 106 [X.], vom 29.11.2006 - [X.] [X.] 39/05 R - [X.] 4-2500 § 106a [X.], vom [X.] - [X.] [X.] 14/19 R (offensichtlich gemeint: [X.] [X.] 14/09 R) - [X.] 4-2500 § 106 [X.]9 und dem Terminbericht des [X.] zu den Urteilen vom 13.5.2020 - [X.] [X.] 2/19 R, [X.] [X.] 3/19 R sowie [X.] [X.] 25/19 R - die folgenden Rechtssätze:

        

"Über die Wirtschaftlichkeit der von einem Vertragsarzt / einer Vertragsärztin abgerechneten Leistungen kann grundsätzlich erst entschieden werden, wenn die Berechnungsfähigkeit feststeht.

        

Die Prüfgremien Wirtschaftlichkeitsprüfung sind berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen, wenn diese neben der eigentlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung von untergeordneter Bedeutung sind.

        

Liegt der Schwerpunkt der Beanstandungen bei einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung, müssen die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung das Prüfverfahren abschließen und der [X.]assenärztlichen Vereinigung Gelegenheit geben, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen.

        

Sind die Prüfungsgegenstände der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Prüfung identisch, so dass im Falle des [X.] der Prüfkriterien bereits die [X.] fehlen, besteht für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung kein Anwendungsbereich."

6

Dem stellt der [X.]läger die folgenden Rechtssätze gegenüber, die das [X.] seiner Entscheidung zugrunde gelegt haben soll:

        

"Die Prüfgremien Wirtschaftlichkeitsprüfung sind berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen selbst vorzunehmen, ohne der [X.]assenärztlichen Vereinigung Gelegenheit zur sachlich-rechnerischen Richtigstellungen geben zu müssen, auch wenn der Schwerpunkt der festgestellten Beanstandungen auf einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung liegt.

        

Die Prüfgremien Wirtschaftlichkeitsprüfung sind berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen, auch wenn das Prüfkriterium - Vorliegen gesetzlich definierter Indikationen - bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Prüfung identisch ist und bei Nichtvorliegen dieser Indikationen bereits die Abrechenbarkeit entfällt."

7

Die Entscheidung des [X.] beruht entgegen der Auffassung des [X.] nicht auf den genannten Rechtssätzen, sodass die geltend gemachte Rechtsprechungsabweichung nicht vorliegt. Das [X.] ist nicht davon ausgegangen, dass der beklagte Beschwerdeausschuss sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorgenommen habe. Vielmehr hat das [X.] unter [X.] 5. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich im [X.] keine Hinweise auf eine fehlerhafte Abrechnung der beiden [X.] (35100 und 35110 [X.]) ergeben hätten, die Gegenstand der hier streitbefangenen Wirtschaftlichkeitsprüfung sind.

8

Die Aussagen aus den Entscheidungsgründen, aus denen der [X.]läger ableitet, dass das [X.] seiner Entscheidung die beiden og - von der Rspr des Senats abweichenden - Rechtssätze zugrunde gelegt habe, haben allein die Frage zum Gegenstand, ob Praxisbesonderheiten vorliegen, die geeignet sind, die weit überdurchschnittlich häufige Abrechnung der [X.] 35100 [X.] (zwischen 534,29 und 834,78 %) und 35110 [X.] (zwischen 481,63 und 644,44 %) durch den [X.]läger ganz oder teilweise zu erklären. Im Übrigen - und damit auch wegen weiterer Voraussetzungen für die Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung in Gestalt des Vergleichs von Einzelleistungen nach Durchschnittswerten - hat das [X.] nach § 153 Abs 2 [X.]G auf die Gründe des sozialgerichtlichen Urteils verwiesen (S. 10/11 des Urteilsumdrucks). Bezogen auf die im Berufungsverfahren vom [X.]läger geltend gemachten Praxisbesonderheiten (ua hoher Anteil von Patienten mit Migrationshintergrund, gehäuftes Auftreten depressiver Episoden innerhalb seines Patientenklientels) hat das [X.] in den Entscheidungsgründen ergänzend dargelegt, dass diese nicht geeignet seien, die im Vergleich zum verfeinerten Fachgruppendurchschnitt (Hausärzte, die die beiden [X.] ebenfalls abrechnen) häufigere Abrechnung der [X.] 35100 und 35110 [X.] zu erklären. So hat das [X.] ausgeführt, dass psychosomatische [X.]rankheitsbilder nach einem vom [X.]läger vorgelegten Aufsatz vielfach nicht auf ausreichende Akzeptanz stießen. Deshalb sei das Vorbringen des [X.] nicht plausibel, wonach sich gerade Patienten dieses Personenkreises zur Behandlung psychosomatischer Erkrankungen an diesen gewandt haben sollen. Daraus kann nicht gefolgert werden, das [X.] sei davon ausgegangen, der [X.]läger habe die og [X.] regelhaft oder weit überwiegend in Fällen abgerechnet, in denen die erforderliche Indikation nicht vorgelegen habe. Besonders deutlich wird das in der vom [X.]läger in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Auseinandersetzung des [X.] mit der Frage, ob die bei Patienten des [X.] häufiger diagnostizierten depressiven Episoden geeignet sind, die Häufigkeit der Abrechnung der [X.] 35100 und 35110 [X.] zu erklären. Hier differenziert das [X.] ausdrücklich zwischen der Frage, ob eine Indikation nach § 22 Abs 1 Nr 1 Psychotherapie-Richtlinie (in der Fassung vom 15.10.2009, BAnz 2009, [X.]) für die Erbringung von Leistungen vorliegt - was bei depressiven Episoden der Fall sei - und der Frage, ob die Erbringung der Leistungen deshalb in jedem Fall notwendig (und damit wirtschaftlich) ist. Soweit das [X.] unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Urteils des [X.] die Häufigkeit der Abrechnung der genannten [X.] auch damit erklärt, dass der [X.]läger beim Vorliegen von Erkrankungen wie Herz-[X.]reislauf-Störungen, Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes mellitus, ua besonders häufig eine psychische Mitbeteiligung festgestellt habe und dass die gehäufte Abrechnung der og [X.] auch deshalb "zweifelhaft" sei, so hat es ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen, dass die Psyche entscheidenden Einfluss auf Ausprägung und Verlauf dieser Erkrankungen habe. Daraus ergebe sich "jedoch nicht in jedem Fall die Notwendigkeit der differenzialdiagnostischen [X.]lärung psychosomatischer [X.]rankheitszustände bzw. der verbalen Intervention bei psychosomatischen [X.]". Auch diesen Ausführungen kann der Senat nicht entnehmen, dass das [X.] von einer regelhaften Abrechnung der genannten [X.] in Fällen ausgegangen wäre, in denen die Voraussetzungen nach der [X.] nicht vorgelegen hätten. Mit der fehlenden Notwendigkeit wird vielmehr die Frage der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung angesprochen.

9

Soweit Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des [X.] dahin verstanden werden können, dass der [X.]läger die [X.] 35100 und 35110 [X.] möglicherweise auch in Fällen abgerechnet haben könnte, in denen die Voraussetzungen nach der [X.] nicht erfüllt waren, so liegt darin keine Abweichung von der Rechtsprechung des Senats: Zwar sind sachlich-rechnerische Richtigstellungen gegenüber Wirtschaftlichkeitsprüfungen grundsätzlich vorrangig, weil sinnvollerweise nur die Honorarforderung des Vertragsarztes der Prüfung auf Wirtschaftlichkeit unterzogen werden kann, die sachlich-rechnerisch richtig und auch ansonsten rechtmäßig ist. Dieser grundsätzliche Vorrang ist indessen praktisch vielfach nicht umsetzbar, weil für die zuständigen Behörden nicht von vornherein erkennbar ist, ob bei Auffälligkeiten der Honorarabrechnung fehlerhafte Ansätze der Gebührenordnung oder eine unwirtschaftliche Leistungserbringung bzw -abrechnung vorliegen oder ob beides zusammentrifft. Vielfach zeigt erst eine nähere Untersuchung der Abrechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, dass bestimmte, ggf extreme Überschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts hinsichtlich einzelner Leistungssparten oder - besonders deutlich - hinsichtlich einzelner Gebührenpositionen auf einen Fehlansatz zurückgehen. In dieser Situation hält der Senat die Prüfgremien für berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen, wenn diese neben der eigentlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung von untergeordneter Bedeutung sind (sog Annexkompetenz oder Randzuständigkeit, vgl hierzu zuletzt [X.] Urteil vom 13.5.2020 - [X.] [X.] 25/19 R - juris RdNr 59 mwN, zur [X.] vorgesehen für [X.] 4). Nur wenn der Schwerpunkt der Beanstandungen bei einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung liegt, müssen die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung das Prüfverfahren abschließen und der [X.](Z)ÄV Gelegenheit geben, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen. Davon ist das [X.] hier aber gerade nicht ausgegangen.

2. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der [X.]läger die [X.]osten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen [X.]osten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).

3. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 G[X.]G und entspricht der Höhe des [X.].

Meta

B 6 KA 13/20 B

30.09.2020

Bundessozialgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KA

vorgehend SG Hannover, 12. Oktober 2016, Az: S 71 KA 344/14, Urteil

§ 106 SGB 5, §§ 106ff SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.09.2020, Az. B 6 KA 13/20 B (REWIS RS 2020, 2298)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2298

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