Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2012, Az. VIII ZR 238/11

8. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6604

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BUNDESGERICHTSHOF (BGH) MIET- UND WEG-RECHT KÜNDIGUNG EIGENBEDARFSKÜNDIGUNG

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Gegenstand

Ordentliche Kündigung eines Mietvertrages über Wohnraum: Berechtigtes Drittinteresse einer juristischen Person des öffentlichen Rechts


Leitsatz

1. Der generalklauselartige Kündigungstatbestand in § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB ist gleichgewichtig mit den in § 573 Abs. 2 BGB genannten Kündigungsgründen (im Anschluss an BVerfG, 8. Oktober 1991, 1 BvR 1324/90, NJW 1992, 105, 106 zu § 564a BGB aF; BGH, Urteile vom 23. Mai 2007, VIII ZR 122/06, NJW-RR 2007, 1460 Rn. 13 und vom 23. Mai 2007, VIII ZR 113/06, WuM 2007, 459 Rn. 13).

2. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB verwehrt es dem Vermieter nicht, auch Umstände aus dem Interessenbereich dritter Personen insoweit zu berücksichtigen, als sich aus ihnen aufgrund eines familiären, wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhangs auch ein eigenes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses ergibt.

3. Auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann ein dem Kündigungsgrund des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB "artverwandtes" Interesse vorhanden sein.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des [X.] vom 9. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte hatte vom ursprünglichen Kläger, dem [X.] [X.]      , im Jahr 1999 eine in einem Mehrfamilienhaus gelegene Zwei-Zimmer-Wohnung in [X.]       angemietet. Im Verlauf des Rechtsstreits ist der Gesamtverband mit Wirkung zum 31. Mai 2010 aufgehoben worden; an dessen Stelle ist der nunmehrige Kläger, der [X.] Kirchenkreis [X.]    , getreten.

2

Mit Schreiben vom 23. Januar 2009 kündigte der Rechtsvorgänger des [X.] das Mietverhältnis ordentlich. Dabei machte er geltend, das gesamte Anwesen, einschließlich der vom Beklagten genutzten Wohnung, für die Unterbringung der von der Diakonie in [X.]       e.V. betriebenen Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe-, und Lebensfragen zu benötigen. Der Beklagte hat das Vorliegen eines berechtigten Interesses im Sinne des § 573 Abs. 1 BGB bestritten.

3

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage des Rechtsvorgängers des [X.] stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klagabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ausgeführt:

6

Das [X.] vom 23. Januar 2009 genüge den formellen Anforderungen des § 573 Abs. 3 [X.]. Die Kündigung sei auch berechtigt. Denn der Kläger benötige den Wohnraum zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben und habe daher ein berechtigtes Interesse (§ 573 Abs. 1 [X.]) an der Beendigung des Mietverhältnisses. Beim Kläger handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, zu deren Aufgaben die Durchsetzung der mit der Kündigung verfolgten Ziele gehöre. Die vom Kläger beabsichtigte Nutzung der Räumlichkeiten für eine Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen in der [X.] überwiege das Interesse des Beklagten am Fortbestand des Mietverhältnisses. Es sei gerichtsbekannt, dass in diesem Stadtteil wegen der zum Teil problematischen Sozialstruktur Bedarf für ein entsprechendes Beratungszentrum bestehe.

7

Dem berechtigten Interesse des [X.] an der Beendigung des Mietverhältnisses stehe auch nicht entgegen, dass er die geplante Beratungsstelle nicht selbst unterhalten werde, sondern das Gebäude der [X.] zum Betrieb der Beratungsstelle überlassen wolle. Die [X.] sei nämlich in die [X.]      eingegliedert, zu der auch der Kläger als Dachverband der 24 Kirchengemeinden [X.]        gehöre. Damit sei die rechtliche Situation mit der in § 573 Abs. 2 [X.] eigens geregelten Eigenbedarfskündigung vergleichbar. Die genannte Vorschrift belege, dass ein berechtigtes Interesse an der Kündigung auch darin liegen könnte, dass die Mietwohnung von einer dem Vermieter nahestehenden Person benötigt werde. Diese Wertung lasse sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen, in der die Umsetzung des verfolgten öffentlichen Interesses durch eine dem Vermieter "nahestehende" juristische Person erfolgen solle. Es könne letztlich keinen Unterschied machen, ob das beabsichtigte kirchliche Beratungszentrum vom Kläger selbst oder von einer anderen juristischen Person betrieben werde, die ebenfalls zum Gesamtkomplex der [X.]      gehöre. Jedes andere Verständnis würde dazu führen, dass die Einrichtung einer - gewichtige öffentliche Interessen erfüllenden - Beratungsstelle vereitelt würde.

II.

8

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision des Beklagten ist daher zurückzuweisen. Der Kläger hat nach § 546 Abs. 1 [X.] Anspruch auf Räumung der vom Beklagten angemieteten Wohnung, denn das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Januar 2009 beendet worden.

9

1. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen genügt das [X.] vom 23. Januar 2009 den Begründungserfordernissen des § 573 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Dies stellt auch die Revision nicht in Frage.

2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht nicht das Vorliegen eines Kündigungsgrunds nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 [X.] ("Eigenbedarf") bejaht, sondern die Berechtigung des [X.] (bzw. seines Rechtsvorgängers) zur ordentlichen Kündigung ausschließlich am Maßstab des § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] geprüft. Dabei hat es rechtsfehlerfrei ein - von dieser Bestimmung vorausgesetztes - berechtigtes Interesse des [X.] an der Beendigung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten bejaht. Die Beantwortung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, erfordert eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Sie obliegt in erster Linie dem Tatrichter und kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie auf einer rechtsfehlerfrei gewonnenen Tatsachengrundlage beruht, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind und der Tatrichter den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat (Senatsurteile vom 23. Mai 2007 - [X.], NJW-RR 2007, 1460 Rn. 11 und [X.], [X.], 459 Rn. 11, jeweils mwN). Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer Prüfung anhand dieses Maßstabs stand.

a) Nach den vom Berufungsgericht getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen ist der Kläger - wie auch sein Rechtsvorgänger - als Dachverband der [X.]        Kirchengemeinden eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Revision zieht auch nicht in Zweifel, dass ein berechtigtes Interesse des [X.] an der Auflösung des Mietvertrags anzuerkennen wäre, wenn er selbst Träger der diakonischen Beratungsstelle wäre, für deren Unterbringung die Räumlichkeiten benötigt werden. Sie meint aber, ein solches Interesse sei ausgeschlossen, wenn - wie hier - die Beratungsstelle nicht vom Kläger selbst, sondern von einer rechtlich selbständigen juristischen Person wie der Diakonie [X.]        e.V. betrieben werde. Der Kläger könne sich nicht auf den [X.] dieses Dritten berufen.

b) Diese Ansicht teilt der Senat nicht. Es ist seit langem anerkannt, dass ein berechtigtes Interesse an der Beendigung eines Mietverhältnisses vorliegen kann, wenn eine öffentlich-rechtliche Körperschaft (vor allem eine Gemeinde) die von ihr vermietete Wohnung zur Umsetzung von Aufgaben benötigt, an deren Erfüllung ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht (vgl. BayObLG, NJW 1981, 580, 582 ff.; [X.], NJW 1981, 1277 f. mwN; [X.], NJW-RR 1991, 649 mwN; [X.], [X.], 711; [X.], Mietrecht, 10. Aufl., § 573 [X.] Rn. 202). Teilweise wird allerdings verlangt, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts die von ihr vermietete Wohnung zur Erfüllung eigener öffentlich-rechtlicher Aufgaben oder jedenfalls zur Wahrung solcher öffentlich-rechtlicher [X.] benötigt, zu deren Durchsetzung sie rechtlich verpflichtet ist (so [X.], [X.], 129 f.; [X.], [X.], 13. Aufl., § 573 Rn. 14; [X.]/[X.], [X.], [X.]. September 2010, § 573 Rn. 195).

Diese Sichtweise, die [X.] nur bei einer rechtlichen Verpflichtung des Vermieters zu deren Wahrnehmung berücksichtigen will, verengt den Anwendungsbereich des § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] unangemessen. Sie lässt außer [X.], dass der generalklauselartige Kündigungstatbestand in § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] gleichgewichtig ist mit den in § 573 Abs. 2 [X.] genannten Kündigungsgründen (vgl. [X.], NJW 1992, 105, 106 zu § 564a [X.] aF; Senatsurteile vom 23. Mai 2007 - [X.], und [X.], jeweils aaO Rn. 13). Für die Frage, ob ein Interesse als berechtigt nach § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] anzusehen ist, kommt es allein darauf an, ob es ebenso schwer wiegt wie die in § 573 Abs. 2 [X.] beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe (BayObLG, aaO, S. 582 mwN zu § 564b [X.] aF). Wie der Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 [X.] belegt, kann sich ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Auflösung des Mietverhältnisses aber nicht nur aus rechtlichen Beziehungen zu anderen Personen, sondern auch aus familiären oder wirtschaftlichen Beziehungen ergeben.

In dieser Regelung wird der Wohnbedarf von Familienangehörigen oder Haushaltsangehörigen des Vermieters dem Bedarf des Vermieters gleichgesetzt. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, bei § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] einen strengeren Maßstab anzulegen und [X.] nur dann dem Vermieter als eigenes Interesse zuzuordnen, wenn dieser rechtlich verpflichtet ist, auch solche Fremdinteressen zu wahren. Die genannte Vorschrift verwehrt es dem Vermieter daher nicht, auch Umstände aus dem Interessenbereich dritter Personen insoweit zu berücksichtigen, als sich aus ihnen aufgrund eines familiären, wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhangs auch ein eigenes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses ergibt (BayObLG, aaO). Diese Grundsätze gelten - anders als das [X.] (aaO) meint, das die vom [X.] angestellten Erwägungen missverstanden hat - nicht nur für private Vermieter, sondern auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Auch bei diesen kann ein dem Kündigungsgrund des § 573 Abs. 2 Nr. 2 [X.] "artverwandtes" Interesse vorhanden sein ([X.], [X.] 1979, 122 f. mwN; vgl. auch BayObLG, aaO).

c) Gemessen an diesen Maßstäben dient die ausgesprochene Kündigung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten nicht nur der Verwirklichung fremder Interessen, sondern auch der Durchsetzung eigener Interessen des [X.]. Entscheidend ist, dass sowohl der Kläger als auch die Betreiberin der Beratungsstelle, die Diakonie [X.]       e.V., zum Gesamtkomplex der [X.]       gehören und im gleichen örtlichen Wirkungskreis, nämlich in [X.]       , kirchliche Aufgaben wahrnehmen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts führt die Diakonie [X.]        e.V. für die [X.]       Kirchengemeinden diakonische Aufgaben - darunter auch die Unterhaltung von Beratungsstellen - durch. Es handelt sich damit bei ihr um eine juristische Person, die - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - dem Kläger "nahesteht". Diese Zusammenhänge begründen nicht nur ein - im Rahmen des § 573 Abs. 1 Satz 1 [X.] unbeachtliches - Drittinteresse an der Erlangung geeigneter Räumlichkeiten für eine Beratungsstelle in der [X.]      [X.], sondern vielmehr ein eigenes berechtigtes Interesse des [X.] an der Beendigung des Mietverhältnisses.

[X.]                                                       Dr. Milger                                                  Dr. Achilles

                       Dr. Schneider                                                    [X.]

Meta

VIII ZR 238/11

09.05.2012

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Düsseldorf, 9. Juni 2011, Az: 21 S 190/10

§ 573 Abs 1 S 1 BGB, § 573 Abs 2 Nr 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2012, Az. VIII ZR 238/11 (REWIS RS 2012, 6604)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6604

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